Der Bund sozialistischer Akademiker (BSA) war knapp nach 1945 maßgeblich an der Integration ehemaliger Nationalsozialisten in die SPÖ beteiligt. Erst 60 Jahre nach der Befreiung Österreichs ging man daran, sich mit diesem Teil der österreichischen Geschichte selbstkritisch auseinander zu setzen. Präsident des BSA von 1950 bis 1973 war Karl Waldbrunner...
Von Karl Pfeifer
Am 22. November veröffentlichte die Wiener Wochenzeitung Falter einen Artikel von Thomas Geldmacher unter dem kurzen aber aussagekräftigem Titel "Ein Schmarrn" und dem Untertitel "Anlässlich des 100. Geburtstages von Karl Waldbrunner kann die SPÖ zeigen, wie ernst sie es mit der NS-Aufarbeitung nimmt."
Dr. Hannes Androsch – so der Falter – will auf die kritischen Punkte in Waldbrunners Vita "selbstverständlich nicht" eingehen. "Es wird ohnehin nirgends so viel reflektiert wie in Österreich", so der Industrielle, und weiter: Er bewege sich "auf ausreichend antifaschistischem Boden, um sich ein differenziertere Sichtweise zu erlauben:" Die gegen Waldbrunner vorgebrachten Vorwürfe seien haltlos und die Studie von Wolfgang Neugebauer und Peter Schwarz "ein Schmarrn". Das nennt Dr. Hannes Androsch "differenzierte Sichtweise".
Am gleichen Nachmittag hielt er aus Anlass des 100. Geburtstages von Nationalratspräsident DI Karl Waldbrunner die Festrede im Parlament. U. a. meinte er: "Zuletzt triumphierten Nationalismus, Bolschewismus, Faschismus und Nationalsozialismus über die engstirnigen und kurzsichtigen Demokratien der Siegermächte."
Diese Argumentation wird zwar immer wieder wiederholt und dient als Rechtfertigung für das nicht zu Rechtfertigende. Der Versailler Vertrag, auf den Androsch implizit Bezug nimmt, sorgte nicht für einen überharten Frieden. In Anbetracht Deutschlands maßgeblichen Anteils an der Auslösung des Weltkriegs und in Anbetracht der ungeheuren Opfer, die der Krieg gefordert hatte, kam das Deutsche Reich glimpflich davon. "Dass der Friedensvertrag von einer großen Mehrheit der Deutschen als überaus schmerzhaft empfunden wurde, lag nicht an seiner objektiven Beschaffenheit, sondern an der Natur des deutschen Nationalismus. Dieser Nationalismus war nicht das Geschöpf von Versailles, er war vielmehr bereits wichtigster Urheber des zu Ende gegangenen Krieges gewesen und wäre nach einem Sieg ebenso üppig ins Kraut geschossen wie jetzt nach seiner Niederlage." (Hermann Graml, Zweiter Weltkrieg, Ursachen in Legenden, Lügen, Vorurteile, Ein Wörterbuch der Zeitgeschichte herausgegeben von Wolfgang Benz, dtv)
Dr. Androsch meinte auch ohne Namen zu nennen: "Und so ist der von manchen initiierte Diskussionsversuch über "braune Flecken" eine vielleicht gut gemeinte dennoch aber moralinsaure, purifizierende Attitüde, mit Sicherheit aber keine sachkonforme Beurteilung."
Immerhin ist 2005 das wohlfundierte Buch "Der Wille zum aufrechten Gang" erschienen, das die Rolle des BSA bei der gesellschaftlichen Integration ehemaliger Nationalsozialisten beleuchtet und dokumentiert. Dieses Buch von Wolfgang Neugebauer und Peter Schwarz hat bei einigen ehemaligen SPÖ-Politikern für Empörung gesorgt. Ich habe mir die Mühe genommen und überprüft, wie über Karl Waldbrunner berichtet wurde. Die Autoren haben sich von den allgemein üblichen Maßstäben einer objektiven historischen Forschung leiten lassen. Sie berichten sachlich und kenntnisreich über die Nachkriegs-Strategie der SPÖ, die einerseits auf eine Aufsplitterung des bürgerlichen Lagers durch die Ermöglichung einer vierten Partei sowie andererseits auf die Gewinnung bzw. Neutralisierung von ehemaligen Nationalsozialisten durch den BSA, gründet. Der Historiker Oliver Rathkolb konstatiert in diesem Zusammenhang, dass die SPÖ "auch im Bereich der Verstaatlichen Industrie unter Minister Waldbrunner", der ab 1950 als BSA-Langzeitpräsident fungierte, "kein großes Interesse an tiefgreifender Entnazifizierungspolitik" besaß.
Neugebauer und Schwarz zitieren aus einem Brief Waldbrunners an Adolf Schärf: "Ich bleibe ja ständig bemüht, diesen Verband nicht in die Extreme gehen zu lassen, auch nicht in das Naziextrem, wie es einige unserer Landesorganisationen ja gerne üben." Auch wird im Buch vermerkt, dass Waldbrunner sich nicht geneigt zeigte für einen ehemaligen illegalen Nazijuristen zu intervenieren, damit dieser zum Richter ernannt werde. Allerdings zitieren sie auch den als "links" geltenden Politiker Karl Mark: "Als der Kreisky von Schweden zurückgekommen ist, hat er einmal gesagt im Klub: ‚Ihr behandelt die Nazis viel zu gut, mit Samtpfoten.’ Wenn jemand aus dem Ausland zurückkommt, dann soll er ruhig sein, er weiß nicht was hier gewesen ist. Er kann es nicht wissen, aber wir haben es ja beobachten können. Wir haben es ja gesehen, wie Nazi nicht gleich Nazi ist, wie man das nicht in einen Topf werfen darf."
Die Autoren knüpfen daran die Geschichte des aus dem amerikanischen Exil zurückgekehrten Joseph Simon. "Der bei der US-Besatzungsmacht zum Nutzen Österreichs tätige Jurist avancierte 1955 zum ersten Personaldirektor der ÖMV. Als solcher wurde er wegen seines Kampfes auf Seiten des "Enemy" USA sowohl aus den Reihen seiner eigenen sozialistischen Parteigenossen – darunter nicht wenige "Ehemalige" – angefeindet, als auch von kommunistischer Seite antisemitisch attackiert. Der Sozialdemokrat Simon wurde vom allmächtigen BSA-Chef und Verstaatlichten Minister Waldbrunner fallengelassen und musste sich eine neue Existenz in der Privatwirtschaft aufbauen." Neugebauer und Schwarz bemerken: "Die Behandlung der EmigrantInnen durch die SPÖ und den BSA stellt im Grund ein separates Forschungsthema dar."
Man hätte von einem ehemaligen Finanzminister erwartet, dass er nicht nur apodiktisch und ohne moralische Skrupel das Buch seriöser Wissenschafter als einen "Schmarrn" abqualifiziert, sondern auch ein paar Beispiele gibt, was in diesem Buch nicht stimmt, wo sich die Wissenschafter geirrt haben. Doch anscheinend geht es dem sich "ausreichend auf antifaschistischem Boden" bewegenden Unternehmer, nicht um eine sachliche Kritik, sondern darum, seinen Ärger darüber auszudrücken, dass man in diesem Land sich auch mit der Geschichte von Prominenten aus den Reihen der SPÖ kritisch auseinandergesetzt hat. Der Hinweis, dass Österreich, das Land sei, in dem man so viel reflektiert, entbehrt nicht einer gewissen Peinlichkeit, denn das offizielle Österreich – zu dem Karl Waldbrunner und Hannes Androsch gehörten, hatte Jahrzehnte Zeit zu reflektieren, tat das aber nicht, erst als die Welt auf einige österreichische Phänomene, die durch Kurt Waldheim und Jörg Haider personifiziert werden, aufmerksam wurde, fing man an, Licht ins Dunkel zu bringen. Dabei übersah Dr. Androsch, dass diese "Reflexion" durchaus vom Vorsitzenden der SPÖ Alfred Gusenbauer gewünscht war und der BSA dieses Buch von Neugebauer und Schwarz sogar herausgegeben hat.
Dr. Hannes Androsch ist ein erfolgreicher Unternehmer geworden, vielleicht sollte er andere Unternehmer, die sich bei der ÖVP engagieren, überzeugen, ebensolche Untersuchungen über die Politik ihrer Partei nach 1945 vorzunehmen. Da gab es nicht weniger sondern vielleicht mehr braune Flecken als bei der SPÖ und auch punkto Antisemitismus könnte der ÖVP eine kritische Beleuchtung der eigenen Vergangenheit nicht schaden.
Keine "Judenpartei":
Der Wille zum aufrechten Gang
Es war an der Zeit, 60 Jahre nach der Befreiung Österreichs durch die Alliierten, die Integration von Nationalsozialisten, darunter auch solche, die schwere Blutschuld auf sich geladen hatten, in den "Bund sozialistischer Akademiker" (BSA) zu untersuchen...