Für ein Konzert am diesjährigen Tag der deutschen Einheit wurde vom Deutschen Symphonie Orchester unter Leitung seines Chefdirigenten Ingo Metzmacher in der Berliner Philharmonie die Kantate "Von deutscher Seele" von Hans Pfitzner aufgeführt...
Ein Kommentar von Alexander Radziewski
Dieter Graumann, Vizepräsident des Zentralrats der Juden,
protestierte dagegen, dass an diesem Tag ein Werk eines Antisemiten aufgeführt wird. Metzmacher rehabilitiere "in skandalöser Weise einen Sympathisanten des Nationalsozialismus und selbsterklärten Antisemiten".
Mit Pfitzner gibt es ein Problem. Seine politische Haltung vor Allem nach 1945 hat ihn bis heute weitgehend untragbar als Kulturträger gemacht, und auch sein Ruf als herausragender Komponist seiner Epoche ist dadurch bis heute beschädigt.
Das Motto der laufenden Saison beim DSO und Herrn Metzmacher lautet "Von deutscher Seele." Dass die weder überschaubar noch unkompliziert ist –insbesondere wegen des bis heute gebrochenen deutschen Nationalbewusstseins sowie der offensichtlich verwundeten und verwirrten deutschen Seele - liegt auf der Hand und ist auch in der deutschen Musik des 20. Jahrhunderts zu hören und zu spüren.
12 Jahre Allmachtswahn und Herrenmenschallüren haben Deutschland kulturell um gute 100 Jahre zurückgeworfen. Ein großer Teil ist wieder aufgeholt worden.
Ingo Metzmacher ist ein Künstler, dem ich die persönliche Integrität und den Mut zugestehe, diese Brüche –und damit auch die Eigenen als deutscher Musiker- in der Musik aufzuzeigen.
Die Berliner ROC (Rundfunk & Chöre GmbH, der auch das DSO angehört) hat sich in den letzten Jahren verdient gemacht durch exemplarische Aufführungen und Produktionen damals verfemter jüdischer Komponisten.
Ist der Protest von Herrn Graumann als jüdischer Repräsentant nachvollziehbar?
Ich stimme Herrn Graumann zu, sehe trotzdem die Problematik auch aus einer anderen Perspektive.
Auf Musik von erklärten Antisemiten zu verzichten würde dann auch konsequenterweise bedeuten u. A. auf Musik von Chopin zu verzichten. Er hat aus seinem Antisemitismus keinen Hehl gemacht, sich allerdings auch nie einem verbrecherischen System angedient so wie es Pfitzner tat. Ein Verzicht wäre selbst in Israel nicht durchsetzbar. Dort gibt es Wagners "Meistersinger" in einer Interpretation von Karajan seit Jahren als Tonträger öffentlich zu kaufen, sowie viele weitere Aufnahmen, sowohl von Karajan wie auch von Wagner. In Israel wird die "Salome" von Richard Strauss konzertant aufgeführt im Rahmen eines Abos des Israel Philharmonic Orchestra. Dort wird Bachs Johannes- sowie die Matthäus Passion und Händels Messias aufgeführt werden. (Weder von Bach noch von Händel ist eine antisemitische Einstellung bekannt, das nur zur Klarstellung.)
Chopin, Tschaikowsky und Pfitzner und auch viele Andere sind seit langem Staub der Geschichte und deren Seele ist nun in der Hand einer höheren Macht. Die eigene moralische Entrüstung an deren hinterlassenen Werken auslassen zu wollen, in dem man diese Werke ächtet (soweit sie keinen politischen Hintergrund haben wie z. Bspl. Pfitzners "Krakauer Begrüßung"*) halte ich für einen vollkommen falschen Weg.
Irritiert bin ich also nicht, dass ein Werk Pfitzners aufgeführt wird, solange es nicht das dem Hans Frank gewidmete Werk* ist. Auch ich habe schon Werke von Pfitzner gespielt, wenn auch nicht allzu häufig. Die besagte Kantate kenne ich gar nicht was nach über 20 Jahren als professioneller Orchestermusiker dem nicht in der Branche bewanderten aufzeigt, dass Pfitzner einen doch eher exklusiven Platz im gängigen Repertoire hat. Dies muss nicht unbedingt gegen die Qualität seiner Musik sprechen, welche er in diesen Jahren komponiert hatte.
Mich befremdet es vor Allem als Deutscher und nicht auf Grund meines jüdischen Glaubens, dass das politische Datum des Tags der deutschen Einheit mit diesem Werk und dann leider auch mit diesem Komponisten, seiner sehr tragischen menschlichen Entwicklung und inhumanen Einstellung verknüpft worden ist.
Es gibt mit Felix Woyrsch einen deutschen, christlichen Komponisten –ein damals sehr populärer und häufig aufgeführter Zeitgenosse von Richard Strauss und Hans Pfitzner- der sich der Instrumentalisierung des Hitler-Regimes konsequent verweigerte und deswegen bereits 1933 von den Nazis zwangspensioniert und aller Ämter im damaligen Altona bei Hamburg enthoben wurde. Diesen Menschen und dessen Musik wieder zu entdecken wäre meiner Meinung nach ein Lichtblick und ein Zukunftsprojekt für die ansonsten nicht so hell beleuchtete deutsche Seele. Pfitzner und seine Musik haben ihren Platz schon immer gehabt. Mehr muss und sollte man nicht zugestehen.
Für einen musikalischer Repräsentant des Tags der deutschen Einheit empfinde ich Hans Pfitzner als vollkommen untragbar, da vollständig kompromittiert - und damit ist die Programmwahl von Herrn Metzmacher eine grobe politische und weniger eine künstlerische Entgleisung.
Mit solchen lange geplanten Provokationen und Irritationen wird unsere deutsche Seele für die Zukunft nicht gesund verheilen.
* Pfitzner hat sein op. 54, die "Krakauer Begrüßung", dem mit ihm befreundeten Hans Frank gewidmet. Frank war während des Zweiten Weltkriegs Generalgouverneur im besetzten Polen, was ihm die Bezeichnung "Schlächter von Polen" einbrachte.
Posted 10/15/07 by:
admin
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Comments
Ein erfreulich fundierter Text zum Thema. Mehr informativ als manipulativ. Vielen Dank!
Der Artikel Herrn Radziewskis sagt das Wesentliche. Nur: Kann es genügen, das musikalische Werk getrennt zu sehen vom Menschen mit „seiner sehr tragischen menschlichen Entwicklung“? Müsste nicht viel mehr als durch die Musikwissenschaft (mit Folgen für die Aufführungspraxis) bisher geschehen die Wirkung der NS-Musikpolitik und -Theoriebildung mitsamt ihrem Fortleben weit über 1945 hinaus (evtl. bis heute) untersucht werden? Dass namhafte deutsche Musiker und Musikforscher in die NS-Verbrechensmaschinerie handfest einbezogen waren, wurde durch Willem de Vries’ „Sonderstab Musik“ erst 1996 stärker bekannt. An der umfangreichen Arbeit Pamela Potters („Die deutscheste der Künste“, 2000) sind wohl nicht zufällig deren zahlreiche Bagatellisierungen v. a. der musikologischen Rassekunde (als bloßes „Lippenbekenntnis“ der Verantwortlichen) kritisiert worden (NZZ 28.10.2000). Sind nicht auch solche Fehlleistungen wie die des Herrn Metzmacher auf derlei Lücken zurückzuführen?
Das Verständnis „deutscher“ Musik bei Schönberg entgegen dem des Hans Pfitzner gehörte ebenso zu dieser Geschichte wie die gigantische Bedeutung, die dem sehr bedeutenden Musiker Wagner in Deutschland zugefallen ist.
Pfitzner und der Jude Gustav Mahler schätzten sich übrigens gegenseitig kollegial. Ich besitze ein Buch über Mahler mit einer Photographie, wo die beiden freundschaftlich zusammen mit Carl Moll, dem Schwiegervater von Mahler, zusammen plaudern. Pfitzner hat Mahler nie die Aufführung seiner "Rose vom Liebesgarten" vergessen. Nach der Aufführung dieser Oper 1904 in Heidelberg sagte Mahler über Pfitzners Musik: "Grosse Stimmungskraft und sehr interessant im Kolorit." Pfitzner soll sich sogar bei Frau Mahler bemüht haben, bei ihrem Mann gute Worte für Pfitzner einzulegen.
Vielleicht hat Pfitzner, als er nach dem Krieg noch gegen die Juden schrieb, nicht gewusst, dass Mahlers Nichte Alma Rosé im KZ Auschwitz umkam. Sie war die Tochter von Mahlers Schwester Justine und seines Freundes Rosé. Sie leitete in Auschwitz ein Damenorchester mit KZ-Insassinnen. Dank ihren Wagner-Aufführungen vor SS-Bonzen wurden ihr als einziger nicht die Haare geschoren. Es gab einen Film darüber mit Vanessa Redgrave
Der Aufführung der beiden Werke („Von deutscher Seele“ und „Les Préludes“) in einem Konzert zusammen lag natürlich eine bestimmte Absicht zugrunde. Beide Werke kombiniert geben eine „Programm-Musik“. Pfitzners Musik kenne ich zwar nicht. Doch die „Préludes“ von Liszt, genauer die Fanfaren, sind von einer ungeheuren Signalwirkung. Das kann vielleicht nur jemand beurteilen, der während des 2. Weltkrieges „grossdeutsches“ Radio hören konnte. Ich war damals zwar erst 10-13 Jahre alt, aber wenn ich heute diese Musik höre, kommt mir unwillkürlich der Krieg in den Sinn. Und zwar der Krieg mit der von den Nazis gehegten Hoffnung auf den „Endsieg“. Nicht umsonst ertönte diese Musik immer dann, wenn eine Schlacht gegen die Sowjetunion gewonnen wurde, also bei „Sondermeldungen“ im Russlandkrieg. Nach dem 30. Januar 1943 (interessantes Jubiläumsdatum) hörte man die Musik immer seltener! Damals kannte ich zwar weder den Namen des Werkes noch den Komponisten. Für mich war das einfach Nazimusik!
http://www.kritische-musik....
Die Nazis hätten auch genau so gut die Fanfaren z.B. aus Mahlers 5. Symphonie oder der Ersten benutzen können. Aber eben – Mahler war Jude. Und „mit Mahler setzte der letzte Grossangriff des Judentums auf die deutsche Musik ein.“ (Blessinger: „Mendelssohn, Meyerbeer, Mahler. 3 Kapitel Judentum in der Musik.“) Im Jahre 1949 wurden bei einer Veranstaltung der US-Armee in Heidelberg die „Préludes“ gespielt. Ich erinnere mich noch heute an den Schauer: diese Musik in Gegenwart der amerikanischen Offiziere! Natürlich kann Liszt wirklich nichts für diese Vereinnahmung seiner Musik für die Zwecke der Nazis. Er hatte auch nicht das beste Verhältnis zu seinem Schwiegersohn Wagner. Diese Musik soll natürlich heutzutage bedenkenlos aufgeführt werden. Aber eben nicht im Zusammenhang mit der „deutschen Seele“.
Die Aufführung dieser Werke in Kombination am 3. Oktober war also sehr raffiniert. Die Zusammenstellung in einem Konzert war geschmacklos. Nicht alle „deutschen Seelen“ sind darüber glücklich.
Vielen Dank gebührt Herrn Radziewski für seine Ausführungen. Als Musikexperte möge er mir meine dilettantischen Ansichten zur Musik nachsehen.
Helmut Hornig, Zürich
Sehr geehrter Herr Hornung,
Die Kantate war alleiniger Programmpunkt. Die weiteren Werke werden im Laufe der Saison unter demselben Motto aufgeführt werden.
Ihre Ausführungen zur Familie Mahlers und ihre Vermutungen, wenn Pfitzner dies und jenes gewußt hätte gehen gelinde gesagt am Thema vorbei.
Zum Zeitpunkt der systematischen Vernichtung wurden die zu vernichtenden Menschen ja gar nicht mehr als solche sondern u.A.als vernichtungswürdige Insekten betrachtet - unabhängig davon ob es Juden waren oder nicht.
Der Weg der Entwürdigung und Entmenschlichung begann bereits 1933 mit dem Boykott jüdischer Geschäfte und wurde fortgeführt mit den Nürnberger Rassegesetzen. Alle weiteren Schritte sind historisch aufgearbeitet und bekannt. Da kann sich niemand unwissend stellen; auf keinen Fall 1949.
Pfitzner hat wissentlich dieses Herrenmenschenprinzip der Entmenschlichung Anderer ideologisch mitgetragen. Da ist es egal, ob davon Juden betroffen sind oder ob es Andere trifft. Dieses Prinzip der Entmenschlichung ist grundsätzlich zutiefst inhuman und in höchtem Masse unzivilisiert.
Wer das heute in Deutschland unter-den-Teppich-kehren oder darüber Revisionismus betreiben möchte, schadet ja weniger den Juden in Deutschland sondern viel mehr dem eigenen Ansehen als Deutscher und der Reputation der deutschen Gesellschaft und seines Staates.
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