oder: Wie ein deutsches Lehrbuch gegen Antisemitismus alten Judenhass lehrt...
Von Ramona Ambs
"Woher kommt Judenhass?" so der Titel eines kürzlich erschienenen Lehrbuchs des Verlags an der Ruhr. "Was kann man dagegen tun?" Ein Bildungsprogramm. Materialien, Methoden und Konzepte mit CD-Rom, lautet der vielversprechende Untertitel des 156 Seiten starken Werks für die Arbeit mit Schülern zwischen 12 und 19.
Herausgegeben ist es vom Bildungsteam Berlin- Brandenburg e.V. und Tacheles reden! e.V., die vom Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) für dieses Projekt großzügig gefördert wurden. Das Buch gliedert sich in elf Kapitel, wobei das erste die pädagogische Hinführung zum Thema beinhaltet und das elfte Kapitel allgemeine Auswertungsmethoden vorstellt.
Schon im ersten Kapitel werden sehr problematische, banale Erklärungsmuster angeboten. Zum Beispiel auf Seite 12 : Es sei "deutlich, dass antisemitisches Denken häufig eine Reaktion auf gesellschaftliche Veränderung ist". Meiner Meinung nach eine nicht weit gedachte Erklärung, denn was könnte sich denn als Lösung anbieten. Soll man auf gesellschaftliche Veränderungen einfach verzichten?
Fast alle der dann vorgestellten Methoden sind pädagogisch fragwürdig - teilweise haben sie nichts mit dem Thema zu tun, teilweise schaffen sie Unterrichtssituationen, in denen das eigentliche Lernziel ins Gegenteil verkehrt werden kann. Am Ende des dritten Kapitels beispielsweise sollen die Jugendlichen in verschiedenen Methoden ihre eigene Familiengeschichte und ihre politische Meinung preisgeben. Dies geschieht bei einer Methode mit gegenseitigem Interview und musikalischer Unterbrechung, a la stop-and-go-tanz, bei denen dann Fragen gestellt werden, wie zum Beispiel: "Was weißt Du über das Leben Deiner Vorfahren zur Zeit des Nationalsozialismus?", oder "Welche Meinungen zur Zeit des Nationalsozialismus werden in deiner Familie vertreten?", "Findest Du, dass die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus inzwischen vorbei sein sollte?".
Auf eine kurze Antwort folgt wieder Musik und es wird weitergetanzt. Hier fehlt eine überzeugende pädagogische Erklärung. Der "Tipp" - eine immer wiederkehrende Hilfestellung des Buches an den leitenden Pädagogen - an dieser Stelle verrät: "Die Jugendlichen sollen möglichst spontan antworten. Da es bei dieser Methode nicht um richtig oder falsch geht, sollten die Aussagen der Jugendlichen nicht bewertet oder in irgendeiner Form kritisch kommentiert werden." Eine äußerst heikle Methode wie ich finde. Je nach Lerngruppe können da enorme Verletzungen bei den Jugendlichen entstehen. So zwischen zwei Tanzeinlagen zu erklären, dass der Opa ein Massenmörder war oder die Großtante von den Nazis im KZ gequält wurde mag für einen Experimentalpädagogen irgendwie spannend klingen, aber wer fängt auf, was da ausgelöst werden kann? Eine pädagogische Hilfestellung zu solchen nicht unbedingt unwahrscheinlichen Vorkommnissen findet sich nicht.
Und ob die Jugendlichen derlei über sich und ihre Familien preisgeben wollen steht auf einem anderen Blatt. Ein derartiges Projekt sollte ganz anders vorbereitet und begleitet sein.
Kapitel fünf hingegen versöhnt mich kurzfristig wieder mit dem Buch. Ein Zeitstrahl zeigt die Geschichte des Antisemitismus und zahlreiche, gute Materialien auf der dem Buch beigefügten CD-ROM bieten anschauliches, wenngleich auch nicht wirklich neues Material für einen klassischen Bildungsuntericht.
Ja, die Juden haben Christus umgebracht
Dieser positive Eindruck verkehrt sich dann aber im Kapitel sechs vollständig in sein Gegenteil. Da soll es um den christlichen Antijudaismus gehen. Auf Seite 52 des Buches ist die Matthäus-Passion Thema. Mit Musik werden die Schüler eingestimmt. Als Lernziel sollen sie dann unter anderem Vorwürfe sammeln, "die Christen gegen die Juden erhoben" haben. Die Aufgabe des Pädagogen besteht darin die Vorwürfe richtig zu stellen und die Richtigstellung in einer anderen Farbe dazu zu schreiben.
Hier kommt nun eine Stelle, die den Titel unter dem das Buch firmiert gänzlich ad absurdum führt.
Folgende Informationsgrundlage soll genutzt werden (siehe Seite 53): Behauptung:
"Die Juden haben Christus umgebracht". Und als empfohlene Richtigstellung wird angeboten:
"Das ist richtig". - Kurz glaube ich an einen Druckfehler, man hat das "nicht" halt vergessen, - aber nein, die völlig unlogische Begründung im Anschluss lautet nämlich: "Das ist richtig, denn Jesus wurde in der Provinz Judäa des römischen Reiches geboren. Er selbst, seine Familie und Anhänger waren Juden, die nach den Gesetzen des Moses lebten".
Oho, man sollte sich sein Umfeld also vorsichtig auswählen.
Danach kommt noch ein Ausflug in die christliche Theologie: "Der Tod Jesu in der Art, wie er laut der Überlieferung der Bibel geschah, war ein notwendiger Teil des Lebens, das Gott für seinen Sohn vorgesehen hatte. Auch Jesus selbst bezeichnet seinen Tod in der Bibel als notwendig."
Aha. Nun weiß ich, wie man antijüdische Behauptungen verfestigt und unters Volk bringt: Man schreibt ein Lehrbuch gegen Antisemitismus und holt längst geklärte alte Vorwürfe als "richtig" wieder hervor. Die Pädagogen werdens schon unters Volk bringen. Die Aufklärungsarbeit vieler Jahrzehnte wird so zunichte gemacht. Ohne die lange judenfeindliche Tradition der Kirchen und der Christen wäre Ausschwitz nicht möglich gewesen. Das steht heute fest. Und dann liest man im Jahr 2007 in einem Lehrbuch
gegen Antisemitismus, dass die Juden Christusmörder sind. Im Grunde könnte man hier die Buchbesprechung aufhören. Diese Stelle ist einfach so haarsträubend, dass man das Buch besser vom Markt nehmen sollte.
Zumal die restlichen Kapitel leider auch nicht gut sind. Zwar gibt es einige gute aktuelle Beispiele, anhand derer man modernen Antisemitismus darstellen kann, die Methoden dafür sind jedoch nicht wirklich durchdacht. Das räumen selbst die Verfasser ein, denn so stehen bei den "Tipps" immer wieder Hinweise wie (S. 108): "Diese Übung birgt die Gefahr, dass durch die vorhandenen Aussagen antijüdische Stereotypen gefestigt werden oder Jugendliche antisemitische Bilder kennen lernen, die sie bisher noch nicht kannten." oder aber (S.104): "In Gruppen mit einem hohen Anteil rechtsorientierter Jugendlicher bietet sich diese Methode nicht an, da die Gefahr besteht, dass niemand den geschichtsrevisionistischen Meinungen etwas entgegensetzt."
Und somit sind wir - neben dem unsäglichen Jesusmord - beim größten Schwachpunkt des Buches: Die Methoden sind von großer Naivität geprägt (von den zwölf Autoren sind acht Pädagogen). Keine einzige Methode ist speziell für rechtslastige Gruppen oder Klassen entwickelt worden. Nahezu alle Methoden könnten von ein oder zwei jugendlichen Neonazis in einer Gruppe ge- oder sogar zerstört werden. Insgesamt fehlen pädagogische Hilfestellungen für die Lehrpersonen, die noch über keine größere Erfahrung mit Projektarbeit dieser Art haben. Da nutzt dann die reichliche und teilweise gute Materialzusammenstellung leider wenig.
Juden kommen auch in diesem Buch fast nur als "Opfer" vor, lebendige, heute in Deutschland lebende und agierende Juden gibt es nicht. Juden sind, vielleicht schützenswertes, Objekt. Insgesamt bleibt also ein bitteres Resümee. Ein überzeugendes Methodenpaket gegen Antisemitismus ist dieses Buch jedenfalls nicht. Eher das Gegenteil.
Bildungsteam Berlin- Brandenburg e.V. und Tacheles reden! e.V. (Hg.):
Woher kommt Judenhass? Was kann man dagegen tun? Ein Bildungsprogramm
154 Seiten, Euro 24,50, ISBN: 978-3-8346-0158-2
Wer hat "Christus umgebracht":
Schuld ist immer die Rezensentin
Es ist sicher ungewöhnlich, dass eine Rezensentin und ihre Herausgeber in ihrer Redlichkeit und Urteilsfähigkeit derart in Zweifel gezogen werden, dass sich Rezensentin, Herausgeber und Verlag zum Teilabdruck eines kritisch besprochenen Buches genötigt sehen...