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Alle Jahre wieder: Julkugeln und "White X-Mas"

Neuheiden und Neonazis versammeln sich nicht unterm Christbaum, sondern entzünden ein Julfeuer nach der Wintersonnenwende. "Weihnachtliche Parallelgesellschaften" knüpfen an naturreligiöse Anschauungen mit angeblich germanischem Hintergrund und an vermeintlich archaische Religionsformen an. Tatsächlich aber geht politische Propaganda mit kommerziellem Interesse einher...

redok

Gemeinhin versteht man unter dem Julfest eine altgermanische Feier der Wintersonnenwende, die später mit dem christlichen Weihnachtsfest verschmolzen ist. Historische Belege über Julfeste sind rar, nicht einmal der Zeitpunkt der Feier im Dezember gilt als gesichert. Im Dritten Reich war das Julfest von der SS als "artgemäßer" Kontrapunkt zum christlichen Weihnachtsfest propagiert worden.

Auch Neonationalsozialisten verwenden die Begriffe "Julfest" und "Wintersonnenwende" anstelle von Weihnachten. Durch das Bekenntnis zu "germanischem Brauchtum" und dessen "geistiger Tradition" - so bspw. die nordrhein-westfälischen Jungen Nationaldemokraten (JN) im Dezember 2003 - wird ein positiver Bezug zum Nationalsozialismus hergestellt. Andererseits wird dadurch auch die antichristliche und antisemitische Stoßrichtung bekräftigt: Das Christentum wird abwertend als "orientalische", "mosaische" bzw. "jüdische" oder "Wüstenreligion" bezeichnet, das Weihnachtsfest als Geburtstagsfeier Jesu, des Königs der Juden, abgelehnt. Statt der christlichen Weihnacht wird die "Nacht der Wiedergeburt des Lichts" gefeiert.

Dies kommt auch im aktuellen Bericht des NPD-Landesverbandes NRW über dessen "Julfeier" zum Ausdruck: Man hatte sich in Wattenscheid getroffen, um "im Kreise gleichgesinnter eine artgerechte Julfeier zu begehen". NPD-Landesgeschäftsführer Claus Cremer sprach dabei über "den Ursprung des germanischen Weihnachtsfestes". Im "kulturelle[n] Teil der Veranstaltung" sei mit "mehreren Gedichten und Geschichten zur Julzeit [...] den anwesenden Gästen der Sinn des Julfestes näher gebracht" worden.

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Weihnachts-Gesteck der NPD Heilbronn mit Tyr-Rune und "Sonnenrad"

Der NPD-Kreisverband Ingolstadt berichtet über eine Sonnenwendfeier "nach altem Brauch" im bayerischen Landkreis Pfaffenhofen. Nach dem die Polizei eingegriffen hatte, sei man an einen anderen Ort ausgewichen und habe dort erneut einen Holzstoß aufgerichtet. Aus Protest zogen die Teilnehmer der so verlegten Feier mit Fackeln durch die Straßen, bis schließlich doch der Holzstoß "nach altgermanischem Ritual" entzündet wurde. Insgesamt seien vier Personen festgenommen sowie Fackeln und eine mit einem Keltenkreuz versehene Fahne unter dem Verdacht des Verwendens verfassungsfeindlicher Kennzeichen beschlagnahmt worden. Die polizeilichen Maßnahmen werden seitens der NPD mit der Frage kommentiert, was das für ein deutscher Staat sei, der sich vor "deutschem Brauchtum" fürchte.

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Abbildung eines "Julfeuers" aus dem nationalsozialistischen Adventskalender "Vorweihnachten" von 1942. Der Text stammt aus dem Lied "Hohe Nacht der klaren Sterne" von Hans Baumann.

Auch Markus Pohl und Dennis Dormuth vom NPD-Kreisverband Münster wollen an die "germanischen Ursprünge des Weihnachtsfestes" erinnern. Ralf Ollert, der NPD-Landesvorsitzende Bayerns, meint in neonationalsozialistischer Diktion: "In diesen Tagen um die Feiertage dominiert das Familienleben, wir gedenken unserer Vorfahren und pflegen unsere Gebräuche und Sitten. Schöpfen wir in dieser Zeit Kraft für die Aufgaben des neuen Jahres. Denn wie sich das Licht nach der Sonnenwende wieder langsam Bahn bricht und zunehmend die Dunkelheit vertreibt, so muss sich auch die von uns vertretene lebensrichtige und natürliche Ordnung gegen die noch herrschenden menschen- und volksfeindlichen Ideologien durchsetzen."

Die Weihnachtsbotschaft der Bundes-JN ist mit einem so genannten "Julleuchter" illustriert. Solche Kerzenhalter aus Ton wurden vom Reichsführer-SS Heinrich Himmler als Weihnachtsgeschenk für verdiente SS-Angehörige verwendet. Beim nationalsozialistischen Julfest am 22. Dezember gehörte das Entzünden der Julleuchter zum Ritual.

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SS-Julleuchter

Auch die nicht parteigebundenen Neonazis grüßen in vermeintlich "germanischer" Art: So wünscht das "Nationale Infoportal Brandenburg" "allen Kampfgefährten und Volksgenossen ein heilsames Julfest und eine gute Jahreswende ins neue Kampfjahr 2007". Die "Hatecore-Crew" aus dem bayerischen Mainfranken schließt sich - allerdings in falscher Schreibweise - an und wünscht "zum Julfest alles Gute und besinnliche Rauhnächte! Auf ins neue Kampfjahr 2007!" und "Wotan mit uns!"

Der bereits wegen Volksverhetzung einschlägig vorbestrafte Betreiber der Webseiten "Unglaublichkeiten" Bernhard Paul Becker grüßt nicht nur "aus Thors Land" mit "Am Ende steht der Sieg", sondern auch mit dem Gedicht "Der Toten Soldaten Heimkehr" von Thilo Scheller. Dieses "Weihnachtsgedicht" beschreibt die angebliche unsichtbare Anwesenheit der verstorbenen Soldaten in der Weihnachtsnacht:

Wenn dann die Kerzen am Lichterbaum zu Ende gebrannt,
Legt der tote Soldat die erdverkrustete Hand
Jedem der Kinder leise aufs junge Haupt:
"Wir starben für euch, weil wir an Deutschland geglaubt."

Das Gedicht wurde 1943 in dem nationalsozialistischen Adventskalender "Vorweihnachten" auf dem Blatt zum 23. Dezember abgedruckt. Dieser für Kinder gedachte Ersatz für die herkömmlichen christlichen Adventskalender wurde vom Hauptkulturamt in der Reichspropagandaleitung der NSDAP herausgegeben, erschienen ist er im offiziellen Zentralverlag der NSDAP, Franz Eher Nachf. in München. Der Verfasser Thilo Scheller (*1897 in Wittingen / Hannover, † 1979) war u.a. auch Herausgeber vom "Liederbuch des Reichsarbeitsdienstes", 1943 hatte er den Hermann Löns-Preis für den Roman "Klaus Störtebeker, Gottes Freund und aller Welt Feind" erhalten.

Weihnachtsgeschäft mit Nazi-Propaganda

Ganz im Gegensatz zur propagierten "germanischen Sinntiefe" stehen die kommerziellen Interessen zahlreicher Nazi-Versände und Rechtsrocklabel - für sie bedeutet die Weihnachtszeit Hochsaison. Während die einen als besonderes "Julangebot" nur neu erschienene Nazi-CDs offerieren, werben andere mit "Julfest-Aktionen" und Weihnachtsrabatt, nicht aber ohne ein "besinnliches Julfest" und "ein erfolgreiches Kampfjahr 2007" zu wünschen.

Der Sturmversand aus dem bayerischen Murnau hatte für den 16. Dezember zu einem "White X-Mas Sonderverkauf" und einem anschließenden Liederabend eingeladen. Bei diesem Treffen nahm die Polizei sechs Personen vorläufig fest - gegen sie wurde Anzeige unter anderem wegen Volksverhetzung und Verstößen gegen das Waffengesetz erstattet. Der Versand-Betreiber Matthias Polt ist "Stützpunktleiter" der JN Oberland, der NPD-Jugendorganisation im Oberbayerischen.

Zwischen einer "Tätervolk-CD" und "Jungsturm - Lieder unserer Jugend" findet man beim Musikproduzenten und Szenevertrieb von "Boundless Records & Productions" aus Werne als Weihnachtsangebot auch Kerzen mit den Motiven vermeintlich "deutscher" Tradition: Die "Schwarze Sonne" - ein zwölfarmiges Hakenkreuz in Kreisform, "Thors Hammer", eine Irminsul (die 772 von Karl dem Großen zerstörte Irmensäule, ein Heiligtum der heidnischen Sachsen) sowie eine Kerze mit dem Logo der Nazi-Band "Sleipnir". Als Ansprechpartner des unter dem Namen "Wolfszeit" bekannten Vertriebes wird "Oidoxie"-Mitbegründer Dennis Linsenbarth genannt.

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Kerze mit Irminsul-Motiv

Eine besondere Rolle beim Verkauf diverser NS-Weihnachts-Utensilien spielt erneut das Internet-Auktionshaus Ebay. Dort erhält man neben einschlägiger Literatur auch eine vom "Liederkreis Deutsche Weihnacht" herausgegebene CD "Hohe Nacht der klaren Sterne", wobei die Produktbeschreibung ausdrücklich auf die "nichtchristlichen Weihnachtslieder" in "traditioneller Art", die "in keinem deutschen Hause fehlen" dürften, hinweist. Das titelgebende Lied von dem nationalsozialistischen Agitationsdichter Hans Baumann (* 1914 in Amberg; † 1988 in Murnau) wurde ebenfalls im NS-Kalender "Vorweihnachten" von 1942 abgedruckt; es steht beispielhaft für die Absicht, christliche Weihnachtslieder zu verdrängen.

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NS-Karte bei Ebay

Im ebenfalls bei Ebay erhältlichen Grußkarten-Set "Deutsche Weihnacht" ist ein Julleuchter abgebildet, eine andere Karte zeigt das Titelblatt des nationalsozialistischen Adventskalenders "Vorweihnachten" aus dem Jahr 1942 mit einer Swastika (Hakenkreuz) im Tannengrün.

Für Sammler wird sogenannter Julschmuck aus den 30er Jahren gehandelt: Diese Baumanhänger sollten als weitere Symbolträger vermeintlich "germanischer" Traditionen anstelle des christlichen Weihnachtsschmuckes in deutschen Haushalten Einzug halten. "Lebendige Vergangenheit aus germanischem Urwissen" - mit solchen Worten wurde dieser NS-Schmuck im Dritten Reich beschrieben.

Literaturhinweise:
Breuer, Judith /Breuer, Rita: Von wegen Heilige Nacht! Das Weihnachtsfest in der politischen Propaganda; Verlag an der Ruhr 2000
neue musikzeitung (nmz) 97-12/98-1 - Dossier Musik im NS-Staat - Das Weihnachtslied der NS-Zeit
Webseite des Kreismuseums Wewelsburg - Werkstattausstellung Neue Präsentationsformen: Beispiel "Julleuchter"

© redok

Category: General
Posted 12/26/06 by: admin