Die Instrumentalisierung der Shoah und damit der Millionen Toten ist auch dann widerwärtig, wenn sie von proisraelischen Lobbyisten kommt. Manche Formen der "Israel-Solidarität" schaden mit ihrer extrem einseitigen Sicht auf den Nahostkonflikt langfristig auch Israel selbst...
Von Thomas Schmidinger
Am 5. November 2008 veröffentlichte Stephan Grigat von der Kampagne "Stop the bomb" und der antideutschen Gruppe Cafe Critique in der Wiener Zeitung einen Gastkommentar, in dem er dem Gedenken an die Shoah und an den Novemberpogrom vorwirft, nicht die OMV-Geschäfte mit dem Iran zu thematisieren. Zwei Tage später erschien der Beitrag auch in der deutschen Zeitung "Der Tagesspiegel". [Anm.d.R.:
Der Artikel erschien auch bei haGalil.] Darin verknüpft der Autor das Gedenken an den Novemberpogrom und die antisemitische Vernichtungspolitik der Nazis mit der aktuellen Iran-Politik. Die "Warnungen vor einer 'Instrumentalisierung der Shoah'" wären laut Stephan Grigat "zu Floskeln geworden, welche die Verharmlosung aktueller Gefahren befördern". Letztlich dient der Kommentar dazu, antifaschistische Gruppierungen auf die eigene, von Grigat und anderen Rechtszionisten vertretene harte Linie gegenüber dem Iran einzuschwören.
Selbstverständlich ist es völlig legitim, die österreichische Iran-Politik für zu konziliant zu halten oder - wie es Grigat und seine Kampagne formulieren würden - als "Appeasement" zu kritisieren. Meinetwegen sollen sich Grigat und sein Grüppchen "Antideutscher" auch auf ihren Iran-Konferenzen mit dem israelischen Historiker Benny Morris darüber unterhalten, ob der Iran nun mit Nuklearwaffen angegriffen werden soll oder nicht. Zum Glück verfügen ohnehin weder Morris noch Grigat über solche.
Die Vermischung des Gedenkens an die Opfer der von Deutschland und Österreich ausgegangenen industriellen Massenvernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden mit der Kriegstreiberei rechter israelischer und (mittlerweile zum Glück abgewählter) US-amerikanischer Politiker, kommt jedoch einer Schändung der Toten gleich und hat nichts mit einem kritischen und bewussten Umgang mit der Vergangenheit und ihrem Fortwirken in die Gegenwart zu tun. Seit Jahren interessieren sich Grigat und seine politischen Weggefährten nicht mehr für den Antisemitismus oder den Rassismus in Österreich. Stattdessen verbindet seine politische Gruppierung 2006 den Aufruf zu einer Gedenkkundgebung an den Novemberpogrom mit der Begeisterung für den israelischen Sommerkrieg gegen den Libanon. Und 2008 hat man auf der Kundgebung dieses politischen Umfelds gleich auch noch gegen den Auftritt Khatamis auf der Universität und den OMV-Deal mitzudemonstrieren. Wer in diesen Fragen andere Positionen vertritt – und im Falle des Sommerkriegs 2006 waren das auch ziemlich viele Israelis – gehört für Grigat zu jenen, deren Gedenken sich "auf die Erinnerung an die toten Juden beschränkt, während man den lebenden im jüdischen Staat die Solidarität verweigert."
Grigats Lobbyismus in Ehren, aber spätestens hier ist nicht nur eine Grenze des guten Geschmacks überschritten. Hier werden die Ermordeten instrumentalisiert - für die politischen Ziele einer Gruppe neokonservativ gewendeter Exlinker. Niemand kann im Namen der Toten sprechen und im Namen der Überlebenden nur diese selbst. Wenn Enkel der Tätergesellschaft glauben, heute den Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Libanon oder im Iran nachholen zu müssen, dann mag dies für die Psychoanalyse ein durchaus interessantes Phänomen sein, das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus damit in Geiselhaft zu nehmen, ist angesichts eines deutschnationalen Burschenschafters als drittem Nationalratspräsidenten und der Zunahme offen neonazistischer Übergriffe in Österreich, unverantwortlicher denn je.
Kein Wunder, dass mittlerweile in der jüdischen Gemeinde zu Berlin darüber diskutiert wird, wie "suspekte Allianzen" zu verhindern sind. Für den 24. November 2008 wurde dort zu einer Diskussionsveranstaltung geladen, deren Einladungstext lautet: "Wenn Israel von wiedergeborenen Christen unterstützt wird, bzw. die Ein-Staat-Lösung gefordert wird, oder aber im Mikrokosmos Berlin die PBC (Partei Bibeltreuer Christen), die Antideutschen oder die Bahamas auf Pro-Israel Demonstrationen mitlaufen, wird es auf die jüdischen Gemeinden, die Juden per se und Israel reflektiert. Diesen Organisationen sollte schleunigst Einhalt geboten werden!" Es ist abzuwarten, ob diese Diskussion auch in Wien ankommen wird.
Thomas Schmidinger ist Lektor am Institut für Politikwissenschaft, Vorstandsmitglied der im Nahen Osten tätigen Hilfsorganisation LeEZA und Mitherausgeber des Buches "Zwischen Gottesstaat und Demokratie. Handbuch des politischen Islam"(Deuticke 2008).
Erinnerungsrituale:
Iran und der 9./10. November 1938
Der toten Juden wird gedacht, die lebenden lässt man im Stich. Wäre dem nicht so, müsste sich die deutsche Politik endlich zu einer harten Sanktionspolitik gegen das iranische Regime entschließen...