-- Schwerpunkt: Von Ost nach Nahost
Judentum und Israel
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Ausgraben in Israel

Ich war Magister geworden und wollte ich jemanden davon überzeugen, dass ich auch ein guter Magister war, musste ich mir eine Arbeit suchen. Das trieb mich zu neuen Verzweiflungsausbrüchen. Schließlich waren Altes Testament und Archäologie hierzulande zwar äußerst populär, aber kaum einer wollte dafür Geld ausgeben. Ich sah mich schon ein Berufsleben als Sekretärin mit hebräischer Lese- und Schreibschwäche fristen, oder im Supermarkt etwas Schwung in die müde Abkassierung bringen, doch blieb mir dieses Schicksal in letzter Minute erspart...

In der Tel Aviver Uni hing eine Anzeige aus, in der man für archäologische Ausgrabungen Schnittleiter und Direktoren suchte. Und was konnte ich besser, als ahnungslose Arbeiter so richtig durch den Dreck zu scheuchen! Man war angetan von meinen Referenzen und schickte mich umstandslos als Assistentin auf eine kleine, bronzezeitliche Grabung in der Nähe von Gadera.

Ich war begeistert. Mitten im Nirgendwo eines Ackers hatte man ein Gewächshaus aufgeschlagen, dass meine Chefin, mich und unsere Arbeiter vor dem Regen schützen sollte. In der Ferne sah man ein kleines Dorf, noch weiter weg erhoben sich die Bergketten von Judäa und jeden Morgen erwartete uns ein rotoranges Sonnenaufgangsspektakel, dass uns für das Aufstehen zu stockfinsterer Zeit entschädigte.

Die Funde dagegen waren weniger spektakulär. Ein bronzezeitlicher Friedhof hatte in der Erde seine Spuren hinterlassen und so fanden wir Keramik als Jenseitsbeigaben, ein paar Bronzenadeln und die Überreste derer, denen das alles einstmals zugedacht war. Für uns jedoch war jeder Topf ein Fest und während der Regen unser Zelt umspühlte wie das Flutwasser die Arche Noah, hockte ich selig und selbstvergessen vor Vorratskrügen und bekratzte sie von allen Seiten.

Leider erfreute die Nachricht von unserem Friedhof nicht alle gleichermaßen. Mit der Kunde von menschlichen Gebeinen tauchten von einem Tag auf den anderen die Mitarbeiter der Religionsbehörde bei uns auf. Der Grund dafür war einfach. Zwar hatten in der mittleren Bronzezeit die Urjuden das Land schon von Ost nach West durchwandert gehabt, doch die Rückwanderung von West nach Ost, in deren Verlauf schließlich aus Rohhebräern waschechte Israeliten wurden, hatte noch nicht stattgefunden. Das allerdings interessierte die Schwarzberockten, die angespannt unsere Erdlöcher beäugten, weniger. Es konnte ja schließlich sein, dass sich ein israelitischer Knecht, schon vor der Zeit, aus Ägypten wieder hierher auf den Weg gemacht hatte. Deshalb waren alle Gebeine heilig und unantastbar, egal wie sauer ihnen das nutzlose Herumliegen in der Erde wurde.

Wenn wir also auf Menschenknochen stießen, häufelten wir fürsorglich wieder Erde darauf, setzten den Spaten an anderer Stelle an und hofften auf andere als beinerne Tatsachen. Die Hartnäckigkeit, mit der die Orthodoxen unsere Grabung tagtäglich heimsuchten erstaunte mich. Weder Regen noch Sturm hielten sie davon ab, umermüdlich ihre Runden um unser Zelt zu ziehen. Jedes bleiche Schimmern im Boden ließ sie entsetzt zusammenzucken und hysterisch argwöhnen, dass das jetzt menschliche Knochen seien. Manchmal wurde es zu viel der Fehlinterpretationen und in solchen Momenten wünschte ich mir bitterlich, wir würden ein Schwein mit allen Drum und Dran freilegen. Dann hätten wir endlich Ruhe und könnten unsere wissenschaftliche Arbeit unbehelligt von Fehlauslegungen der biblischen Geschichte fortsetzen.
Meine zweite Grabung führte mich nach Kiriyat Shemona und wenn mich noch in Gadera die Orthodoxen in den Wahnsinn getrieben hatten, waren es hier meine Arbeiter.

Dabei fing alles so harmlos an. Die Grabung war um ein vielfaches größer als unsere Rettungsgrabung im Brachland und ich war von der grabenden Assistentin zur Schnittleiterin aufgestiegen. Damit unterstanden mir acht Schnitte und ungefähr 20 Arbeiter, die sich ganz außerordentlich freuten, mich zu sehen. Zwar verstand ich anfangs nicht so richtig warum, aber nachdem ich meinen Vorgänger kennengelernt hatte, wusste ich wieso. Die ersten beiden Wochen der Grabungssaison hatte an meiner Stelle ein estländischer Hüne den Arbeitern das Leben schwer gemacht und sie zu immer neuen Höchstleistungen angetrieben. Jetzt kam ich, war klein, blond und fraulich und sah so garnicht nach Strafkompanie aus. Das wirkte auf die Arbeiter beruhigend und so priesen sie meine Ankunft wie die Mutter Theresas.

Die meisten von ihnen waren Araber aus Nazereth, aber es gab auch Juden, die über ein Programm - ähnlich der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme - , dazu verpflichtet worden waren, mindestens acht Monate zu arbeiten, bevor sie wieder zu hause sitzen und vom Arbeitslosengeld leben durften. Leider hatte keiner die jüdischen Israelis gefragt, ob sie auch ausgraben wollen und so häufte sich bei uns ein buntes Sammelsurium aus russischen Neueinwanderern, marokkanischen Alteingesessenen und vorzeitigen Schulabgängern, die man tunlichst getrennt voneinander arbeiten ließ, um Nationalitätenkonflikte zu vermeiden. Die meisten von ihnen arbeiteten auch so schon effektiv energiereduziert und leidenschaftliche Meinungsverschiedenheiten über russische Dauertrunkenheit und marokkanische Daueragressionen hätten den ohnehin spärlichen Kraftstrom völlig versiegen lassen.

Es war einfach ein Albtraum. Sobald man dem Arbeitstreiben den Rücken kehrte, ließen sie sich die emsigen Hacker und Schaufler trübe am Grabungsrand nieder, fingen an, Fingernägel zu polieren, Walkman zu hören oder einhändig mit der Hacke Löcher in die Grabungsfläche zu bohren. Eine der vorrangigen Aufgabe des Schnittleiters bestand also darin, überall dort zu sein, wo gerade am wenigsten gearbeitet wurde und ermatteten Schauflern wieder aufzuhelfen. Dafür hätte man Augen überall und insbesondere auf dem Rücken gebraucht und anstatt sich mit der ordentlichen Dokumentation der Grabungsergebnisse zu befassen, verlor man in regelmäßigen Abständen die Nerven.

Die Araber waren im Vergleich zu den Juden subtiler. Auch ihnen war nicht unbedingt nach Arbeit zumute, doch sie schafften es immer, irgendwie beschäftigt auszusehen. Wenn einer von ihnen am Grabungsrand hockte – was nicht zu selten vorkam – war er vollauf davon in Anspruch genommen, Tee oder Kaffee für die anderen zu kochen. Kam ich in bedrohliche Nähe, wurde mir flugs auch eine Tasse von diesem und jenem Zeugs aufgeschwatzt. Kaffee und Tee waren gut für die Seele, förderten somit die Arbeitsmoral und schmeckten außerdem ausgezeichnet. Bei soviel Tradition konnte man nicht nein sagen und so fühlte ich mich hin und wieder gegen Abend rechtschaffend zugedröhnt.

Die anderen im Schnitt Geblieben achteten währendessen tunlichst darauf, sich ständig in einem Bewegungsmomentum zu befinden und erzeugten so eine Atmosphäre beständiger Betriebsamkeit. Am Ende des Tages allerdings musste ich feststellen, dass es anstelle eines stattlichen halben Meters nur dünne zehn Zentimeter in die Tiefe ging und das auf einer Fläche von vier mal vier Metern. Sie hatten mir also den ganzen Tag mit gutaussehenden aber fruchtlosen Muskelspielereien imponiert und ich war darauf reingefallen.

Zog ich daraufhin ihre Stärke in Zweifel, waren sie zutiefst beleidigt. Und da hatten sie völlig recht. Schließlich lag es nicht am mangelnden Bizeps. Doch den verschwendeten sie lieber auf die allabendliche Schwarzarbeit. Das gab gutes Geld und machte mehr Spaß als verrotteten Überresten meschlichen Daseins aus der Erde zu helfen.

Sie glaubten so sehr an ihre ehrliche Schaffenkraft, dass sie die Arbeitsleistung augenblicklich drastisch drosselten, sobald ich sie rügte und mir zeigten, wie sehr sich doch der unerbauliche Anblick produktiven Stilstandes von ihrem vormals regen Treiben im Schnitt unterschied. Jetzt war es an mir zu bedauern, dass ich die empfindliche, arabische Seele so tief gekränkt hatte und ehe ich mich versah, fand ich mich in der absurden Position wieder, meine stolzen Orientalen darum bitten zu müssen, nur weiter so schön nichts zu tun wie bisher.

Doch abgesehen vom stockenden Arbeitsprozess, konnte man die arabisch - jüdische Zusammenarbeit durchaus geniessen, besonders auf kulinarischer Ebene. Die Nazarener packten in der Frühstückspause das ganze Kücheninventar aus - was mich dazu veranlasste, mir zu überlegen, was sie wohl ihren Frauen an Kochutensilien daheim gelassen hatten und womit die Guten jetzt kochten - und fingen an Schnitzel aufzuwärmen und Eier zu braten. Dazu gab es selbstgemachten Käse und Honigwaben aus dem eigenen Bienenstock. Sie hätten wahrscheinlich auch ganze Ziegen angeschleppt, wenn die Zubereitung nicht so lange gedauert hätte und entschuldigten sich wortreich für die Speisenarmut.

Egal wie heftig man sich vorher noch mit ihnen in den Haaren gelegen hatte, zum Frühstück wurde man eingeladen und durfte erst dann wieder aufstehen, wenn sicher war, dass man von allen und allem etwas abbekommen hatte.

Derart bestochen unternahm ich jeden Tag aufs Neue die Gradwanderung zwischen enttäuschten Produktivitätserwartungen und kulinarischen Freuden, bis die Grabung zu Ende war und wir zum Erstaunen aller und gegen besseren Wissens auf dem gewachsenen Boden angekommen waren und es definitiv nichts mehr auszugraben gab, was von den Anfängen menschlicher Besiedlung zeugte.

Um einige Erfahrungen reicher, kehrte ich nach hause zurück und war mir sicher, dass mir weder jüdische Offensivfaulheit noch arabischer Schummelfleiß je wieder etwas anhaben konnten.

Category: General
Posted 09/30/07 by: admin

Comments

wrote:
lol

danke, lisa yehuda!
10/19/07 20:17:45

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