Geschichte der Juden in Bayern: Eine historische Skizze von Dr. Paul Sundheimer (1928)

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Überblicksartikel zu bestimmten Regionen oder gar Ländern, vor allem, wenn sie kurz ausfallen bzw. sich auf das Wesentliche beschränken sollen, unterliegen bei der Wahl der zu berücksichtigenden Daten und Ereignisse häufig einer gewissen Subjektivität ihrer Autoren. Daher ist es angebracht in einem Medium wie haGalil möglichst viele solcher Artikel zu bestimmten Themen vorzustellen, damit sich der Leser jeweils ein objektives Bild machen kann…

Von Robert Schlickewitz

Erfreulicherweise hat sich der Minderheitengeschichte meiner Heimat Bayern, insbesondere der Geschichte der Juden, zu verschiedenen Zeiten eine ganze Reihe von Autoren angenommen und ihre Erkenntnisse veröffentlicht. Heute möchte ich die geschätzte Leserschaft auf einen Artikel der Zeitschrift „Menorah“ mit der Überschrift: „Aus der Geschichte(,) dem sozialen und kulturellen Leben der Juden in Deutschland – I. Bayern – Paul Sundheimer / Zur Geschichte“ von 1928 aufmerksam machen.

Über seinen Autor war bedauerlicherweise nur sehr wenig in Erfahrung zu bringen. Weder der Internetkatalog der reich bestückten Bayerischen Staatsbibliothek, noch das Zentrale Verzeichnis Antiquarischer Bücher führt seinen Namen auf. Auch gelang es nur noch einen weiteren publizierten Artikel von ihm ausfindig zu machen. Möglicherweise kann jedoch ein Zeitungsartikel weitere Aufschlüsse zu seiner Person liefern:

Im Oberbayerischen Miesbach musste 2003 das Traditionskaufhaus Sundheimer für immer seine Pforten schließen und dieses Ereignis fand seinen Widerhall in der Presse. Wie aus einem Hintergrundartikel der Regionalausgabe des Münchner Merkurs hierzu hervorgeht, handelte es sich bei Sundheimers ursprünglich um eine alteingesessene Münchner Kaufmannsfamilie, die unter ihrem Familienoberhaupt Sigmund Sundheimer ab 1882 am Hauptbahnhof der Isarmetropole einen kleinen Laden betrieb. Bald gelang es der Familie auch in Miesbach und in Gmund Filialen zu eröffnen. 1921 übergab der Firmengründer die Geschäftsleitung an seine beiden Söhne und zog sich zurück. Nach dem Tod von Sigmund Sundheimer im Jahre 1952 ging die Firma in die Hände von Dr. Paul Sundheimer und dessen Schwester über, unter denen das Unternehmen eine längere Phase des Aufschwungs erlebte.

Sollte der Geschäftsmann Sundheimer mit dem Autor Sundheimer übereinstimmen, was bei der vorliegenden Faktenlage mit großer Wahrscheinlichkeit der Fall ist, handelte es sich bei ihm um einen der so zahlreichen ‚verhinderten‘ Intellektuellen, die den Zwängen des Alltags gehorchend, die Familiengeschäfte der Wissenschaft vorziehen mussten.

Falls einer der geneigten Leser weiterführende Hinweise zur Sundheimerbiografie abgeben kann, so wende er sich bitte an mich bzw. an haGalil.

Der unten wiedergegebene Beitrag enthält einige sehr deutliche Aussagen zu Besonderheiten der bayerischen Judengeschichte, die hier knapp vorweggenommen seien. So stellt Sundheimer fest, dass die deutsche Judenverfolgung des Mittelalters in Bayern ihren Höhepunkt erlebte, dass die Kammerknechtschaft der Juden, ein gewisser kaiserlicher Schutz für Angehörige der Minderheit, in Bayern von geringerer Wirkung war, dass Deggendorf in Niederbayern definitiv der Ausgangspunkt bzw. das ‚schlechte Vorbild‘ bei neuen judenfeindlichen Maßnahmen für andere Städte und Regionen darstellte, dass es die Juden trotz der brutalen und mörderischen gegen sie gerichteten Auswüchse der Intoleranz, dennoch immer wieder nach Bayern (zurück-)zog, dass die bayerischen Herrscher Angehörigen der Minderheit eine geradezu amoralische Skrupellosigkeit und Willkür entgegenbrachten, wenn es nur um ihre materiellen Vorteile ging, dass die bayerische Landordnung von 1553 der jüdisch-bayerischen Geschichte einen mehr als zweihundertjährigen völligen Abbruch bescherte, dass der wirtschaftliche Neid in Bayern, den man den Juden und ihrem Erfolg gegenüber empfand, auch noch in aufgeklärteren Zeiten zu ungerechter Behandlung und Repression führte, dass man ‚einfache‘ Juden, die nicht zur geduldeten, weil dem Staate nützlichen, Oberschicht gehörten, in Bayern wie Parias behandelte.

Mit seinem Schlusssatz hingegen schmeichelt Sundheimer den Bayern gehörig, wenn er die jüdische Emanzipation als nach dem Revolutionsjahr 1848 für erreicht erklärt; tatsächlich war sie erst 1871, mit der Gründung des Deutschen Reiches, auch verankert.

„Aus der Geschichte(,) dem sozialen und kulturellen Leben der Juden in Deutschland – I. Bayern – Zur Geschichte“

Die Geschichte der Juden in Bayern läßt sich bis in das frühe Mittelalter zurückverfolgen. Sie beginnt aller Wahrscheinlichkeit nach unter Karl dem Großen, der eine sehr umfassende Handelspolitik getrieben und damit die mögliche Basis für jüdische Einwanderung gegeben hat. Nachweisbare Spuren jüdischer Betätigung in Bayern finden sich aber erst zu Beginn des zehnten Jahrhunderts; jedoch fehlt es infolge der damaligen innerpolitischen Verhältnisse an einer einheitlichen Judengeschichte. Diese ist zersplittert in einzelne Lokalereignisse, die des großen Zusammenhanges entbehren.

Jedes Fleckchen Landes wurde von einem anderen Machthaber regiert und dieser behandelte die in seinem Bereich sich aufhaltenden Juden nach eigenem Ermessen. Erst mit den Kreuzzügen entwickelte sich die Geschichte des Judentums zu einer faßbaren Einheit, hervorgerufen durch den gemeinsamen Haß der Christenheit, der sich in einer Reihe von Verfolgungen äußerte. Die Welle des Fluches gegen die Juden brandete über ganz Deutschland und erreichte ihren Höhepunkt in Bayern, wo im Jahre 1096 viele jüdische Bewohner Regensburgs teils vertrieben, teils ermordet wurden, während man den verbleibenden Rest zur Taufe zwang.

Bald darauf erlöste Heinrich IV. die Juden von den allgemeinen Bedrückungen und stellte sie durch den Landfrieden von 1103 gegen Verfolgungen sicher. Aus diesen Anfängen heraus entwickelte sich allmählich die sog. Kammerknechtschaft, die den Juden kaiserlichen Schutz gewähren sollte, wofür sie aber an die Reichskammer eine jährliche Abgabe zu entrichten hatten. Dieses Judenregal war von seiten des Kaisers mit allen Rechten und Pflichten übertragbar. Das hatte zur Folge, daß die Kammerknechtschaft in Bayern keine nennenswerte Wirkung hervorrief und die Pogrome oder Vertreibungen ihren Fortgang nahmen. Im Jahre 1285 war München der Schauplatz trauriger Ereignisse, zu denen das Gerücht, die Juden hätten ein Christenkind verkauft, den Auftakt bildete. Kaum ein halbes Jahrhundert später begann eine Verfolgung in Deggendorf, die sich über ganz Bayern und Österreich ausdehnte. In deren Verlauf wurden die Juden aus Straubing vertrieben, Landshut und Regensburg mußten sie, soweit sie nicht den Tod fanden, ebenfalls verlassen oder sich zum Christentum bekehren. Die merkwürdigste Erscheinung in der Geschichte der Judenvertreibungen ist aber die, daß die Verfolgten immer wieder zurückkehren, daß neue Einwanderungen stattfinden, oder daß überhaupt ein Teil der Juden dem drohenden Schicksal entrinnen kann. Wider alle gesetzlichen Bestimmungen, mochten sie von staatlicher oder kirchlicher Seite ausgegangen sein, wußten sich die Juden stets von neuem in die Lande, denen sie unter dem Zwange der Gewalt den Rücken gekehrt hatten, Eingang zu verschaffen. In München verstanden sie es sogar innerhalb von 30 Jahren nach ihrer Vertreibung, eine Reihe von Privilegien zu erringen, die allerdings Herzog Ludwig einschränkte.

Ihre Sonderstellung gegenüber christlichen Stadtbewohnern erstreckte sich meist auf ihre Handelstätigkeit, die im allgemeinen als einzige jüdische Erwerbsmöglichkeit zu gelten hatte. Im Handel erwarben sie ihre Vermögen, die ihnen dann als Basis für ihre Geld- und Kreditgeschäfte dienten, zumal der Kapitalmarkt früherer Zeiten durch kirchliche Verbote für die Christen äußerst eingeengt war. Das kanonische Recht untersagte jeden Geldverleih gegen Zins, so daß dieser Erwerbszweig nur den Juden offen stand, der ihnen aber auch den Haß der Bevölkerung eintrug, die sie gemeinhin als Wucherer ansah. Diese Betrachtungsweise wurde von den instituierten Machthabern je nach Bedarf geschürt. Erforderten die Regierungsgeschäfte oder private Passionen größere Geldsummen, die im Bedarfsfalle nicht aufzutreiben waren, so propagierte man die jüdische Einwanderung und verhalf den Immigranten durch Handelsprivilegien zu rascher Vermögensbildung. Nach deren Vollzug und der damit verbundenen Verschuldung an die Juden inszenierte man unter allen möglichen Vorwänden eine Verfolgung und bemächtigte sich auf diese Art des angesammelten Reichtums oder entledigte sich gewaltsam jüdischer Forderungen. Beispiele hierfür finden sich wiederum in Bayern, wo die gesamten Verbindlichkeiten der Christen gegen die Juden in Deggendorf und Straubing im 14. Jahrhundert für erledigt erklärt wurden und das vorhandene jüdische Vermögen an die Ortsbewohner fiel.

Diese Strömung gegen die Juden in Bayern steigerte sich im Verlauf der Jahrhunderte, bis endlich durch die Landordnung von 1553 überhaupt jede Ansiedlung, jeder Handel, ja selbst das Betreten bayerischen Landes den Juden verboten wurde und damit ihre Geschichte einen völligen Abbruch erlitt. Erst im 18. Jahrhundert finden sich dann wieder jüdische Ghettos in Bayern, gegen die selbst ein Dekret des Kurfürsten Max Emanuel auf Ausweisung nicht mehr zur vollen Wirksamkeit gelangen konnte, da eine Reihe jüdischer Geldleute bereits finanzielle Beziehungen mit einflußreichen Persönlichkeiten und dem Staatsoberhaupt selbst angeknüpft hatten. Diesen sogenannten Hofjuden oder Hoffaktoren erteilte man weitgehende Privilegien, die erst allmählich auf die gesamte Judenschaft ausgedehnt wurden. Im allgemeinen war den Juden schon die Ansiedlung äußerst erschwert. Beim Bereisen des Landes mußten sie an jeder der unendlich vielen Mautstellen Geleitgeld bezahlen und die Wechselfähigkeit war ihnen vollständig aberkannt, da sie nicht als berechtigte Kaufleute galten. Man versuchte ihnen eine Reihe wirtschaftlicher Beschränkungen aufzuerlegen, um die wirksame Konkurrenz gegen die Christen zu unterbinden.

Noch trauriger sah es mit ihrer sozialen Stellung im Staate aus. Sie wurden mit der niedrigsten Gesellschaftsklasse, den Henkern und Schindern auf eine Stufe gestellt. Sie waren wie die „Aussätzigen und Infizierten“ von der Benutzung öffentlicher Bäder ausgeschlossen und die Juden Münchens mußten ihre schwangeren Frauen zur Entbindung nach Kriegshaber bei Augsburg schicken, da in der Residenzstadt kein Judenkind zur Welt kommen durfte. Nur die Hofjuden waren vielfach der sozialen Mißachtung enthoben. Sie brauchten kein Judenabzeichen zu tragen, sie fanden manche Unterstützung von seiten der Behörden, um Handel treiben zu können. Ihnen wurde auch das Geleitgeld erlassen und in einem Einzelfall war der Jude Emanuel Mayer sogar für eidesfähig erkannt worden. Die Hofjuden bildeten aber eine Ausnahme, während die übrige Judenschaft das ganze 18. Jahrhundert hindurch noch schwer unter den verschiedenen Bedrückungen zu leiden hatte. Erst gegen das 19. Jahrhundert erfolgte schrittweise die Aufhebung der entrechtenden Gesetze. Die völlige Gleichstellung, vor allem die Anerkennung der Juden als gleichberechtigte Staatsbürger mit einheitlichen politischen Rechten erfolgte in Bayern erst nach dem Revolutionsjahr 1848.“

Paul Sundheimer, „Aus der Geschichte(,) dem sozialen und kulturellen Leben der Juden in Deutschland – I. Bayern – Zur Geschichte“ in: „Menorah“, 1928, Heft 11-12 (November), S. 651ff.

Anmerkung:
Der Text wurde in der Originalschreibweise übernommen.

Literatur:
Geschichte und Kultur der Juden in Bayern. Lebensläufe, (Hg.) M. Treml u.a., (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur Nr. 18/88), München 1988
Neues Lexikon des Judentums, (Hg.) J. H. Schoeps, Gütersloh/München 1998, Stichwort: Bayern
http://www.merkur-online.de/lokales/nachrichten/kaufhaus-sundheimer-130173.html (erschienen am 4.2.03; aufgerufen am 24.5.09)

2 Kommentare

  1. Auf Anfrage übersandte mir das Stadtarchiv Miesbach nähere Angaben zur Biografie Dr. Paul Sundheimers, welches ich hier bearbeitet und ergänzt wiedergebe; es entstammt dem Buch: Alexander Langheiter, Miesbach. Ein Kulturführer. Miesbach und München 2006. S. 416f.

    Der 1899 geborene (kein Geburtsort angegeben) Paul Sundheimer nahm als Soldat am Ersten Weltkrieg teil. Als Invalide (Beinamputierter) 1919 aus der Gefangenschaft heimgekehrt, studierte er bald darauf Volkswirtschaft und schloss mit Promotion ab.

    1928 übernahm er das väterliche Kaufhaus in Miesbach, das er 42 Jahre lang führen sollte.
    Sundheimer ehelichte Rita Herber, mit der er zwei Kinder hatte.
    Als Wohnort der Familie wird bis in die 1950er Jahre das Fischerhaus in der Miesbacher Badstraße, später Gmund angegeben.

    Als zwar Katholik, aber „Halbjude“, war Sundheimer durch die Rassegesetze in Deutschland unmittelbar betroffen. Der vermeintlich jüdisch klingende Name des Miesbacher Kaufhauses wurde für die örtlichen NS-Anhänger und -Oberen ein nur zu gerne aufgegriffener Gegenstand ihrer antisemitischen Propaganda.

    Lange vorher (1920/1921) hatte bereits der bayerische Vorzeigedichter und Heimatschriftsteller Ludwig Thoma anonym im „Miesbacher Anzeiger“ durch vielbeachtete Hasspolemiken gegen Juden die Bevölkerung der oberbayerischen Stadt und ihrer näheren und weiteren Umgebung auf kommende Zeiten ‚eingestimmt‘.

    Am 9.11.1938, anläßlich der Reichspogromnacht, sollte auch das Kaufhaus Sundheimer von örtlichen SA-Kräften geplündert werden, jedoch kam es aufgrund eines Missverständnisses nicht dazu. Wenig später wurde die Schließung des Traditionshauses durchgesetzt und Dr. Sundheimer zog, wie es in der übermittelten Kurzbiografie Langheiters heißt, „zu seiner Sicherheit und dem Schutz seiner Familie vorübergehend nach München“. Anscheinend war demnach die ohnehin prekäre Situation für Juden in Bayern damals in Miesbach ganz besonders bedrohlich.

    Verwunderlicherweise gelang es Sundheimer nach langen und zermürbenden Verhandlungen mit obersten Reichsstellen in Berlin die Wiedereröffnung seines Kaufhauses zu erreichen. Ein hoher Beamter, zugleich Verwandter der Familie Sundheimer, ein Dr. Helbig, soll ihn dabei unterstützt haben. Dessen Name übernahm denn auch vorübergehend (bis 1945) das Kaufhaus – als Kompromiss mit den örtlichen NS-Stellen, die partout keinen ihnen als jüdisch erscheinenden Namen dulden wollten.

    Interessanterweise enthält die hier ausgewertete Kurzbiografie Langheiters keine Angaben zu den frühen Veröffentlichungen Sundheimers zur jüdischen Geschichte aus den 1920er Jahren. Als einziger Hinweis auf dessen publizistische bzw. philologische oder didaktische Aktivitäten wird erwähnt, der Kaufmann habe sich nach dem Kriege beim Wiederaufbau des kulturellen Lebens seiner Stadt mit Vorträgen an der Volkshochschule hervorgetan.

    1970 übergab Sundheimer die Geschäftsführung an seinen Sohn Fritz ab, der eine Vergrößerung und einen Umzug des Kaufhauses, von der Fraunhoferstrasse an den Rathausplatz, veranlasste. Der Neubau konnte 1973 bezogen werden und bediente alte und neue Kunden bis ins Jahr 2002.

    Paul Sundheimer verstarb 1997 (ein Sterbeort ist nicht angegeben).

    Paul Sundheimers Vater, Sigmund Sundheimer, wurde 1850 in Regensburg geboren und eröffnete im Münchner Hauptbahnhof 1883 zunächst ein Kaufhaus mit später Filialen in Weilheim, Miesbach, Gmund und im Münchner Westend. Ab etwa 1900, wegen der großen Konkurrenz in der Landeshauptstadt, konzentrierte das Unternehmen seine Geschäfte stärker auf die ländlichen Filialen, Miesbach wurde zum Hauptsitz. Im Zuge der Inflation von 1923 verlor Sigmund Sundheimer seinen Münchner Besitz.
    Noch bevor er die Ehe mit der katholischen Therese Sulzberger einging, war er ebenfalls zum Katholizismus konvertiert. Alle 14 Kinder des Paares waren in den eigenen Kaufhäusern tätig.

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