Eines Morgens liegt diese Geschichte im Email-Postfach, die daher kommt wie die "Sendung mit der Maus". Ein Herr im weißen Verkäufer-Kittel lächelt dich an und offeriert dir Milchdrinks und Joghurts. "Das hier, das ist der Herr Müller", sagt dir die Mail - der von der Firma Müller-Milch. Und obwohl der so nett lächelt, ist das ein ganz schlimmer Bursche, denn: der finanziert sogar die NPD, steht da, die "sein guter Freund" ist. An der Sache ist allerdings nichts dran. Ein Kettenbrief macht seine Runde, enthüllt aber vor allem erstaunliche Leichtgläubigkeit der Versender. Das Gerücht über Müller-Milch hat möglicherweise einen Ausgangspunkt, der zwölf Jahre zurückliegt...
redok, 25.04.2007
Etwa im Oktober 2005 tauchten die ersten Emails auf, die den Herrn Müller aus Aretsried, einem Ortsteil des bayerisch-schwäbischen Fischach im Landkreis Augsburg, aufs Korn nahmen. Über die Monate hinweg wucherten der Mitteilung Sätze hinzu, dann wurde sie mit Bildern ausgestattet und wieder in Umlauf gebracht.
Über Email-Verteiler, Weblogs, Diskussionsforen zog sie ihre Kreise. Und es war gar nicht mal die vermeintlich unkritische Leserschaft einer Boulevardzeitung mit vier Buchstaben, die sich eifrig diese Warnung zukommen ließ. In den redok-Mailpostfächern landete der Kettenbrief auch schon mal von Absendern wie etwa Anti-Rechts-Listen oder Lehrerverbänden. Der vorläufige Höhepunkt wurde Mitte April in Rüsselsheim erreicht, als die dortige Mitgliederversammlung der "Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit" (WASG) die Firma Müller-Milch als Finanzier der NPD bezeichnet und zum Boykott der Produkte aufgerufen hatte.
Heute trat Müller-Milch erneut die Flucht in die Öffentlichkeit an. Wie schon im Februar beteuerte das Unternehmen per Pressemitteilung, die Anschuldigung der NPD-Finanzierung durch Müller-Milch entbehre jeder Grundlage. "Ich lehne jede Form des politischen Radikalismus grundlegend ab", ließ sich der Inhaber des Milch-Imperiums Theo Müller zitieren.
Tatsächlich wurde die Email-Botschaft bereits im November 2005 beim Hoax-Info Service als Kettenbrief aufgeführt (Hoax = Falschmeldung, Ente). Das hielt jedoch besorgte, vor allem aber leichtgläubige Mitmenschen nicht ab, diesen Informations-Virus weiter zu verbreiten.
Die angebliche Finanzierung der NPD durch Müller-Milch kam erst später hinzu. Bereits im Sommer 2004 geisterten Gerüchte, Firmeninhaber Müller sei "rechtsradikal", er sei Mitglied im rassistischen Ku-Klux-Klan, er unterstütze die "Republikaner" oder auch schon mal die DVU. Selbst in das nicht unumstrittene Online-Lexikon Wikipedia schaffte es das NPD-Gerücht im Januar 2007 für einige Stunden; diese Eintragung wurde aber von aufmerksamen Benutzern schnell wieder entfernt.
Wer immer auch das NPD-Gerücht über Müller-Milch in die Welt gesetzt hat, hat aber wohl übersehen, dass die Milchfirma bei der extremen Rechten keineswegs wohl gelitten ist. So erschien die böse Geschichte über den Herrn Müller etwa auch bei der NPD selbst: Deren Landesverband Sachsen-Anhalt verbreitete unter der Überschrift "Abteilung Lach- und Sachgeschichten" zwar nichts über die angebliche Partei-Finanzierung, zeigte aber mit diesem kaum verhohlenen Gewaltaufruf, wes Geistes Kind die NPD-Kameraden sind:
Wenn ihr jetzt fragt, warum solche ekelhaften Schmarotzer wie der Herr Müller nicht einfach an den nächsten Baum gehängt werden, dann muss ich euch sagen, dass man so etwas einfach nicht tut.
(Webseite NPD Sachsen-Anhalt, Artikel vom 22.10.2005)
Des Pudels Kern?
Nicht selten haben Gerüchte einen wahren Kern, um den herum sie auswuchern und groteske Dimensionen annehmen. Tatsächlich war Theo Müller schon mal vor fast zwölf Jahren ins Gerede gekommen.
Ende der 1980er Jahre erregten die - heute fast vergessenen - "Republikaner" (REP) Aufsehen, die mit den abtrünnigen CSU-Bundestagsabgeordneten Franz Handlos und Ekkehard Voigt sowie dem Journalisten Franz Schönhuber (ehemals stellvertretender Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens und Hauptabteilungsleiter beim Bayerischen Rundfunk) einigermaßen prominente Führungsfiguren aufweisen konnten. Diese Partei wurde 1989 zum Vorwand für eine dubiose Medieninszenierung, die sich als Enthüllungsjournalismus ausgab.
Das längst verflossene Münchner Hochglanzmagazin Wiener erfand einen "Freundeskreises deutscher Republikaner" und verschickte mehr als 200 Bettelbriefe an "Wirtschaftskreise", wie es in einem Bericht des Spiegel über vermeintliche oder tatsächliche REP-Nähe der westdeutschen Wirtschaft hieß. Das Hamburger Nachrichtenmagazin schrieb über die Wiener-Aktion:
Die meisten Adressaten lehnten brüsk ab. "Sofort einen Termin", so der Wiener, bekamen die falschen Rep-Freunde bei Theo Müller, 49, Inhaber einer schwäbischen Großmolkerei ("Müllermilch"), der als Werbepartner der deutschen Fußball-Nationalelf und als Sponsor von Boris Becker bekanntgeworden ist.
Nach Darstellung von Wiener-Redakteur Michael Konitzer ließ der erfolgreiche Firmenchef im Gespräch mit ihm, dem angeblichen Rep-Werber, einen Haufen reaktionärer Sprüche ab - Beispiel: "Wer keine Leistung bringt, soll auch kein Geld kriegen." Müller hat die vom Wiener gedruckten Zitate inzwischen bestritten. Zum Thema Wahlspenden habe Müller, so Konitzer, zwei Bedingungen gestellt: Er wolle keine Nazis aushalten, und die Republikaner müßten zu Koalitionen bereit sein, "sonst gehen am Ende die CDU und die SPD zusammen".
Theo Müller hat den Wiener-Bericht "als "absoluten Quatsch" zurückgewiesen. Er habe, so Müller zum SPIEGEL, "nie die Absicht gehabt, denen etwas zu spenden", sondern sei "als CSU-Mitglied" nur neugierig gewesen, "was die wollen". Ein Bündnis mit den Reps würde er "nur befürworten, wenn die koalitionsfähig wären".
(Der Spiegel Nr.43/1989, 23.10.1989, S.75)
Einmal so aufgefallen, blieb Müller-Milch offenbar gerüchteküchen-mäßig in einer Buhmann-Ecke, zumal die Firma sich auch durch andere Fragen eine eingefleischte Gegnerschaft zuzog, etwa aus Umweltschutz-Kreisen.
Dummerweise schien Theo Müller die angeblichen REP-Werber aus dem Zeitgeist-Illustrierten-Bereich zumindest kurzzeitig ernstgenommen zu haben. Damit steht er nicht allein, denn erst im Dezember 2006 fielen einige Zeitgenossen auf eine ähnliche Aktion des - ebenfalls bereits verflossenen - Magazins Tempo herein, das eine "Deutsche Nationalakademie" mit stark bräunlichem Einschlag erfand und 100 Prominenten eine Ehrendoktorwürde antrug.
Der Lächerlichkeit setzte sich unter anderem ein früherer Kulturstaatsminister aus, der das Anschreiben ernst nahm. Nicht aufs Glatteis führen ließ sich dagegen die DVU-Fraktionsvorsitzende im brandenburgischen Landtag, Liane Hasselbarth, die den Tempo-Machern mit der Begründung absagte, sie könne die Ehrendoktorwürde der Akademie nicht annehmen, weil in deren Grundsätzen nationalsozialistisches Gedankengut verankert sei.
Die wohl beste und pfiffigste Antwort kam jedoch von einem professionellen Witzbold, dem Entertainer Jürgen von der Lippe: "Liebe Titanic, oder welcher Scherzkeks auch immer dahinter steckt, schöner Versuch, hat aber nicht geklappt". Mit NPD-Finanzierungs-Gerüchten wird er wohl keine Probleme bekommen.
© redok
Dank an hagalil für die Aufklärung in dieser Sache.
MfG, Volker Scheunert