Irgendwo im ehemaligen Niemandsland zwischen
Massivs Wahlbezirk Wedding und dem Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg traf ich auf den Deutschrap-Experten Robert Peschke. Ich sprach mit ihm über deutschen Rap, Judenhass und die Zukunft des Genres ...
J.E.: In den letzten Wochen geisterte das Thema Homophobie und Rassismus im Deutschrap mal wieder durch die Medien. Nach dem Auftritt von dem Pornorapper King Orgasmus One in der ARD Talkshow "Maischberger" mit der Aushilfsmoderatorin Alice Schwarzer wurde in der Medienlandschaft heiß über Frauenfeindschaft diskutiert. Ein paar Tage später kritisierte Claudia Roth (Bü90/Die Grünen) und Monika Griefahn (SPD) gemeinsam mit der antirassistischen Rapclique Brothers Keepers den plakativen Gebrauch des "N-Worts" * durch den Afroamerikaner B-Tight. Und kurz darauf entzündete sich eine breite Debatte um ein im Internet veröffentlichtes schwulenfeindliches Video von dem Berliner Rapper G-Hot, in dem er auf dem Christopher Street Day mit einem selbgebastelten Schild auftaucht wo groß und deutlich "Schwule Raus" zu lesen war. Ihnen, Herr Peschke, greift die derzeitige Debatte viel zu kurz. Wieso glauben sie das die bisherige Diskussion am Kern des Problems vorbeizielt?
R.P.: Das hat etwas mit dem typischen Reiz-Reaktions-Schema der deutschen Medienlandschaft zu tun. Die Tatsache, dass Frauen und Schwule in Deutschraptexten verunglimpft und erniedrigt werden, ist für die taz oder die Süddeutsche Zeitung immer ein Artikel wert, da ihr Klientel sich für solche Themen interessiert. Wenn es aber um den im Deutschrap tief verwurzelten Antiamerikanismus oder die regelmäßig artikulierten antisemitischen Hetztiraden geht, dann wird es insgesamt ziemlich leise im deutschen Blätterwald.
Außerdem muss man bedenken, dass heutzutage jeder von jedem abschreibt. Die Tatsache, dass es schwulen- und frauenfeindliche Äußerungen deutscher Rapper gibt, hat sich schon vor zwei Jahren unter den Journalisten herumgesprochen. Dafür musste man nur bei Google etwas recherchieren und schwups hatte man genügend Material um einen Artikel zusammen zuschustern. Genau deshalb wird an den frauen- und schwulenfeindlichen Passagen im Deutschrap immer wieder öffentlich Kritik geäußert, während es nur sehr selten dazu kommt, dass auch die antisemitischen und antiamerikanischen Tendenzen im deutschen Rapmetier zur Sprache kommen. Denn dazu müssten die Journalisten etwas tiefer in die zu bearbeitende Materie einsteigen und die so genannten deutschen Rapexperten etwas selbstkritischer werden. Und wie wir wissen ist in beiden Fällen ist die Aussicht auf Besserung relativ gering.
Der Antiamerikanismus ist seit Anbegin ein fester Bestandteil des Deutschrap. Eine der ersten deutschen Punchlines hies: "Dies ist nicht Amerika" und kam von den linksalternativen Absoluten Beginnern. Heute spricht die Frankfurter Combo Warheit ihren Fans aus dem Herzen, wenn sie in ihrem Track "Hölle auf Erden" zum Beispiel behaupten, dass im Weißen Haus der Teufel sitzt. Verschwörungsthereotisch ganz auf der Höhe der Zeit schustern sie weit verbreitete Ressentiments in Reimform. Ein Beispiel: "Der elfte September nur ein Mittel zum Zweck. Über dreitausend Tote für ein dreckiges Geschäft. Amerika, Land der unbegrenzten Möglichkeiten, opfert seine Menschen um Feinde zu beseitigen."
Zusammengefasst kann man beinahe behaupten, dass jeder deutsche Rapper einen antiamerikanischen Vers irgendwo in seinem Repertoire untergebracht hat. Warheit aus Frankfurt bringt nur auf den Punkt, was viele Menschen nach den unzähligen Schlußstrichdebatten der letzten Jahre für die weltpolitische Realität halten: "George Bush spielt Hitler".
J.E.: Okay, aber fällt der propagierte Antiamerikanismus überhaupt auf fruchtbaren Boden? Wie regieren die Fans darauf?
R.P.: Ziemlich unterschiedlich. Das Album von Warheit wurde über ein Majorlabel vertrieben und schaffte es in die Top 50 der Albumcharts. In diversen Rapforen freuen sich die User darüber, dass endlich mal jemand seine Meinung "gegen usa und kapitalismus" öffentlich kund tut, als wäre dies nicht alltäglich in diesem Land. Fans von dem Berliner Rapper Massiv haben ein Video ins Internet gestellt indem zum Boykott von US-Waren aufgerufen wird und das Warheit-Crewmitglied Chaker kann in einem Interview mit dem Stern unhinterfragt behauptet, dass es "den Amerikanern nur um Profit geht".
Aber es gibt auch eine andere Seite der Medaille: In mehreren HipHop-Magazinen wurde der Bush-Hitler Vergleich scharf kritisiert und führte zu einer recht schlechten Bewertung der Platte. Außerdem gibt es auch in den Internetforen nicht wenige Rapkonsumenten, die sich nicht zu schade waren, zuzugeben, dass ihnen das Album der Frankfurter zwar musikalisch gefiel, aber ihnen der allzu plumpe Antiamerikanismus dann doch nicht zusagte.
J.E.: Sie haben eingangs erwähnt, dass es auch nicht wenige antisemitische Äußerungen im Deutschrap gäbe. Können Sie dafür einige Beispiele nennen?
R.P.: Aktuell hat der Stuttgarter Rapper Bözeman in seinem Video zum Disstrack "Die Herausforderung" einem Rivalen aus Berlin ein Grab geschaufelt. Bis dahin relativ normal im Rapbusiness, doch auf dem Kreuz welches das Grab schmückt ist neben dem Namen von Massiv ein Davidstern eingraviert. Und auf der Myspaceseite von dem stolzen Kosovoalbaner Bözemann ist folgendes dazu zu lesen: "DU BIST GANZ SICHER KEIN MOSLEM DU BIST MIT SICHERHEIT JUDE UND ZIEHST DEN KORAN DURCH DEN DRECK!!!!"
Dies ist kein Einzelfall seitdem in den letzten Jahren gerade unter Jugendlichen "Jude" wieder zum allgemein gebräuchlichen Schimpfwort avancierte. Einige Deutschrapper benutzen ebenfalls sehr häufig den Ausdruck "Intifadarap" für ihre Musik und sehen sich als Teil einer "Generation Jihad". Nach allen Regeln der Kunst stilisieren sie sich in Bild und Ton als Judenhasser. In Fanvideos die auf Youtube für jedermann zugänglich sind werden die Aktivisten der Hamas und anderer islamistischer Terrorgruppen bejubelt und die Existenz des Staates Israel grundsätzlich in Frage gestellt. Osama Bin Laden hat in diesen Kreisen Che Guevara als Symbol der Befreiung schon lange abgelöst.
J.E.: Welche Rolle spielen dabei Rapper mit Migrationshintergrund?
R.P.: Zumeist eine Vorreiterrolle, doch sollte dies nicht zu falschen Rückschlüssen führen. Ohne die kaufkräftigen weißen Mittelstandskiddies könnte kein einziger Deutschrapper seinen Kühlschrank fühlen. Sie sehnen sich nach der Härte des islamophilen Deutschrap und bezahlen dafür mit barer Münze. Antiamerikanismus und Antisemitismus bekommen sie aber auch von den rappenden Weißbroten geboten, weshalb die Trennung in gute und böse Rapper entlang ethnischer immer schief gehen wird.
J.E.: Gibt es eigentlich Deutschrapper im Business die sich als Juden geoutet haben?
R.P.: Soweit ich weiß nicht. Einzig der Berliner Produzent und Beatbastler Ilan ist in der Öffentlichkeit als Jude bekannt. Allerdings brachte ihm das auch viel Ärger ein. Mindestens zweimal hat seine religiöse Herkunft in Rapbattles eine Rolle gespielt. Von Fler und Specter wurde er laut dem Berliner Rapper Bushido als "geldgeiles Judenschwein" beschimpft. Als sich Bushido im Streit von "Bass Sultan Hengzt" und Ilan trennte gab er ein Lied heraus in dem die folgende Passage vorkam: "ohne mich bist du eh nur eine rapper-stute, schöne grüße auch an ilan ..." In diesem Fall kann sich jeder den fehlenden Part selbst denken, ohne das es für Bushido strafrechtlich relevant wird.
J.E.: Ist das Anwachsen antisemitischer und antiamerikanischer Klischees ein Trend speziell im Deutschrap oder ist er überall in der Gesellschaft zu beobachten?
R.P.: Das Phänomen Deutschrap ist nun mal ein Teil der gesellschaftlichen Realität und nicht davon abgekoppelt, weshalb es auf der Hand liegt das es nicht um einen Trend handelt der nur die Sphären des Deutschraps betrifft. Antiamerikanismus und Antisemitismus sind seit Jahren in der Bundesrepublik auf dem Vormarsch. In den jährlichen Studien von Wilhelm Heitmeyer kann man dies immer wieder aufs Neue nachlesen.
J.E.: Versuchen eigentlich auch islamistische Fundamentalisten oder andere politische Extremisten an die vorhandenen Anknüpfungspunkte anzudocken?
R.P.: Ja das kommt immer wieder vor, und von allen Seiten. Mittels Sprechgesang kann man jedes politisches Anliegen an die Frau bzw. den Mann bringen. Ähnlich wie Rechtsrock kann auch Deutschrap die Begleitmusik für Mord und Totschlag sein. Islamisten, Rechtsextremisten und sonstige Faschisten wissen das und versuchen es sich zu Nutze zu machen. Mit "Ammar114" gibt es schon länger einen sozialkonservativen Islamisten, der recht erfolgreich den Sprechgesang als Transmissionsriemen für seine religiösen Vorstellungen nutzt. Was die Neonazis betrifft, so gab es schon vor einigen Jahren eine Debatte im RockNord-Forum ob Rap sich für sie als Agitationsplattform lohnen würde. Doch bis auf die eine oder andere Internetveröffentlichung ist da noch nichts wirklich Konkretes aufgetaucht.
J.E.: Vor dem Hintergrund, dass das Produzieren von qualitativ hochwertigem Sprechgesang durch die Modernisierung der Technik in jedem Kinderzimmer möglich ist, was können wir da noch alles erwarten?
R.P.: Leider so gut wie alles. Das freie Assoziieren ist die Grundlage des Rappens, vor allem des Battleraps. Als sich in den 90er Jahren die Berliner Untergrundrapper im Royal Bunker trafen um sich dort gegenseitig verbal fertig zu machen, war es nicht ungewöhnlich, dass Kool Savas sich als Führer bezeichnete der alle anderen MCs vergasen möchte. Damals war er weitgehend unbekannt und wollte durch seine harten Texte in der Männerrunde auffallen. Genauso muss man sich es heutzutage auch unter den unzähligen Nachwuchsrapper vorstellen. Nur das sie sich diese heutzutage in ihrem Kinderzimmer treffen um Musik zu machen, was damals technisch einfach noch nicht möglich war.
Insofern kann man damit rechnen, das alles was unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen gerade so Mode ist, auch bald in deutschen Rapvideos thematisiert wird. Und wenn wir wissen, dass gerade unter männlichen Jugendlichen alles was nicht in das Bild eines harten Mannes passt, als Untermensch gesehen wird, dann sind die zukünftigen Feindbilder, die alten: emanzipierte Frauen, Behinderte, Schwule.
Juden offen anzugreifen galt eine zeitlang als Tabu, doch die unselige Schlussstrichdebatte macht es möglich, dass den Jugendlichen von heute das Schimpfwort Jude wieder leichter über die Lippen geht. Weshalb in der Zukunft das Problem wohl kaum von selbst geringer wird …
J.E.: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Peschke.
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* N-Wort = Neger
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