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Die "letzten Gefangenen des Zweiten Weltkriegs" warten auf die Freiheit

Erhitzte und bisweilen giftige Diskussionen hat die Rückgabe prominenter Gemälde wie Klimts "Goldender Adele" oder Kirchners "Strassenszene" an die Erben der früheren jüdischen Besitzer in den vergangenen Jahren ausgelöst. Mit der historisch-dokumentarischen Ausstellung "Raub und Restitution. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute" versucht jetzt das Jüdische Museum in Berlin die Debatte zu versachlichen. Für Direktor Michael Blumenthal ist es eine der wichtigsten Ausstellung seines Hauses überhaupt, gilt es doch dem antisemitischen Klischee des "geldgierigen Juden" entgegenzutreten, das in der Restitutionsdebatte wiederaufzuleben droht...

Von Christian Saehrendt

Der in den letzten Jahren auf internationaler Ebene angestoßene Prozess der Restitution ist äußerst komplex. Kulturgut, das jüdischen Eigentümern im "Dritten Reich" oder während des Krieges im Wehrmachtsbesetzten Europa geraubt oder zu unfairen Konditionen abgepresst wurde, soll an deren heutige Erben zurückgegeben werden. So lautet die Empfehlung der deutschen Bundesregierung, die sich 1998 in Washington gemeinsam mit anderen Staaten auf eine entsprechenden Erklärung einigte. In der Praxis gibt es jedoch zahlreiche divergierende Interessen finanzieller und politischer Art, es gibt wohlmeinende moralisch-historische Argumentationen und viele juristische Fallstricke. Die Gesamtlage ist von Nichtfachleuten unmöglich zu überblicken. In Erinnerung bleiben meist nur spektakuläre Fälle, in denen berühmte Werke für Riesensummen den Besitzer wechselten.

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Amerikanische GI's transportieren unter der Aufsicht des MFA&A Offiziers James Rorimer Gemälde aus dem Raubkunstdepot des Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg in Schloss Neuschwanstein, Mai 1945, © National Archives, Washington

Ein überschäumender Kunstmarkt nutzt die Restitutionsverpflichtung aus

In manchen Bereichen ist der Kunstmarkt wie leergefegt, obwohl Interessenten hohe Preise zu zahlen bereit sind. Die Spitzenwerke begehrter Künstler der klassischen Moderne hängen in den Museen und sind unverkäuflich. Auktionshäuser und Sammler haben seit einigen Jahren den Restitutionsprozess als neues Instrument entdeckt, Spitzenwerke doch noch aus öffentlichem Museumsbesitz herausbrechen und dem Markt zuführen zu können. Christie's setzte bereits mehrere Hundert Mio. $ mit restituierten Kunstwerken um. Wie Sotheby's unterhält Christie's Rechercheabteilungen für restituierbare Werke. Anwälte, die in der Regel Erfolgshonorare von 50 % des Streitwertes erhalten, machen die Erben beschlagnahmter Kunstwerke ausfindig, und weisen sie auf ihre Ansprüche hin, um von ihnen ein Rückforderungsmandat zu bekommen. Die Erben müssen die zurückerhaltenen Werke verkaufen, allein schon um die Anwaltshonorare bezahlen zu können, und die Auktion shäuser bieten ihnen als zusätzliche Verlockung hohe Garantiesummen, wenn sie die Werke rasch einliefern. Dieser Prozess hat eine fatale Eigendynamik angenommen und wird auch künftg die Restitutionsdebatte prägen.

Es ist die unangenehme Verbindung zwischen dem Geschäftsgebaren eines überschäumenden Kunstmarktes und einer historisch gebotenen Restitution, die bei vielen Beobachtern zurecht einen schalen Nachgeschmack hinterläßt. Das amerikanische Fachblatt "The Art Newspaper" schrieb von einer regelrechten "Jagd nach Nazi-Beutekunst", an der viele Mitspieler verdienen. Hunderte von Kunstwerken aus Museumsbesitz befinden sich inzwischen im Visier spezialisierter Rechercheure und Anwaltskanzleien, manchen öffentlichen Sammlungen, überwiegend in Deutschland und Österreich, drohen erhebliche Verluste, denen sie nur entgegenwirken können, indem sie ihrerseits intensiv Provenienzforschung betreiben. Einerseits ist das teuer und aufwendig, anderseits schafft es Arbeitsplätze für Kunsthistoriker und klare Verhältnisse in den Sammlungen. Nur ein Wettrüsten der Provenienzforschung schafft die Grundlage für eine sachliche Einzelfallprüfung und eine eben bürtige Verhandlungsposition der öffentlichen Museen.

"Eine Ausstellung nicht für jedermann"

Die Ausstellung "Raub und Restitution" hat sich die Versachlichung der Debatte auf die Fahnen geschrieben. Ohne die intensivierte Provenienzforschung der letzten 15 Jahre, ohne die Arbeit der historischen Fachkommissionen in der Schweiz und in Österreich wäre sie nicht möglich gewesen. Es ist eine komplexe, textlastige Schau, die sich um 15 Fallbeispiele jüdischer Privatsammlungen gruppiert: Gemälde, Bücher oder Judaica aus Kollektionen wie denen Ismar Littmanns (Breslau) oder Jacques Goudstikkers (Amsterdam), deren Weg in den Wirren zwischen 1933 und 1945 nachgezeichnet wird. "Eine Ausstellung nicht für jedermann", gibt Museumsdirektor Blumenthal zu.

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Otto Mueller, Knabe vor zwei stehenden und einem sitzenden Mädchen, 1918/19. Das Gemälde stammte aus dem Besitz des Breslauer Kunstsammlers Ismar Littmann. 1937 wurde es als Teil der Ausstellung »Entartete Kunst« in München gezeigt, © Kunsthalle Emden - Stiftung Henri und Eske Nannen und Schenkung Otto van de Loo

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Blick in die Ausstellung »Entartete Kunst«, München 1937. Links das Bild von Otto Mueller, Knabe vor zwei stehenden und einem sitzenden Mädchen, 1918/19, das auch in der Ausstellung »Raub und Restitution« im Jüdischen Museum Berlin zu sehen ist. Die (falsche) Provenienzangabe in der NS-Ausstellung lautete »Nationalgalerie Berlin«, © Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz

Zwei Zeitschienen laufen an den Wänden entlang, eine gilt den damaligen NS-Tätern zwischen 1933 und 45, die andere dem Bemühen um Aufklärung und Rückgabe durch die Alliierten und Jüdischen Interessenvertreter seit 1945. Diese Gestaltung ist für den Museumsbesucher recht anspruchsvoll , sie erfordert volle Konzentration. Die Irrwege einzelner Objekte und Sammlungen werden mit Hilfe von stilisierten Transportkisten erzählt, die die Anmutung des Provisorischen und Fragilen erzeugen sollen. Auf die Holzkisten sind Texte und Dokumente appliziert. Einzelne Gemälde, etwa von Lovis Corinth oder Otto Mueller, werden in großen, geöffneten Bilderkisten präsentiert, als wären sie gerade ausgepackt worden. Das Intro der Schau bilden kurze Videos von Kontrahenten der Debatte um Kirchners Berliner Straßenszene, die allerdings nur von Kennern der Materie richtig eingeordnet werden können - am unkundigen Museumspublikum gehen diese Statements vorbei. Einen gelungenen Abspann bietet ein interaktives Rollenspiel, bei dem man zwischen den Identitäten von Sammler, Museumsdirektor und Erbe wählen kann und mit fiktiven Restitutionsfällen konfrontiert wird. Die Vielzahl von Motivationen, Interessen und die oftmals unkalkulierbaren Ergebnisse in dieser Auseinandersetzung um die Rückgabe jüdischen Kulturgutes können so auf spielerische Weise nachvollzogen werden.

Das Rollenspiel, das auch auf der Internetseite des Jüdischen Museums zugänglich ist, bietet nach all den bedrückenden historischen Fakten dem Besucher einen Ausweg in die Gegenwart und regt dennoch zum Denken an. Ob die Ausstellung ihr erklärtes Ziel erreicht, den "antisemitischen Untertönen in der Restitutionsdebatte" entgegenzutreten? Es ist ihr zu wünschen. Wahrscheinlich wird sie jedoch ein ohnehin schon sensibilisiertes Publikum finden, weniger den gehetzten Berlintourist, der von Attraktion zu Attraktion eilt. Summa summarum liefert die Schau einen soliden Beitrag zur Restitutionsdebatte, die zweifellos weitergehen wird, mit all ihren komplexen Frontstellungen und schwelenden Konflikten: Museen gegen Sammler, Kunsthändler gegen Auktionshäuser, Juden gegen Nichtjuden, Weltkriegsgewinner gegen Weltkriegsverlierer.

Der amerikansche Sammler Ronald Lauder, Sieger in der "Schlacht" um Kirchners restituierte Berliner Straßenszene, die er 2006 für sein exquisites Privatmuseum "Neue Galerie" in New York in einer denkwürdigen Auktion ersteigerte, sprach einmal pathetisch von den geraubten Kunstwerken aus ehemaligem jüdische Besitz als den "letzten Gefangenen des Zweiten Weltkriegs". Schade, dass er die mit seinem Geld aus Berlin "befreite" Straßenszene dem Jüdischen Museum nicht zur Verfügung stellen mochte - es hätte den Effekt der Ausstellung erheblich verstärkt.

Jüdisches Museum Berlin bis 25. 1. 2009
Jüdisches Museum Frankfurt 22. 4. bis 2. 8. 2009


Im Göttinger Wallsteinverlag ist ein Katalog zur Ausstellung erschienen:

Inga Bertz und Michael Dorrmann (Hg.):
Raub und Restitution: Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute
Wallsteinverlag 2008, 328 S. mit 135 überwiegend farbigen Abbildungen
ISBN 978-3-8353-0361-4, Euro 24,90, Bestellen?

Christian Saehrendt ist Lehrbeauftragter am Institut für Geschichte der Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrstuhl Prof. Dr. Winkler, mit dem Schwerpunkt: Kunstgeschichte im sozialen und politischen Kontext. Seit 2000 arbeitet er in Kooperation mit Universitäten und Forschungseinrichtungen an Forschungsprojekten über politische Denkmäler, internationale Kulturbeziehungen und die Künstlergruppe 'Brücke'. Aktuelles Forschungsprojekt: Kunstausstellungen als Mittel auswärtiger Kulturpolitik in der DDR und der Bundesrepublik. Von ihm erschienen: Christian Saehrendt, Steen T. Kittl: Das kann ich auch! Die Gebrauchsanweisung für moderne Kunst, DuMont Verlag 2007, 220 Seiten mit 50 Abb., Euro 14,95; Christian Saehrendt , Steen T. Kittl: Das sagt mir was! Sprachführer Deutsch-Kunst, Dumontverlag 2008, 248 Seiten, Euro 14,90.

Category: Allgemein
Posted 10/06/08 by: admin

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