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Vojvodina im Frühjahr 1993

Auf einer proiranischen Website werde ich als neokonservativ eingestuft hingegen vergleicht der deutsche proserbische Blogger Jihad Watch meinen Standpunkt mit der Haltung des iranischen Präsidenten. Vor 15 Jahren, im Juni 1993 veröffentlichte die sozialdemokratische Monatszeitschrift "Zukunft" meinen Artikel über Vojvodina. Dieser zeigt, dass ich mich für keinen Nationalismus begeistert habe. Das ist bis heute mein Standpunkt...

Von Karl Pfeifer

"Wodurch", fragte Herr K., "bin ich für diese Minute ein Nationalist geworden? Dadurch, daß ich einem Nationalisten begegnete. Aber darum muß man die Dummheit ja ausrotten, weil sie dumm macht, die ihr begegnen."(Bertolt Brecht: Geschichten vom Herrn Keuner)

Die Reise mit dem Zug in das von einer tiefen Krise markierte Restjugoslawien unterscheidet sich nicht von der Reise in ein anderes Nachbarland. Der jugoslawische Speisewagen bietet erstklassige Speisen und freundliche Bedienung, die Grenzkontrolle ist wie an der Grenze zur Schweiz, nur bleibt der Zug eine Stunde in der Grenzstation stehen. Doch in Novi Sad angekommen (auf ungarisch Ujvidék, deutsch: Neusatz) merkt man schon am Bahnhof die Krise, bereits am Bahnsteig wird man mit "Devisi, Marki" angesprochen. Die Deutsche Mark ist nicht nur eine begehrte Valuta, sondern auch der Maßstab der eigenen Währung, die durch noch nie erreichte Inflationsraten ständig an Wert verliert. Die wenigen, die sich etwas ersparen können, versuchen, ihre Dinar in DM umzutauschen. Der durchschnittliche Monatsverdienst war während meines Besuches (Ende April) der Gegenwert von 25-30 DM. Vor drei Jahren war das der durchschnittliche Tagesverdienst eines jugoslawischen Beschäftigten!

Die Novi Sader Werkzeugfabrik Jugoalat ist an den Rand des Konkurses geraten. Ihre Arbeiter hatten 1988 bei der Ablösung der Führung der Vojvodina und der Auslieferung dieses reichen Gebietes an Serbien eine führende Rolle gespielt. Damals gingen sie - sich berufend auf die Leiden ihrer "hungernden" Kinder - auf die Straße, skandierten nationalistische Parolen und forderten Lohnerhöhung. Heute demonstrieren sie nicht mehr. Vergessen die Zeiten vor drei oder vier Jahren als sie monatlich 7000-14.000 Schilling verdienten. Das nationalistische Ziel ihrer damaligen Demonstration jedoch haben sie erreicht: Die Autonomie ist abgeschafft, die Vojvodina wurde Teil der "einen und unteilbaren Republik" Serbien. Wer arbeitslos oder von der Arbeit freigestellt ist, darf sich durch Schwarzhandel ein Zubrot verdienen.

Beides lohnt sich

Viele der am Novi Sader Markt stehenden "Devisenhändler" kaufen fremde Währungen für die Privatbanken, die wiederum versuchen, mit enormen Zinsangeboten die Menschen zu verlocken, ihr Geld der Bank anzuvertrauen. Lange Menschenschlangen stehen vor den Banken und warten, daß sie wenigstens einen Bruchteil ihrer Einlagen zurückbekommen. Doch entweder fehlt es an Geld, oder hat sich der Bankinhaber ins Ausland abgesetzt. "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?", fragt Brecht in der Dreigroschenoper. In Jugoslawien scheint sich beides zu lohnen, da kann es schon vorkommen, daß der Tresorraum einer Bank vor laufenden Fernsehkameras am hellichten Tag ausgeraubt wird, und die Täter von der Polizei nicht gefaßt werden können. Aber die Banken haben es geschafft, den Bürgern noch ihre letzten Ersparnisse abzunehmen. Der Krieg, an dem Jugoslawien offiziell nicht teilnimmt, wird mit wertlosem Geld finanziert.

Auf meine wiederholt an die offiziellen serbischen Gesprächspartner gerichtete Frage, ob es denn wahr sei, daß die politische Führung Jugoslawiens mit der kriminellen Unterwelt und den privaten Banken ein Bündnis eingegangen sei, erhielt ich keine Antwort.Schon vor Ausbruch des Krieges, 1991, kam es in Jugoslawien zu einer Wirtschaftskrise. Nun wird es üblich, für alle negativen Erscheinungen der Wirtschaft das Embargo verantwortlich zu machen. Laut offizieller Propaganda könnte Serbien ganz allein die Wirtschaft zum Blühen bringen. Das Regime hat auch eine einfache Methode gefunden, Streiks und Unzufriedenheit zu bekämpfen. Man druckt Papiergeld und verteilt es dann, wenn Unruhen drohen. Der Staat versucht mit hunderten von Verordnungen, der Lage Herr zu werden. Doch eine kranke Wirtschaft läßt sich allein mit Weisungen von oben nicht beleben.

In den Geschäften Novi Sads, der Hauptstadt der Vojvodina, des reichen landwirtschaftlichen Gebiets, gibt es kein Mehl, keinen Zucker, kein Öl. Es fehlt an lebensnotwendigen Medikamenten, in den Spitälern können viele Operationen nicht durchgeführt werden. Die Masse der Bevölkerung merkt die Sanktionen, auch wenn am Markt Südfrüchte angeboten werden. Die galoppierende Inflation führt zu einer bisher nicht gekannten Massenverelendung. In Novi Sad gibt es nur einen Betrieb, der gewinnbringend arbeitet. Traurig genug, daß für die Produkte dieses Betriebes, Rollstühle, orthopädische Schuhe und Prothesen eine derartige Nachfrage herrscht.

Laut der 1991 abgehaltenen Volkszählung leben in der Vojvodina Vertreter insgesamt 26 verschiedener Völker, Völkerschaften und ethnischer Gruppen, die sich wie folgt zusammensetzen: 57.2 Prozent Serben. Die Ungarn bilden mit 16.9 Prozent der zwei Millionen Einwohner die größte Minderheit. Als Jugoslawen bekannten sich noch vor zwei Jahren 8.4 Prozent, Kroaten 3.7 Prozent, Slowaken 3.2 Prozent, Ukrainer 2.5 Prozent, Montenegriner 2.2 Prozent, Rumänen 1.9 Prozent, Zigeuner 1.2 Prozent, Bunevazen 1.1 Prozent, Ruthenen 0.9 Prozent, Mazedonier 0.8 Prozent, Moslems 0.3 Prozent, Albaner 0.15 Prozent, Slowenen 0.1 Prozent.

Entwickelt und reich

Bis 1918 gehörte dieses Gebiet zur ungarischen Reichshälfte des Habsburgerreiches. Damals waren die Serben einem Assimilationsdruck der Ungarn ausgesetzt. Nach 1918 wurde die Vojvodina der am meisten entwickelte und reichste Teil Jugoslawiens mit einem hohen Anteil von Stadtbewohnern. Die Ungarn kamen unter serbischen Assimilationsdruck. Am 11. April 1941 überschritten ungarische Truppen die Grenze zu Jugoslawien, um bis "zur tausendjährigen südlichen Grenze" vorzudringen. Die ungarische Administration machte die Bodenreform der Zwischenkriegszeit rückgängig und vertrieb 25.000 nach 1918 angesiedelte Serben und siedelte Szekler aus der Bukovina und Csángós aus Moldau in der Bácska an, die 1944 nach Ungarn fliehen mußten.

Im Jänner 1942 ermordeten ungarische Gendarmen und Soldaten kaltblütig Tausende Juden und Serben anläßlich der berüchtigten "Novi Sader Razzia". 1944 kam es, noch bevor geregelte Verhältnisse geschaffen wurden, zu einer wahllosen Racheaktion der Partisanen, die viele unschuldige ungarische Opfer forderte. Erst heute wird diese Periode von der Geschichtswissenschaft in der Vojvodina erforscht. Das Thema wurde bis zur "Wende" 1990 vollkommen tabuisiert. Viele Ungarn flüchteten Ende des Krieges nach Ungarn. Neben den Deutschen wurden nach der Befreiung auch Ungarn interniert. Doch den Ungarn gegenüber wurde die Politik bereits am 1. Dezember 1944 geändert, die Internierung wurde aufgehoben. Am 15. Februar 1945 wurde die Vojvodina wieder unter zivile Verwaltung gestellt. Ungarn, die am jugoslawischen Volksbefreiungskampf teilgenommen hatten, übernahmen die Führung der ungarischen Volksgruppe. Die "jugoslawische Idee" beeinflußte die in der Vojvodina gebliebene ungarische Intelligenz. Nach dem Bruch mit Stalin identifizierten sich die meisten Ungarn mit Jugoslawien. Viele ungarische Intellektuelle assimilierten sich, zumal ja das kulturelle und gesellschaftliche Klima in Jugoslawien viel liberaler war als in Ungarn.

Der Zerfall Jugoslawiens führte zur Dissimilation einiger ungarischer Intellektueller. Der VDMK (Verband demokratischer Ungarn der Vojvodina) fordert eine dreifache Autonomie, nämlich eine territoriale im Norden der Bácska (zwischen Donau und Theiß), in dem die Ungarn die Mehrheit bilden, eine kulturelle für alle in Serbien lebenden Ungarn sowie eine lokale für die mehrheitlich von Ungarn bewohnten Ortschaften, die außerhalb der nördlichen Bácska liegen.
Der oberflächliche Besucher wird keine ethnischen Spannungen merken. Die bunt gemischte Bevölkerung der Vojvodina ist gewohnt miteinander zu leben. Doch gibt es einige Probleme, die der ungarischen Minderheit große Sorgen bereiten. Da ist zum ersten die Angst, die vielen Flüchtlinge würden die ethnische Zusammensetzung zuungunsten der Ungarn verändern. Dann aber führt die Übersiedlung vieler Ungarn aus der Vojvodina nach Ungarn wirklich zu einer solchen Veränderung. Die Angst ist manchmal ein schlechter Ratgeber.

Der Nationalismus der Serben bestärkt den Nationalismus der Ungarn. Auch wenn die Staatsmacht lauthals bekundet, keinen Unterschied zu machen, sind ihr die Ungarn, die auf ihrer Sprache und ihren Traditionen bestehen, manchmal verdächtig. Auch unter den Ungarn der Vojvodina kann man gelegentlich schrille Töne hören. So kann es schon vorkommen, daß man in VDKM-Versammlungen gegen Mischehen auftritt und völkisches Gedankengut verbreitet. Doch die alteingesessene Bevölkerung der Vojvodina weiß aus geschichtlicher Erfahrung, aber auch durch Fernsehinformationen, was geschieht, wenn völkische Parolen verbreitet, wenn bewaffnete, von Kriminellen angeführten Banden aneinandergeraten. Noch geben in der Vojvodina blutrünstige Parolendrescher und vaterländische Extremisten auf beiden Seiten nicht den Ton an.

Allerdings gibt es Extremisten, die zur Aufschaukelung beitragen. In Ungarn fordern radikale Kreise der Regierungskoalition (die Gruppe "Ungarischer Weg" unter der Leitung von István Csurka, Zsolt Zétényi u.a.) die friedliche Grenzrevision. Sie berufen sich dabei auf das Helsinki-Abkommen, vergessen aber, daß es sich um den Ausnahmefall des damals gespaltenen Deutschland handelte. Serbische Extremisten fordern das Verbot der VDMK, weil dieser die Ungarn auffordert, nicht am Krieg teilzunehmen. Der Kommandant der Bewegung serbischer Royalisten, Sinisa Vucinic, erklärt in der mehrheitlich von Ungarn bewohnten Stadt Subotica: "Serbien wird nicht der Staat seiner gleichberechtigten Bürger, sondern der Staat der serbischen Männer und Frauen sowie der Serbiens Interessen loyal vertretenden Bürger sein". Er beschuldigt, ohne jeglichen Beweis, Ungarn und Kroaten der Vojvodina, sie würden sich bewaffnen.

Gemäßigte Serben verweisen auf die Osterrede des orthodoxen Patriarchen Pavle, der meinte, Halbwahrheiten wären gefährlicher als Lügen. An beidem fehlt es auch hier nicht. Die Extremisten lügen, daß sich die Balken biegen, die Machthaber benützen aber lieber Halbwahrheiten. Alle, aber wirklich alle, fühlen sich bedroht. Doch die Ängste der Minderheiten sind ernster zu nehmen als die Ängste der Mehrheit.

Ein Lichtblick: Die Friedensbewegung

In einem kleinen, aus zwei Zimmern bestehenden Büro, residiert die im Juli 1991 gegründete Friedensbewegung in Novi Sad, die anläßlich von Friedens-Demonstrationen schon 1.000 Menschen mobilisieren konnte. Während solcher Demonstrationen werden keine Reden gehalten. Eine Demonstration gegen die Vernichtung von Kulturdenkmälern in Dubrovnik hielten sie vor der katholischen Kathedrale ab. Nach den letzten Wahlen veranstalten sie keine Demonstrationen mehr, weil es gelegentlich auch zu physischen Angriffen gegen Friedensaktivisten kam.

In dieser Bewegung arbeiten Serben, Kroaten, Ungarn und Moslems eng zusammen und man tritt selbstverständlich nicht nur für Frieden, sondern auch für Menschenrechte und Koexistenz der verschiedenen Volksgruppen ein. Angeblich sind Zehntausende junge Männer aus der Vojvodina ins Ausland geflüchtet, weil sie nicht am Krieg teilnehmen wollen. Holland wird als ein Land gepriesen, daß sich gegenüber Deserteuren großzügig verhält. Besonders wird beklagt, daß die Friedensbewegung keine Möglichkeiten erhält, sich in den Massenmedien artikulieren zu können. Sie planen, eine Zeitschrift namens "Dialog" herauszugeben. Die Friedensbewegung leistet auch humanitäre Hilfe für Bosnien. Geldmangel und Unverständnis der Behörden hemmen die Arbeit dieser Friedensgruppe.

Slavenka Ljubic, Sekretärin an einer Schule, verlor ihre Arbeit, weil sie zu einem Friedenstreffen nach Frankreich fuhr. Der Schuldirektor, ein Funktionär der radikalen Seseljpartei, hatte ihr zuvor die Fahrt verboten.

Friedliches Zusammenleben

Die Ungarin Ilonka Mészáros, Präsidentin eines ungarischen Kulturvereines betont das friedliche Zusammenleben in der Vojvodina. In ihrem Verein sind nicht nur Ungarn, sondern auch Angehörige anderer Nationalitäten. Trotz der schweren Zeiten kommen sie zusammen und pflegen die sprachlichen und kulturellen Traditionen.

Nach den Abend-Nachrichten,- mit einem Bericht über eine mögliche westliche Militärintervention - folgt im Belgrader Fernsehen ein Nazi-Propagandafilm mit serbokroatischen Untertiteln, über die Eroberung Jugoslawiens im April 1941. Die feldgrauen Soldaten werden in Zagreb von Kroaten mit stürmischer Begeisterung empfangen. Die Volksdeutschen in Maribor und Gottschee empfangen die Wehrmacht mit nicht weniger Enthusiasmus und beklagen sich über die serbische Unterdrückung. Die Wehrmacht wird als eine fehlerlos funktionierende Armee gezeigt, volksdeutsche Zivilisten helfen ihr, die gesprengten Brücken zu ersetzen. Neben diesen Bildern kann man aber auch Massen von gefangenen serbischen Soldaten sehen, ihre Niedergeschlagenheit und ihr Leid. In unseren Breitengraden wird gerne vergessen, daß das serbische Volk während des Zweiten Weltkrieges in Baustein und Kroatien Opfer einer geplanten Genozidpolitik war.

Die Volkswirtschaftliche Abteilung der I.G.-Farben interpretierte 1942 die Massaker der kroatischen Ustascha an vielen hunderttausend serbischen Männern, Frauen und Kindern als konstruktiven Beitrag zur Lösung des dortigen "Überbevölkerungsproblems". In ihrem Bericht über die Wirtschaftsstruktur Kroatiens heißt es in der damals üblichen Tarnsprache der "Aussiedlung": "Im Zusammenhang mit der Aussiedlung zahlreicher serbischer Bauern hofft man ferner, das Problem der starken agrarischen Überbevölkerung einzelner Landschaften wie Zagoriens, Dalmatiens und der Lika durch eine großzügige innere Kolonisation zu lösen."*

Einige Schlagwörter des Nazipropagandafilmes werden jetzt von kleinformatigen Massenmedien zur Erklärung der Ereignisse in unserem südlichen Nachbarland gerne gebraucht, zum Beispiel diejenigen vom nicht lebensfähigen jugoslawischen Staat, von der serbischen Unterdrückung, unter der Kroaten und Slowenen zu leiden hatten, und natürlich von der westlichen Kultur und der östlichen Barbarei. Freilich instrumentalisieren serbische Nationalisten ebenfalls diese Geschichte, indem sie nur die Opferrolle von Serben betonen.
Unwillkürlich kreist jedes Gespräch in Jugoslawien um diese Geschichte. Freilich war das Königreich Jugoslawien kein demokratischer Musterstaat, doch Kroaten und Slowenen (ausgenommen natürlich die Minderheit derer, die Partisanen waren) konnten durch den Anschluß an diesen Staat nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg von der Seite der Verlierer auf die Seite der Sieger wechseln.

Ein anderes nicht versiegendes Thema in Jugoslawien ist die nicht ausgewogene westliche Berichterstattung. Diesmal hat sogar der ORF kurz darüber berichtet, wie in der bosnischen Stadt Vitez kroatische Soldaten moslemische Frauen vergewaltigten, unschuldige Menschen in den Kopf schossen, ganze Familien liquidierten. Und es kam auch zu ähnlichen Greueltaten moslemischer Krimineller gegen die kroatische Zivilbevölkerung. Sicher können durch diese Taten nicht von Serben begangene Verbrechen gerechtfertigt werden. Doch was bedeutet es, wenn Andreas Khol, der außenpolitische Sprecher der ÖVP, im Nationalrat erklärt, er sei froh, daß der Vance/Owen-Plan (der sicher nicht perfekt ist) durch serbische Ablehnung gescheitert ist. Mocks Vordenker: "Damit sei es möglich, die Kriegsverbrecher auch tatsächlich Kriegsverbrecher zu nennen und nicht Vertragspartner".

Spielt es eine Rolle?Spielt es wirklich eine Rolle, ob der Vergewaltiger und/oder Mörder ein orthodoxer Serbe oder ein katholischer Kroate ist? Freilich postulieren diese Außenpolitiker, die Greuel im ehemaligen Jugoslawien ließen sich nur durch die Ausweitung des Krieges stoppen. Würden militärische Aktionen den Konflikt einschränken? Würde man die Lage der Zivilbevölkerung dadurch verbessern?

Vor allem muß man sich in Österreich (und Deutschland) die Frage stellen, woher diese Begeisterung mancher Medien und Politiker für einen militärischen Schlag gegen den "Erbfeind" Serbien kommt. Es gibt ein Kapitel in der österreichischer Nachkriegsgeschichte, das bisher von keinem Historiker bearbeitet wurde, das ist die Hilfe, die kroatische Ustaschamassenmörder von hohen und höchsten Würdenträgern der katholischen Kirche Österreichs nach dem Zusammenbruch ihres Regimes erhalten haben. Ein anderes Kapitel der ”österreichischen Geschichte in bezug auf Jugoslawien wurde dank der Affäre Waldheim ein wenig beleuchtet. Wäre es möglich, daß die große Begeisterung gewisser konservativer Politiker für das autoritäre Kroatien mit diesen Aspekten der Geschichte zu tun hat? In den staatsnahen Medien Kroatiens wird die Geschichte des kroatischen Satellitenstaates, der sich willig in die NS-Vernichtungsmaschinerie einfügte, frech umgeschrieben. "Dieser Staat war kroatisch, nicht faschistisch", titelte "Vercernji list" und berichtete, wie man in Zagreb ”öffentlich den 52. Jahrestag der Schaffung des Ustaschastaats feierte.

Von Serben in der Vojvodina kann man Beschwerden darüber hören, daß viele Serben, die in kroatischen Städten leben, nicht mehr wagen sich zum orthodoxen Glauben zu bekennen. Sie weisen darauf hin, daß es kein Zufall ist, daß in Kroatien Schulen und Institutionen nach dem hingerichteten Ustaschaverbrecher Mile Budak benannt werden, der als Religions- und Unterrichtsminister die folgende "Lösung" des Problems der serbischen Minderheit in Kroatien vorschlug: "Wir töten einen Teil der Serben, wir vertreiben einen anderen, und der Rest, der die katholische Religion annehmen muß, wird in das kroatische Volk aufgenommen werden".Die psychologische und historische Dimension der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien dürfen nicht vernachlässigt werden.

Die ”österreichische Außenpolitik sollte sich vor der "Satanisierung" einzelner Konfliktteilnehmer hüten. Wenn man das Selbstbestimmungsrecht der Völker über alle anderen Rechte setzt, dann folgt daraus, daß einige bestehende Staaten aufgeteilt werden müssen. Das internationale Recht basiert aber nach dem Zweiten Weltkrieg auf der Unverletzlichkeit des Staatsterritoriums. Wenn also die Konflikte zwischen den Vertretern des absoluten Selbstbestimmungsrechtes und des Prinzips der Unverletzlichkeit des Staates vermeintlich nur militärisch gelöst werden können, dann muß ein neutraler Staat wie Österreich in erster Linie an einer friedlichen Lösung dieses (innerstaatlichen) Konfliktes in unmittelbarer Nähe interessiert sein.

Voreingenommen

Die konservativen Außenpolitiker Österreichs aber lassen sich - so scheint es - von ihrer ideologischen Voreingenommenheit leiten, wenn sie in diesen komplizierten Fragen eindeutig für die Session und für eine "militärische Lösung" Stellung beziehen. Die großspurigen Erklärungen, auch wenn sie von kleinformatigen Massenmedien propagiert werden, sind eher geeignet, den Konflikt noch anzufachen.

Eine Alternative zu dieser kurzsichtigen Politik wäre, alle jene gesellschaftlichen Kräfte im Konfliktgebiet zu stärken, die eine zivile, demokratische Gesellschaft von unten bauen, die miteinander in Frieden leben wollen. Alle Initiativen für einen Dialog zwischen diesen Kräften sollte man unterstützen. In erster Linie auf diesem Gebiet sollte unsere Außenpolitik aktiv werden.

Erschienen in: ZUKUNFT 6/93

* Volkswirtschaftliche Abteilung der I.G.-Farbenindustrie AG, Die Wirtschaftsstruktur Kroatiens (Vowi 4479), Bericht vom 23.3.1942, gez. von Dr. Br., Zentrales Staatsarchiv Potsdam, Film 10796, zitiert aus Götz Aly/Susanne Heim "Vordenker der Vernichtung", Frankfurt am Main, 1993 Fischer-Taschenbuch, Seite 362-363.

Category: Allgemein
Posted 08/14/08 by: admin



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