Alljährlich findet in Budapest um den 11. Februar herum ein internationales Gedenktreffen von Neonazis statt. Anlass ist der Ausbruch aus dem von der Roten Armee eingekesselten Stadtteil auf dem Burgberg in Buda, bei dem mehr als 39.000 deutsche und ungarische Soldaten ums Leben kamen...
Von Magdalena Marsovszky
Die »Kameraden« kamen mit der U-Bahn zum sonnigen Heldenplatz im Herzen von Budapest. Alle trugen die übliche schwarze Einheitskleidung, zum Teil jedoch mit Aufdrucken, die in Deutschland verboten wären, so beispielsweise »Leibstandarte Adolf Hitler«.
Bereits seit den Mittagsstunden sperrte die Polizei eine beinahe tausend Quadratmeter große Fläche ab, und bald war der ganze Platz von ungarischen, doch vor allem von den rotweiß gestreiften, so genannten Arpadenfahnen übersät. Das Symbol des mittelalterlichen Herrscherhauses der Arpadenkönige war 1944, mit einem Pfeilkreuz und einem »H« versehen, wichtigstes Herrschaftszeichen der nationalsozialistischen Bewegung der »Hungaristen« oder »Pfeilkreuzler« und ist nach der Wende, ohne Kreuz, aber manchmal mit einem Greif in der Mitte, wichtigstes Erkennungszeichen der unzähligen Organisationen der heutigen nationalkonservativ-völkischen Bewegung Ungarns. Die Fahne taucht regelmäßig und in großer Zahl bei Demonstrationen gegen die gegenwärtige, aus Sozialisten und Liberalen bestehende Regierungskoalition des Landes auf, bei denen es kurz gefasst immer darum geht, das »Magyarentum und die Nation gegenüber den verräterischen Fremdbesetzern des Landes zu retten«. Neben dem Gedenken war dies auch die wesentliche Idee des diesjährigen »Dayof-Honour«-Treffens.
Punkt 14 Uhr zogen auf rhythmische Trommelwirbel hin die etwa tausend Teilnehmer in das umzäunte Feld ein und stellten sich nach den Anweisungen der Organisatoren in streng geordneten Reihen auf. Die Menschenmenge setzte sich international zusammen: außer aus Ungarn bestand sie aus Deutschen, Engländern, Tschechen, Slowenen, Bulgaren, Flamen, Schweizern, Österreichern und Kroaten. Angeführt wurden die Marschierenden von zwei Stahlhelmträgern in Militäruniform, die in den darauf folgenden zwei Stunden an einem neben dem Rednerpult aufgestellten Holzkreuz links und rechts Wache hielten. Das Holzkreuz trug ebenfalls einen deutschen Stahlhelm und die Aufschrift »Vér és Becsület« (»Blut und Ehre«).
Dies ist deshalb verwunderlich, weil die Bewegung »Blood & Honour (B&H) Hungaria« seit Oktober 2005 rechtskräftig aufgelöst ist. Der erneute Versuch, den Verein unter dem Namen »Pax Hungarica« eintragen zu lassen, war zwar zunächst genehmigt worden, schlug jedoch letztes Jahr in zweiter Instanz ebenfalls fehl. Dennoch waren gerade diese Organisationen, nämlich »B&H Hungaria« und »Pax Hungarica «, wie dies auf der Internetseite www.dayofhonour.hu seit vielen Monaten angekündigt war, die Veranstalter der diesjährigen Kundgebung. Zusammen mit »Véres Kard« (»Blutiges Schwert«) und »Hungaria Skins« bilden sie die »Bewegung für die Einheit der Heimat«. Wie später in der Presse zu lesen war, konnte die Polizei die Veranstaltung deshalb nicht verbieten, »weil sie von einer Privatperson angemeldet wurde«. Diese Privatperson aber war, wie die interessierten Journalisten noch während der Kundgebung vom ersten Mann von »B&H Hungaria«, János Endre Domonkos erfuhren, er selbst. Sichtlich erfahren im Umgang mit den Medien erzählte der ehemalige Theologiestudent, Novize und Texter von Skinheadliedern während der Eröffnung gern über den Anlass der Kundgebung. Als jemand, der weiß, dass ihm die Medien nur nützen können, bedankte er sich artig für jedes Gespräch, weil eine vergleichbare Werbung der »zivile« Verein nie hätte zahlen können.
»Wir erinnern uns an den Ausbruch am 11. Februar 1945 und dessen heldenhafte Tote«, sagte er. »An jenem Tag zogen etwa 40.000 Soldaten in der von der Roten Armee eingekesselten und seit 52 Tagen regelrecht ausgehungerten Budaer Burg der Hauptstadt los, um die deutsch-ungarischen Frontlinien zu erreichen und gegen die Bolschewisten weiter zu kämpfen, statt zu kapitulieren. Von diesen 40.000 sind nach drei Tagen etwa 700 am Ziel angekommen. Die anderen wurden niedergemetzelt. Wir gedenken derer, die bei dieser Aktion umgekommen sind. Die deutschen und ungarischen Soldaten verteidigten damals nicht nur Ungarn, sondern ganz Europa vor der bolschewistischen Gefahr. Man kann sich nicht ausmalen, was passiert wäre, hätten wir damals den Bolschewismus nicht aufgehalten. Die Söhne West-Europas, die heute hier sind, wissen, welcher Dank den Ungarn deshalb gebührt.«
Seine für die Medien formulierten Gedanken wurden innerhalb der Kordone von den anderen Rednern nicht nur weitergeführt, sondern nach den entsprechenden Feindbildern konkretisiert. So fasste der zweite Mann von »B&H Hungaria«, Zsolt Illés bereits zum Auftakt der Veranstaltung das Wesentliche folgendermaßen zusammen: »Seit 62 Jahren dauert der internationale Druck auf unser Europa, dessen offenes Ziel es ist, unsere Völker zu versklaven. Wir sind stolz auf unsere Rasse und auf die Kampfhandlungen unserer Ahnen, deren Taten wir nie vergessen werden. Die moralische und geistige Reinheit der Verteidiger besiegte die materielle Überlegenheit der Bolschewiken. Die Verteidiger haben nicht kapituliert, sondern sind ausgebrochen. Die materielle Überlegenheit der Feinde Europas von Heute sind Multikulti und Globalisierung. Europa steht unter Belagerung, doch wir lassen uns nicht unterdrücken! Auch wir haben nur eine Wahl, wie damals die Verteidiger der Festung Budapest auch nur eine einzige Wahl hatten: den Ausbruch. […] Deshalb schwören wir an diesem heiligen Ort, dass wir den Kampf fortsetzen. Sieg oder Tod!« Diese Schuld-Umkehr und die Mobilisierung zum Kampf durchzog dann auch den Rest der Veranstaltung.
So bezeichnete der ungarische Historiker und Theologe, János Tudós-Takács den gescheiterten Ausbruch als »deutsch-ungarischen Holocaust«, weil »der Sowjet das Kriegslazarett, in dem die verwundeten deutschen und ungarischen Soldaten lagen, anzündete, so dass diese bei lebendigem Leibe verbrannten«. Als Hauptverbrecher des Zweiten Weltkriegs bezeichnete er wegen der Bombardierung von Dresden Winston Churchill. Darin gab ihm der englische Redner, Stephen Swinfen von »B&H England« auch Recht, entschuldigte sich im Namen seines Volkes und stellte fest, dass Deutschland für England überhaupt keine Gefahr bedeutet hätte. Alle Redner waren sich darin einig, dass die größte Gefahr für Europa der Bolschewismus einerseits und der angelsächsische Liberalismus andererseits bedeute. Gegen den Bolschewismus sei damals den beiden Kulturvölkern, den Deutschen und den Ungarn, ein großer Schlag geglückt, und er sei heute weitgehend zurückgedrängt, wobei man in manchen Ländern, wie z.B. in Ungarn noch zu tun habe. »Wer Ohren dafür hat, hört selbst nach vielen Jahrzehnten den Ruf der Helden. [...] Auch am 23.10.2006 wurden Budapests Straßen vom Blut guter Menschen befleckt. Die seelisch fremden Verbrecher, die in EU-Slangs und schlecht ungarisch sprechenden, nationfeindlichen, gesetzlosen Kriecher, deren Führer und deren politisches Hinterland müssen büßen! « – sagte Zoltán Erös in eindeutiger Anspielung auf die gegenwärtige Regierung. Jetzt gelte es dennoch vor allem, sich vom Liberalismus zu befreien.
Wer die Liberalen nun sind, fasste Eckart Bräuniger von der NPD Berlin-Brandenburg folgendermaßen zusammen: Sie seien »die auserwählten Kosmopoliten einer Schreckensherrschaft des Profits, wie sie in den Büchern Mose beschrieben steht. [...] Der Kampf unserer Helden darf nicht umsonst gewesen sein!« – rief er der Menge zu. »Es ist ein heiliges Erbe, das wir übernommen haben [...]. Sie starben, damit wir leben können. Wir müssen [...] kämpfen, damit es auch in Zukunft unsere Völker noch gibt!«
Hier deutet sich ein weiteres wichtiges Charakteristikum des Treffens an, die religiöse Konnotation, die zunächst immer wieder als Andacht bezeichnet wurde. János Tudos-Takács beendete seine Rede mit »Úgy legyen!«, was »Amen« heißt, und das Kreuz stand neben dem Rednerpult wie ein Altar, das von den zwei Wachen wie von Erzengeln flankiert wurde. Zudem durchzog alle Reden die Idee, dass die etwa tausend Skins, die 2007 am Heldenplatz erschienen sind, als die Reinkarnation der deutsch-ungarischen Kämpfer um Budapest angesehen werden können, die deren Kampf fortsetzen müssten. »Sie sind für Euch gestorben«, hieß es immer wieder, »Eure Aufgabe ist es, die Revolution fortzuführen!«
Dementsprechend rief der NPD-Vorsitzende Udo Voigt der Menge zu: »Kameraden! Ihr seid die neuen, jungen Freiwilligen für ein besseres Europa! So lange Ihr weitermacht, ist der Kampf für ein besseres Deutschland, für ein besseres Ungarn, für ein Europa freier Völker nicht zu Ende!«
Die hochprofessionell organisierte Veranstaltung wurde mit der ungarischen und (der revanchistischen) transsylvanischen Hymne sowie mit dem hungaristischen Marschlied »Erwache Magyare« beendet. Mehrere hundert neonazistische Skinheads ließen die Kundgebung am Abend im Skinhead-Kulturzentrum Nationalhaus in Nógradsáp in der Nähe Budapests bei einem Konzert mit den ungarischen Bands »Titkolt Ellenállás«, »Verszerzödes«, »Hunor« und »Arcvonal« sowie »Section 88« aus Großbritannien ausklingen. Unter den Gästen waren, wie auch bei der Kundgebung, viele Ausländer.
Die Veranstaltung ist jedoch noch lange nicht zu Ende. Die Skins der »Bewegung für die Einheit der Heimat« sind vielleicht die militantesten, jedoch bei weitem nicht die einzigen »revolutionären Patrioten« in Ungarn. Es gibt Unzählige, die bereit wären, ihr »Blut für die Nation« zu opfern. Medienberichten zufolge wurden viele der »Freiheitskämpfer« des heißen Herbstes 2006 am Tag der Ehre 2007 unter den Skins wiedererkannt. Viele sollen Anfang Februar zusammen mit Oppositionsführer Viktor Orbán an der »Aktion des zivilen Ungehorsams« teilgenommen haben, an der ein das Parlament umgebender Kordonring abgetragen wurde. Akute Drohungen lassen einen heißen Frühling mit Waffengewalt vorausahnen.
In Ungarn ist der Antisemitismus nicht nur bei »Blood & Honour« äußerst virulent. Seine typischen Ausdrucksformen, wie die Schuldumkehr, die religiös konnotierte Verherrlichung der Nation als eine rein homogene magyarisch-ethnische Gemeinschaft und daraus folgernd die Bestimmung von identitätslosen »Fremden«, d.h. den »bolschewistischen Kommunisten«, den »Liberalen«, von »Multikulti« und »Globalisierung«, sind bis in die Mitte der Gesellschaft, ja bis in die größte Partei Ungarns, die »Fidesz-Ungarische Bürgerliche Union«, zur Zeit in der Opposition, und ihr nahe stehenden Kreise zu beobachten. Ein solches Forum ist die als gemäßigt geltende »Stiftung für den geistigen Umweltschutz«, die die Internetzeitschrift »Gondola« herausgibt. Hier erschien im Zusammenhang mit dem Jahrestag der Bombardierung von Dresden gerade in diesen Tagen ein Artikel mit einem NPDBegriff als Titel: »Bombenholocaust«.
Erschienen in: Der rechte Rand. Informationen von und für AntifaschistInnen, Nr. 105, März/ April 07, 28-29.