Am Sonntag, den 18. Februar 2007 ist im schweizerischen St. Gallen die Ausstellung "Visa rettet Leben" zu Ende gegangen. André Sirtes Sharon erzählte von der einzigartigen Schutzbrief-Aktion: "Dank Carl Lutz habe ich überlebt", sagte gestern der 71-jährige. Ein bewegendes Zeugnis zum Abschluss der Ausstellung, die an die unvergleichliche Rettungsaktion der Juden in Budapest im letzten Kriegsjahr 1944/45 erinnert...
Bis zum achten Lebensjahr spürt André Sirtes Sharon noch nicht allzu viel vom Krieg. Seine Familie wohnt in Budapest. Der Regierung Horthy gelingt es, sich aus dem Krieg herauszuhalten. Doch die Sympathien liegen bei Nazideutschland. Darum setzt man den ungarischen Juden auch mehr und mehr zu. 1942 wird Andrés Vater als Zwangsarbeiter nach Russland verschleppt und dort ermordet.
Im März 1944 marschieren deutsche Truppen in Ungarn ein und setzen nun die im Reich geltenden Gesetze gegen die Juden durch. Willige Schergen sind die Pfeilkreuzler, die ungarischen Nationalsozialisten. Nun beginnen Todesmärsche, Deportationen in Konzentrationslager, Massenerschiessungen. Nun schlägt aber auch die Stunde des Carl Lutz, des Schweizer Konsuls, der die Interessen von vierzehn Staaten vertritt.
"Visa retten Leben"
Aus Dankbarkeit für den 1975 verstorbenen Retter kam André Sirtes Sharon gestern nach St. Gallen. Einer von über 60 000 Juden, die dank dem Einsatz des Konsuls dem Tod entgangen sind. Carl Lutz war die gestern zu Ende gegangene Ausstellung im Historischen Museum gewidmet: "Visa retten Leben". Sie berichtet, wie Lutz mit den Nazis einen Deal ausgehandelt hatte: Juden, die bereit sind, nach Palästina auszuwandern, erhalten einen Schweizer Schutzbrief.
Von da an wird das Konsulat überrannt, von Menschen, die einen Schutzbrief suchen. Viele drängen auch einfach in die beiden Häuser des Konsulats, um dort das Kriegsende abzuwarten.
Dem Tod entronnen
Es gibt noch weitere Häuser, die unter dem Schutz des Schweizer Konsulats stehen, doch die Nazis respektieren dies immer weniger. Das erfährt auch André Sirtes Sharon, als er nach der Deportation seiner Mutter in einem solchen Haus Schutz sucht. Schon hat das Erschiessungskommando alle Bewohner an die Donau geschleppt, als ein Bombenalarm das Massaker stoppt und die noch Lebenden in ein Schutzhaus fliehen können.
Über sechzig Jahre sind seither verflossen. Doch wenn ein Überlebender erzählt, rückt alles wieder in unmittelbare Nähe. Für André Sirtes Sharon ist es keine Last, die schreckliche Vergangenheit wachzurufen. "Im Gegenteil, so kann ich jene Erlebnisse verarbeiten."
Rüge und Ehrungen
Mit dabei war gestern auch die Stieftochter von Carl Lutz, Agnes Hirschi. Sie erinnert daran, wie ihr Vater nach dem Krieg von seinen Schweizer Vorgesetzten zuerst einmal gerügt wird: Er habe seine Kompetenzen überschritten. Ganz anders die Reaktionen aus dem Ausland, das Carl Lutz mit vielen Auszeichnungen ehrt. "Ich werde immer mit Dankbarkeit und Hochachtung den Namen Carl Lutz in meinem Herzen tragen", sagt André Sirtes Sharon. Einen schönern Denkmalplatz konnte sich Lutz nicht wünschen.
"Die Ausstellung ist auf ein überraschend grosses Echo gestossen", sagt Nathalie Bodenmüller, welche sie eingerichtet hatte. "Es scheint fast, als würde das Interesse an jener Zeit stets noch grösser", fügt Museumsdirektor Daniel Studer hinzu.

André Sirtes Sharon an der Finissage
in der Carl Lutz gewidmeten
Ausstellung "Visa retten Leben".
Carl Lutz und die Rettung von 62'000 Budapester Juden dokumentiert die Schweizer Rolle in der Rettungsgeschichte der Juden in Budapest im letzten Kriegsjahr 1944/45.
Vizekonsul Carl Lutz (1895-1975), der seit 1942 die Abteilung für Fremde Interessen der Schweizer Gesandtschaft leitete, händigte nach dem Einmarsch der Nazis in Ungarn, am 19. März 1944, den bedrohten Juden Schutzbriefe aus, die er aufgrund der sogenannten Palästina-Einwanderungszertifikate ausstellen konnte. Die Anzahl der von den Nazis bewilligten Schutzbriefe wurde mit einem einfachem Trick vemehrt: Statt eines Namens wurden in die Schweizer Kollektivpässe die Namen ganzer Familien und Sippen mit Fotos eingetragen. Die Schutzaktion wurde vom IKRK, anderen neutralen Gesandtschaften und dem päpstlichen Nuntius unterstützt. Die Diplomaten nahmen an den hartnäckigen Verhandlungen mit der ungarischen Regierung und dem "Reichsverweser" Horthy, dem deutschen Gesandten Veesenmayer, mit Eichmann und seinen SS-Schergen teil. Das gesamte Personal der Schweizer Gesandtschaft wurde in die Rettungsaktionen eingebunden. Carl Lutz wurde auch von seiner Ehefrau Gertrud tatkräftig unterstützt. Sie alle kämpften um jedes einzelne Menschenleben, stellten Dokumente aus und sorgten für das leibliche Wohl der Geretteten, die nicht ausreisen konnten. Diese wurden in 76 Schweizer Schutzhäusern untergebracht.