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Antisemitisches Elaborat in der Zur Zeit-Weihnachtsausgabe
Oft genug hören wir von rechten Politikern, in Österreich sei doch alles paletti, wo doch der Antisemitismus durch Gesetz verboten sei. Leichtgläubige lassen sich vielleicht manchmal von solchem substanzlosen Geschwätz beeindrucken...
Von Karl Pfeifer
Am 3. Januar 2007 warnte die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) vor einer "widerlichen bräunlichen EU-Internationale" und machte mit einer Presseaussendung aufmerksam auf den "Zusammenschluss extrem rechter EU-Abgeordneter zu einer eigenen Parlamentsfraktion, unter Teilnahme der FPÖ" (Freiheitliche Partei Österreichs) der nach Ansicht der IKG ein Nachdenken darüber erfordert, "ob sich eine österreichische Partei die sich mit Herrn LePen, Frau Mussolini und osteuropäischen deklarierten Antisemiten verbindet noch innerhalb des "Verfassungsbogens" bewegt."
Der EU-Abgeordnete der FPÖ Andreas Mölzer ist Herausgeber und Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung Zur Zeit, in der antisemitische Texte von deklarierten und nicht deklarierten Antisemiten gelegentlich zu finden sind. Antisemitismus wird – schon weil es anscheinend zum österreichischen Konsensus gehört – in der Regel nicht bestraft und im Fall der Wiener Wochenzeitung Zur Zeit mit beträchtlichen Subventionen des "ersten Opfers des Nationalsozialismus" belohnt.
Wieder einmal hat Friedrich Romig, vielleicht der radikalste Rechtsextremist unter den Katholiken und der katholischste unter den Rechtsextremisten, einen explizit antisemitischen Artikel in diesem Blatt publiziert. Das Pamphlet nennt sich "Der wahre Sinn der Geschichte" und ist am 22. Dezember 2006 erschienen.
Romigs Behauptung "Zumindest seit zweitausend Jahren bestimmt die Judenfrage den Verlauf der Geschichte" wird jeder seriöse Historiker als ein manisch wahnwitziges Hirngespenst qualifizieren. Jüdinnen und Juden waren bis zur Emanzipation nach der Französischen Revolution – leidende – Objekte der Geschichte.
Friedrich Romig zitiert Weihbischof Andreas Laun, wonach "christlicher Antijudaismus und rassistischer Antisemitismus... von der Idee her durch nichts miteinander verbunden (sind)". Wenn er das so gesagt hat, dann hat er wenig Ahnung von der Geschichte.
Raul Hilberg hat eine zweiseitige Gegenüberstellung der kanonischen und nazistischen antijüdischen Maßnahmen in seinem Buch "Die Vernichtung der europäischen Juden" veröffentlicht, hier lediglich drei Beispiele:
Kanonisches Recht:
Verbot der Ehe und des geschlechtlichen Verkehrs zwischen Christen und Juden (Synode von Elvira, 306)
Juden ist es nicht erlaubt, öffentliche Ämter zu bekleiden (Synode von Clermont 535)
Juden dürfen Christen nicht anklagen und können nicht Zeugen gegen Christen sein (3. Lateranisches Konzil, 1179, Kanon 26)
Nazimaßnahmen:
Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre, 15. Sept. 1935 (RGBl I. 1146)
Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums 7. April 1933 (RGBl I, 175)
Vorschlag der Parteikanzlei, Juden die Erhebung von Zivilklagen zu verbieten, 9. Sept 1942 (Bormann an Justizministerium, 9. Sept 1942, NG-151)
"Judaisierung oder Zionisierung die ganze Welt ergriffen"
Damit soll kein Gleichheitszeichen zwischen Nationalsozialismus und katholischer Kirche gesetzt werden. Nur die Behauptung, der christliche Antisemitismus hätte keine rassistische Komponente gehabt, wird von Hilberg und anderen Wissenschaftlern ad absurdum geführt.
Romig sieht die Geschichte als Ergebnis des biblischen Sündenfalls, "als Kampf [...] zwischen Gut und Böse, zwischen Licht und Finsternis". Die Juden repräsentieren für ihn natürlich die Finsternis. Sein Antisemitismus ist voll in der Tradition des politischen Katholizismus der Ersten Republik. Das vom Romig aufgebaute "Modell" eines historisch konstanten Konfliktes zwischen "Christentum" und "Judentum" gibt sich mit dem Gebrauch von Fußnoten den Anschein etwas mit Wissenschaft zu tun zu haben. Doch seine "dualistische" Grundstruktur hat nichts mit Wissenschaft zu tun. Gerade in der "Einfachheit" dieses Modells liegt sein unwissenschaftlicher Charakter, da es die Komplexität historischer gesellschaftlicher Konflikte nicht abzubilden imstande ist und Romig notgedrungen mit verschwommenen Begriffen arbeiten muss, um die differenzierte historische Realität in die beiden "Schubladen" pressen zu können.
Romig behauptet: "Im 20. Jahrhundert verbindet sich der Judaismus mit dem Zionismus". Dies stützt er auf Theodor Herzls "Judenstaat". Dass der Zionismus bis zum Holocaust unter den Jüdinnen und Juden lediglich eine Minderheit erreicht hat, stört ihn nicht. "Nach der Niederlage Deutschlands kam es zur Gründung des Staates Israel und zur engen Verbindung von Israel und den USA." Ein kühner Kurzschluss, der vergessen macht, dass diese enge Verbindung erst nach 1967 entstand. Aber es kommt noch toller, die USA wurden zum "Zentrum des Zionismus", dabei stützt er sich auf das vom linken Wiener Promedia Verlag herausgegebene Machwerk "Blumen aus Galiläa" des schwedisch-russischen christlichen Antisemiten und Rechtsextremisten Adam Ermash, früher Jöran Jermas, der seine Produkte unter dem Namen Israel Shamir vertreibt. Romig zitiert zustimmend Shamir: "Das Judentum hat das Gehirn Amerikas übernommen" und "Die USA ist Schwesternstaat Israels geworden." Laut der paranoiden Vorstellung Romigs "hat der Prozeß der Judaisierung oder Zionisierung die ganze Welt ergriffen".
Dann folgt ein Rundumschlag gegen die Aufklärung, den Liberalismus, die Demokratie und die Behauptung: "Die Aufklärung ist die Philosophie des Antichrist. Insofern die Aufklärung antichristlich ist, macht sie mit dem zionistischen Judaismus gemeinsame Sache."
Papst Benedikt XVI ist da andere Meinung, er sagte in seiner Ansprache an die Mitglieder der römischen Kurie am 22. Dezember 2006: "Die muslimische Welt befindet sich heute mit großer Dringlichkeit vor einer ähnlichen Aufgabe, wie sie sich den Christen in der Zeit der Aufklärung (im 18. Jahrhundert) stellte und auf die das Zweite Vatikanische Konzil (1962 bis 1965) als Frucht einer langen, mühsamen Suche konkrete Lösungen für die katholische Kirche gefunden hat." (FAZ 3.1.07, Seite 8)
Vielen Juden bestätigt Romig "vielfach überlegene(n) Intelligenz" und "Zusammenhalt" um sich dann auf Werner Sombart, einen zum Nationalsozialismus bekehrten deutschen Wissenschaftler, zu berufen. "Soweit Juden an Umstürzen, Revolutionen, Bürgerkriegen, Subversionen, Schaffung von Instabilität, ‚creative destruction’ etc. beteiligt waren und noch sind, erfüllen sie ihre Sendung als das von Jahwe ‚auserwählte Volk’."
"Judaisierung auch unter den Taufschein-Christen"
Romig greift dann auch diesen Gott an, denn er "ist kein dreifaltiger Gott" und wird mitverantwortlich gemacht für alle Missstände der Welt: "Globalisierung, europäische ‚Unionisierung’, Natoisierung, Schaffung ‚gemeinsamer Märkte’ sind alles Teile des Prozesses der ‚Judaisierung’, ‚Zionisierung’ oder ‚Israelisierung’ der Welt". Wir dachten, dass Jean Monet und Konrad Adenauer gläubige Katholiken waren, und jetzt erfahren wir von Romig implizit, dass diese nur an der "Judaisierung" und "Zionisierung" interessiert waren. Es ist Wahnsinn, aber mit Methode. Dabei beruft er sich auf den 1925 getätigten Spruch eines Papstes und auf den Liebling aller "Antizionisten", Noam Chomsky. Im Gegensatz dazu werden von Romig der "jüdische Antichrist Daniel Goldhagen" und seine Forderung, alle antisemitischen Stellen aus der Liturgie zu entfernen angeprangert. "Die weitgehende Akzeptanz dieser Forderungen im Umkreis der ‚politisch Korrekten’ läßt erkennen, wie weit der geistige Prozeß der Judaisierung auch unter den Taufschein-Christen bereits fortgeschritten ist."
Es kommen noch mehr Überraschungen: "Vom Prozeß der Judaisierung war und ist das deutsche Volk, einst Träger des Heiligen Reiches, besonders betroffen." Dann schiebt Romig noch "Luthers Protestantismus" den Jüdinnen und Juden in die Schuhe. Doch es kommt noch schräger: "In der und im Gefolge der Französischen Revolution siegt der bürgerlich-demokratische Antichrist und bringt jene Terrorregime hervor, die das 20. Jahrhundert zum ‚Jewish Century’ gemacht haben: Kommunismus, Nationalsozialismus, zionistischer Amerikanismus." Sogar am Nationalsozialismus sollen die Jüdinnen und Juden schuld sein.
Romig schreckt auch nicht davor zurück, Versatzstücke der (neo)nationalsozialistischen Propaganda zu benützen: "Nach dem 2. Weltkrieg wurde den Deutschen im Wege der Umerziehung ‚eine neue Seele eingeimpft’, und diese vollgestopft mit den ‚Ausgeburten der jüdischen Ideologie’."
Wenn der Nationalsozialismus wirklich eine jüdische Ideologie gewesen wäre, wie das Romig ein paar Sätze zuvor unterstellte, dann hätte es doch für "die Juden" wenig Sinn gemacht bei der Umerziehung mitzumachen. Logisches Denken darf man von Romig kaum erwarten. In Wirklichkeit wirft er ja den Alliierten vor, Deutschland und Österreich von der nationalsozialistischen Herrschaft befreit zu haben.
Durch die Umerziehung, so Romig, der damit schamlos in die unterste Schublade der Neonazipropaganda greift, "wurde das Kriegsziel erreicht: ‚Germany must perish’ (N.Kaufmann), die Deutschen verloren weitestgehend ihre Identität."
In der Fußnote dazu bemerkt er: "Th. N. Kaufmann [sic!]: Germany Must Perish, Newark 1941. Kaufmann empfiehlt die Sterilisation aller Deutschen um zu verhindern, daß sie weiter ‚kriegslustige’ [sic!] (‚warlust’) Nachkommen zeugen können. [...] Sein Wunsch scheint jetzt auch ohne Sterilisation erfüllt zu werden."
Theodor N. Kaufman hat tatsächlich ein solches Büchlein selbst verlegt und vertrieben. Der nationalsozialistischen Propaganda – als deren frömmelnder Nachbeter sich Romig erweist – war die Geschichte hochwillkommen, sie wurde im Völkischen Beobachter (24. Juli 1941) in großer Aufmachung zu einem "ungeheuerlichen jüdischen Vernichtungsprogramm" hochstilisiert. (Eine ausführliche Auseinandersetzung damit findet sich in Legenden, Lügen, Vorurteile, Ein Wörterbuch zur Zeitgeschichte herausgegeben von Wolfgang Benz, dtv)
"heute beherrschen die Juden die Welt"
Romig zitiert zustimmend die Rede des damaligen malaysischen Ministerpräsidenten Mahatir "Die Europäer haben sechs von zwölf Millionen Juden ermordet, doch heute beherrschen die Juden die Welt durch ihre Stellvertreter", um dann zu behaupten: "Der Holocaust wurde zur neuen Weltreligion". Romigs Artikel "Der Holocaust: Die neue Weltreligion", der ursprünglich ebenfalls in Zur Zeit erschien, wurde auch vom Holocaustleugner und Neonazi Ernst Zündel auf seine Homepage gesetzt. (http://www.zundelsite.org/zundel_persecuted/april16-06.html)
Wer Romigs Artikel liest, wird verstehen, wie aktuell noch Theodor Mommsen ist, der vor langer Zeit sagte: "Sie täuschen sich, wenn Sie glauben, dass man da mit Vernunft überhaupt etwas machen kann. Ich habe das früher auch gemeint und immer und immer wieder gegen die ungeheure Schmach protestiert, welche Antisemitismus heisst. Aber es nützt nichts. Es ist alles umsonst. Was ich Ihnen sagen könnte, das sind doch immer nur Gründe, logische und sittliche Argumente. Darauf hört doch kein Antisemit. Die hören nur auf den eigenen Hass und den eigenen Neid, auf die schädlichen Instinkte. Alles andere ist ihnen gleich. Gegen Vernunft, Recht und Sitte sind sie taub."
Hartgesottene Antisemiten kann man tatsächlich nicht mit vernünftigen, logischen und sittlichen Argumente erreichen, es gibt jedoch viele, bei denen der Antisemitismus nicht so tief verwurzelt ist und deswegen darf man nicht den Versuch aufgeben, diese über den Antisemitismus aufzuklären.
Dr. Friedrich Romig erhielt für seine Habilitationsschrift den Kardinal Innitzer-Preis, Während der EU-Beirittskampagne 1992-1994 war er Europabeauftragter der Diözese St. Pölten und Mitglied der Europakommission der Österreichischen Bischofskonferenz und ist seit 1975 Träger des Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich. Romig wirft seiner Kirche vor, den alten ausgelatschten Pfad des christlichen Antisemitismus verlassen zu haben. Es ist nicht meine Sache, den Streit zwischen Friedrich Romig und seiner Kirche, zu kommentieren. Deswegen gehe ich auf die vielen theologischen Spitzfindigkeiten und auf die (aus dem Kontext gerissenen?) Zitate hoher kirchlicher Würdenträger gar nicht ein.
Es sollte eigentlich Sache der Würdenträger der katholischen Kirche sein, auf die Angriffe des ehemaligen Mitglieds der Europakommission der Österreichischen Bischofskonferenz zu antworten, wenn sie es ernst meinen – wie zu hoffen ist – mit den Erklärungen gegen Antisemitismus. Andernfalls könnte ja die Kirche beschuldigt werden, sich wie eine rechte politische Partei zu verhalten, die nichts unternimmt gegen ihren antisemitischen Rand, um ja keine Wähler – in diesem Fall Kirchenbeitragszahler – zu verlieren.