Solidarität mit den Schwulen: Lob des Schmelztiegels

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Meine Nachbarin schickte mir Samstagabend eine SMS, um mich zu fragen, ob ich mit meinem Roller zur Schwulensolidaritätskundgebung auf dem Rabin-Platz fahren würde. Sie sagte, sie würde einen Helm mitbringen. Als ob es ihr klar war, dass wir hingehen würden. Wie sich herausstellte, erschien das vielen Leuten – ob homo- oder heterosexuell – selbstverständlich. Im Gegensatz zu dem Bild, das die Medien gezeichnet haben, war dies nicht nur eine Solidaritätskundgebung der Gay Community mit den Opfern; es war eine Kundgebung der allgemeinen Solidarität mit der gesamten Gay-Community…

Von Gadi Taub, Jedioth achronoth

Anders als eine aktuelle Umfrage in der Presse (die in irreführender Weise formuliert und dargestellt wurde) vermuten lässt, ist die Schlussfolgerung „Israelis sind homophob“ – so eine der Schlagzeilen – alles andere als korrekt. Auch abgesehen von den Massen auf dem Platz können wir sagen, dass nirgendwo auf der Welt eine so breite Koalition von Regierungsvertretern offen die Schwulen- und Lesbengemeinde unterstützt.

Chen Langer, einer derjenigen, die in dem jüngsten Anschlag in dem Schwulenberatungszentrum verletzt worden war, sprach auf der Kundgebung und sagte, es sei ein „fürchterlicher Moment“ gewesen. Aber er lag falsch. Der fürchterliche Moment fand eine Woche früher statt. Die Kundgebung am Samstagabend war in der Tat ein ausgesprochen schöner Moment. Man muss dort gewesen sein, um die Art von Gefühlen nachempfinden zu können, die zwischen den bunten Flaggen herrschten: etwas Sicheres, Warmes und Beherrschtes.

Es herrschte nicht das Gefühl einer gerechten und belagerten Minderheit, wie es oft bei Friedenskundgebungen der Fall ist, sondern vielmehr eine breite Solidarität, die alle politischen Lager durchzog. Es war da etwas Einfaches, Ruhiges und Entschlossenes.

Es war dies gewiss ein Moment, auf den wir stolz sein können. Stolz auf die Schwulen, die sich geweigert haben, ihre Köpfe zu senken, stolz auf die offene und tolerante Stadt Tel Aviv und stolz auf Israel und unser Israelisein. Ich denke, letzteres muss betont werden, denn das Schöne und Wichtige, das in der Woche zwischen dem Mord und der Kundgebung offenbar wurde, geschah uns nicht zufällig. Es rührte von den Säulen des Modernisierungsprojekts namens Israel her.

Die intellektuellen Eliten neigen heutzutage zu der Annahme, dass der israelische Schmelztiegel nicht mehr als ein Akt der Unterdrückung einer Gruppe durch die andere ist. Daher sehen sie das Heilmittel darin, eine Koalition der Minderheiten gegen die Einheitlichkeit zu schmieden. Dies nennt sich dann Multikulturalismus. Dieses Bild ist jedoch ganz und gar falsch. Toleranz und Akzeptanz jener, die anders sind als wir, hängen tatsächlich von der Stärkung des gemeinsamen israelischen Projekts ab.

Wie ein Kollege von mir an der Hebräischen Universität bemerkt hat, ist dies an den Ergebnissen der jüngsten Homophobie-Umfrage zu erkennen, die ich bereits erwähnt habe. Je tiefer der Prozess der „Israelisierung“, desto mehr schwindet die Homophobie. Laut der Umfrage denken 29% der ultraorthodoxen und 33% der religiösen Befragten nicht, dass Homosexualität eine Perversion ist (was angesichts des Banns durch die Torah überraschend ist). Gleichzeitig denken 34% der israelischen Araber nicht, dass Homosexualität eine Perversion ist (ich wette, die Zahlen, die man in Ägypten oder Kuwait erhalten würde, wären weitaus höher). Dasselbe gilt für 43% der Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, 56% der sich als traditionell definierenden Israelis und 76% der hier lebenden Säkularen.

Es ist insofern schwer, die Tatsache zu ignorieren, dass die Toleranz zunimmt, je weiter der israelische Schmelztiegel fortgeschritten ist, während sich antidemokratische Kräfte auf dem Rückzug befinden.

Ist es überraschend? Nicht wirklich. Es sind die Unabhängigkeitserklärung und ihre Werte, die die israelische Demokratie garantieren, und je mehr wir sie durchsetzen (gegen jene, die Frauen, Palästinenser und Homosexuelle ihrer Rechte berauben), desto offener wird unsere Gesellschaft sein.

Dies geschieht freilich nicht über Nacht. Vor 100 Jahren haben die Einrichtungen der zionistischen Bewegung religiöse Juden in Israel dazu gezwungen, das aktive und passive Wahlrecht von Frauen anzuerkennen. Heute wird dieses Recht für selbstverständlich genommen. In der Sache der Schwulen und Lesben ist noch eine lange Wegstrecke zurückzulegen. Aber am Samstagabend auf dem Rabin-Platz haben wir gesehen, dass wir bereits auf halbem Wege angelangt sind. Es hatte einen guten Grund, dass die Kundgebung mit dem Absingen unserer Nationalhymne, der Hatikva, endete.

2 Kommentare

  1. Die Vorurteile kleben nicht nur bei „extremen“ Gruppierungen, (wobei jeder gottgefällige Orthodoxe, der einen MENSCHEN, und keine perverses Unterding, vor sich sieht, bereits auf dem richtigen Weg ist), sondern eben auch an der Mitte der Gesellschaft, schön versteckt im Schrank zuhause.
    Öffentliche Kundgebungen haben den Vorteil, dass man auf viele trifft, die so denken wie man selbst… und sich auch sicherer, bestärkter fühlt.
    Der Nachteil ist natürlich, dass der homophobe (oder antisemitische, oder rassistische…) nichts wahrnimmt, vorübergeht und sich seinen Teil denkt oder sich sogar selbst als „Freiheitskämpfer“ sieht, der sich „seine Meinung“ nicht zensieren lassen will.

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