Ein Gespräch mit zwei Palästinensern, die illegal auf einer israelischen Baustelle arbeiten...
Allmorgendlich um sieben – pünktlich wie Maurer eben sind – beginnt der Tag in unserer ansonsten beschaulichen kleinen Straße im alten Norden Tel Avivs mit Hammerschlägen, Maschinenlärm und lauten Zurufen. Aus einer engen Baulücke heraus wächst Woche für Woche ein weiteres Stockwerk eines modernen Mehrfamilienhauses im eleganten Post-Bauhaus-Stil.
Natürlich ist keiner der Anwohner begeistert angesichts von Baulärm, Schmutz, Betonstaub, Dieselabgasen – und die Aussicht auf eine hydraulikbetriebene Tiefgarage, die vermutlich besonders an den Wochenenden ganze Nächte lang frequentiert werden wird, läßt auch keine Freude aufkommen.
Einen der Nachbarn, einen pensionierten Polizisten, scheint die Situation derart zu ärgern, dass er mit allen möglich Mitteln den Bau zu behindern versucht. Dummerweise richtet sich sein Ärger jedoch nicht gegen die Verantworlichen, nämlich Bauherren, Architekten oder Bauunternehmer, sondern gegen die, die unter härtesten Bedingungen den Traum vom israelischen Luxusapartment Wirklichkeit werden lassen: die palästinensischen Arbeiter.
Sie werden aus den sogenannten 'Gebieten', dem von Israel besetzten Westjordanland, illegal nach Israel gebracht, wo sie für geringe Löhne unter schwierigen und nicht selten gefährlichen Bedingungen israelische Häuser bauen.
Als Mitte November einige 'unserer' Arbeiter bei einer Polizeirazzia verhaftet werden, will ich mehr über ihr Schicksal erfahren. Zusammen mit unserem befreundeten Nachbarn Amos wohne ich der Verhandlung beim Friedensgericht bei. Die Arbeiter, von denen nur einer Hebräisch spricht, werden in Handschellen und Fußketten in den Gerichtssaal geführt und von zwei arabisch-israelischen Pflichtverteidigern vertreten. Ein moderater Richter läßt sich den Sachverhalt kurz schildern und verurteilt drei von ihnen mit der Mindeststrafe, so dass sie zum muslimischen Opferfest wieder zu Hause sein können. Der vierte wird zu fünf Monaten verdonnert, warum – das weiß keiner so genau.
Einige Abende später sitzen wir in Amos' Wohnung mit zwei Arbeitern zusammen, den Brüdern Djibril, 26, und Hassan, 28, aus Hebron. Djibril hat sich am Finger verletzt, weil er im Halbdunkel noch gehämmert hat, um eine Verschalung fertig zu stellen. Ich versorge ihn mit Jod, Salbe und Pflaster – und verstoße damit gegen das Gesetz: 'Illegale' Palästinenser dürfen weder versorgt, chauffiert noch beherbergt werden. Amos hat also illegalen Tee gekocht und Datteln und Halva auf den Tisch gestellt; wir möchten mehr über die Lebens- und Arbeitsbedingungen der beiden erfahren und bitten sie um dieses Gespräch.
Frage: Wer hat Euch engagiert, um auf diesem Bau zu arbeiten?
Antwort: Farid, einer aus unserem Dorf in der Nähe von Hebron, er ist der Mittelsmann. Er hat eine blaue ID (Anm.: israelischer Personalausweis). Die hat er vermutlich bekommen, weil er mit dem Shabak, dem israelischen Innen-Geheimdienst, zusammen arbeitet.
F: Wie seid Ihr hierher gekommen? Ihr könnt ja nicht einfach in den Bus steigen und die Mauer passieren.
A: Farid hat einen Lieferwagen, einen Ford Transit. Wir stehen, sitzen oder liegen die ganze Fahrt über zusammengepfercht in dem Wagen, bis zu 14 Mann. Die Fenster sind geschwärzt, vor uns her fährt ein PKW, der ständig mit unserem Fahrer in Funkkontakt ist. Er hält Ausschau nach Polizeikontrollen oder anderen Gefahrenquellen.
F: Und wie kommt Ihr über die Grenze?
A: Es gibt da einige Möglichkeiten, Feld- und Schleichwege, die an den großen Checkpoints vorbei führen. Das ist eigentlich kein Problem. Wir steigen in einem Dorf in der Nähe von Jerusalem ein, von da aus gibt es einen regen Grenzverkehr.
F: Zahlt Ihr für den Transport?
A: Natürlich. Farid verlangt pro Fahrt und Mann 150 Shekel. (Anm.: entspricht ca. 30 €. Mit dem Service-Taxi fahrt man die Strecke Jerusalem – Tel Aviv für 20 Shekel, also 4 €)
F: Fahrt Ihr deswegen an den Wochenenden nicht nach Hause?
A: Ja, zum einen wegen der Kosten, aber auch, weil das Risiko, unterwegs erwischt zu werden, viel höher ist. Ansonsten würden wir jedes Wochenende zu unserer Familie nach Hause fahren.
Djibril: Wenn sie mich erwischen, komme ich sofort ins Gefängnis, weil ich vorbestraft bin, wegen illegaler Arbeit und weil ich auch sonst Mist gebaut hab. Ich bin schon mal sechs Monate gesessen, drei davon in Einzelhaft. Die israelischen Gefängnisse gehen ja noch, da hat mich noch keiner geschlagen. Schlimmer ist es, wenn unsere eigenen Leute uns erwischen. Einmal haben sie mich in Bethlehem einfach aus dem Auto gezerrt und wollten mich verhören, wollten wissen, ob ich Waffen habe. Ich habe aber keine Waffen, das hab ich ihnen gesagt. Daraufhin haben sie mich in eine kleine Zelle gesteckt, ich mußte barfuß auf einem Bein stehen und sie haben kaltes Wasser auf den Boden geschüttet. Sechs Stunden haben sie mich so auf einem Bein stehen lassen, ohne essen und trinken, ich durfte mich nicht einmal an die Wand lehnen.
Hassan: Mich würden sie nur nach Hause schicken, aber das wäre schlimm, wenn ich nicht arbeiten könnte. Ich habe eine Frau und zwei kleine Söhne, und jetzt sind Zwillinge unterwegs. Ich muss einfach Geld verdienen.
F: Wie viel verdient Ihr denn?
A: Je nachdem, welche Position Du hast, ob Du Hilfsarbeiter oder Polier bist. Wir schreiben die Stunden auf. Für acht Stunden bekommen wir Arbeiter 150 Shekel, das sind etwa 19 Shekel pro Stunde. (Anm.: knappe 4 €; der offizielle Mindeststundenlohn in Israel beträgt 25 Shekel)
F: Offiziell darf man in Israel nur acht Stunden am Tag arbeiten, Ihr arbeitet aber oft zehn und im Sommer auch mal 12 Stunden täglich. Werden die Überstunden, so wie es gesetzlich verlangt wird, besser bezahlt?
A: Nein, für jede zusätzliche Stunde bekommen wir auch 19 Shekel.
F: Bekommt Ihr Euren Lohn regelmäßig ausbezahlt?
A: Nein, das hängt davon ab, wann Farid, der für uns Arbeiter verantwortlich ist, Geld vom Bauunternehmer bekommt.
F: Wem gehört denn der Bau?
A: Es gibt eine Eigentümergemeinschaft von mehreren Israelis, aber die kennen wir nicht. Sie haben den Bau an Maeheer, einen Araber aus Kalansua, übertragen, damit der ihn schlüsselfertig abgibt. Das ist der Dicke, der hier ab und zu auftaucht. Von dem kommt das Geld, er hat unserem Vorarbeiter, Rashid, 80.000 Shekel gegeben, die er an uns hätte verteilen sollen. Aber ihn hat man verhaftet; er sitzt jetzt im Gefängnis und keiner weiß, wo das Geld geblieben ist.
Djibril: Wir halten uns jetzt an Farid, er ist für uns verantwortlich. Wir haben mit ihm ausgemacht, dass er uns morgen für über 350 Arbeitsstunden ausbezahlt, sonst arbeiten wir nicht weiter. Da sind wir sechs Arbeiter alle solidarisch.
F: Was hat Rashid wohl mit dem Geld gemacht?
A: Vermutlich hat er es seinem Sohn in Ramallah übergeben; das wird nicht wieder auftauchen.
F: Was passiert, wenn einer mal krank wird oder sich verletzt? Seid Ihr versichert?
Djibril: Krank sein gibt's nicht. Wenn Du nicht arbeitest, bekommst Du auch kein Geld.
Hassan: Einer von uns, Salah, war mal verletzt, er musste sogar genäht werden. Er hat alle Arbeitsstunden gezahlt bekommen, die ihm zustanden, und hat dann trotz der Verletzung weiter gearbeitet. Versichert ist niemand, außer er hat eine Genehmigung.
F: Wer bekommt denn eine Genehmigung?
A: Das ist willkürlich. Jüngere Männer unter 30 bekommen meist keine. Unser Vater hatte eine, aber jetzt hat man sie ihm weggenommen. Er hat lange Zeit für eine Baufirma in Beer Sheva gearbeitet, dann hat er wegen der schlechten Arbeitsbedingungen gekündigt. Man hat ihm kein Zeugnis und keine Entlassungspapiere gegeben, jetzt sitzt er zu Hause und kann nichts machen.
F: Wie sieht es denn mit der Sicherheit auf dem Bau aus? Es gibt in Israel Vorschriften...
A: Auf unserem Bau ist es sehr gefährlich. Rashid hat kein richtiges Gerüst gebaut, ohne Geländer. Wir wissen, dass das gegen das Gesetz ist. Es gibt kein Gerüst, keine Schutzbrillen, keine Helme, keine Schuhe mit Metallkappen.
Einmal haben wir auf einem richtig ordentlichen Bau gearbeitet, da hat man uns nach wenigen Stunden nach Hause geschickt, weil wir Turnschuhe anhatten. Aber hier kümmert sich keiner, es interessiert hier keinen. Der Ingenieur wird dafür bezahlt, nicht zum Bau zu kommen, um die Mißstände nicht zu sehen.
F: Ihr habt keine sanitären Einrichtungen, keinen Wohncontainer, Ihr verbringt Eure Freizeit auf der Baustelle.
A: Ja, wir dürfen uns ja nicht draußen erwischen lassen. Jeden Abend waschen wir uns und unsere Kleidung, dann kochen wir gemeinsam, manchmal holt einer was aus dem Supermarkt gegenüber.
Djibril: Ich bin von Anfang an auf dem Bau, und als ich es gar nicht mehr ausgehalten habe, bin ich schon mal im Park am Fluss entlang spazieren gegangen. Am besten ist es, wenn man mit Leuten ins Gespräch kommt, dann hält einen kein Polizist auf.
F: Nachts wird es schon empfindlich kalt. Wie schützt Ihr Euch?
A: Wir schlafen in den mittleren Stockwerken, wir haben genügend Matratzen, außerdem einen israelischen Militär- und einen Polizeischlafsack, die halten gut warm! (beide lachen)
F: Könntet Ihr denn nicht auch in Hebron arbeiten?
A: Es gibt dort kaum Arbeit, und wenn, dann arbeitet man mindestens 10 Stunden und bekommt weniger Geld, vielleicht 50 Shekel am Tag.
Djibril: Ich würde am liebsten wieder als Gärtner arbeiten, aber auch hier in Israel. Ich habe die meiste Zeit meines Lebens in Israel gelebt und gearbeitet, ich bin in Ost-Jerusalem zur Schule gegangen und habe da mein Abitur gemacht. Ich komme hier gut zurecht.
F: Und wie ist es bei Euch zu Hause in Hebron? Wie lebt Ihr da?
Djibril: Unser Dorf ist eines von 99 kleinen Siedlungen um Hebron herum. Es ist von vielen Bäumen umgeben – und es ist wunder- wunderschön! Unsere Familie wohnt in einem großen Haus, das Hassan mit unserem Vater zusammen gebaut hat. Wir sind sechs Söhne und zwei Töchter; die Mädchen sind verheiratet und leben mit den Familien ihrer Männer. Von uns sind auch schon zwei verheiratet, wir leben mit den Frauen und Kindern unter einem Dach. Und wenn doch mal einer verhaftet wird, dann hält die Familie so zusammen (er verschränkt seine Hände langsam und fest).
Hassan: Ja, es ist sehr schön bei uns, Ihr solltet uns mal besuchen kommen.
F: Was würden denn Eure Nachbarn sagen, wenn Juden aus Israel zu Euch zu Besuch kämen?
A: Wir haben doch ständig mit Juden zu tun! Wir arbeiten mit ihnen, treiben Handel; sie bringen ihre Autos in unsere Werkstatt. Wir haben auch immer schon jüdische Freunde gehabt. Da ist unsere Familie keine Ausnahme.
F: Wer sind dann die Leute, die die Juden im Meer versenken und Israel vernichten wollen?
A: (beide setzen ein verächtliches Lächeln auf) Das sind diese Kerle von Fatah, Hamas und Djihad, allesamt Banditen, die herumlärmen und sich das ganze Geld einsacken, das wir Palästinenser aus aller Welt bekommen sollten.
Kommt nur zu uns nach Hause, dann seht Ihr selbst, wie schön es bei uns ist.
Das Gespräch führten Amos A. und Margarete Stein am 1. Dezember 2008.