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Judentum und Israel
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Lösung Frauen und Wirtschaft

Seit Jahren greift der Orientalist Hans-Peter Raddatz mit seinen Publikationen über den Islam in die öffentliche Debatte ein. Er sieht Wirtschaft als wesentlichen Lösungsansatz im Umgang mit arabischen Regimes...

Interview: Yves Kugelmann, tachles - Das jüdische Wochenmagazin vom 23. März 2007

tachles: Gibt es eine Diskrepanz zwischen dem hier wahrgenommenen politischen Bild einer einheitlichen arabischen Welt und den tatsächlich vorhandenen arabischen Gesellschaften?

Hans-Peter Raddatz: Oberflächlich sind die Gesellschaften verschieden, weil sie aus verschiedenen Kulturen entstanden sind, aber all diese Erscheinungsformen haben den Glauben an Allah, den Koran und die Tradition Mohammeds gemeinsam. Die Frage ist, wie intensiv in den verschiedenen Ländern geglaubt wird, und da kann man in der Tat grosse Unterschiede feststellen. Der Islamismus als orthodoxe Bewegung will die Grundlagen wieder reaktivieren und tut dies mit grossem Erfolg, indem er sowohl den sozialen wie auch den verdeckten, auch mit Gewalt operierenden Arm, einsetzt. Diese Strategie ist von «moderneren» Organisationen wie der Hizbollah oder der Hamas übernommen worden, die sich damit auch gegen eigene Regimes wenden, denen sie zu intensive Zusammenarbeit mit dem Westen vorwerfen. Daraus hat sich leider eine konformistische Tendenz im gesamten Islam eingestellt, obwohl die grosse schweigende Mehrheit der Muslime immer noch eher liberal ist und den Indoktrinationsbestrebungen der Islamisten ziemlich verständnislos gegenübersteht.

Auch das Christentum hat einst aus seinem Glauben gewalttätig durchgesetzte Machtansprüche abgeleitet. Wo sind die Unterschiede oder Parallelen zur aktuellen Situation mit dem Islam?

Wir stehen hier zwei sehr unterschiedlichen Systemen gegenüber. Die oft gehörte Aussage, dass der Islam noch seine Aufklärung durchleben müsse, ist glatter Unsinn. Ohne Judentum ist das Christentum, aber auch der entscheidende Unterschied zum Islam, nämlich der Mensch als Individuum, nicht denkbar. Das Judentum hat sich auf sich zurückgezogen; geschichtlich hat sich dort das sogenannte Gottesreich ja schon verwirklicht, weshalb die Juden immer wieder in Gegensatz zu anderen Kulturen kommen. Sie können ihre eigenen Fähigkeiten entwickeln, ohne Rücksicht auf Utopien, die besonders im christlichen Raum stattgefunden haben und weiter stattfinden. Im Christentum ist die von Jesus ermöglichte Verselbstständigung des Individuums vom Klerus kaum realisiert worden, ganz im Gegenteil: Sie wurde über viele Jahrhunderte brachial missbraucht. Im Islam hingegen gibt es dieses individuelle Prinzip nicht, und deswegen kann es auch keine Aufklärung geben, die eine säkulare Mahnung an den Klerus war, den Menschen an seine Verantwortung vor Gott zu erinnern. Im Zuge dieser Entwicklung wurde jedoch immer deutlicher, wie utopieanfällig die westliche Zivilisation ist. Dagegen stellt der Islam Utopie und reale Religion zugleich dar, indem er die utopische Errichtung des Reichs Allahs mit einem durchaus bodenständigen Staats- und Rechtssystem kombiniert.

Nun stossen wir durch die Niederlassung der Muslime in einem offenen und freien Europa mit einer westlichen gemischt-kulturellen Gesellschaft an Grenzen. Wo liegt das Problem der westlichen Gesellschaft im Umgang mit dieser Tatsache?

Wir leben in einer Zeit, in der wir im Westen eine neue Utopie entwickeln, möglicherweise eine islamische Utopie. Was im Marxismus-Leninismus und im Nationalsozialismus oder Faschismus, den sogenannten zwei gefallenen Engeln, schiefgelaufen ist, soll jetzt in einem neuen, dritten Anlauf mit dem Pro-Islamismus endlich Realität werden. Unter anderen haben wir dafür Vordenker wie etwa Martin Heidegger oder Michel Foucault, die die Lüge für rechtens hielten, um eine neue Realität zu schaffen, und damit heute Ikonen für Utopisten jeglicher Couleur sind.

Mit welchem Ziel verfolgt das christliche Europa diese aus aufklärerischer Sicht sich selbst feindliche Islam-Utopie?

Schon die beiden Vorgänger-Utopien hatten mit der jetzt laufenden dritten die Gemeinsamkeit, sich gegen die eigene Bevölkerung zu richten. Das Ziel ist die sogenannte Systemüberwindung, die Beseitigung der Bourgoisie.

Ist demnach Europa fatalistisch?

Fatalistisch würde ich es nicht nennen, denn dies ist keine passive Einstellung, sondern man geht durchaus aktiv vor. Zum Beispiel beteiligen sich die Eurokraten in Brüssel lebhaft an der Finanzierung von Hamas, Hizbollah, PLO, Fatah und wie sie alle heissen.

Wie lässt sich das paradoxe Vorgehen erklären, einerseits die Aufklärung und die westliche Welt stärken zu wollen und anderseits solche Utopien zu übernehmen?

Vergessen Sie bitte nicht, dass auch der Französischen Revolution eine Utopie zugrunde lag. Im Verlauf der Moderne können wir in der Tat das Paradoxon beobachten, dass, was die Progressiven als Fortschritt sehen, den Konservativen als Dekadenz erscheint. Die unterschiedlichen Sichtweisen haben psychologische Gründe, die zu erklären den Rahmen dieses Interviews sprengt. In jedem Falle haben wir es mit zwei typisch europäischen Vernunftformen zu tun, die einmal eher die radikale oder progressive und zum anderen eher die ausgleichende oder bürgerliche Komponente betonen.

Wie sollen der Westen und gerade Europa mit der grossen Herausforderung Islam denn umgehen?

Das rationalste Argument – nicht nur in der westlichen Zivilisation – ist das Geld. Bisher ist jede Ethik vor dem Geldargument zurückgewichen. Dennoch gibt es inzwischen Persönlichkeiten in der Wirtschaft, die nicht mehr akzeptieren, sich ihre Randbedingungen von einer immer erfolgloseren Migrations- und Integrationspolitik vorschreiben zu lassen. Die Islampolitik betreffend wird die Wirtschaft noch von der Politik bestimmt, während es sich in anderen Bereichen umgekehrt verhält. Im Arbeitsbereich zum Beispiel befiehlt die Wirtschaft der Politik, wo es langgeht. In den Unternehmen beginnt die Erkenntnis zu dämmern, dass man sich langfristig einen grossen Gefallen tut, wenn man diese Entwicklung selbst aktiv beeinflusst. Also werden derzeit Überlegungen angestellt, wie man den sogenannten Dialog auf eine Ebene bringen kann, auf der die Muslime und auch unsere eigenen Politiker ihn besser verstehen und somit rationaler agieren. Hier kommt das zentrale Argument der Wettbewerbsfähigkeit ins Spiel. Jeder kann einsehen, dass im globalen Wettbewerb, in dem Millionen von Arbeitsplätzen zerstört und Millionen von Menschen zur Migration, vorwiegend nach Europa, gezwungen werden, dem Bildungsstandard dieser Migranten eine rasant steigende Bedeutung zukommt.

Wie schätzen Sie diese Entwicklung in Europa in den nächsten fünf bis zehn Jahren ein? Man sieht ja Ansätze, dass die europäischen Politiker diese Probleme wirklich zu lösen versuchen wollen.

Die Geschichte zeigt immer wieder, dass der zuverlässigste Indikator für unangemessene Machtkonzentrationen der Druck auf Frauen und Juden ist. Wir haben eine beängstigende Zunahme des Antisemitismus in Europa, insbesondere in Frankreich und England; aber auch in Organisationen wie der Uno und den EU-Behörden hat er sich in erschreckender Form etabliert. In Brüssel bekommt man hinter vorgehaltener Hand zu hören, dass Israel über die Klinge springen könnte, wenn das gemeinsame Interesse mit der arabischen Welt es erfordere.

Wie Sie sagen: Wenn Wirtschaftsinteressen grösser sind als jene der Ethik ...

Nein, ich rede hier eher von einer ideologischen Entwicklung, die auch gegen eigene Wirtschaftsinteressen geht. Wenn zum Beispiel die Eurokraten nicht bereit oder fähig sind, ausgleichend zu denken und mit den Arabern ein uneingeschränktes Existenzrecht für Israel zu vereinbaren, schaden sie den eigenen Interessen. Schon seit über zwei Jahrzehnten erpressen die Araber die Eurokraten immer wieder mit dem Ölargument. Darin schlägt sich besonders auch die wirtschaftliche Inkompetenz nieder. Denn ohne primär ideologische Motivation wäre man schon längst zu einer Förderung alternativer Technologien gekommen, um die Abhängigkeit vom Öl zu mildern. Jetzt erst kommt man auch in Brüssel darauf, wie verfehlt dies war und wie sehr hier das pragmatische Ausgleichsdenken gefehlt hat. Natürlich spielt bei dem Ablauf auch die Korruption keine geringe Rolle.

Anderseits gibt es in arabischen Ländern viele Menschen, speziell Frauen, die liberaler respektive emanzipierter leben wollen. Das ist keine kleine Bewegung ...

Nein, ganz bestimmt nicht, und selbstverständlich wird sich hier auch die moderne Kommunikation segensreich auswirken. Die meisten können fernsehen und wissen, wie es im Westen zugeht. Tatsächlich hat sich besonders bei den Frauen eine Bewegung formiert, die die Männer langfristig wohl kaum stoppen können.

Setzen Sie auf die Frauen?

Ich halte die Frauenbewegung aus westlich-liberaler Sicht für die entscheidende Komponente, aber auch aus westlich- ideologischer Sicht ist die offensichtliche Unterdrückung immer weniger haltbar. Das Argument, dass sich islamische Frauen freiwillig verschleiern, erscheint immer mehr Menschen weit hergeholt, wenn nicht absurd. Anderseits muss man einschränkend auch sagen, dass der islamistische Einfluss in diesen Ländern sehr stark ist. Sogar die Eliten befinden sich in einer mit der Masse vergleichbaren Situation. In vielen Fällen zahlen sie eine Art Lösegeld an die Islamisten, damit sie ihren Geschäften einigermassen nachgehen können. Langfristig wollen sie das natürlich nicht, denn sie haben oft im Westen Geschäftspartner und wissen somit sehr wohl, dass sich ihre Geschäfte auch angenehmer abwickeln lassen.

Sehen Sie Iran und die atomare Frage als Hauptproblematik für Europa, oder wäre es wichtig, dass die Bedrohung auch in der arabischen Welt gesehen wird?

Iran ist aus zwei Gründen mittelfristig sicher das grösste Problem im Nahen Osten. Erstens haben und hatten die Iraner schon immer eine klarere Position als ihre regionalen Konkurrenten. Zweitens sind sie als Schiiten endzeitlich orientiert, ihr radikales Potenzial ist somit wesentlich stärker als das arabische. Die Araber waren in ihrer ganzen Geschichte eher bereit, Kompromisse zu schliessen, auch wenn es um Fragen des Islam geht. Hinzu kommt, dass Saudi-Arabien als Führungsmacht im arabischen Raum inzwischen seine Legitimation weitgehend verloren hat, seine Führungsschicht eigentlich nur noch von Gnaden Amerikas lebt und zusehends auf Widerstand im Lande selbst stösst. Wie lange dies anhält oder die USA noch in der Lage sind, den Status quo zu sichern, wissen wir nicht.

Wobei die Amerikaner ja auch nicht mehr das sind, was sie mal waren ...

Ja, aber da muss man auch die sehr starke, ideologisch-aggressive Strömung in Europa und Amerika gegen die amerikanische Nahostpolitik in Betracht ziehen. Hier betreibt man typische Weltmachtpolitik, die im Grunde versucht, ideologische Belastungen – auch den Antisemitismus – zu vermeiden. Da Europa mit dem in der Hauptsache arabischen Islam beziehungsweise Islamismus auch wieder einen kräftigen Antisemitismus reimportiert, macht es sich von dieser Art Quasireligion abhängig. Es wird oft übersehen, dass in den letzten zwei, drei Jahren eine Drift von Saudi-Arabien Richtung Iran entstanden ist. Die Saudis würden lieber ihre Vorherrschaft im Nahen Osten an Iran abgeben als die Herrschaft im eigenen Land verlieren.

Was eigentlich zeigt, dass die offiziell gegen Israel gerichtete Bombe vor allem Druck auf die arabischen Länder macht.

Vollkommen richtig. Das ist die Langzeitstrategie der Iraner, die aus ihrer eigenen Geschichte daran gewöhnt sind, ganz schlicht und einfach die Hegemonie zu beanspruchen, zumindest im weiteren Golf-Bereich. Ein wichtiges Indiz dafür ist zum Beispiel, wie stabil Syrien über viele Jahre zu Iran gestanden und den Verlockungen der Amerikaner widerstanden hat.

Im April erscheint ihr neues Buch «Allah und die Juden». Darin rücken sie den Antisemitismus in muslimischen Ländern in ein neues Licht.

Nicht unbedingt in ein neues, aber in ein historisch korrektes Licht. Das Buch räumt unter anderem mit der Legende auf, es bestünden substanzielle Unterschiede zwischen dem westlichen und dem islamischen Antisemitismus.

http://www.tachles.ch

Category: Allgemein
Posted 03/25/07 by: admin



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