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Türkisch-Deutsche Freundschaft und Israel

Onur Demirbas hatte in Istanbul neun Stunden Zwischenaufenthalt auf dem Weg von Frankfurt nach Dubai. Der Anschlussflug von Tel Aviv nach Berlin bescherte uns zehn Stunden Wartezeit. Onur, türkischer Geschäftsmann aus der 13.000 Seelen-Stadt Sulingen auf dem flachen Land zwischen Bremen und Hannover, erkannte uns aus dem Fernsehen...

Von Ulrich W. Sahm, z.Z. Sulingen, 27. November 2006

Zwischen Döner-Kebab und frisch gepresstem Orangensaft entwickelte sich ein intensives Gespräch. Ist die Eingliederung von jüdischen Einwanderern in Israel mit der Integration von Türken in die deutsche Gesellschaft vergleichbar? Der Umgang mit dem Holocaust an den Juden und dem Armeniergenozid in den drei Ländern waren ebenso Thema wie die engen - aber kaum bekannten - Beziehungen zwischen Israel, Türkei und Deutschland.

Mit den Schuhen in der Hand, nicht wegen eines Gebets in der Moschee, sondern wegen der scharfen Sicherheitskontrollen auf dem Flughafen von Istanbul, flog Onur von dannen. Eine Fortsetzung der Zufallsbegegnung war beschlossene Sache.

Am 11. November lud der "Deutsch-türkische Freundschaftskreis Sulingen" zu einem "Diskussionsabend mit Ulrich Sahm" ein. Der Bürgermeister war erschienen und mit ihm Türkinnen mit Kopftuch, der Imam, der drei Jahre lang den Koran auswendig gelernt hat und noch kein Deutsch verstand, Araber und Deutsche. Ein junger Afghane, "Reporter der Sulinger Schülerzeitung", bat um Profitipps.

Vor dem Vortrag war gab es im türkischen Klub ein Vorgespräch bei Cay aus den typischen Teegläsern. Zwei Gastarbeitergeneration erzählten von ihren Erfahrungen. Einer der Türken schwieg. "Ich bin vor dreißig Jahren für nur zwei Jahre Arbeit nach Deutschland gekommen. Für mich gab es keinen Grund, Deutsch zu lernen, denn ich kam doch nur für zwei Jahre", dolmetschte ein Türke der zweiten Generation. Perfekt gekleidet saßen da ein Arzt aus dem örtlichen Krankenhaus, ein Stadtrat und ein Unternehmer mit 200 Angestellten und Geschäftsbeziehungen in alle Welt. Deren Deutsch war akzentfrei. "Wir haben ein riesiges Problem mit der dritten Generation, unseren Kindern. Sie sprechen kaum Deutsch und können dem Unterricht in der Schule nicht richtig folgen", erzählte der Arzt. "Zuhause achten wir auf die Wahrung unserer türkischen Identität. Es läuft immer nur türkisches Fernsehen", erzählte ein anderer Türke. Die Idee, wenigstens die Kinderstunde von ARD oder ZDF einzuschalten, wurde als "gute Idee" aufgegriffen. Denn ansonsten bemüht sich die kleine türkische Gemeinde in Sulingen, wo es nicht einmal mehr einen Bahnhof gibt, vorbildlich um Kontakt mit den deutschen Nachbarn. Frauen bereiten mit ihren Nationalspeisen gemeinsame Mahlzeiten vor. Jugendliche spielen Billard. "Wir sind kein eingetragener Verein, sondern einfach nur ein Haufen befreundeter Menschen", sagt der Fliesenleger Ernst Kautz. "In ganz Deutschland gibt es wohl nichts Vergleichbares."

Trotz des kontroversen Themas "Nahost nach dem Libanonkrieg" gab es während des Vortrags keine gehässigen Einwürfe, als der Name Scharon fiel oder weil das "Leiden der Palästinenser" nicht gebührend erörtert wurde. Völlig überrascht war das Publikum, dass Israel den Armeniergenozid wie ein Tabu behandelt, um nicht die Beziehungen mit Ankara zu gefährden. Manche deutsche Politiker hingegen wollen eine türkische Anerkennung ihrer Verbrechen von 1915 zur Bedingung für eine Aufnahme in die EU machen. Nur wenige wussten von israelischer Soforthilfe nach Erdbeben in der Türkei, israelischen Militärübungen über Anatolien und der wöchentlichen Luftbrücke für israelische Touristen nach Antalya an jedem Wochenende. Am Ende überreichte Onur dem Bürgermeister und dem Gast aus Jerusalem ein Buch über den "Mythos eines (armenischen) Völkermordes".

Wie sehr eine unverarbeitete Vergangenheit über den Beziehungen in dem Dreieck Deutschland, Türkei und Israel lastet, zeigte eine Frage nach Juden in Sulingen vor der Schoah und heute. Einer der Deutschen hatte nie etwas von Juden in seinem Heimatort gehört. Eine Aufarbeitung der Stadtgeschichte in der Nazizeit, etwa durch Schüler, wäre ziemlich problematisch. "Wir hatten einige stramme Nazis und selbst ihre Kinder würden keine Fragen dazu beantworten." Von einem jüdischen Friedhof wusste er nichts. Da sprang Onur, der Türke, ein: "Natürlich gibt es hier einen jüdischen Friedhof. Ich zeig ihn Dir morgen."

Auf dem ummauerten und frisch geharkten Gottesacker stehen 30 Grabsteine, teils mit hebräischer Aufschrift. Der älteste war 1844 aufgestellt worden, der jüngste stammt von 1934. Sulinger Juden wurden am 9. November 1938 über Hannover ins KZ-Buchenwald verschleppt.

Onur zeigte uns auch die Moschee "Yeni Cami", unauffällig untergebracht in einem 200 Jahre alten Fachwerkhaus. "Ein Minarett mit Lautsprecher könnten wir nicht akzeptieren", hatte am Abend zuvor einer der deutschen Freunde der Türken in der Kneipe gesagt. Im Kirchturm neben der Moschee läuteten ohrenbetäubend laut die Glocken. "Der Pastor schaut jedes Mal auf dem Weg zur Kirche bei uns rein. Vor ein paar Jahren wäre das noch undenkbar gewesen", freut sich Onur. In der Moschee hängt neben einer großen roten türkischen Flagge mit dem Halbmond eine ebenso große deutsche Flagge.

© Ulrich W. Sahm/ haGalil.com

Category: Veranstaltungen
Posted 11/28/06 by: admin

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