Was die Saudis beabsichtigt haben

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Die arabische Friedensinitiative hat in Israel eine regelrechte Interpretationsindustrie erzeugt: Es gibt solche, die in ihr eine Verhandlungsgrundlage sehen und daher meinen, dass Israel sie sich zu eigen machen sollte; und solche, die in ihr nur eine neue Formulierung der traditionellen arabischen Positionen erkennen, die Israel erst akzeptieren müsse, bevor über andere Themen wie eine Normalisierung und das Flüchtlingsproblem verhandelt würde…

Von Shlomo Avineri, Haaretz v. 21.09.09

Auch der zweiten Lesart zufolge stellt die Initiative einen Durchbruch dar, insofern sie ausdrücklich von einem Frieden mit Israel spricht. Gleichwohl sind das, was Israel nach dieser Version angeboten wird, nicht Verhandlungen, sondern in Wahrheit ein Diktat: Es muss zuerst die arabischen Bedingungen akzeptieren – die Gründung eines palästinensischen Staates mit Jerusalem als Hauptstadt, eine Rückkehr zu den Grenzen von 1967 und eine Auflösung aller Siedlungen.

In Anbetracht eines Artikels, den der saudische Prinz Turki al-Faisal am 14. September in der New York Times veröffentlicht hat, scheint nun die Entscheidung darüber möglich zu sein, welche der beiden Lesarten die richtige ist. Der Prinz ist in vielerlei Hinsicht die treibende Kraft hinter der arabischen Initiative. Jeder, der ihn – einst Chef des saudischen Geheimdienstes, danach Botschafter seines Landes in Washington und derzeit Leiter des einflussreichen saudischen Instituts für internationale Beziehungen – getroffen hat, weiß, dass von einer gewinnenden und beeindruckenden Persönlichkeit die Rede ist, die wie keine andere die gemäßigte saudische Position zum Ausdruck bringt, welche die arabische Welt zu einem Sich-Abfinden mit Israel führen möchte. Seine Worte haben daher besonderes Gewicht, und die Israelis, die sie zu ignorieren suchen, laufen Gefahr, den Kopf in den Sand zu stecken.

Prinz Turki erklärt zuerst, warum es nicht vernünftig wäre, wenn die arabischen Staaten auf die israelische Forderung eingehen, vertrauensbildende Maßnahmen einzuleiten, bevor Israel nicht den Siedlungsbau beendet. Es sind dies sinnvolle Worte, auch für denjenigen, der nicht mit allen Einzelheiten übereinstimmt. Der Artikel schildert den Hintergrund der arabischen Initiative und erläutert ihre Vorteile. Er weist auch darauf hin, dass sie helfen wird, die Extremisten – sprich, die Hamas – zu isolieren.

Im Anschluss daran jedoch, nachdem er – zurecht – sagt, dass Israel geben und nicht nur nehmen müsse, erklärt der Prinz die Grundlagen des Plans, wie er sie sieht, und hier sind seine Worte eindeutig: „Der erste Schritt muss die sofortige Räumung aller Siedlungen im Westjordanland sein. Nur ein derartiger Schritt würde der Welt zeigen, dass Israel es ernst meint mit dem Frieden (…) Das Flüchtlingsproblem wird danach in einer gegenseitigen Übereinkunft gelöst werden.“ Klipp und klar: Die Siedlungen sind kein Gegenstand von Verhandlungen – Israel muss sie nicht nach ihnen, sondern vor ihnen räumen. Der Prinz fügt hinzu, dass alle Nachbarn Israels den Frieden wollen; „aber man kann nicht von ihnen erwarten, dass sie sich mit einer Diebestat abzufinden bereit erklären, und gewiss kann man sie nicht dazu zwingen, Israel für die Rückgabe von Land, das ihm nicht gehört, einen Preis zu verleihen.“

Womöglich kann man von der Rhetorik absehen, zu der sich der Prinz hinreißen lässt („Diebestat“); aber die Botschaft ist klar: Die arabische Initiative spricht nicht von Verhandlungen. Sie fordert von Israel, sich zuerst aus allen Gebieten (einschließlich Ostjerusalems) zurückzuziehen – was die Evakuierung einer Viertelmillion Israelis bedeuten würde -, und erst danach würden die Verhandlungen über die Normalisierung und die Flüchtlinge beginnen. Das ist wirklich nicht seriös.

Ganz gleich, wie friedenshungrige Israelis die arabische Initiative interpretieren. Hier haben wir eine autorisierte Interpretation von einem ihrer Initiatoren vor uns. Man sollte die Initiative nicht verwerfen, da sie eine arabische Bereitschaftserklärung zum Frieden beinhaltet: Aber über ihre Bedeutung darf man sich nicht täuschen. Im gegenwärtigen Stadium ruft sie nicht zu Verhandlungen auf, sondern zur bedingungslosen Akzeptanz der arabischen Position, und dies ist ihr primärer Stolperstein.

Shlomo Avineri ist Emeritus für Politische Wissenschaften an der Hebräischen Universität Jerusalem.