Dies ist ein Blog-Eintrag, der von einem Anhänger der Oppositionsbewegung im Iran geschrieben wurde. Der Blogger wünscht sich, dass wegen der Zensur im Iran, dieser Beitrag möglichst schnell verbreitet wird. Der Autor beschreibt seine Beobachtungen aus erster Hand und als Teilnehmer der Demonstrationen in Teheran am letzten Montag. Laut Haaretz Online gilt der Beitrag als glaubwürdig und zuverlässig…
Aus dem Englischen von Benji Epstein
Um drei Uhr verliess ich mit meiner Familie unser zu Hause. Wir gingen die Valiast Strasse hinunter, welche die Haupt Nord-Süd-Strasse in Teheran ist und bogen in den Evin Expressway ein, der uns in die Enghelab Strasse brachte. Wir wussten, dass sich die Leute um vier Uhr am Enghelab (Revolution) Platz treffen und in Richtung Azadi (Freiheit) Platz marschieren würden. Auf der Höhe der Gisha Brücke sahen wir Leute, welche die Strasse hinuntergingen. Es war ein Gehupe von Autos zu hören und Leute mit dem Victory Zeichen zu sehen.
Private Bilder aus Teheran für haGalil.com / 15-06-2009
Wir gingen in die Navvab Strasse und parkten unser Auto an deren Ende. Dann stiegen wir in ein Taxi, welches uns zur Enghelab Strasse zurückbringen sollte. Auf unserem Weg, in der Nähe vom Jomhouri (Republik) Platz sah ich eine Gruppe von ungefähr 20 Militia mit langen Bärten und Schlagstöcken auf Motorräder sitzen. Meine Hand guckte aus dem Autofenster heraus und ich hatte ein Stück eines grünen Bändels um meinen Finger gewickelt (Das Zeichen der Reformisten). Ein Mitglied der Militia befahl mir den Bändel wegzuwerfen. Ich zeigte Ihm meinen Finger.
Plötzlich griffen mich ungefähr 15 Leute im Auto an. Sie schlugen mich mit ihren Schlagstöcken und versuchten mich aus dem Auto zu zerren. Meine Frau und meine Tochter, die auf dem Rücksitz sassen, schrien und versuchten mich zurück zu halten. Ich hielt mich ebenfalls am Sitz fest. Sie wollten die Autofenster zerbrechen. Der Taxifahrer stieg aus und erklärte ihnen, dass es sich hier um ein Taxi handle, wir seine Passagiere seien und dass er keine Schuld habe. Nach etwa fünf Minuten gingen sie weg. Ich verspürte starken Schmerz an meinem Ellbogen. Darauf hin kam ein junger Mann dieser Gruppe zur mir und küsste meinen Ellbogen! Ich sagte zu ihm: Du weisst, dass ich dich nicht hasse. Ich bin wie du, mit dem einzigen Unterschied, dass ich mehr weiss als du und du ignorant bist. Er entschuldigte sich und ging weg. Wir stiessen zu der Versammlung in der Enghelab Strasse dazu…
Lesen Sie genau: Was ich heute gesehen habe, war die eleganteste Szene, die ich je in meinem Leben erlebt habe. Eine grosse Anzahl an Leuten ging Hand in Hand und friedlich durch die Strassen. Ruhe. Ruhe war überall. Es gab keine Schlachtrufe. Keine Gewalt. Hände mit dem Victory Zeichen und grünen Bändern ragten in die Luft. Leute trugen Plakate mit der Aufschrift: Ruhe. Alt und jung, Männer und Frauen aller sozialer Schichten zogen ruhig durch die Strassen.
Das war ein unglaubliches Zeichen von Solidarität. Die Enghelab Strasse, die breiteste Strasse in Teheran, war voller Menschen. Mir wurde gesagt, der Umzug hätte am Ferdowsi Platz begonnen und das Ende des Umzugs sei nun am Imam Hossein Platz im Osten Teherans. Am anderen Ende hätten sich bereits Leute am Azadi Platz versammelt. Die Strasse ist ungefähr sechs Kilometer lang. Die geschätzte Zahl der Teilnehmer liegt bei etwa zwei Millionen.
Unterwegs kamen wir an einer Polizeiwache und einer Basis der Miltia (Baseej) vorbei. An beiden Orten waren die Türen geschlossen und wir konnten vollbewaffnete Polizisten und die Militia sehen, die hinter einem Hag die Leute auf der Strasse beobachteten. Nahe der Sharif Universität für Technologie, wo Studenten Ahmedinejad vor ein paar Tagen vertrieben haben, sahen wir Mir Hossein Mousavi (der führende Präsidentschaftskandidat der Reformisten) und Karrubi (der andere Kandidat), dessen kurze Rede von Geschrei und Applaus begleitet wurde. Ich war stolz, Teil dieser heissblütigen protestierenden Menge zu sein.
Ehrlich gesagt hatte ich nie solch eine politische Mehrheit von emotionalen Iraner erwarten, die so einfach zu begeistern sind. Meine Familie und ich trugen Aufkleber über dem Mund als Zeichen für die Unterdrückung. Die Leute trugen verschiedene Plakate; Von Gedichten des iranischen Poeten Ahman Shamlu bis zu Schlachtrufen voller Hass. Wie zum Beispiel: „Uns abschlachten / warum musstest Du uns einladen / zu solch einer eleganten Party“ (Gedicht von Shamlu). „Hello! Hello! 999? / Unsere Stimmen wurden gestohlen“ / oder „Das Wunder des dritten Milleniums: 2×2 = 24 Millionen“ (Eine Anspielung auf die Behauptung der Regierung, dass Ahmedinejad 24 Millionen Stimmen gewonnen hätte), „Wo ist meine Stimme?“, „Gib mir meine Stimme zurück“ und viele andere. Wir kamen am Azadi Platz an, der von einer Menschenmenge gefüllt war.
Man sagt, dass 500 000 Leute auf diesem Platz untergebracht werden können und er war voll.
Plötzlich sahen wir Rauch vom Jenah Freeway her kommen und hörten Schüsse. Leute waren zuerst beängstigt aber gingen dann weiter. Ich habe nur einen Schuss gehört, aber meine Schwester, die auch dabei war, sagte mir später, sie hätte gesehen, wie vier Militia aus einem Haus herauskamen und ein Mädchen erschossen. Dann schossen sie einem jungen Knaben ins Auge und die Kugel kam aus dem Ohr wieder heraus. Sie sagte, es wurden vier Leute erschossen. Mindestens eine tote Person wurde bestätigt. Einer der Baseeji Militia wurde verhaftet, aber den anderen drei gelang es zu entkommen, als sie keine Munition mehr hatten. Um etwa acht Uhr gingen wir zu Fuss zurück.
Auf dem Rückweg waren immer noch Leute auf den Strassen zu sehen, die Allah Akbar (Gott ist gross) schrien. Um etwa zwei Uhr in der Nacht kam ich nach Hause. Auf einem Parkplatz sah ich etwa zehn Busse, gefüllt mit Polizisten, die am Strassenrand parkierten. Dann sah ich überall die Militia in ziviler Kleidung und Knüppel in der Hand, die in den leeren Strassen patrouillierte. Am Tajrish Platz sah ich ein sehr junger Knabe (etwa 16 Jahre alt) mit einem Knüppel bewaffnet, der Autos kontrollierte und auf der Suche nach einem potentiellen Opfer war. Ich weiss nicht wie oder unter welchen Bedingungen junge Knaben zur Militia stossen können. Ich kam nach Hause. Morgen werden sich wieder Leute am Valiasr Platz für einen weiteren friedlichen Marsch in Richtung des IRIB Gebäudes, in welchem die Medien kontrolliert und aus welchem Lügen verbreitet werden, versammeln.
Vor zwei Tagen hielt Ahmedinejad seine Sieges-Zeremonie. Staatliche Busse hatten all seine Anhänger in der Umgebung der Stadt hergebracht. Über die Zeremonie gab es eine ausgiebige Berichterstattung sowie viele Fruchtsäfte und Kuchen. Es versammelten sich maximal 100 000 Personen, um seine Rede zu hören. Diese Zahl beinhaltet die Militia, die Soldaten und all die Befürworter die er für das medieninszenierte Ereignis gewinnen konnte. Heute kamen mindestens zwei Millionen Leute auf Grund von Mund zu Mund Propaganda auf die Strassen, denn Reformisten haben keine Zeitungen, Radios oder Fernsehen. Alle ihre Seiten werden gefiltert, so auch soziale Netzwerke wie zum Beispiel Facebook. SMS und mobile Kommunikation wurde während der Demonstration ebenfalls unterbrochen.
Ahmedinejad betitelte die Opposition als ein unwichtiger Dreckshaufen, der den Geschmack des Siegs der Nation als bitter versucht zu verkaufen. Er nannte die westlichen Führer ein Haufen „dreckiger Homosexueller“. Alle diese schmutzigen Bemerkungen wurden mit der grössten Demonstration, die jemals stattgefunden hat, beantwortet. Ältere Leute verglichen die Demonstration vom Montag mit der Ashura Demonstration von 1979 oder sogar grösser, welche als Wendepunkt für den Fall des Shah Regimes gilt.
Die Militia fackelt selbst Häuser ab, um Ausreden für die Anwendung von Gewalt zu finden. Leute neutralisieren ihre Taktik durch Solidarität, ihr Flüstern und ihre Absage an die Gewalt. Ich traure den jungen Mädchen und Knaben nach, die wir verloren haben. Man sagt, dass sie auch drei Studenten gestern Abend in der Teheraner Universität ermordet haben.
Ich habe gehört, dass eine Vielzahl von Professoren der Sharif Universität und Amir Kabir Universität (Polytechnik von Teheran) gekündigt haben. Demokratie ist noch lange nicht in Sicht. Es könnte sein, dass ich diesen Tag nie miterleben werde. Mit tränengefüllten Augen in diesen frühen Stunden des Dienstags, 16. Juni 2009, glorifiziere ich den Mut und die Tapferkeit dieser Märtyrer und hoffe, dass ihr Blut uns alle ein Schritt in Richtung Frieden, Demokratie und Menschenrechte bringt. Es lebe die Freiheit, es lebe die Demokratie, es lebe der Iran.
PS: Falls ihnen dieser Bericht als wichtig erscheint, bitte teilen sie ihn mit so vielen Leuten wie nur möglich. Facebook wird gefiltert und das Internet ist im Iran sehr langsam. Ich bitte jemanden, dieses Schreiben auf Facebook zu setzen.