Hier heißt die Politik der Stunde "No, we can’t". Israel steht vor Neuwahlen: Warum sich trotzdem nichts ändern wird...
Von Natan Sznaider, Tagesspiegel vom 21.11.2008
Es hörte sich eigentlich ganz bekannt an. „Yes, we can.“ Menschen mit Tränen in den Augen und eine Politik, die mehr nach religiöser Endzeit klingt als nach dem trockenen, langweiligen und rationalen Tagesgeschäft. Israelis erwachten am Morgen und blickten neidisch auf die USA. So wurde Israel kurz Teil einer globalen Glaubensgemeinde. Warum können wir nicht, wenn sogar die Amerikaner können? Aber Israelis kennen messianische Politik besser als viele andere Menschen auf der Welt. Messianische Politik ist hier Alltagspolitik. Die heilige Sprache ist hier Alltagssprache, mit der man über Tagespolitik reden muss. Politischer Messianismus, an den sich nun die westliche Welt gewöhnen muss, existiert hier schon seit Beginn des Zionismus.
Das macht gerade Barack Obama für viele Israelis so interessant. Denn sein christlich gefärbter Messianismus, der auch schon immer Teil der amerikanischen Politik war, ist zwar in der Form bekannt, aber der Inhalt ist anders. Hier heißt die Politik der Stunde „No, we can’t“. Zipi Livni, mit der die israelische Mittelklasse ihre Kandidatin gefunden hat, wollte nach dem immer noch nicht vollendeten Abgang Ehud Olmerts eine neue Koalition bilden. Aber sie konnte nicht. Nicht nur an Versprechungen ist dieses Projekt gescheitert, sondern auch am Messianismus.
Es ging natürlich auch um Jerusalem. Und das war kein Vorwand. Denn die Unteilbarkeit der praktisch schon geteilten Stadt gehört mit zur Souveränität des Heiligen. Nein, wir können nicht. Und damit wurden Neuwahlen ausgerufen. Doch nach den nächsten Wahlen wird sich nichts ändern. Ein Lager, das nicht verhandeln will, steht einem anderen Lager gegenüber, das bis zur Endzeit hin verhandeln will.
Auch der neue amerikanische Präsident will, dass Israelis und Palästinenser verhandeln. So stellt man sich habituell die Moderne vor: Man redet rational vom Kompromiss und verhandelt, obwohl es eigentlich nichts zu verhandeln gibt. Der anderen Seite passt das ebenfalls gut. Das Lager teilt sich in Verhandlungswillige und Verhandlungsunwillige, und beide Seiten wissen, dass es eigentlich nichts zu verhandeln gibt. Nein, wir können nicht.
Und warum können wir nicht? Nachdem die israelische Armee 1967 die Westbank eroberte, haben die Siedler von dem Gebiet die Legitimationshoheit erobert. Nicht um Territorium ging es, sondern um die heilige Aufladung der israelischen Politik. „Ja, wir können“, war der Schlachtruf der messianischen Siedler, und viele Israelis fanden keine Sprache, um eine Alternative zu formulieren. Es ging nicht mehr um Politik, sondern um ein heiliges Projekt.
Mit diesem Widerspruch lebt die israelische Gesellschaft, der israelische Staat. Zu leicht macht man es sich, wenn man das als Irrationalismus oder Rationalismus bezeichnet. Nur wenn man Religion in seiner politischen Formulierung ernst nimmt, kann man eine Sprache finden, die sich gleichberechtigt neben der des Heiligen bewegen kann.
Israel muss mit den Konsequenzen des souveränen Messianismus leben. Der sogenannte säkulare Zionismus ist nur eine Illusion. Und das auch dann, wenn Israel immer noch unter Bedrohung steht, wenn die nukleare Aufrüstung des Irans langsam zur politischen Wirklichkeit wird, wenn Hamas und Hisbollah an den Grenzen stehen und nur auf ein Zeichen warten. Die Endzeit ist hier Jetztzeit. Deswegen sind des Kompromisse oder Gebietsteilungen nicht mehr relevant. Über das Heilige kann es keinen Kompromiss geben. Die Souveränität Gottes ist unteilbar – und wenn sie das ist, kann auch das heilige Land nicht geteilt werden.
Daran hat sich nichts geändert, als man die Halbinsel Sinai und den Gazastreifen zurückgab. Darum geht es nicht. Der messianische Widerstand wird aus der Westbank kommen, dem Herzland des zionistischen Messianismus. Wenn Hebron und Nablus illegitim sind, sind Tel Aviv und Haifa doppelt illegitim. Tel Aviv und Haifa mögen der Ausdruck moderner und normaler Politik sein, aber die Existenzgrundlage dieser normalen und nichtmessianischen Städte gründet sich auf die Heiligkeit von Hebron. Auch in Tel Aviv und Haifa wird Hebräisch gesprochen.
Der politische Messianismus war hier immer schon da. Obamas religiös aufgeladene Sprache ist daher in Israel lange bekannt. Hier hat der Messianismus andere Formen angenommen. Hier hat er die Politik seit 1967 an die Wand gedrängt, ja ist selbst zur Politik geworden. Hier kommt es längst nicht mehr auf Mehrheitsverhältnisse an. Hier sagt der Messianismus „Nein, wir können nicht“, und dabei spielt es keine Rolle, wer nun gewählt wird oder nicht.
Freuen wir uns trotzdem auf die Neuwahlen. Hoffen darf man schließlich noch.
Der Autor ist Professor für Soziologie in Tel Aviv. Jüngst veröffentlichte er das Buch "Gedächtnisraum Europa. Die Visionen des europäischen Kosmopolitismus", Transcript Verlag, Bielefeld 2008.