Kleine Chronik eines Skandals oder: Warum der Lewis den Ludwig macht...
Von Dr. Martin Kloke
Der aus Deutschland stammende Industrielle Stef Wertheimer wurde am 2. März 2008, während der zentralen Eröffnungsfeier der "Woche der Brüderlichkeit" in Düsseldorf, mit der Buber-Rosenzweig-Medaille ausgezeichnet. Der Preisträger, so hieß es beim auslobenden Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, habe eine Vision für den Nahen Osten, die den Frieden nicht den Konferenztischen der Politiker überlasse.
In der Tat investiert der unkonventionelle israelische Unternehmer seit Jahren in jüdisch-arabische Entwicklungsprojekte und Technologieparks. Wertheimer ist überzeugt: "Frieden und Sicherheit im Nahen Osten bedeuten, den Menschen ein Einkommen zu schaffen. Wer darauf achten muss, seinen Aufträgen oder seiner Arbeit nachzukommen, ist für Gewalt und Terrorismus verloren."
Der in Berlin lebende israelische Journalist Igal Avidan, langjähriger freier Mitarbeiter der Deutschen Welle, verfasste ein Porträt über Wertheimer auf Bestellung von Qantara, einem Internet-Portal der Deutschen Welle, das sich dem "Dialog mit der islamischen Welt" verschrieben hat, aber auch regelmäßig über Israel berichtet. Doch am 20. März 2008 erteilte ihm der zuständige Redakteur Lewis Gropp eine Absage:
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Lieber Igal Avidan,
ich hatte mich schon Anfang der Woche melden wollen; Zeit is immer so knapp, kennen Sie ja auch. Ganz kurz also zur Info: Wir haben uns entschlossen, den Wertheimer-Text nicht zu publizieren, aus dem einfachen Grund, weil es ein jüdischer Preis ist, der an einen jüdischen Israeli vergeben wurde, der sich offen zum Zionismus bekennt, aber für sein Engagement für israelische Palistinenser ausgezeichnet wurde. Die Botschaft, die man bei so einer Story herausdistellieren kann, ist: Zionismus und das Engagement für die Palestinenser lassen sich wunderbar miteinander vereinbaren! – Nun, es gibt Leute, die in dieser Aussage einen Widerspruch entdecken würden. Ich will jetzt aber gar nicht polemisieren, und es geht auch nicht darum, die Leistungen von Stef Wertheimer zu unterschlagen. Nur müssen wir und wollen wir als Dialogportal ein besonderes Gewicht auf die Ausgewogenheit unserer Berichterstattung legen.
Man hätte das Thema schon auch noch umsetzen können, nur hätte man einen aus unserer Sicht anderen Ansatz wählen müssen, aber in dieser Woche fehlte leider die Zeit dafür. Wegen der Handhabung bez. Honorar setzen wir uns mit ihnen nächste Woche in Verbindung.
Mit freundlichen Grüßen,
Lewis Gropp
Redaktion / Editorial staff Qantara.de
c/o Deutsche Welle"
Daraufhin mailte Igal Avidan noch am selben Tag zurück:
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Lieber Herr Gropp,
Ihre Antwort erstaunt mich.
Zum einen ist die Buber-Rosenzweig-Medaille, anders als Sie annehmen, kein „jüdischer Preis“, sondern sie wird vom Koordinierungsrat der Christlich-Jüdischen Gesellschaften verliehen, die (aus bekannten historischen Gründen) mehrheitlich aus Nichtjuden bestehen.
Stef Wertheimer setzt sich nicht besonders für Palästinenser (und nicht Palestinenser) ein, sondern für alle Menschen im Nahen Osten, die arbeiten wollen und die Gewalt und Fanatismus ablehnen.
Zum anderen ist der Zionismus die Antwort auf die Judenverfolgung in Europa und bildete die Grundlage für die Errichtung des Staates Israel. Wäre der Zionismus erfolgreicher gewesen, so wären möglicherweise nicht sechs Millionen Juden ermordet worden.
Ich sehe keinen Widerspruch zwischen Zionismus und dem Einsatz für eine friedliche Lösung des Konfliktes. Jossi Beilin und die Genfer Initiative sind ein ausgezeichnetes Beispiel dafür.
Wenn Sie als Internetportal der Deutschen Welle einen Dialog wirklich wollen, dann eben auch mit Zionisten, die immerhin die Mehrheit der Israelis darstellen. Wenn Sie aber über einen Menschen wie Steff Wertheimer nicht berichten wollen, weil er ein Zionist ist, dann wollen Sie wohl keinen Dialog mit Israelis.
Ich werde Ihr Schreiben öffentlich machen und bin gespannt auf die Reaktionen.
Mit zionistischem Gruss,
Igal Avidan"
Mindestens ebenso befremdlich wie das anti-zionistische Ressentiment des Qantara-Redakteurs ist das anhaltende öffentliche Beschweigen des Skandals. Die Tatsache, dass Qantara gleichermaßen von der Bundeszentrale für politische Bildung, von der Deutschen Welle, vom Goethe-Institut und vom Institut für Auslandsbeziehungen getragen wird, scheint die allermeisten Medien und ihre Lohnschreiber in eine Art Schockstarre versetzt zu haben.
Sogar dezidiert pro-israelische Stimmen, die üblicherweise in ähnlich gelagerten Fällen lautstark mit Antisemitismus-Vorwürfen aufwarten, befleißigen sich einer ungewöhnlichen Zurückhaltung. Das politisch ansonsten hellwache Internet-Netzwerk "Achse des Guten" löschte am 25. März 2008 – schon nach wenigen Stunden – den Briefwechsel zwischen Igal Avidan und Lewis Gropp, den der Journalist Michael Miersch zunächst online gestellt hatte. Offenbar kann ein israelischer Journalist, der in seiner journalistischen Alltagsarbeit auch palästinensische Perspektiven zu integrieren versucht, nicht mit Solidaritätsbekundungen politisch korrekter deutscher "Israelfreunde rechnen.
Neben wenigen Einzelpersonen, wie etwa dem Vizepräsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Jochen Feilcke ("
die Formulierungen des Herrn Gropp sind unerträglich und die Aussagen falsch"), blieb es dem Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit vorbehalten, in einem Schreiben an den Intendanten der Deutschen Welle sein Entsetzen in Worte zu fassen – leider unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nicht einmal auf der vereinseigenen Website wurde der Brief veröffentlicht:
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Sehr geehrter Herr Bettermann,
der Deutsche Koordinierungsrat, Dachverband für 83 Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit in ganz Deutschland, hat mit einer Festveranstaltung in Düsseldorf am 2. März 2008 die diesjährige Woche der Brüderlichkeit eröffnet. Im Rahmen dieses, vom ZDF aufgezeichneten und zeitversetzt gesendeten Ereignisses, wurde der israelische Unternehmer und Visionär Stef Wertheimer mit der Buber-Rosenzweig-Medaille ausgezeichnet.
Aus diesem Anlass verfasste der in Deutschland arbeitende israelische Journalist Igal Avidan einen Bericht über Ehrung und Preisträger, den er offenbar auch Ihrem Haus bzw. dem von ihnen mitgetragenen Online-Portal Qantara angeboten hatte. Herr Avidan hat uns nun kurz vor Ostern die in der Anlage beigefügte E-Mail-Antwort Ihres Mitarbeiters Lewis Gropp zur Kenntnis gegeben, in der Herr Gropp die Ablehnung dieses Beitrags mitteilt. Über die Argumentation Herrn Gropps sind wir doch sehr erstaunt und schockiert.
Dass Herr Gropp meint, die Buber-Rosenzweig Medaille sei ein jüdischer Preis, ist seiner mangelnden Recherche im Vorfeld zuzuschreiben und zeigt uns, dass er einen Beitrag in völliger Unkenntnis der Materie ablehnt, worauf auch die fehlerhafte Orthografie hinweist. Die Begründungslinie jedoch, „Zionismus und das Engagement für die Palestinenser“ (sic) seien ein Widerspruch und ein entsprechender Beitrag gefährde die Ausgewogenheit der Berichterstattung, verschlägt uns den Atem.
Wir bitten Sie, sehr geehrter Herr Intendant, um eine diesbezügliche Stellungnahme Ihres Hauses.
Mit freundlichen Grüßen
Bad Nauheim, 26. März 2008
Dr Eva Schulz-Jander (Kath. Präsidentin)
Ricklef Münnich (Evang. Präsident)
Landesrabbiner Henry G. Brandt (Jüdischer Präsident)"
Alles nur ein "Missverständnis"?
Wie sich Qantara und die Deutsche Welle winden ...
Diskret stellte Qantara am 26. März 2008 Avidans
Wertheimer-Porträt doch noch online. Zugleich ließ Redaktionsleiter Loay Mudhoon in einer gleichlautenden Mail an Kritiker verlauten: "
[...] Aufgrund von Abstimmungsschwierigkeiten kam es [...] zu beträchtlichen Missverständnissen, die wir allerdings mit unserem langjährigen Autor Igal Avidan bereits am vergangenen Sonntag ausräumen konnten. Der Artikel ist inzwischen wie mit ihm abgesprochen auf unserer Seite publiziert. [...]"
Von "Missverständnissen", wie die Qantara-Redaktion behauptet, kann im obigen Zusammenhang allerdings keine Rede sein, wie auch Igal Avidan bestätigt. Wenn ein Internet-Portal, das sich einerseits mit Vorliebe "israelkritisch" geriert, andererseits über palästinensische Raketenangriffe auf Israel großzügig hinwegsieht, eine "ausgewogene" Berichterstattung anmahnt, ist das schon mehr als bizarr. Kein Wunder, dass wir bis heute vergeblich auf eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den in ihrer Klarheit unmissverständlichen Äußerungen des verantwortlichen Qantara-Redakteurs warten.
Nachtrag v. 08.04.2008:
Der Leiter der Intendanz bei der Deutschen Welle, Ansgar Burghof, hat am Wochenende in einem Brief an den Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit eine Entschuldigung formuliert. Dort heißt es u. a.:
"Der von Ihnen angsprochene Eklat, verursacht durch einen freien Mitarbeiter des Online-Portals Qantara, ..., findet unsere ausdrückliche und nachhaltige Mißbilligung. Diese Haltung entspricht nicht den Grundauffassungen der Deutschen Welle. Deshalb distanzieren wir uns davon. Wir verstehen Ihr Entsetzen und bitten für diesen bedauerlichen Vorgang um Nachsicht. ... Die Verantwortlichen für das Online-Portal Qantara haben mir versichert, dass sie alles erdenkliche tun werden, um solche Vorgänge künftig auszuschließen."