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Ein modernes Sparta? Ein Überblick über Israels Streitkräfte heute

Die Schlappe im Libanonkrieg 2006 kratzt bis heute am guten Ruf von Israels Militär, und der Bericht der Winograd-Kommission offenbarte viel Missstände im Militär und in der Sicherheitspolitik. Doch seither bastelt man weiter daran, auch künftig allen Gegnern technologisch und taktisch überlegen zu bleiben. Der letzte große Einsatz der israelischen Luftwaffe ein Jahre später, der das vermutete syrische Atomprojekt in Schutt und Asche legte, gilt denn auch wieder als taktischer Erfolg. Wie steht es um Davids Streitmacht?...

Von Marcus Mohr

Tzwa HaHaganah LeJisrael – "Verteidigungsarmee Israels", kurz Tzahal – so wird zusammenfassend das israelische Heer samt Luftwaffe und Marine genannt. Für die englische Bezeichnung Israel Defense Force wird international die Abkürzung IDF verwendet. Ihre offizielle Aufgabe ist die "Verteidigung der Existenz, der territorialen Integrität und der staatlichen Souveränität" Israels, der "Schutz seiner Einwohner" und der "Kampf gegen alle Formen des Terrorismus, die das tägliche Leben bedrohen". Für die Doktrin von Tzahal gilt als selbstevident, dass Israel sich wegen der geringen Größe des Landes nicht erlauben kann, einen Krieg zu verlieren. Stattdessen soll eine militärische Auseinandersetzung stets jenseits des eigenen Staatsgebiets ausgetragen werden, auch wenn Israel damit keine territorialen Ambitionen verbindet. In diesem Grundsatz strategischer Defensive und taktischer Offensive liegt die verbreitete Ansicht begründet, die für Israel Land mit Sicherheit gleichsetzt.

Überhaupt spielt Sicherheit für das Verhältnis der israelischen Gesellschaft zum Militär eine größere Rolle als in jeder anderen westlichen Demokratie. Der Staat selbst kann daher mit einem modernen, aber demokratischen, Preußen oder Sparta verglichen werden. Grundsätzlich sind jede Bürgerin und jeder Bürger Israels zu einem zwei- bzw. dreijährigen Militärdienst verpflichtet. Männer bleiben teilweise bis zu ihrem 52. Lebensjahr Teil einer schnell zu mobilisierenden Reserve mit regelmäßigen Übungen. Bis dahin sehen sich viele Israelis als Soldaten mit elf Monaten Dienstbefreiung pro Jahr. Ausgenommen von dieser Pflicht bleiben ultraorthodoxe Juden, Frauen aus der drusischen Minderheit, eine kleine Anzahl Wehrdienstverweigerer und die arabischen Israelis. Von den Letzteren hat sich bislang nur eine Handvoll freiwillig zum Dienst in der IDF gemeldet. Beduinen dienen aber wie selbstverständlich in der IDF.

Israels Militär spielt in der Gesellschaft folglich eine größere Rolle als in jeder anderen westlichen, pluralistischen Demokratie. Das gilt nicht nur für die starke Präsenz von Uniformen und Handfeuerwaffen in den Fußgängerzonen und Cafés der Städte, sondern auch für die Politik. Der Posten des Generalstabschefs – hebräisch Ramatkal – gilt als Sprungbrett in die Regierungsverantwortung, das schon Moshe Dayan, Yitzhak Rabin, Rafael Eitan oder Ehud Barak genutzt haben. Dennoch bleiben die Streitkräfte fest dem Primat der zivilen Entscheidungsträger unterstellt – wie das israelische Grundgesetz es festlegt.

Nicht nur aufgrund der allgegenwärtigen terroristischen Bedrohung befindet sich Israel im permanenten Bereitschaftszustand. Denn trotz der vorhandenen Friedensverträge mit Jordanien und dem größten arabischen Staats an Israels Grenzen, Ägypten, wägt sich das kleine Land alles andere als militärisch unverwundbar. Die IDF ist daher wohl auch notgedrungen die schlagkräftigste Streitmacht des Nahen Ostens.

Zum Beispiel ist die israelische Armee zwar nur halb so groß wie die syrische, verfügt aber über fast ebenso viele Kampfpanzer – die darüber hinaus wesentlich moderner sind. Dass Israels Militärbudget circa das Fünffache des syrischen Etats umfasst, begründet das nur zum Teil. Denn der Staat der Juden hat im Gegensatz zu Syrien und den meisten übrigen Nahoststaaten eine hoch entwickelte Verteidigungsindustrie. Die Namen der staatlichen Unternehmen wie Technologieentwickler Rafael, Waffenschmiede Israeli Military Industries oder Flugzeug- und Raketenbauer Israel Aerospace Industries benennen Hauptakteure in der globalisierten Rüstungslandschaft. Dass all diese Unternehmen in Staatshand liegen, zeigt, wie zentral militärische Sicherheit für Israel ist.

Waffenbruder USA

Die Technologiekooperation der USA mit diesen israelischen Rüstungsunternehmen zeigt sich in der Raketenabwehr. Das israelische System Hetz bzw. Arrow war als israelisch-amerikanisches Joint Venture entwickelt worden und verteidigt heute Israel mit drei festen Basen gegen angreifende Mittelstreckenraketen. Es ist für die USA eine ideale Ergänzung, sollte eines Tages ihre strategische Raketenabwehr stehen.

Luftverteidigung insgesamt ist natürlich Aufgabe der Luftwaffe. Sie gilt bis heute als "beste der Welt", was nicht nur aus der regelmäßigen Erfahrung der Piloten folgt. Die großzügige Finanzhilfe aus den USA von zurzeit 1,6 Mrd. € jährlich verpflichtet Israel, dort auch seine modernen Kampfjets einzukaufen. Und obwohl die USA damit der Israeli Air Force praktisch die neuesten Modelle der Jäger/Jagdbomber F-15 Eagle und F-16 Falcon und den Kampfhubschrauber AH-64 Apache schenken, profitieren sie immens von der Zusammenarbeit mit Israels Streitkräften und Rüstungsindustrie.

Das stehende Heer wird zwar momentan verkleinert, doch seine Leistungsfähigkeit soll erhalten bleiben. Weiterhin sind Kampfpanzer und Panzerfahrzeuge wesentliche Ausrüstung. In großen Stückzahlen führt man die vierte Inkarnation des erfolgreichen Kampfpanzers Merkava (Streitwagen) ein. Anstatt die veralteten Kampfpanzer zu verschrotten oder zu verkaufen, werden die Veteranen zu besonders schweren, aber minensicheren Truppentransportern umgerüstet. Mehr noch als andere westliche Streitkräfte verfügen die israelischen Panzertruppen über eine ganze Reihe von Spezialfahrzeugen speziell für den Häuserkampf, darunter die gepanzerten Bulldozer D9 Doobi (Teddybär) der Pioniertruppen. Um diese Streitmacht gezielt einzusetzen, besitzt die IDF eigene Aufklärungssatelliten und eine Flotte von unbemannten Beobachtungsflugzeugen.

Israels strategische Gegenbedrohung für potentielle nukleare Aggressoren wie den raketengerüsteten Iran ruht auf seinen geschätzten zweihundert Atomsprengköpfen. Die kann es mittlerweile nicht nur mithilfe seiner Luftwaffe überstellen. Die drei aus Deutschland gelieferten U-Boote der Dolphin-Klasse sind einigen Fachmeldungen nach in der Lage, Marschflugkörper abzuschießen, die sehr gut auch nukleare Gefechtsköpfe tragen können. Mit zwei von deutschen Werften noch nachbestellten Booten baut die israelische Marine eine strategische Zweitschlagskapazität auf, so dass Israel den Atomjoker sofort hervorzaubern kann, sobald der Gottesstaat sich ebenfalls mit der absoluten Waffe ausrüstet.

Wandel in der Spitze

Ziel einer 1998 begonnenen Reform der israelischen Streitkräfte, "IDF2000" genannt, ist neben der Reduzierung des Heeres eine Neuordnung der Spitzengliederung der Streitkräfte: die Bodentruppen entwickelten ihre eigene Kommandobehörde. Denn war bislang der Generalstab eigentlich ein Heeresgeneralstab gewesen, welcher nebenbei noch mit der Leitung von Luftwaffe und Marine beschäftigt war, so entlastet heute ein eigenständiger Armeekommandeur den Ramatkal. Auch wenn damit der Befehlsweg vom einzelnen Soldaten über den Generalstabschef und den Verteidigungsminister bis hin zum Premier als Oberbefehlshaber um eine Ebene verlängert wird, so digitalisieren sich Israels Streitkräfte gleichzeitig, um die Kommandostruktur wieder zu straffen. In fünf Jahren wurden 640 Millionen Euro für das Projekt Tsayad (Programm Digitale Armee) ausgegeben, so dass die politischen Entscheidungsträger sich künftig in Echtzeit ein virtuelles Bild von der militärischen Lage vor Ort machen können.

Wie die Spinne in der elektronischen Vernetzung soll zukünftig der Generalstab hocken können. Mit der Digitalisierung des Schlachtfeldes sollen dann die einzelnen Waffengattungen und Teilstreitkräfte noch besser kooperieren können. Mikromanagement soll das nicht zur Folge haben. Die israelischen Soldaten neigen traditionellerweise nicht zum reinen Befehlsempfänger. Auch besteht das Offiziers- und Unteroffizierskorps aus erfahrenen Berufsoldaten und die Rekruten gelten generell als gut ausgebildet.

Manchmal können politische Entscheidungen aber Ursache von militärischen Fehlern sein. So riefen die Unentschlossenheit von Premier Ehud Olmert und die Unerfahrenheit von Verteidigungsminister Amir Peretz im Libanonkrieg Unmut in den Streitkräften hervor. Der Feldzug stagnierte wochenlang in sinnlosen Luftbombardements, bevor zielgerichtet Boden- und Spezialtruppen unter relativ hohen Verlusten eingesetzt wurden. Verantwortung für die Fehlleistungen im Krieg musste, neben Peretz, der beratende Spitzenmilitär übernehmen: der noch von Ariel Sharon vorgeschlagene erste Generalstabschef aus den Reihen der Luftwaffe Dan Halutz trat vorzeitig zurück. Seit 2007 ist wieder ein Heeresmann, Generalleutnant Gabi Ashkenasi, ranghöchster Soldat des Landes.

Moralzoll der Besatzung

Als Problem jedoch gilt die angeschlagene Moral des Heeres. Auch wenn einem Aufruf zur Verteidigung des Landes – wie zuletzt im Libanonkrieg geschehen – alle Aktiven und Reservisten nachkommen, zehren die 40 Jahre der Besatzung an der menschlichen Belastbarkeit der Soldaten. Seit 2000 nimmt die Zahl derer zu, die den Militärdienst explizit in den besetzten Palästinensergebieten ablehnen. Heute verweigern sich selektiv bereits über sechshundert Unteroffiziere und jüngere Offiziere, darunter auch Reservisten der Eliteeinheit Sayeret Matkal.

Außerdem hat Israel seit Februar dieses Jahres einen eigenen Folterskandal à la Abu Ghraib: Angehörige der auf Häuserkampf und Besatzungsdienst spezialisierten Infanterie-Brigade Kfir misshandelten gefangen genommene Palästinenser. Ihre Missetaten wurden landesweit über das Fernsehen bekannt. Ihr kommandierender Oberst sieht dieses Geschehen als Versagen in seiner eigenen Einheit. Es hat offensichtlich in diesem Fall nichts geholfen, dass vor wenigen Jahren der Tel Aviver Ethikprofessor Asa Kasher im Auftrag der IDF den Militärs mäßigende Verhaltensgrundregeln für den Umgang mit Militanten und palästinensischen Zivilisten verpasst hatte. "Etwas schlimmes" geschehe mit ihnen, sagen die Soldaten, wie die Tageszeitung Haaretz berichtet. Das liberale Blatt urteilt, dass dieses "Schlimme" die Besatzung sei, die nun schon seit 40 Jahren korrumpiert. Eine Analyse, die auch der konservative Militärhistoriker Martin van Creveld von der Hebräischen Universität vollzogen hat.

Die überhebliche Haltung als Besatzungsarmee gilt denn auch in der IDF als einer der Gründe für die Schwierigkeiten im vergangenen Feldzug gegen die Hezbollah – die Schiitenmiliz wurde drastisch unterschätzt und die Armee hat zugleich ihre konventionelle Rolle seit dem Libanonkrieg von 1982 verlernt. Sie hat daher die Erfahrungen im Südlibanon als Weckruf angenommen, und die Strukturreform der israelischen Streitkräfte wird wohl mit noch mehr Vehemenz vorangetrieben werden.

Fazit – Überlegenheit mit Problemen

Israels Streitkräfte haben also mit einigen Problemen zu kämpfen. Trotz der finanziellen Unterstützung aus Washington D.C. wird jedes Jahr in der Knesset heftig um den überbordenden Verteidigungsetat gerungen – werden Besatzung und ständige nationale Alarmbereitschaft allmählich zu teuer? Die Hezbollah im Südlibanon hat sich als stärkerer Gegner als gedacht herausgestellt – könnte dies auch für Hamas im Gazastreifen gelten?

Einer iranischen Atombombe dagegen kann Israel noch beruhigt entgegenblicken. Das eigene nukleare Arsenal sichert die strategische Abschreckung gegen die Drohungen des Mullahregimes. Insgesamt ist die IDF allen ihren potentiellen Gegnern in der Region in Kampfwert und Technologie weit überlegen. Israels militärische Vormachtstellung in der Region wird noch lange bestehen bleiben. Krisen wie jetzt nach dem Libanonkrieg werden israelischer Erfindungsreichtum und israelische Wandlungsfähigkeit überwinden können.

Doch die westlich geprägte Gesellschaft des Landes wird den moralischen Preis der Besatzung der Palästinensergebiete noch lange zahlen müssen. Zumindest bis Technologie und Taktik endlich eine zuverlässige Abwehr gegen die billigen Raketen der Terroristen gefunden haben und einen Abzug auch hinter die Sperranlagen in der Westbank erlauben. Noch scheitert Tzahal an dieser Aufgabe.

Category: Armee
Posted 06/02/08 by: admin

Comments

Macros wrote:
...der sehnliche wunsch nach frieden ist verständlich... doch sollten wir aufhören von "besatzung" zu sprechen.... man stelle sich mal vor joschua hätte damals G'TT gegenüber von einer bevorstehenden besatzung des landes kaanan gesprochen...zudem bekommt die bezeichnung "liberal" einen zunehmend bitteren beigeschmack.... die jüdische religion ist eine lebendige religion die zu einer immer währenden diskussion aufruft um den jeweils aktuellen rahmenbedingungen bzw. gesellschaftlichen voraussetzungen und anforderungen gerecht zu werden...als lieberal gilt aber immer mehr, fundametale dinge in frage zu stellen bzw. dessen änderung zu verlangen und/oder durchzuführen... dazu gehört ebenfalls, von G'TT gegebenes land als besetzt zu bezeichnen....bzw. die als selbstverständlich und selbst schon übernommene bezeichnung judäa & samaria als "westbank".... selbst die bezeichnung "palästina" ist unwürdig, stammt sie doch von den römern nach deren einfall in israel und wurde erwählt als mittel, damit die welt sich nie wieder an den namen ISRAEL errinnert.... ich frage mich manchmal ob diese liberalen den tanz um das goldene kalb damals, heute ebenfalls als eine liberale bewegung da gestellt hätten....
06/02/08 10:08:34

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