Es ist schwer abzuschätzen, ob gestern zum letzten Mal Wahlen nach dem Verhältnisprinzip abgehalten worden sind, angesichts dessen man nicht sicher wissen kann, wer das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen wird. Das Prozedere der Knesset-Wahlen wurde vor mehr als 50 Jahren im ‚Grundgesetz: Die Knesset‘ festgelegt, und seitdem ist eine Mehrheit von 61 Abgeordneten zu seiner Änderung notwendig…
Von Ze’ev Segel, Haaretz v. 11.02.09
Die Reform, von der heute die Rede ist, und für die sich bereits vor den Wahlen Tzipi Livni, Binyamin Netanyahu, Ehud Barak und Avigdor Lieberman ausgesprochen haben, konzentriert sich auf die Änderung der Regierungsweise angesichts der andauernden Parteienspaltung und der Unklarheit in der Frage, wer nach den Wahlen Ministerpräsident wird. Eine solche Änderung ist wohl notwendiger als eine Änderung im Wahlverfahren, wonach die Hälfte der Knesset-Abgeordneten in regionalen Wahlen gewählt würde. Allem Anschein nach ist zu erwarten, dass bei den Treffen zur Regierungsbildung erneut der Vorschlag aufkommen wird, festzuschreiben, dass derjenige Ministerpräsident werden solle, dessen Partei die meisten Mandate bei den Wahlen erhält. Damit würde – so ist zu hoffen – der Einfluss des Koalitions-Handels geringer werden.
In der gegenwärtigen Situation hat das Volk gestern nicht den von ihm gewünschten Ministerpräsidenten gewählt. Wer die Mehrheit der Stimmen erhalten hat, kann zwar den Titel des von der Öffentlichkeit Bevorzugten für sich behaupten, es sind aber die Parteienblöcke, die über die Zusammensetzung der Regierung entscheiden werden. Der Präsident kann zwar im Falle eines Patts zwischen den Kandidaten oder der Ungewissheit hinsichtlich der zugesicherten Unterstützung in Rechnung stellen, wer die Mehrheit der Stimmen erhalten hat; das ihn leitende Hauptkriterium ist aber, wer die größte Aussicht auf die Bildung einer Regierung hat.
Präsident Shimon Peres wird die Aussage zugeschrieben, dass man Stimmen nicht abwägt, sondern zählt. Im ersten Schritt – der Übertragung der Aufgabe zur Regierungsbildung an denjenigen, der die beste Aussicht dazu hat – wird der Präsident die Mandate der Unterstützer zählen, wenngleich er die Erklärungen auf ihre Ernsthaftigkeit prüfen kann. Erst im zweiten Schritt, wenn der erste und der zweite Versuch gescheitert sind, können 61 Knesset-Abgeordnete den Präsidenten mit einem schriftlichen Antrag dazu verpflichten, denjenigen zu erwählen, den sie namentlich bestimmen.
In der Zwischenzeit bleibt die scheidende Regierung auch nach den Wahlen weiter im Amt. Ehud Olmert behält die vollen Befugnisse des Ministerpräsidenten, bis die Knesset einer neuen Regierung das Vertrauen ausspricht. Eine Übergangsregierung soll gewöhnlich nur agieren, wenn ein „dringender Handlungsbedarf“ besteht, wie ein Urteil des Obersten Gerichtshofs bestimmt hat. Ihre Pflicht, behutsam und beherrscht gemäß gemeinsamen Bedürfnissen zu handeln, verstärkt sich nach den Wahlen zur neuen Knesset. Darüber hinaus muss sich der amtierende Ministerpräsident nicht mit demjenigen absprechen, dem der Präsident die Bildung der neuen Regierung auferlegt. Dem Regierungsbilder obliegt seinerseits keinerlei Verantwortung, die aus seiner Funktion herrührt. Die Situation ähnelt der Lage des neu gewählten US-Präsidenten, der von Anfang November bis zu seinem Amtsantritt im Januar von jeder Regierungsverantwortung befreit war.