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Ente oder Kriegserklärung?

Im Journalistenparadies Israel sind die Reporter seit fast einer Woche irritiert. Die sonst so geschwätzigen Politiker üben sich in einem außergewöhnlichen Schweigen. Vor der wöchentlichen Kabinettssitzung mussten die Minister nicht nur ihre Handys abgeben. Sie erhielten einen Maulkorb verhängt und durften keinem Journalisten etwas stecken. Die Presse wurde zum Fototermin erst in den Kabinettssaal eingelassen, als die Minister schweigend auf ihren Sesseln saßen...

Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 10. September 2007

Am vergangenen Donnerstag ließ Syrien eine politische Bombe platzen, über die bis heute gerätselt wird: ist es eine Ente oder stimmt es. In einer diffusen offiziellen Erklärung verlautete der Militärsprecher in Damaskus, dass israelische Kampfflugzeuge in den syrischen Luftraum eingedrungen seien, „Munition abgeworfen“ und die Schallmauer durchbrochen hätten. Die syrische Flugabwehr habe sie „abgedrängt“.

Diese Erklärung ist der einzig bekannte „Fakt“. Wo das alles passiert sein soll, wie tief die Flugzeuge, deren Anzahl nicht genannt wird, syrisches Territorium überflogen hätten, bleibt offen. Was bedeutet „Munition abwerfen“? Haben die Syrer geschossen? Und woher wissen sie so genau, dass es israelische Kampfflugzeuge waren?

Da Israel und übrigens auch Washington zu dem Vorfall, den es vielleicht gar nicht gab, eisern schweigen, kann das als Eingeständnis oder auch als Dementi interpretiert werden. „Wir reagieren grundsätzlich nicht auf derartige Publikationen“, sagte lakonisch der israelische Militärsprecher. Tatsächlich schweigt er zu den zahllosen „Verschwörungstheorien“, die täglich in der arabischen Welt und in der westlichen Presse über angebliche böswillige Absichten Israels verbreitet werden. Doch das von oben verfügte Schweigen nach der syrischen Erklärung hat eine andere Qualität. Denn eine Verletzung des Luftraums mit Kampfflugzeugen kommt einer Kriegserklärung gleich. Und da fragt sich, ob Israel Krieg will, indem es Syrien provoziert, oder ob Syrien Krieg will, indem es die Provokation veröffentlicht, ohne handfeste Beweise zu liefern.

Derweil verurteilten die Russen als Erste die israelische „Aggression“ gegen Syrien. Schon wurden Spekulationen laut, wonach die Kampfflugzeuge „vom Mittelmeer kommend russische Installationen oder Raketenstellungen an der Küste bei Latakija fotografiert“ hätten. Auch China meldete Protest hat. Iran versprach Damaskus Solidarität und „jegliche Hilfe“. Die Türkei stimmte in das diplomatische Getöse ein, nachdem türkische Bauern nahe der Grenze zu Syrien, hunderte Kilometer von der Küste entfernt, zwei abgeworfene Zusatztanks von F-16 Flugzeugen entdeckten. Auf den veröffentlichten Fotos ist allerdings keinerlei hebräische oder sonstige Aufschrift zu erkennen.

Ein etwas fragwürdiger Hinweis kam vom einzigen arabischen Minister im israelischen Kabinett, Raled Madschadle. Im Interview mit einer arabischen Zeitung behauptete er, dass israelische Kampfflugzeuge „täglich“ syrisches Territorium überfliegen. Der Vorsitzende des Sicherheitsausschusses, Zachi Hanegbi, fuhr Madschadle über den Mund: „Dieser Herr Minister muss noch lernen, seine Zunge zu zügeln und nicht über Dinge außerhalb seines Amtsbereichs zu plaudern.“ Madschadle ist Sport- und Wissenschaftsminister. Diese Plauderei entzündete neue Spekulationen zu dem ominösen Vorfall.

Sollten tatsächlich israelische Kampfflugzeuge „täglich“ syrischen Luftraum verletzen, fragt sich, ob die Syrer von Blindheit geschlagen sind. Und falls sie es doch wissen, warum haben sie dann jetzt plötzlich laut protestiert? Denn letztlich müsste die Geschichte den Syrern eher peinlich sein, wenn sie eingestehen, dass feindliche Flugzeuge ungehindert hunderte Kilometer weit in ihr Territorium eindringen können. Während Syrien den Vorfall schon als „Beweis für Israels kriegerische Absichten“ darstellt und eine Klage beim Sicherheitsrat erwägt, spielt die israelische Presse in ihren Kommentaren alle Spekulationen durch. Will Ministerpräsident Ehud Olmert die Reaktionen der Syrer und der arabischen Welt testen? Will Israel die Syrer zu einem Krieg provozieren? Braucht Präsident Baschar Assad Streit mit Israel, um seine Position in Syrien zu festigen? Doch mangels israelischer Bestätigung bleibt es bei Gedankenspielen und auch Einwänden. Ein pensionierter Botschafter beim Vatikan hält Spionageeinsätze für „selbstverständlich“. Ein „Sicherheitsexperte“, der mal bei der Luftwaffe gedient hat, gibt zu bedenken, dass Israel das Leben seiner Piloten nicht leichtsinnig aufs Spiel setze. Ein abgestürztes Kampfflugzeug im syrischen Hinterland wäre in jeder Hinsicht eine „Katastrophe“, meinte er bei einem Empfang für Archäologen.

Die Antwort eines syrischen Ministers, woher er denn wisse, dass die Geschichte wahr sei, ist in Israel schon zum geflügelten Wort geworden: „Wenn der syrische Militärsprecher das behauptet, dann ist das doch die reine Wahrheit.“

© Ulrich W. Sahm / haGalil.com

Category: Syrien
Posted 09/10/07 by: admin