Die Idee der Zweistaatlichkeit wurde erstmals in den 1920er Jahren von einer kleinen Gruppe Intellektueller, die 1926 eine als «Brit Schalom» («Friedensabkommen») bekannte Organisation gegründet hatte, in den Kontext der Debatte über Palästina und Zionismus eingebracht. Diese Organisation rief zur Errichtung eines unter Mandatsverwaltung stehenden Palästina in der Form eines binationalen Staates auf, basierend auf egalitären nationalen und staatsbürgerlichen Rechten für Juden und Palästinenser. Zionistische Siedlung sollte sich nach ihrem Willen auf Basis eines Abkommens mit der Führung der arabischen Bevölkerung vollziehen, anstatt sich aus kolonialen Machtansprüchen herzuleiten...
Amnon Raz-Krakotzkin
Diese Organisation bestand ebenso wie ihre späteren Nachfolgeorganisationen aus einer sehr kleinen und politisch nahezu bedeutungslosen Gruppe. Ihr wurde dennoch größere Aufmerksamkeit zuteil, da sich unter ihren Mitgliedern einige der prominentesten Intellektuellen ihrer Zeit befanden, viele von ihnen Professoren der neu gegründeten Hebräischen Universität. Der tonangebende Kreis innerhalb der Vereinigung kam aus dem deutsch-jüdischen Milieu. Dazu zählten Protagonisten wie Gershom Scholem, der große Gelehrte des jüdischen Mystizismus (der sich später aus diesem Umfeld zurückzog), Hans Kohn, die Philosophen Hugo Bergmann und Martin Buber, der sich zu einem prominenten Verfechter der Idee entwickelte. Der erste Kanzler und Präsident der hebräischen Universität, Judah Leib Magness (ein amerikanischer Reform-Rabbiner) war vielleicht das engagierteste Mitglied: Mehr als jeder andere versuchte er, die Verwirklichung der Idee voranzutreiben und sich mit arabischen Führern zu arrangieren, um zu einer Übereinkunft zu gelangen. In seinen letzten Jahren erfuhr er große Unterstützung durch Hannah Arendt, die in den 40er Jahren auch einige Essays zur Befürwortung der binationalen Position beitrug.
Die Zweistaatlichkeit war die direkte Schlussfolgerung aus deren Sichtweise des Zionismus, die auf der Kritik einer liberalen Kultur und dem Wunsch, der Zionismus möge eine spirituelle Neuausrichtung hervorbringen, beruhte. In dieser Lesart bleibt der Zionismus bedeutungslos, wenn er weiterhin denjenigen Werten anhängt, die die gesellschaftliche Ausgrenzung der Juden und die Gewalt gegen sie in Europa überhaupt erst ermöglichten. Nationale und bürgerliche Gleichberechtigung war daher der wesentliche Bestandteil dieser zionistischen Position.
Abgesehen davon war die Weltanschauung der meisten dieser Protagonisten theologisch ausgerichtet und kann mit Fug und Recht als «nichtsäkular» bezeichnet werden. Obwohl die meisten von ihnen keine orthodoxen Juden waren, so unterschieden sie sich doch wesentlich von den Vertretern dessen, was gemeinhin als säkularer Zionismus bezeichnet wird. Als solchen waren ihnen die messianischen Gefahren, die aus der Wahrnehmung des Zionismus resultierten, wohl bewusst. In dieser Hinsicht war das Konzept des Binationalismus auch maßgebend für die Unterscheidung zwischen dem Land selbst, dem geographischen Raum Palästina, und den Mythen und Bildern, die diesem Raum zugeschrieben wurden und werden.
Auf anderer Ebene hatte ihre binationale Haltung auch mit der Ablehnung der radikalen Perzeption des Zionismus als «Negation des Exils» zu tun, also mit der Tendenz, die neue Kultur auf der totalen Verneinung der jüdischen Exilkultur und dem Wunsch, den «neuen Juden» als Antithese des «Exiljuden» zu errichten, wobei der letztere in offenkundig orientalistischer Terminologie als Manifestation des Irrationalen, des Primordialismus und eines gravierenden Mangels an Produktivität schlechthin galt, als eine Figur, die durch den neuen, rationalen, produktiven und mächtigen Juden zu ersetzen war.
Brit Shalom schlug daher eine übergreifende Diskussion der jüdischen Identität vor und sprach damit beide Aspekte an, die von den dominanten jüdischen Kreisen unterdrückt wurden: Die Einwohner des Landes und die Kultur des Exils. Gershom Scholem (der sich später von der Idee distanzierte) hat 1931 diese Sichtweise treffend dargelegt: «Der Zionismus hat sich, ob unfreiwillig oder, wie es wesentlich häufiger der Fall war, freiwillig, immer auf die Seite der niedergehenden und nicht der aufsteigenden Kräfte geschlagen. Die Gewalt, der sich der Zionismus in diesen Siegen anschloss, war die enthüllte Gewalt, war der Aggressor. Der Zionismus vergaß, sich mit den versteckten Gewalten zu verbinden, den Unterdrückten, die sich bald danach erheben und enthüllen würden...».
In den vergangenen Jahren wurde die Idee der Zweitstaatlichkeit erneut in den politischen Diskurs eingebracht. Die Wiederbelebung der binationalen Option entstand aus der Erkenntnis vieler, dass das im Zuge des Friedensprozesses errichtete Regime mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zur Etablierung eines unabhängigen palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 führen würde. Nur an wenigen Stellen, (darunter Kommentare des verstorbenen Edward Said), wird auf die Ideen der Vergangenheit verwiesen. Man gefällt sich stattdessen in der häufig wiederholten Meinung, die Ideen Brit Schaloms hätten sich als irrelevant erwiesen und hielten den Tatsachen nicht stand. Ihre Anhänger, obwohl herausragende und bedeutende Intellektuelle, seien naive Träumer, die die politischen Realitäten verkannt hätten.
Zweifellos dürfen viele der Einsichten und kritischen Beobachtungen aus den Aufsätzen Brit Schaloms heute als obsolet gelten. Sie wurden in einen konkreten politischen Zusammenhang eingeführt, der sich dramatisch verändert hat und selbst zum Zeitpunkt ihrer Entstehung schlugen sie keine schlüssige und zusammenhängende Alternative vor. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass diesen Ideen in der Gegenwart sogar noch größere Bedeutung zukommt. Das Einlesen dieser Schriften in den Kontext der Gegenwart versetzt uns in die Lage, politische Werte und politische Ziele neu zu definieren.
In meiner Befürwortung der Relevanz des Konzeptes muss ich jedoch betonen, dass ich mich nicht auf eine Ein-Staaten-Lösung beziehe, auf die allgemein übliche Lesart des Terminus im politischen Diskurs über Zionismus und die palästinensische Frage. Ich sehe das Konzept Binationalismus als Rahmengebung für eine Diskussion, ein Sortiment grundlegender Prinzipien und Werte, die für jede Lösung maßgeblich sind, auch ein Zwei-Staaten-Arrangement. Gegenwärtig wird das Konzept gegen das der Separation ins Feld geführt - das Konzept, von dem der Friedensprozess geleitet wurde und gleichzeitig dasjenige, das dessen katastrophalen Zusammenbruch herbeiführte. Ein binationales Bewusstsein zu entwickeln meint, zu begreifen, dass die Frage der Rechte der Juden und die Frage der Rechte der Palästinenser ein und dieselbe Frage sind. Die Realität ist binational.
Die Werte und Prinzipien, von denen die Mitglieder Brit Schaloms angeleitet waren, sind heute möglicherweise wichtiger denn je und sollten als die einzige Möglichkeit angesehen werden, einen genuinen Versöhnungsprozess in Gang zu setzen. Vom jüdischen Standpunkt aus betrachtet ist die durch eine binationale Sichtweise aufgeworfene Frage diejenige nach der Definition eines jüdischen Kollektivs, das auf der Anerkennung der palästinensischen Nationalrechte gründet. Sie zielt darauf ab, den Zustand der Gleichheit sowohl auf der nationalen als auch auf der bürgerrechtlichen Ebene herbeizuführen.
Die palästinensische Führung fordert in ihrem Bestehen auf den souveränen Status aller besetzten Gebiete (weniger als 24 Prozent des Landes) weit weniger als diese Gleichheit, doch selbst das wird verweigert. In diesem Zusammenhang mag es paradox erscheinen, dass ein binationaler Diskurs, der Übergang von der Separation zur Koexistenz, die grundlegende Voraussetzung eines genuinen Versöhnungsprozesses ist - eine Voraussetzung, die gleichzeitig die Anerkennung der Rechte der Juden mit sich bringen wird, wenn auch in im Vergleich zur Gegenwart begrenzter Form. Die Verwirklichung dieser Werte ist keinesfalls einfach - im Gegenteil: Es handelt sich um einen Rahmen, innerhalb dessen das Ansprechen aller entscheidenden und unterdrückten Fragen gefordert, aber auch ermöglicht wird. In diesem Zusammenhang betrachtet fordert das Konzept des Binationalismus eine umfassende und übergreifende Diskussion verschiedener Aspekte israelisch-jüdischer Identität. Es fordert die Dichotomie Jude-Araber in all ihren Daseinsformen heraus: Araber, Juden und auch Aschkenasim-Mizrachim. Ebenso stellt es die Dichotomie säkular und religiös zur Disposition.
Die Alternative besteht in der fortwährenden Unterdrückung der Geschichte und in fortgesetzter Angst. Die gegenwärtige Friedensvision, die Idee der Separation, ist die Idee einer Gemeinschaft, die von einer Mauer umgeben wird, die Idee vom Leben in permanenter Angst vor der Vernichtung, bewehrt mit Nuklearwaffen, um sich dagegen zu verteidigen. Die Anerkennung palästinensischer Nationalrechte wirft unter Israelis viele Fragen auf, gerade die Idee der Gleichheit wird beschrieben und wahrgenommen als «Einwand gegen die Existenz des Staates und der Juden». Ohne die Anerkennung des Rechtes aus Gleichheit und ohne Verantwortlichkeit gibt es keine Hoffnung auf eine andere Zukunft.
Der Autor lehrt jüdische Geschichte an der Ben Gurion Universität, Beer Sheva.
«Jüdische Zeitung», März 2007
Israels Zukunft sind Grenzen von 1967
Tel Aviv - Israels Premierminister Ehud Olmert hat in einem Zeitungsinterview seine Landsleute zu mehr Realismus im Friedensprozess aufgefordert. Selbst Israels beste Freunde sehen die Zukunft des Staates irgendwo in seinen Grenzen von 1967 und mit einem geteilten Jerusalem, erklärte er der "Jerusalem Post". Viele Israelis müssten dies noch verinnerlichen.
Für größere Siedlungsblocks könne eine Regelung für den Verbleib bei Israel gefunden werden, so Olmert, jedoch nur bei vollem Stopp des Siedlungsbaus in kleinen Siedlungspunkten. Israels Regierungschef räumte zudem ein, dass es einen Widerspruch zwischen Israels Siedlungspolitik und dem internationalen Friedensplan gäbe: "Wir beschweren uns immer über Abkommensbrüche der anderen Seite, doch müssen auch wir unsere Verpflichtungen einhalten."
Eine ausdrückliche Anerkennung als jüdischer Staat durch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sei jedoch nicht unverzichtbar: "Abbas erkennt Israel so an, wie es sich selbst definiert hat", meinte Olmert.Zum nächste Woche bevorstehenden ersten Staatsbesuch von US-Präsident George W. Bush in Israel sagte Olmert: "Er kommt, um seine Unterstützung für den diplomatischen Prozess zu zeigen." Dabei hinkt dieser zurzeit vor allem zwischen Israel und Ägypten.
Im US-Senat wurden 100 Millionen Dollar US-Hilfe an Ägypten von Erfolgen beim Kampf gegen Waffenschmuggel in den Gazastreifen abhängig gemacht. Für Ägyptens Außenminister Ahmad al-Rheit eine Folge israelischer Lobbyarbeit. Er drohte am Montag: Wer Ägyptens Interessen in den USA schade, müsse damit rechnen, "dass auch Ägypten erheblichen Schaden anrichten kann". Ursache für die Misstöne zwischen Jerusalem und Kairo sind 1500 palästinensische Mekkapilger, die zurzeit in al-Arisch im Sinai festsitzen. Die im Gazastreifen herrschende Hamas-Regierung lehnt deren Rückreise über einen israelisch kontrollierten Grenzübergang ab. Die Pilger durften im Dezember entgegen einem Grenzabkommen über Ägypten nach Mekka. Jetzt sitzen sie fest, weil Ägypten auf Druck Israels und der Abbas-Regierung wieder auf einer Rückreise über israelische Kontrollen beharrt.