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Morgens sieht die Welt ganz anders aus: Livnis Wahlsieg wird angefochten
Mit nur 431 Stimmen Vorsprung, knapp 1 Prozent der 32,872 abgegebenen Stimmen von Parteimitgliedern der Kadima Partei hat Außenministerin Zipi Livni gesiegt. Der unterliegende Transportminister Schaul Mofaz hat Livni zwar am frühen Morgen angerufen und ihr gratuliert. Aber seine Mitarbeiter kündigten schon einen Rechtskampf an. Sie wollen das Wahlergebnis anfechten...
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 18. September 2008
Am Wahlabend herrschte Chaos. Kurz vor 22:00 Uhr, dem ursprünglichen Termin für die Schließung der Wahllokale, klagten Mofaz-Leute bei der obersten Wahlkommission über „großes Gedränge“ bei einigen Wahllokalen. Bis zum frühen Abend lag die Wahlbeteiligung nur bei knapp 30 Prozent lag. Das kam angeblich eher Mofaz zugute. Doch dann wachten die eingetragenen Parteimitglieder plötzlich auf und drängten zu den Urnen. Gleichwohl forderte Mofaz, die Öffnungszeiten nicht zu verlängern. Aber Livni stellte dann doch den Antrag, den Spätwählern eine Chance zu geben, bis 23:00 ihre demokratische Pflicht tun zu können. Die Wahlkommission einigte sich auf einen Kompromiss und genehmigte eine Verlängerung um 30 Minuten, bis 22:30 Uhr. Daran fühlten sich aber die israelischen Fernsehsender nicht mehr gebunden. Etwa 15 Minuten vor Schließung der Wahllokale veröffentlichten die drei Fernsehkanäle ihre jeweiligen Hochrechnungen. Deren Zahlen klafften nur leicht auseinander. Aber alle waren sie sich einig, dass Livni mit einem großen Vorsprung von etwa 10 Prozent vor Mofaz gesiegt habe. Nach Auszählung der Stimmen im Laufe der Nacht reduzierte sich der vermeintliche Erdrutschsieg auf nur noch 431 Stimmen, also etwa 1 Prozent. Das entspricht den Ergebnissen eines einzigen Wahllokals.
Am Nachmittag brachen bei einem Wahllokal der Beduinen in Rahat in der Negewwüste Tumulte aus. Das Lokal wurde in Brand gesteckt und wurde von der Polizei geschlossen. Anhänger von Livni stehen im Verdacht, die Provokation ausgelöst zu haben. Es ist also nicht auszuschließen, dass dieser Zwischenfall oder andere „Unregelmäßigkeiten“ der Außenministerin den Wahlsieg beschert haben. Auch die Tatsache, dass die Hochrechnungen schon veröffentlicht wurden, ehe die Wahllokale geschlossen waren, gilt als Verstoß gegen die üblichen Regeln.
„Wir sind mit einem riesigen Wahlsieg von Zipi schlafen gegangen und mit einem winzigen Vorsprung aufgewacht“, fasste die Kommentatorin Keren Neubach den faden Geschmack nach dem völligen Scheitern der Umfrageinstitute zusammen.
Dennoch habe sich Mofaz für den Rechtsweg und eine Anfechtung des Wahlergebnisses noch nicht entschlossen. Mit seinem Anruf bei Livni am frühen Morgen und seinem Glückwunsch zu ihrem Wahlsieg tat er einen politischen Schritt. So gab Mofaz auch das Zeichen für den bevorstehenden Machtkampf in Israel. Denn Zipi Livni müsste nach dem angekündigten Rücktritt von Ministerpräsident Ehud Olmert eine neue Regierungskoalition basteln. Fühler sind da schon in alle Richtungen ausgestreckt. Wie Mofaz hatte Livni schon während des Wahlkampfes ein Bündnis mit deren „alter Heimat“, dem rechtskonservativen Likud-Blocks unter Benjamin Netanjahu, nicht ausgeschlossen. Auch in der ultra-linken Meretz-Partei werde nachgedacht, sich einer Koalition mit Livni anzuschließen. Das könnte die Arbeitspartei unter Ehud Barak vergraulen. Entsprechend wird schon um die personelle Besetzung der wichtigsten Posten in den künftigen Regierung gerangelt. Mofaz gebührt angesichts des knappen Wahlergebnisses hoher Lohn. Verteidigungsminister Barak ist im Augenblick der mächtigste Koalitionspartner und nicht bereit sein, seinen Posten zugunsten von Mofaz aufzugeben. Also dürfte Mofaz der Posten des Außenministers angeboten werden, der mit dem Wechsel Livnis auf den Sessel des Ministerpräsidenten vakant würde.
Das eigentliche politische Erdbeben in Israel steht also noch bevor, während der wegen Korruptionsverdacht ins Abseits gedrängte Ehud Olmert als Übergangspremier möglicherweise noch viele Monate im Amt bleiben wird. Denn niemand weiß, ob Livnis Koalitionsbemühungen von Erfolg gekrönt werden. Sollte sie scheitern, müssten nach 90 Tagen Neuwahlen ausgeschrieben werden. Olmerts versprochener Rücktritt würde erst in Kraft treten, sowie ein anderer Politiker es geschafft hat, als Premierminister vor dem Parlament vereidigt zu werden. Bis dahin wird Olmert weiterhin über Krieg und Frieden entscheiden und auch mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas die Verhandlungen weiterführen, obgleich dessen Mandat als gewählter Präsident am 8. Januar endet.
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
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