Erst mal abwarten: Netanyahu eine Chance geben

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Noch bevor Binyamin Netanyahus neue Regierung vereidigt wurde, haben Skeptiker und Experten gleichermaßen davor gewarnt, dass er Israel international isolieren und sich weigern werde, Verhandlungen in gutem Glauben mit den Palästinensern oder den anderen Nachbarn des Landes zu führen…

Von Menachem Z. Rosensaft

Die „wirkliche Absicht von Israels jüngst gewählter Regierung steht gegen den Frieden“, und die Zusammensetzung von Netanyahus Kabinett ist eine „klare, nicht überraschende Botschaft an uns“, verkündete Syriens Präsident Bashar Assad auf dem Gipfel der Arabischen Liga in Katar.

In ähnlicher Weise teilte der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Mahmoud Abbas, Reportern mit: „Die Palästinenser müssen der Welt erzählen, dass Netanyahu nicht an Frieden glaubt. Wie können wir also mit ihm zusammenarbeiten?“

Der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg klagte: „Die neue israelische Regierung gibt uns nicht viel Hoffnung.“ Und ein Leitartikel der New York Times drückte die Besorgnis aus, dass „Herr Netanyahu verständlicherweise mit der Aussicht für Alarmierung gesorgt hat, dass sein Außenminister ein ultranationalistischer Führer sein wird, mit Ansichten, die weithin als anti-arabisch betrachtet werden“.

Ein großer Teil der Diskussion konzentriert sich auf die mangelnde Bereitschaft Netanyahus, explizit die Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staates zu befürworten – etwas, dem sich sowohl er als auch seine Likud-Partei lange widersetzt haben. Aber andererseits haben dies auch Ariel Sharon, Ehud Olmert und Tzipi Livni getan.

Als langjähriger Unterstützer der israelischen Friedensbewegung glaube ich, dass es sich für jeden ziemt, Netanyahu eine Verschnaufpause zu gönnen. In Anbetracht seiner Bilanz als Ministerpräsident zwischen 1996 und 1999 könnte er sich als wesentlich pragmatischer und moderater entpuppen, als seine oftmals zurückweisende politische Rhetorik außer Amtes nahe legt.

Klischees sind per definitionem in der Wirklichkeit verwurzelt. Richard Nixons Gang nach China, Charles de Gaulles Abzug aus Algerien, Menachem Begins Rückgabe des Sinai sind Gemeinplätze der Behauptung geworden, dass politische Meilensteine manchmal von den unwahrscheinlichsten Protagonisten erreicht werden. Die Frage, die sich nun stellt, ist, ob Netanyahu – flankiert von Avigdor Lieberman zu seiner Rechten und Ehud Barak zu seiner Linken – Begin und, was das angeht, Yitzhak Rabin nachstreben oder ob er zum ideologischen Erbe des unversöhnlichen Yitzhak Shamir werden wird.

Begin, daran muss erinnert werden, umgab sich weniger mit Großisrael-Fundamentalisten als mit früheren Mapainiks wie Moshe Dayan und der zukünftigen Taube Ezer Weizman. In scharfem Gegensatz dazu hat Shamir die Tatsache, dass er in einer Einheitsregierung mit Shimon Peres saß, beharrlich ignoriert, als er danach strebte, eine weitgehend fremdenfeindliche politische Agenda zu verwirklichen.

Es war kaum eine ausgemachte Sache während der ersten Intifada, dass Rabin, der als Shamirs Verteidigungsminister den Soldaten befahl, Palästinensischen Demonstranten „die Knochen zu brechen“, am 13. September 1993 Yasser Arafats Hand schütteln würde. Und wenige hätten im Jahr 2000 vorhersagen können, dass Sharon, dessen Besuch auf dem Tempelberg die zweite Intifada entzündet hat, sich nicht nur einseitig vom Gaza-Streifen zurückziehen, sondern auch mit Olmert und Livni den Likud verlassen würde, um eine zentristische, diplomatisch orientierte Kadima-Partei zu gründen.

Obwohl Netanyahu zuvor sowohl Rabins Abkommen mit der PLO als auch jedwede Übereinkünfte mit Arafat gebrandmarkt hatte, traf er sich als Ministerpräsident im Januar 1997 mit dem PLO-Vorsitzenden am Übergang Erez, um in das Hebron-Abkommen einzutreten, das Israels Rückzug aus der biblischen Stadt im Westjordanland bestimmte. Im Oktober 1998 aß Netanyahu mit Arafat in Gaza zu Mittag, bevor er sich mit ihm in der Wye River Plantation in Maryland traf, um ein vor allem von den USA unterstütztes Interimsfriedensabkommen zu verhandeln. Dann schüttelte er bei der Unterzeichnungszeremonie im Weißen Haus Arafats Hand.

Während dieser Verhandlungen schloss sich Netanyahu der fundamentalen, vom Likud lange zurückgewiesenen Annahme an, dass Israel bereit sein müsse, signifikante territoriale Kompromisse einzugehen.

Die Akzeptanz eines Friedensprozesses von pazifistischen Israelis und Palästinensern ist weitgehend irrelevant. Damit ein solcher Prozess Erfolg hat, muss er die Unterstützung eben jener israelischen und palästinensischen Mainstream-Individuen und -Gruppen finden, die seine Machbarkeit am ehesten bezweifeln.

Wenn Netanyahu den Friedensprozess, der in größerem oder kleinerem Ausmaß seit 15 Jahren im Gange ist, abbrechen wollte, hätte er eine enge Koalition bilden können, die den Ideologen der kompromisslosen Rechten entgegengekommen wäre. Stattdessen entschied er sich für eine zentristischere Regierung, die Barak als Verteidigungsminister einschließt und friedensorientierte Gemäßigte der Arbeitspartei (Avoda) wie Yitzhak Herzog und Binyamin Ben-Eliezer am Kabinettstisch sitzen hat. Wichtiger als das: Netanyahus Koalitionsvereinbarung bestimmt, dass seine Regierung alle internationalen Vereinbarungen Israels einhalten werde.

Ich möchte damit nicht nahe legen, geschweige denn voraussagen, dass Netanyahu bald das Aushängeschild von Schalom Akhschav (Frieden Jetzt) werden wird. Seine sehr legitime Gegnerschaft gegen jede Art von Terrorismus macht ihn zu einem unwahrscheinlichen Gesprächspartner für jede palästinensische Entität, die die Hamas einschliesst. Und doch sagte er in seiner Rede vor der Knesset am Dienstag (31.03.), dass er alles in seiner Macht stehende tun werde, um Gilad Shalits „rasche Heimkehr, gesund und unversehrt, in den Schoss seiner Familie“ zu sichern. Mutmaßlich muss dies direkte oder indirekte Verhandlungen mit der Hamas einschließen. Sobald ein Prinzip aus irgendeinem Grund modifiziert, um nicht zu sagen verletzt wird, werden andere Ausnahmen denkbar, ja möglich.

Weniger als eine Woche vor seiner Amtsübernahme teilte Netanyahu auf einer Wirtschaftskonferenz in Jerusalem mit, dass die Palästinenser verstehen müssten, dass sie „in unserer Regierung einen Partner für Frieden, Sicherheit und Entwicklung der palästinensischen Wirtschaft“ haben.

Wenn die Vergangenheit Vorgeschichte ist, könnte er seinem Wort durchaus treu bleiben. Man muss ihm die Gelegenheit geben, sich zu beweisen.

Menachem Z. Rosensaft ist apl. Professor für Rechtswissenschaften an der Cornell University. Im Dezember 1988 war er einer der fünf US-amerikanischen Juden, die sich mit Yasser Arafat und anderen hochrangigen PLO-Vertretern in Stockholm trafen, woraus die erste Anerkennung Israels von Seiten der PLO resultierte.

(Jerusalem Post, 04.04.09)

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