Die Geschichte der Nachwuchs-Schriftstellerin aus Sankt Petersburg klingt wie eine vom Tellerwäscher zum Millionär: Das Kapital der Tochter aus einer russisch-jüdischen Familie sind jedoch Worte. Deutsche Worte...
Interview: Kathrin Ludwig, Welt online, 7. April 2007
Lena Gorelik, 26, wurde 1981 in Sankt Petersburg geboren. 1992 ist sie wegen wachsendem Antisemitismus und einer ungewissen Zukunft mit der russisch-jüdischen Familie nach Deutschland übergesiedelt. Vom schweren Start im Asylantenwohnheim bis auf die renommierte Deutsche Journalistenschule in München: Ein steiniger Weg, den Lena Gorelik zielstrebig meistert. ("Meine ganze Familie besteht aus Mathematikern. Jedes Problem wird geduldig wie eine Rechenaufgabe bis zu Ende gelöst.") Ihr schriftstellerisches Talent wird während eines Schreibseminars an der Ludwig-Maximilians-Universität München entdeckt. In Goreliks Romanen geht es um die dreigeteilte jüdisch-russisch-deutsche Identität. Nach dem von der Kritik gelobten Debütroman "
Meine weißen Nächte", folgt jetzt "
Hochzeit in Jerusalem" (beides erschienen im SchirmerGraf Verlag). Mal hinreißend komisch, mal herzzerreißend traurig. Immer unterhaltsam.
WELT ONLINE: Sie haben mit elf Jahren Russland verlassen. Ihre schönste Kindheitserinnerung?
Lena Gorelik: Die Datscha! Ich bin in St. Petersburg aufgewachsen. Einer Großstadt, in der man nicht Fahrradfahren konnte. Der Sommer bedeutete Freiheit. Drei Monate lang dauern die Ferien in Russland. Wir Kinder konnten unsere ganzen Phantasien ausleben. Wir haben Theaterstücke und Opern aufgeführt, zu Kunstausstellungen eingeladen und einen Laden eröffnet. Wenn ich irgendwann mal Kinder habe, dann wünsche ich Ihnen die Unbeschwertheit dieser Sommer.
Was war ihr erster Eindruck von Deutschland?
Wir sind mit dem Zug aus Russland gekommen. Als wir an Frankfurt an der Oder vorbeifuhren und ich aus dem Fenster schaute, kam mir alles unglaublich bunt vor! In Berlin hatten wir einen Zwischenstopp. Das erste, was ich wahrnahm, war der Geruch von mit Käse überbackenen Laugenstangen. Ich hatte so was vorher noch nie gerochen. Für mich ist das bis heute der Geruch von Berlin.
Als Sie in Ludwigsburg ankamen, haben Sie kein Wort Deutsch gesprochen?
Ja. Ich sollte in eine Förderklasse. Da waren aber nur andere Ausländer. Du lernst da Dinge, wie 'Was geht?'. Meine Mutter hat die Rektorin angefleht, damit ich in eine normale Klassen gehen konnte. Sie hatte Erfolg. Ich kam in die vierte Klasse und habe kein Wort verstanden. Ich wusste noch nicht mal, welches Fach wir gerade hatten. Deutsch und Sachkundeunterricht konnte ich nicht voneinander unterscheiden.
Dann ging es aber sehr rasant!
Ja, dann kamen die Sommerferien. Ich habe angefangen, mir in der Stadtbibliothek Bücher auszuleihen. "Pippi Langstrumpf", "Karlsson vom Dach", all diese internationalen Bestseller. Ich wusste, worum es geht und so habe ich Deutsch gelernt. Ich wollte unbedingt Freunde haben, weil mir alleine tierisch langweilig war. Deshalb habe ich alles aufgesogen. Zum Beispiel das Wort "meinetwegen". Ich habe eine Klassenkameradin irgendwann mal gefragt: "Kann ich mir das ausleihen?" und sie sagte: "meinetwegen". Ich fand das Wort wunderschön und habe mir vorgenommen, es jeden Tag drei Mal zu benutzen.
Die Kindheitserinnerungen sind wichtiger Bestandteil Ihrer Romane. Eine zentrale Figur ist die jüdisch-russische Mamme. Was unterscheidet sie von anderen Müttern?
Die Tatsache, dass sie sehr präsent ist. Egal auf welchem Kontinent sie sich gerade befindet! Als ich vor kurzem für ein paar Monate in Israel lebte, habe ich nicht besonders gemerkt, dass meine Mutter in Deutschland ist. Es ist natürlich schön diesen Familienzusammenhalt zu haben. Nur wenn er sich in ständigen Anrufen äußert, kann er nervig sein. Da ist diese ständige Sorge. Das Verständnis fürs Auseinandergehen mit dem Erwachsenwerden der Kinder ist einfach nicht vorhanden.
Sie schreiben sehr humorvoll. Was macht den jüdischen Humor aus?
Jüdische Humor bedeutet, ganz stark über sich selbst lachen zu können. Denn in jüdischen Witzen geht es ja zum Beispiel nicht um Christen, sondern um Juden. Es ist auch immer ein Stück Melancholie dabei. Das ist genau der Humor, den ich aus meiner Familie kenne. Mein Vater macht die ganze Zeit Witze. Nonstop! Das hat mir immer sehr geholfen. Egal wie schlimm die Zeiten waren, man lacht einfach darüber.
Haben Sie einen Lieblingswitz?
Ja! Für mich hat er etwas typisch Jüdisches und ich finde ihn herrlich: Es landet ein jüdischer Robinson Crusoe auf einer einsamen Insel. Er lebt dort für ein paar Jahre. Irgendwann kommt ein Schiff vorbei und er zeigt seinen Rettern die Insel. Er sagt: "Hier ist eine Synagoge und hier ist noch eine andere." Die Retter gucken sich verwirrt an und fragen: "Wozu brauchst Du denn zwei Synagogen?" Robinson Crusoe antwortet: "Das ist die, in die ich immer gehe. Und in die da, in die gehe ich auf gar keinen Fall!"
Was bedeutet Jüdischsein für Sie?
In Deutschland ist es etwas, womit ich mich auseinander setzen muss, aber nicht, weil ich es will, sondern weil ich dazu gebracht werde. Für mich persönlich ist Jüdischsein ein Gefühl. Dazu gehört diese bestimmte Art von Humor und der Lebenswahrnehmung. Ich freue mich, wenn ich jüdische Musik höre oder jüdische Literatur lese. Es ist für mich weniger etwas Religiöses. Und natürlich der jüdische Familienzusammenhalt! In Israel habe ich irgendwelche Cousinen 120. Grades besucht und sie haben mich aufgenommen, als wäre ich die lange verlorene Schwester. Es sind diese Kleinigkeiten.
In ihrem neusten Roman "Hochzeit in Jerusalem" geht es unter anderem um eine besorgte jüdisch-russische Mutter, die ihren Sohn verkuppeln möchte. Auch ein Thema in Ihrer Familie?
Na ja. Heiraten ist kein Thema, aber Enkelkinder! Meine Mutter wünscht sich nichts sehnlicher. Sie hat Angst, dass ich zu sehr mit den Büchern beschäftigt bin und zu alt werde fürs Kinderkriegen. Sie macht mich dann auch immer gerne auf prominente Fälle aufmerksam. Wie zum Beispiel Sandra Maischberger. Die sähe doch jetzt viel glücklicher aus, nachdem sie ihr Kind gekriegt hat.