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Asymmetrische Wahrnehmungen: Der Bundestag diskutiert über "60 Jahre Israel"

Als Anfang dieses Jahres eine internationale Konferenz in Tel Aviv die Aussichten für eine Vereinbarung zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde diskutierte, fiel es im Plenum niemandem auf, dass die politische und diplomatische Rolle Europas und Deutschlands nicht ein einziges Mal erwähnt wurde. Ja, man konnte den Eindruck gewinnen, dass die Nachbarn im Westen auf einem anderen Stern lebten...

Von Reiner Bernstein

Desto freischwebender äußerten sich alle Redner in ihren Ansprachen am 29. Mai im Bundestag zur Feier von Israels 60. Gründungsjubiläum. Niemand ließ die Gelegenheit vorübergehen, die besondere deutsche Verantwortung für die Existenz und die Sicherheit des Staates der Juden aus dem Antisemitismus und der Shoah herzuleiten und jenen Satz der Bundeskanzlerin vor der Knesset Ende März zu wiederholen, dass diese Verpflichtungen zur deutschen Staatsräson gehören.

An diesem Selbstverständnis ist nichts auszusetzen. Die jüdische Geschichte der antijüdischen Ressentiments und der Pogrome liefert vielfältige Belege für die Dynamik des politischen Zionismus. Dass es dem der Staat Israel nicht gelingen wollte, Frieden mit den Nachbarn zu schließen und sich heute ihrer erwehren muss, ist eine Binsenwahrheit. Gleiches gilt für Erkenntnisse wie diese, dass keine Lösung des Konflikts mit den Palästinensern in Sicht sei. Dass Deutschland auf den Ausbau der bilateralen Beziehungen zu Israel bedacht ist, gehört zu den genuinen Interessen der deutschen Außen-, Kultur-, Wissenschafts- und Handelspolitik. Dies zu betonen, musste nicht der runde Geburtstag der Staatsgründung abgewartet werden. Für die Behauptung freilich, dass die „Urbarmachung des Landes“ und das „Erblühen der Wüste“ allein den zionistischen Bestrebungen zuzuordnen sei, wäre den Abgeordneten ein Blick in die zeitgenössische Literatur zu gönnen gewesen. Wenn sich hingegen nach den Worten von Frank-Walter Steinmeier der nahöstliche Himmel durch die Wahl des neuen libanesischen Staatspräsidenten Suleiman und die indirekt in Gang gekommenen Kontakte zwischen Israel und Syrien unter türkischer Vermittlung leicht aufgehellt hat – wer würde darüber keine Genugtuung empfinden und Hoffnungen in kleiner Münze schöpfen?

Dramatisierungen wie die genannten standen, mit Bedauern sei’s vermerkt, im scharfen Gegensatz zu verschwommenen Aussagen zu Deutschlands aktueller Rolle bei der Suche nach dem Frieden zwischen dem israelischen und dem palästinensischen Volk. Hier blieben die meisten Abgeordneten entweder in Gemeinplätzen stecken oder ließen erkennen, dass ihre Kenntnisse in diametralem Gegensatz zur nahöstlichen Wirklichkeit stehen, als ob die Politik und die jüdische Gesellschaft Israels den arabischen Staatsbürgern „mit ausgestreckter Hand“ gegenübertreten und die Vision des Friedens mit den palästinensischen Nachbarn keine nachhaltigen Brüche verzeichnen würden. Zu den bedenklichen Höhepunkten der Ansprachen gehörte die Abstufung des überragenden Existenzrechts Israels gegenüber dem Recht der Palästinenser auf „ein Leben in Würde“. Die palästinensischen Terrorakte wurden nachdrücklich verurteilt, doch den vielen hundert toten Zivilisten im Gazastreifen nach israelischen Militärschlägen blieb die Anteilnahme versagt. So kamen die alten Schablonen von den Kollateralschäden unter den Palästinensern wieder zum Vorschein.

Dieses asymmetrische Verhältnis zweier unterschiedlicher Ansprüche, in dem sich das Lob der mit Israel gemeinsamen Wertegemeinschaft widerspiegelte, wurde durch das häufige Bekenntnis zur Zweistaatenregelung nicht wettgemacht. Denn es provoziert unweigerlich die Nachfrage, wie diesem Ziel von Seiten der deutschen Politik Nachdruck verliehen werden soll. Es blieb Petra Pau von der Fraktion „Die Linke“ und Kerstin Müller von „Bündnis 90/DieGrünen“ vorbehalten, das bei solchen Sitzungen Notwendige zu sagen – mit einer Kritik an der israelischen Siedlungspolitik und mit dem Hinweis auf die beidseitig abgestimmte „Genfer Initiative“ als Wegweisung für die nationale Ebenbürtigkeit. Hier habe, so die frühere Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Angela Merkel mit ihrer Ansprache in der Knesset die Vorstellung genährt, dass sich Europa und die deutsche Nahostpolitik aus dem, was vom Friedensprozess übriggeblieben ist, heraushalten könne.

Indem sich der deutsche Außenminister eine diplomatische aktive Rolle im Nahostkonflikt mit dem Hinweis auf die Sensibilität der deutsch-israelischen Beziehungen bedächtig zurückhielt, fiel er hinter die Beschlüsse und Resolutionen seiner Amtskollegen in der Europäischen Union zurück und beschränkte sich damit, auf die internationale Friedenskonferenz am 24. Juni in Berlin zu verweisen, deren Ergebnisse den Palästinensern helfen soll, ihre „Sicherheit in die eigenen Hände“ zu nehmen, als ob diese nicht von der Herstellung ihrer nationalen Souveränität abhängig sei. Dass Steinmeier nach eigenem Bekunden für den Aufbau einer starken palästinensischen Polizei und des Justizwesens bei der Regierung in Jerusalem Zustimmung erfuhr, sollte nicht verwundern.

Yitzhak Rabin, es sei wiederholt, hat seinerzeit die deutsche Außenpolitik mit der Bemerkung abgetan, sie sei im Konflikt mit den Palästinensern kein Faktor. Es wäre der Exekutive und der Legislative in Berlin zu wünschen, dass sie beiden Völkern im Nahen Osten zumindest einen Teil des verlorengegangenen Glaubens an den Frieden zurückgeben, den ihnen die Politiker vor Ort vorenthalten. Damit würden sie dem deutsch-jüdischen Vermächtnis den überfälligen Dienst erweisen. Von der israelischen und der palästinensischen Politik werden landauf, landab schmerzhafte Kompromisse verlangt. Es ist zu wünschen, dass sich die deutsche Außenpolitik zu schmerzhaften Einsichten und Entscheidungen durchringt.

Category: Deutschland
Posted 05/29/08 by: admin