Der Koran und die Juden (3): Moses und die Israeliten

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In Abrahams Begleitung tritt sein Neffe Lot auf. Der Koran übergeht ihn nicht, sondern berichtet pflichtgemäß, wie er sein Volk wiederholt zur Umkehr ermahnt. Als es nicht hört, werden die Sünder vernichtet, als einzige gerettet werden Lot und seine Familie, außer seiner Frau, „die sich versäumte“ (Sure 7,81). Gemäß 1. Mose 19,26 verhielt sich die Sache mit Lots Frau dagegen so: „Da schaute sein Weib hinter ihm und war eine Salzsäule.“…

Miriam Magall

Diese Geschichte wird wiederholt erwähnt. So auch in Sure 11,79–84 und in Sure 29,30–32, wo Allah den Menschen seine Strafe ankündigt: „Siehe, wir wollen das Volk aus dieser Stadt vertilgen… wir wollen ihn und seine Familie erretten mit Ausnahme seiner Frau, welche säumen wird“. In Sure 51,32–37 ist noch zusätzlich die Rede von dem sündigen Volk, in dem die Gäste „nur ein Haus von Muslimen“ finden, d.h. das Haus Lots. Das Volk und die Stadt (Sodom-Gomorrha) werden gestraft.

Lüge wirft das Volk in Sure 26 nicht nur Noach vor, sondern auch Lot. Auch er mahnt wie jener zur Reue und Umkehr und zum Gehorsam Allah gegenüber. Das Volk aber droht Lot mit Vertreibung. Glücklicherweise wird der Held gerettet: „Alsdann vertilgten wir die andern und ließen auf sie einen Regen regnen, und übel war der Regen der Gewarnten“ (Vers 174).

In Sure 54,33–38 wird Lot ein weiteres Mal als Lügner bezeichnet und sofort wird an die Bestrafung des Volkes erinnert: „Wir entsandten wider sie einen Kiesel aufwirbelnden Wind, und nur Lots Haus erretteten wir im Morgengrauen“ (Vers 34).

Wann immer im Koran ganz allgemein die Rede von Sündern und Geretteten ist, wird auch Lot erwähnt, den sein Volk aus seiner Stadt vertreibt. So auch wieder in Sure 27,55–59. Und wie immer wird Lot zusammen mit seiner Familie gerettet; nur seine Frau nicht, weil sie zu den Säumenden gehört.

Sure 37 enthält in den Versen 73 bis 148 die Kunde von sieben koranischen Prophetenlegenden; damit sind Noach, Abraham und Lot, Moses und Aaron, Jonas und Elias gemeint, die auch namentlich erwähnt werden. Alle werden aus großer Gefahr errettet, während ihre Widersacher vernichtet werden.

Abraham wird gemäß dem Register der von Schimmel herausgegebenen Koran-Übersetzung in 26 Suren, Lot in insgesamt 14 Suren erwähnt.

4.3  Moses und die Israeliten

Die Verse 38 bis 152 von Sure 2 handeln von den Juden in Medina. Gleich zu Beginn werden die Israeliten ermahnt, Allahs Bund einzuhalten, nur ihn zu fürchten, die Wahrheit nicht in Lüge zu kleiden. überdies sollen sie beten, Almosen geben und sich vor dem Beugenden verbeugen. Diese Gebote, die direkt der Hebräischen Bibel entnommen sind, ziehen sich wie eine immer wiederkehrende Mantra durch den gesamten Koran. Um Eintönigkeit zu vermeiden, sei jedoch lediglich an dieser Stelle darauf hingewiesen. Immer wieder werden die Israeliten auch ermahnt, der Gnade Allahs zu gedenken und sich vor dem Tag des Gerichts zu fürchten, an dem eine Seele nichts für eine andere tun kann, sie durch kein Lösegeld ausgelöst und ihr auch sonst nicht geholfen werden kann. Erinnert wird an den Auszug aus Ägypten und an Moses und das goldene Kalb. Vom Himmel ließ Allah damals Manna und Wachteln regnen. Aber selbst nach dem Wunder mit den zwölf Quellen — in der Hebräischen Bibel kommt dagegen nur eine vor –, die aus dem Fels entsprangen, als Moses mit seinem Stab dagegenschlug, frevelten sie. Sie rebellierten und waren Übertreter. Deshalb wurden sie mit Schimpf und Elend geschlagen und zogen sich Allahs Zorn zu, darum, dass sie Allahs Zeichen verleugneten und die Propheten ungerechterweise ermordeten (Sure 2,58).

Als einige es dann ganz böse treiben und es wagen, gegen den Schabbath verstoßen, spricht Allah zu ihnen: „Werdet ausgestoßene Affen!“ (Sure 2,61). Und auch das hat er jenen zu sagen, die den Schabbath entheiligen: „O ihr, denen die Schrift gegeben ward, glaubet an das, was wir hinabsandten,… bevor wir (eure) Gesichter auswischen und sie ihren Hinterteilen gleichmachen“ (Sure 4,50). In Sure 5,65 wird die Androhung noch einmal wiederholt: „Wen Allah verflucht hat und wem er zürnt … verwandelt hat er einige von ihnen zu Affen und Schweinen.“ In Sure 7,166 verurteilt Allah die Frevler noch einmal: „Seid verstoßene Affen!“

Interessant ist die Beschreibung von der roten Kuh im Koran. In der Hebräischen Bibel (4. Mose 19) wird eine makellose rote Kuh, die noch kein Joch trug, geschlachtet und völlig verbrannt. Ihre Asche dient der Entsündigung, wie in 4. Mose 19, 2–21, beschrieben. Im Koran (Sure 2,63–68) wird daraus eine gelbe Kuh, und sie dient dort dazu, einen Toten lebendig zu machen, mit dessen Hilfe ein Mörder dingfest gemacht werden kann.

Die Israeliten schenken nicht einmal Moses ihr Vertrauen, heißt es in der Hebräischen Bibel, und diese Meinung übernimmt auch der Koran. In der Episode mit den beiden Kundschaftern (4. Mose 13,27–33) weigern sie sich, in das ihnen Verheißene Land zu ziehen, solange das Volk, „ein Volk von Recken“, wie Sure 5,25–28 betont, darin lebt. Zur Strafe für ihre Kleingläubigkeit müssen sie vierzig Jahre lang „umherirren… auf der Erde“ (Sure 5,29), verkündet der Koran ganz im Sinn der Hebräischen Bibel.

In Sure 7,101–173 schildert der Koran noch einmal ausführlich die Moses-Geschichte und andere Ereignisse aus der jüdischen Geschichte. Gemäß dem Kommentator (Fußnote 38) stellt Mohammed sie sich in Reminiszenz an die biblische und rabbinische Überlieferung so, wie hier geschildert, vor.[10] Ihm zufolge wurde dieser Textteil erst in Medina bearbeitet oder ist zum Teil überhaupt erst dort (auf der Grundlage von 2. Mose 5ff) entstanden.

Interessant ist die Episode der Israeliten, die gemäß dem Koran in der Stadt Aila, dem heutigen Elath (Sure 7,163), stattfand: „Und stell sie zur Rede über die Stadt, welche am Meer lag, als sie sich am Sabbat vergingen, als ihre Fische zu ihnen an ihrem Sabbattage sichtbarlich kamen, aber an dem Tage, da sie keinen Sabbat feierten, nicht kamen“. Davon weiß die Hebräische Bibel nichts.

Kürzer als in der soeben angeführten 7. Sure ist von Moses und dem Auszug der Israeliten noch einmal die Rede in Sure 10,76–93, und in Sure 14,5 und 6 wird noch einmal bekräftigt, dass Moses von Allah ausgechickt wurde, um sein Volk aus der Finsternis ins Licht zu führen, und wird das Volk ermahnt, der Gnade Allahs zu gedenken, der sie vor dem Pharao errettete.

In Sure 18 mit der Überschrift „Die Höhle“ erzählen die Verse 59 bis 81 eine Legende von Moses und dem weisen Gottesdiener. Gemäß dem Kommentator geht diese Legende auf Stoff aus dem Alexanderroman zurück.[11] Demnach steht Moses hier für Alexander den Großen. Moses bzw. Alexander sucht den Zusammenfluss der beiden Meere, eigentlich den von Euphrat und Tigris, die auch schon im Gilgamesch-Epos vorkommen. Mose Diener vergisst unterwegs den Fisch, der ins Meer davonschwimmt. Sie kehren zurück, um den Fisch zu suchen, und treffen auf einen Diener, der von der muslimischen Exegese mit Al-Chadir, dem „grünen“ Propheten gleichgesetzt wird. Er hat die Quelle des Lebens gefunden, aus ihr getrunken und wurde unsterblich. Erst beim Posaunenstoß des Jüngsten Tages soll er sterben. Dieser Diener nun, Al-Chadir, benimmt sich äußerst merkwürdig: Sie steigen in ein Schiff, in das er ein Loch macht. Danach treffen sie auf einen Jüngling, den er erschlägt. Schließlich kommen sie in eine Stadt, deren Mauer einzustürzen droht, und Al-Chadir richtet sie auf. Befremdet schaut Moses seinem Treiben zu. Erst als sich der „grüne“ Prophet verabschiedet, erklärt er ihm sein Tun. Das Schiff zerstörte er, weil es armen Leuten gehört, die auf dem Meer arbeiten; er beschädigte es, weil hinter ihnen ein König ist, der jedes Schiff mit Gewalt nimmt. Die Eltern des Jünglings sind gläubig, und Al-Chadir ist besorgt, er könne ihnen Gottlosigkeit und Unglauben aufbürden. Unter der Mauer liegt ein Schatz, der zwei verwaisten Jünglingen in der Stadt gehört. Sie sollen diesen für sie bestimmten Schatz heben, sobald sie erwachsen werden.

In Sure 20 beschreiben die Verse 8 bis 84 die Geschichte von Mose Berufung in der Wüste, wo Allah ihm verspricht, ihm seinen Bruder Aaron zur Seite zu geben. Dass Allah Moses gegenüber gnädig ist, zeigt er ihm in einem Rückblick: Noch als er ein Säugling war, hielt er die Hand über ihn. Und auch vor dem Pharao steht Allah ihm bei und überzeugt die Zauberer, allein an den Herrn Mose und Aarons zu glauben. Schließlich befiehlt er Moses, mit dem Volk des Nachts aufzubrechen zum Meer. Dort ertrinken die Heere des Pharaos.

In Sure 23 ist noch einmal, diesmal eher kurz (Verse 47–51) die Rede von Moses und seinem Bruder Aaron, wie sie vor den Pharao treten und von diesem verlacht werden. Zur Strafe wird er zusammen mit seinem hochmütigen Volk vernichtet. Zum Schluss erhält Moses „das Buch“. Gemeint sein dürfte damit die Hebräische Bibel. Diese Aussage wird noch einmal in Sure 25,37 und 38, bekräftigt: „Und wahrlich, wir gaben Moses die Schrift und gaben ihm seinen Bruder Aaron zum Wesir.“

Sure 26 beschreibt ein weiteres Mal die Berufung Mose und seinen Auftrag, zum Pharao zu gehen, um die Freilassung der Kinder Israel zu erbitten (Verse 9–66). Auch diesmal kommen die Zauberer vor, die sich nach einer ersten Kraftprobe mit Moses zum „Herrn der Welten, den Herrn Mosis und Aarons“ (Verse 47 und 48) bekennen, obwohl Pharao ihnen androht: „Ich haue euch eure Hände und Füße wechselseitig ab und kreuzige euch insgesamt“ (Vers 49). Schließlich spaltet Moses mit seinem Stab das Meer „und jeder Teil war gleich einem gewaltigen Berg“ (Vers 63). Die Kinder Israel sind gerettet: „Alsdann ertränkten wir die andern“ (Vers 66).

Sure 27 berichtet von drei Aspekten der Berufung Mose in der Wüste: dem Feuer (Vers 7); dem Stab, der sich in eine Schlange verwandelt (Vers 10), und die Hand, die weiß aus seinem Oberkleid herauskommt (Vers 12). Es sollen Zeichen für den Pharao und sein Volk sein.

In Sure 28 erzählen die Verse 2 bis 42 noch einmal von Moses, mit einem Unterschied: In ihrem Mittelpunkt steht das Leben Mose in Ägypten. Darüber hinaus enthält die hier geschilderte Moses-Geschichte einige Abweichungen vom Üblichen. Eine davon ist die Tatsache (Vers 5), dass Pharao Haman zu seinem Wesir macht, was bedeutet, der Günstling von König Ahasveros (ca. 500 v.d.Z.), ein heftiger Feind der Juden, lebt gemäß Mohammed schon beinahe tausend Jahre früher in Ägypten (um 1500 v.d.Z.). In Vers 10 derselben Sure 28 bittet Mose Mutter ihre Schwester — in der Hebräischen Bibel ist es dagegen die Schwester des Moses –, zu beobachten, was mit dem in einem Körbchen auf dem Nil ausgesetzten Moses geschieht. Als Moses nach Midian flüchtet, weil er einen Ägypter erschlagen hat, gelangt er auch gemäß Mohammed zu Jethro. Dieser bietet ihm eine seiner beiden Töchter als Frau an — unter der Bedingung, dass Moses ihm „acht Pilgerfahrten lang“ (Vers 27) dient — eine Erinnerung an die Geschichte Jakobs bei Laban und seinen beiden Töchtern Lea und Rachel. Als Moses vor Pharao steht, befiehlt Pharao Haman, ihm einen Turm zu bauen, damit er zum Gott Mose hinaufsteigen kann — wohl eine Anspielung auf den Turmbau zu Babel. Als Strafe wird er von Allah zusammen mit seinen Heerscharen ins Meer geworfen (Sure 28,38–40).

Moses erhält die Schrift (Sure 28,43), und: „Diejenigen, denen wir die Schrift zuvor gaben, die glauben daran“ (ebda., 52). Solange Mohammed noch in Mekka lebt, ist er gemäß dem Kommentator (s. Fußnote 15) der Meinung, die Schriftbesitzer, d.h. Juden und Christen, müssten seiner Botschaft Glauben schenken. Erst als er in Medina näher und enger vor allem mit den Juden in Kontakt kommt, ändert er seine Meinung. Mohammed kennt auch die Ereignisse um Korach. Für ihn ist er ein ungemein reicher Mann (Sure 28,76), nach Ansicht des Kommentators verwechselt Mohammed ihn mit Krösus.[12] Schließlich ereilt Korach das schon aus der Hebräischen Bibel (4. Mose 16, 32) bekannte Ende: „Und wir spalteten die Erde unter ihm und seinem Haus, und er fand keine Schar, ihm zu helfen, außer Allah,  und er gehörte nicht zu den Erretteten“ (Sure 28,81).

Was Korach und Pharao und Haman angeht, erklärt Sure 29: „Und nicht tat Allah ihnen Unrecht an, sondern sie selber übten Unrecht wider sich“; „alle erfassten wir in ihren Sünden, und zu den einen von ihnen sandten wir einen Steine mit sich führenden Wind [entweder ein Sandsturm oder aber eine Anspielung auf die Zerstörung von Sodom und Gomorrha]; andere erfasst der Schrei [entweder des Entsetzens oder des Racheengels, womit gemäß der Überlieferung nach Gabriel gemeint ist], und wieder andere verschlingt die Erde [d.h. Korach], und andre ertränkten wir [in der Sintflut, oder aber mit dem Regen, der Sodom und Gomorrha wegschwemmte, oder im Schilfmeer, das Pharao und sein Heer verschlang]“ (Sure 29,39).

Immer wieder betont der Koran, dass Moses die Schrift gegeben wurde; so auch wieder in Sure 32,23. In der gleichen Sure ist überdies noch zu erfahren: „Drum sei nicht in Zweifel über die Begegnung mit ihm.“ Nach Ansicht muslimischer Interpreten beziehen sich diese Worte auf das Zusammentreffen von Moses mit Mohammed bei dessen nächtlicher Himmelfahrt nach Jerusalem, auf der er auch Abraham und Jesus sah.

Sure 40 spricht wiederum von Moses, und wie er von Pharao und Haman als Zauberer und Lügner bezeichnet wird (Verse 24–40) und auch, dass Pharao zum Schluss für sein böses Tun bestraft wird.

In Sure 43 heißt es, „Wir entsandten Moses mit unsern Zeichen zu Pharao und seinen Häuptern“ (Vers 45). Solange die Strafe währt, geloben sie, Allah zu folgen. Dann aber brechen sie ihr Wort und machen wieder alles, was sie nicht tun sollen mit der Folge: „…rächten wir uns an ihnen und ersäuften sie insgesamt“ (Vers 55). Und auch in Sure 44,16–30 wird berichtet, wie Moses zu Pharao gesandt wird, um die Kinder Israel zu erretten. Der Pharao wird für seine Hochmut gebührend bestraft.

Sure 79,15–26 enthält die älteste Schilderung der Moses-Geschichte als Straflegende. Moses kommt, den Pharao von seiner Sünde abzubringen. Pharao bezeichnet Moses jedoch als Lügner und weigert sich, seinem Wunsch zu entsprechen. Die Folge: „Da erfasste ihn Allah mit der Strafe des jenseits und diesseits“ (25).

In der Koran-Übersetzung, die 1960/1991 mit Anmerkungen von Annemarie Schimmel erschien, ist Moses im Register in 33 Suren erwähnt, die Juden oder Israeliten bzw. die Kinder Israel kommen in elf bzw. 16 Suren vor.

5.   Jüdische Geschichte

In der außerordentlich langen 2. Sure ist auch etwas über die israelitische Geschichte zu erfahren. Von Abraham und seinem Neffen Lot, vom Auszug aus Ägypten und von Moses war bereits die Rede. Nach dessen Tod fordern die Israeliten von ihrem Propheten, gemäß der Fußnote zu Sure 2,247 ist damit Samuel gemeint, einen König.[13] Sie bekommen Saul. Als Zeichen seiner Königswürde kommt die Lade zu den Israeliten, „in der eine Gegenwart ist von eurem Herrn“ (Sure 2,249). In der dazugehörigen Fußnote (133) heißt es erklärend dazu, gemeint sei damit die Schechinah, die jüdische Gotteshypostase.[14] Das stimmt nicht, denn Hypostase bedeutet die Personifizierung göttlicher Eigenschaften. Tatsächlich sieht Schchina keinerlei Personifizierungen vor; in der Kabbala ist damit die — nicht personifizierte — unterste Sphäre der zehn göttlichen Sphären gemeint.

Sure 12 mit der Überschrift „Joseph“ schildert, wie schon ihr Name besagt, die Josephsgeschichte. Den Stoff entnahm Mohammed dem Kommentator Kurt Rudolph zufolge wie bei allen seinen Geschichten der mündlichen überlieferung, die sich aus der Hebräischen Bibel (1. Mose 37,1–36) und der spätjüdischen Legende bzw. Aggada speist.[15]

In Sure 17 mit der Überschrift „Die Nachtfahrt“ sagt der Koran, schon in der Schrift habe Allah für die Israeliten vorausbestimmt: „Zweimal werdet ihr auf der Erde Verderben anstiften und werdet euch in großer Hoffart erheben“ (Vers 4). Nach Ansicht des Kommentators sollen damit einmal die Ermordung des Jesaja und Jeremia, zum anderen die des Zacharias und Täufers Johannes gemeint sein.[16] Vielleicht, meint er, ist es aber auch eine Anspielung auf die zwei Tempelzerstörungen.

In Sure 21 ist nicht nur die Rede von Moses und Abraham, sondern auch von David und Salomo, der eine ein Kriegsheld, der die Kunst, Panzer zu verfertigen, von Allah gelernt hat, und der zweite, der schon im frühen Alter weise Urteilen zu fällen imstande ist. Überdies wird (Verse 83 und 84) an Hiob erinnert, der seinen Herrn anruft und um Erlösung von seinen Plagen bittet.

In Sure 27 erzählen die Verse 20–46 von König Salomo und der Königin von Saba. Allerdings betet ihr Volk die Sonne an, und sie selbst wurde vom Satan in die Irre geführt. Salomo verlangt von ihr, sie solle als Muslime zu ihm kommen. Vorher aber lässt er sich von einem gewalttätigen, boshaften Geist ihren Thron bringen. Als sie endlich selbst zu ihm kommt, erkennt sie ihren Thron wieder, obwohl er unkenntlich gemacht wurde, und als sie die mit Glas getäfelte Burg fälschlich für einen See hält und sich hineingleiten lassen will, klärt Salomo sie auf. Endlich erkennt sie, dass sie gesündigt hat, und erklärt: „Ich ergebe mich mit Salomos Allah, dem Herrn der Welten“ (Vers 45).

Wie schon in Sure 21,79 macht Allah auch in Sure 34,10 David die Berge und die Vögel dienstbar, um von seinem (d.h. Allahs) Lob zu künden. Sowohl gemäß jener als auch dieser Sure lehrte Allah David die Kunst, Panzer zu fertigen. Ebenso half Allah Salomo, indem er ihm Geister schickte, die noch nach seinem Tod den Tempel fertigstellten. Erst danach wurde Salomos Tod bekannt (Sure 34,13).

In dem von Annemarie Schimmel zusammengestellten Register der Koran-Übersetzung aus dem Jahr 1960/1991 kommt David in neun Suren vor, sein Sohn Salomo in sieben Suren und ihr Vorläufer Saul einmal.

6.   Jüdische Bräuche

Eine der beiden Koran-Ausgaben, die der Verfasserin dieser Zeilen vorliegen, wurde von einem Kurt Rudolph mit Anmerkungen versehen.[17] Leider steht nirgends, inwieweit er dazu qualifiziert ist. Es mag ja sein, dass er sich mit arabischen Sitten und Bräuchen auskennt, mit jüdischen wohl eher nicht. Wie sonst wohl lassen sich seine Projektionen von Islam und Christentum auf das Judentum erklären? Gemäß ihm gilt Salomo im späten Islam — wie schon vorher bei den Juden (sic!) — als Ahn und Hüter der Magie. Genauso befremdlich klingt die Behauptung in Fußnote 93 zu Sure 2,79, wonach das vierwöchige Ramadanfasten an Stelle des jüdischen Aschura-Fastens (sic!) eingesetzt wird. Gemeint hat er damit wohl das Fasten am Jom Kippur, dem Versöhnungstag, das auf den zehnten Tag des hebräischen Monats Tischri fällt. Er hätte sich da schon genauer ausdrücken sollen.

Mohammed zieht gegen die jüdischen Speisegebote ins Feld und will auf diese Weise, einmal mehr, die Juden des Abfalls von der reinen Urreligion Abrahams überführen: „Alle Speise war erlaubt den Kindern Israel, außer was Israel sich selber verwehrte“ (Sure 3,87). Zwar bezieht Mohammed Stellung gegen heidnische und auch jüdische Speisegebote, aber andererseits erlässt er selbst derartige Vorschriften, die den Genuss von Götzenopfer- und Schweinefleisch ebenso wie von gefallenen Tieren und Blut verbieten. Das wird noch einmal ausdrücklich in Sure 6,146 bekräftigt. Gleich darauf ist noch einmal alles aufgelistet, was die Juden nicht essen dürfen, nämlich: „alles (Vieh) mit Klauen… und vom Rindvieh und Schafen verboten wir ihnen das Fett, außer was auf ihren Rücken oder ihren Eingeweiden oder am Knochen sitzt“ (Sure 6,147).

Zu den von Mohammed eingeführten Geboten gehört auch das bekannte Verbot des Weingenusses. Das war nicht immer so. In Sure 16,69 wird der Wein noch gelobt: „Und unter den Früchten die Palmen und Reben, von denen ihr berauschenden Trank und gute Speise habt.“ Genauso wenig enthält Sure 2,216 ein Weinverbot, vielmehr wird dort lediglich vor übermäßigem Weingenuss gewarnt: „Sie werden dich befragen nach dem Wein und dem Spiel. Sprich: ‚In beiden liegt große Sünde und Nutzen für die Menschen. Die Sünde in ihnen ist jedoch größer als ihr Nutzen.'“ In diesem Sinn mahnt auch die Sure 4,46: „O ihr, die ihr glaubt, nähert euch nicht trunken dem Gebet (sondern wartet), bis ihr wisset, was ihr sprechet.“ Ja, gemäß derselben Sure 4,46 werden dem Gläubigen als eine der Paradiesesfreuden „Bäche von Wein“ in Aussicht gestellt.  Erst in Sure 5,92 heißt es dann unmissverständlich: „O ihr, die ihr glaubt, siehe, der Wein, das Spiel, die Opfersteine  und die Pfeile sind ein Frevel von Satans Werk. Meidet sie; vielleicht ergeht es euch wohl.“ Dazu sollte erklärt werden, dass Wein und Glücksspiel zusammengehören; beide wurden in so etwas wie Kneipen angeboten, die meistens von Juden betrieben wurden. Es ging also auch darum, Juden ihre wirtschaftliche Grundlage zu entziehen, was irgendwie bekannt klingt.

Sure 4 trägt die Überschrift „Die Frauen“, und alle erlaubten und verbotenen Verbindungen zu Frauen werden nacheinander angeführt — wie sie schon in der Hebräischen Bibel stehen. Auch für diese Sure 4 fehlt es nicht an Fußnoten, kritisch hingewiesen sei lediglich auf Fußnote Nummer 10.[18] Dort heißt es: „Vielleicht eine Absage an die heidnische Sitte der Leviratsehe.“ Anscheinend weiß der Kommentator nicht, dass eine Leviratsehe bei den Israeliten üblich war, dann immer nämlich, wenn ein verheirateter Mann starb, ohne Kinder zu hinterlassen. Die Leviratsehe ist demnach keine „heidnische“, sondern eine jüdische Sitte, es sei denn, man bezeichnet Juden als Heiden.

Der Koran schildert seine Version von Davids Vergehen gegen Uria (Sure 38,20–24). Nur erzählt ihm nicht der Prophet Nathan das Gleichnis vom reichen und vom armen Mann, vielmehr treten zwei Engel auf, die David bitten, in ihrem Fall zu richten. Während David mit der Frau des Uria sündigt, vergisst Salomo bei der Betrachtung seiner Pferde sogar die Stunde des Abendgebets. Deshalb heißt es in Sure 38,32: „Und er begann, die Schenkel und Hälse zu zerhauen.“ Weder die Hebräische Bibel noch der Talmud wissen etwas von diesem Zwischenfall mit dem gewalttätigen und sinnlos zerstörerischen Zwischenfall, der eines israelitischen Königs unwürdig ist. In jüdischen Kreisen unbekannt ist ebenfalls die Episode vom Siegelring des Salomo, den sich ein böser Geist aneignet und damit an Salomos Statt vierzig Tage lang herrscht. Schließlich gelangt Salomo wieder in den Besitz seines Ringes und ertränkt den Dämonen. Gemäß dem Kommentator (s. Fußnote 17) sollen auch rabbinische Schriften von Salomos zeitweiser Macht über die Geisterwelt erzählen; er sei demnach auch im Besitz eines Zaubersteins gewesen, der ihm den Tempelbau überhaupt erst ermöglichte.[19]

Der Islam ist zusammen mit Judentum und Christentum eine Offenbarungsreligion; aber Judentum und Islam sind, im Gegensatz zum Christentum, auch eine Gesetzesreligion, d.h. zum Teil sehr exakte Gesetze schreiben den Anhängern dieser beiden Gesetzesreligionen vor, wie sie leben und auch, was sie essen und trinken dürfen und was nicht.

[10] Wann immer im vorliegenden Text Fußnoten erwähnt werden, beziehen sie sich auf die Wiesbadener Koran-Ausgabe, ohne Jahreszahl, mit der Übersetzung von Max Henning, der Einleitung von Ernst Werner und Kurt Rudolph und den Anmerkungen von Kurt Rudolph.

[11] Ebda., Fußnote 27, S. 279.

[12] Ebda., Fußnote 22, S. 358.

[13] Ebda., Fußnote 131, S. 66.

[14] Ebda., S. 66.

[15] Ebda., Fußnote 1, S. 222.

[16] Ebda., Fußnote 4, S. 261.

[17] Ebda., Fußnote 9.

[18] Ebda., S. 98.

[19] Ebda., S. 412.