"Hier brennen jüdische Geschäfte und Häuser. Was alles muss noch passieren, damit man hinschaut?" – fragte ein Mann mittleren Alters am Rande der antifaschistischen Demonstration am 11. April 2008 in der ungarischen Hauptstadt. "Selbst wenn Menschen an Laternen hängen, wird man noch von einer Randerscheinung sprechen" - fügte eine gebrechliche Holocaustüberlebende verbittert hinzu, die sich aus Protest einen gelben Stern an die Brust geklebt hatte...
Von Magdalena Marsovszky
"Gott sei Dank ist der Schröder wenigstens hier" - fuhr sie fort. "Es wäre gut, wenn er von seinen Eindrücken überall in Deutschland erzählen würde. Es wäre so wichtig, dass man in Europa erfährt, wie rasant die Zahl der Nazis in Ungarn zunimmt. Man müsste doch dagegen etwas tun. Wenigstens so viel wie in Deutschland".
Sie, aber bei weitem nicht nur sie allein, lauschte Gerhard Schröders Worten, die für sie so etwas wie einen "europäischen Beistand" verkörperten, und der Ausdruck ist nicht übertrieben. Achtzehn Jahre sind seit der Wende vergangen, und Ungarn kämpft seit dieser Zeit zunehmend mit den Ausgrenzungstendenzen in der Gesellschaft. Obwohl der völkische Populismus inzwischen selbst für die Reformprozesse hinderlich ist, weil diese in ihm als "Machenschaften des Bösen" dargestellt werden, hält dies westliche Politiker nicht davon ab, oft den Populisten zur Seite zu stehen. Auch Gerhard Schröder wollte sich zunächst aus rein geschäftlichen Gründen in Budapest aufhalten, doch dann wurde sein Besuch zu einer wichtigen politischen Stellungnahme. Endlich kam ein angesehener westlicher Politiker und setzte sich unmissverständlich für demokratische Werte ein. Das war höchste Zeit.
"Liebe Freunde," sagte er, "als ich gehört habe, dass hier Menschen Widerstand leisten gegen rechte Gewalt, war es für mich selbstverständlich, dabei zu sein. In der Geschichte Europas hat es zu viele gegeben, und ich weiß als Deutscher, wovon ich rede, die gegenüber Rechtsradikalen gleichgültig oder zustimmend waren. Das darf nie wieder passieren! Um unseretwegen, um unserer Kinder wegen. Und deshalb, eine machtvolle Demonstration für den Anstand in dieser Gesellschaft, wie dieser, ist eine Freude."
Das sind klare Worte, die man in Ungarn von westlichen Politikern selten hört. Begleitet wurde Schröder vom ungarischen Premier, Gyurcsány, der als erster Ministerpräsident nach der Wende das Problem Antisemitismus nicht unter den Teppich kehrt und ebenfalls regelmäßiger Gast bei antifaschistischen Demonstrationen ist.
Um Missverständnissen vorzubeugen, dies heißt nicht, dass die antifaschistische Bewegung in Ungarn stark ist. Im Gegenteil. Sie ist in den Jahren seit der Wende kontinuierlich in dem Maße geschrumpft, wie die Zahl der Neonazis zunahm. Warum? Darüber rätseln viele. Angst, Lethargie, ja sogar Apathie spielen sicherlich mit eine Rolle. Als Anfang der 90er Jahre damals angesehene Schriftsteller wie István Csurka oder Sándor Csoóri ihre antisemitischen Schriften veröffentlichten und über zehntausend Menschen mit der Demokratischen Charta um György Konrád herum auf die Straßen gingen, war man noch optimistisch. Wer hätte damals gedacht, dass 15 Jahre später die Rechtsextremen die Straße beherrschen? Heutzutage gehört z.B. der Aufmarsch der Ungarischen Garde zum Budapester Straßenbild – gerade am 15. März wurden weitere Sechshundert neue Mitglieder vereidigt -, und man sieht auch kleinere Gruppen Patrouille gehen. Es kann passieren, dass bekannte kosmopolitische Intellektuelle, die üblicherweise von den Rechten dem Wesen nach als antimagyarisch eingestuft werden, mit "Éljen Szálasi!" begrüßt werden, was "Heil Hitler!" entspricht. Begleitet wird der Gruß durch die erhobene Rechte, was in Ungarn nicht einmal geahndet wird.
Doch der 11. April war nicht nur Dank Schröders Besuch bedeutend. Zum ersten Mal seit zehn Jahren war die Zahl der Antifaschisten mit etwa zweieinhalb Tausend Menschen genau so groß oder sogar etwas größer als die der "national-sozialistischen Patrioten".
Der Tag markierte auch den vorläufigen Höhepunkt eines Prozesses in Ungarn, in dem seit etwa einem halben Jahr regelmäßig Häuser und Büros unliebsamer Abgeordneter mit Molotowcocktails beworfen und angezündet werden. Sie bekommen Briefe zugesandt, die undefinierbares weißes Pulver enthalten, werden beim Verlassen ihrer Arbeitsstätte bespuckt, als Juden beschimpft und manchmal tätlich angegriffen. Diese Angriffe sind die logische Konsequenz aus den Drohungen, die linksliberal eingestellte Politiker und Journalisten regelmäßig erhalten und die damit begannen, dass man Schilder mit ihren Namen stellvertretend für sie selbst während der Unruhen im Herbst 2006 an Laternen vor dem Parlamentsgebäude heftete. Seit dieser Zeit ist es üblich in Ungarn, die persönlichen Daten dieser "Landesverräter" in rechtsradikalen Internetseiten zu veröffentlichen. Ihnen wird dann die "Hölle heiß gemacht", man droht mit der Ausrottung ihrer Familien, so dass diese zumindest Polizeischutz beantragen, wenn nicht sogar die Wohnung wechseln müssen. Manchmal kommt jedoch schneller ein Molotowcocktail geflogen. Dass dabei bisher niemand zu Tode gekommen ist, ist eher ein Zufall.
Im konkreten Fall ist es passiert, dass am 20. März eine junge Frau in einem Ticketbüro in der Hollán-Ernö-Str. 10 – in dem übrigens der nationalsozialistische Führer, Ferenc Szálasi zwischen 1935 und 38 wohnte - Karten für das Konzert der vor kurzem gegründeten "national-patriotischen" Rockband namens Hungarica kaufen wollte. Was sich genau beim Kaufversuch abspielte, weiß niemand, die junge Frau beklagte sich jedenfalls hinterher bei so genannten nationalen und rechtsradikalen Medien, sie sei nicht bedient worden und das Personal hätte die Band nicht einmal gekannt. Hier seien wahre Magyaren benachteiligt und sie sei als Faschistin beschimpft worden. In anderen Darstellungen war zu lesen, sie hätte das Personal als "antimagyarisch" und "unpatriotisch" beschimpft, weil es keine "nationalen" Programme in seinem Angebot parat hätte. Kurz darauf erschienen die Fotos der Mitarbeiter sowie die Adresse des als "jüdisch" deklarierten Verkaufsbüros im Internet, in der Nacht zum 1. April wurden dann auch mehrere Molotowcocktails ins Schaufenster geworfen, und der Laden brannte aus. Die Verantwortung für den Anschlag übernahm die inzwischen von ähnlichen Aktionen bekannte "Nationale Befreiungsgarde" mit dem Namen "Pfeile der Magyaren", nach der die Polizei fahndet.
Am Nachmittag des Montags, dem 7. April wollte dann eine kleine Gruppe von Neonazis unter Leitung des zur Zeit berüchtigtesten Mannes der ungarischen Radikalismus, Tamás Polgár, genannt Tomcat der "Patriotin" zu Hilfe eilen und die Angestellten des Ticketbüros Mores lehren. Wenn sie in einem Flashmob, wie sie ihre Aktion nannten, gleich Hunderte von Karten kaufen würden, meinten sie, würde das Büropersonal nie mehr den Namen der Band vergessen. "Wir gehen in dieses Ticketbüro zu mehrere Hundert auf einmal, damit wir Karten für das Karpatia Konzert am 19. April kaufen /.../. Wenn jemand keine kaufen will oder kein Geld hat, soll er sich erkundigen, was für nationale Programme man uns empfehlen könne und welche Karten es für sie gibt" – schrieb er in seinem Rundbrief.
Womit sie nicht rechneten, war, dass der Mailwechsel von Antifaschisten und einigen jüdischen Organisationen abgefangen wurde und der kleinen Neonazi-Gruppe eine viel größere antifaschistische zuvorkam, um vor dem Geschäft Schlange zu stehen. Als sich dann die Neonazis zur Eingangstür drängen wollten, wurden sie von denen angewiesen, sich ordentlich anzustellen, alle würden auf Karten warten. Nach Ladenschluss mussten sie sich jedoch unerledigter Dinge davonmachen. Der Humor der Antifaschisten darf aber darüber nicht hinwegtäuschen, dass die Stimmung äußerst explosiv war, und es nur der übermäßigen Zahl der anrückenden Polizisten zu verdanken war, dass der Zusammenstoß zwischen beiden Parteien die verbale Ebene nicht verließ.
Dass die Neonazis den Vorfall mehr als empörend fanden, ist allzu verständlich. Für den Nachmittag des folgenden Freitags rief Tomcat daher alle – nach seiner Wortwahl - "patriotischen" Verbände, so z.B. die Partei Jobbik für ein Rechteres/ Richtigeres Ungarn, die Ungarische Garde, die Budapester Fraktion vom Weltverband der Magyaren (MVSZ), die Nationale Garde, die Jugendbewegung Vierundsechzig Kommitate (HVIM), die Hunnia Bewegung, die Bewegung Ungarische Abwehr (MÖM), die Gewissen-88-Gruppe, einige rechtsradikale Medien, wie das Internetradio Hl. Krone und das Internetportal Kuruc.info, sowie etliche Persönlichkeiten im rechten politischen Spektrum auf, zum "hungarophoben" Ticketbüro zu marschieren, und zu verlangen, dass man sie auch dann bedient, wenn sie Magyaren seien. "Wir dulden nicht, dass Magyaren Bürger zweiten Ranges in ihrer eigenen Heimat sind!" – hieß das Motto.
Jüdische zivile Internetportale versuchten dem drohenden Flashmob erneut mit Humor zu begegnen. "Bürgerschreck" (Polgárpukkasztás) nannten sie die Demonstration, in Anspielung auf den Namen des Anführers, der ins Deutsche übersetzt Bürger (Polgár) heisst. Statt Molotow werfen lieber ein "Mazeltov koktél", war auf dem Internetportal "Judapest" zu lesen, das mit seinem Namen die antisemitische Bezeichnung der Hauptstadt Anfang des 20. Jahrhunderts karikiert.
Humor kann ein wichtiges Ventil sein, um dem Druck der Bedrohung zu entfliehen, reicht als Widerstand alleine jedoch nicht aus. Äußerst wichtig wäre auch der regelmäßige Beistand durch demokratische Kräfte und durch demokratische Politiker. Einige ließen sich diesmal auch sehen, doch nur von der linksliberalen Seite. Der einzige Fidesz-Abgeordnete, selbst jüdischen Glaubens und selbst lebensgefährlich bedroht, der die Aktion am Montag zuvor noch guthieß, betrachtete die Versammlung am Freitag mit Gyurcsány und Schröder als zu politisch und hielt sich lieber fern.
Staatspräsident László Sólyom stattete am Freitagvormittag, also Stunden vor der Demonstration, dem inzwischen renovierten Ticketbüro einen kurzen Besuch ab und verurteilte vor den versammelten Journalisten die rechtsradikale Gewalt und das Werfen von Molotowcocktails. Angesichts seiner gesamten Haltung jedoch, in der er z.B. vor kurzem noch von einer Hysterisierung und Panikmache im Zusammenhang mit rechter Gefahr und der Ungarischen Garde sprach, wurde sein Besuch von den Antifaschisten mit deutlich gemischten Gefühlen aufgenommen. "Ich bitte Sie," stand im offenen Brief eines Viertelbewohners, der in einigen Medien erschien, "sich nicht vor meinen Fenstern unter die Zivilisten und Widerständler zu mischen. Ihr Erscheinen kommt /.../ verspätet und ist unglaubwürdig. Es kommen andere für Sie, Freunde und Unbekannte. Unbekannte, die nicht hier wohnen und dennoch wissen, was vor meinen Fenstern passiert. Damals wussten sowohl meine Freunde, als auch ich, was vor Ihren Fenstern passiert. Viele haben Sie damals informiert. /.../ Dennoch haben Sie keinen Halbsatz darüber verloren, /.../ obwohl die Roma Sie dafür über Generationen hinweg hätten hochleben lassen. /.../ Die Demokratie hätte eine derart kräftige Stärkung bekommen, dass sie mit deren Munition für eine lange Zeit unangreifbar geblieben wäre. /.../ Warum wollen Sie jetzt kommen? Damit jedem einfällt, wann Sie nichts gesagt haben? Wann Sie schwiegen?"
Der Verfasser des Briefes spielte auf die erste Gardenweihe am 25. August 2007 an, die sich praktisch im Hofe des Staatspräsidenten, direkt vor seinen Fenstern abspielte. Inzwischen gab es zwei weitere Gardenweihen, die Zahl der Gardisten wuchs auf über Tausend, und weitere Gardenweihen sind in regelmäßigen Abständen, dreimal im Jahr zu erwarten. Im Herbst beginnen dann die Fortbildungen an den von der Garde eingerichteten "Volkshochschulen", wo die Stundenten nicht nur eine Ausbildung über das urmagyarische Kulturerbe erhalten sollen, sondern auch in Körperertüchtigung, ähnlich der Levente-Jungmännerbewegung zwischen den beiden Weltkriegen. Es ist also etwas in Ungarn in Bewegung geraten, dem der Staatspräsident noch vor einem dreiviertel Jahr hätte Hindernisse in den Weg legen können.
Doch, dass es soweit kommen konnte, ist auch auf andere Faktoren zurückzuführen. Die wichtigste Ursache scheint die immer weiter fortschreitende Durchdringung der Gesellschaft mit völkischem Gedankengut zu sein, dem nur noch ein kleinerer Teil der Bevölkerung Widerstand entgegensetzen kann. Der wichtigste Vertreter dieser Anschauung ist der Führer der größten Partei Ungarns, Fidesz-MPSZ, Viktor Orbán, zur Zeit in der Opposition, der in einer Rede vor den Vertretern der Kirchen vor Kurzem bedauerte, dass "die Transformation nicht zu einer wahren völkischen Einheit der heutigen Nation führte".
Sein Denken wird von den "patriotischen", so genannten "nationalen Medien" unterstützt. Zu ihnen gehört z.B. das HirTV (Nachrichten TV), das auch die Ungarische Garde hochleben lässt, die Tageszeitung Magyar Nemzet, mit den Worten des ungarnstämmigen österreichischen Publizisten, Paul Lendvai, "militantes Sprachrohr" der Partei von Fidesz-MPSZ, weiterhin das Echo TV, das sich selbst zum Medienpartner der Ungarischen Garde degradiert hat, sowie die Tageszeitung Magyar Hirlap, - ebenfalls nach Paul Lendvai - eine "Mischung aus Stürmer und Prawda". Die beiden letztgenannten Medien, die dabei sind, sich zu den Größen des "nationalen Widerstandes" zu entwickeln, sind im Eigentum des Großindustriellen und Forint-Multimilliardärs, Gábor Széles, der bereits dreieinhalb Milliarden in sein Medienprojekt steckte und zu weiteren Investitionen bereits ist, um die "nationale Seite" zu stärken. Er hat anscheinend nichts gegen deutlich antisemitische Töne einzuwenden. Der bekannteste Journalist in den Medien, die in seinem Besitz sind, ist Zsolt Bayer, ein guter Freund Orbáns und Gründungsmitglied von Fidesz-MPSZ (heute ohne Parteibuch), der vor Kurzem seine Schmähschrift in Magyar Hirlap über die "Budapester jüdischen Journalisten" veröffentlichte. In Echo TV produziert er zudem eine wöchentliche Sendung mit dem Titel "Mélymagyar", ein Ausdruck aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, der so viel wie "Wurzelecht" oder "Rassenrein" heißt.
Unzählige weitere kleinere und größere zivile Organisationen nehmen aktiv am "völkischen Kampf" teil. Die aktivste zur Zeit dürfte das so genannte Zivile Juristische Komitee (CJB) sein, das nach den Unruhen im Herbst 2006 ins Leben gerufen wurde, um den "Opfern der Polizeigewalt" zur Seite zu stehen. So richtig es ist, dass die Polizei damals oft unrechtmäßig und gewalttätig auftrat, so unrichtig ist die Behauptung, es sei bei den Polizeiaktionen um eine vom Staat ausgehende Gewalt gegangen, und die Angeklagten seien politisch Verfolgte. Genau von dieser Täter-Opfer-Umkehr-These lässt sich aber die Arbeit des Komitees leiten. Es steht vor allem Radikalen mit juristischem Rat bei und vertritt Gruppen und Personen, die auch zur rechtsradikalen Demonstration am 11. April aufriefen. Mitarbeiterin im Zivilen Juristischen Komitee war z.B. bis vor Kurzem die ELTE-Dozentin, Dr. Krisztina Morvai, die gerade ein Buch mit dem Titel "Unsere Rasse" veröffentlichte, und sich auch am Abend des 11. April zu den radikalen "Demonstranten" um Tamás Polgár gesellte. Polgár wird wiederum regelmäßig von einem anderen Mitarbeiter des Komitees, dem Völkerrechtler, Dr. Tamás Gaudi-Nagy verteidigt, der u. A. auch die Ungarische Garde bei Gerichtsverhandlungen vertritt.
Unter den zahllosen Organisationen, die die völkische Denkweise im Lande vorantreiben, ist auch die Ungarische Ärztekammer (MOK) zu erwähnen, die – mit Hilfe der Opposition und der "nationalen" Medien - viel dazu beitrug, dass die Gesundheitsreform, die von der Gyurcsány-Regierung initiiert wurde, nicht sachgemäß diskutiert und bis jetzt auch nicht durchgeführt werden konnte. Da war viel die Rede von "Menschenversuchen", vom "Holocaust oder Genozid des Magyarentums", usw., wobei diese so oft wiederholt wurden, dass der Gesundheitsminister Molnár (2006-2007) im allgemeinen Volksmund schlicht den Namen "Mengele" bekam.
Molnár kam von der kleinen liberalen Partei der SZDSZ, die seit 2006 den/ die jeweilige(n) GesundheitsministerIn stellt. Sie wird immer wieder als "Agentin des Bösen" dargestellt, so neulich, als László Kövér, Vorstandvorsitzender von Fidesz-MPSZ sagte: "alles Böse und Verschlagenheit, die es heute in der Politik gibt, stammt von der SZDSZ". Auch die Partei der Sozialisten mit dem Ministerpräsidenten Gyurcsány an der Spitze zählen zu den "Feinden der Nation". So sagte vor Kurzem Zsolt Semlyén, der Vorsitzende der Christlich Demokratischen Volkspartei (KDNP): "Herr Gyurcsány und sein ungarisch sprechende Regierung dürften das Wort Heimat nicht in den Mund nehmen."
Am europäischsten unter den Konservativen verhält sich zurzeit die Leiterin der kleinen Oppositionspartei, Ungarisches Demokratisches Forum (MDF), Ibolya Dávid, die inzwischen etwas vom Fußball zu verstehen scheint, wie es in einem der jüdischen Internetportale zu lesen war. Diese Anerkennung ist bedeutend, ist sie doch eine Anspielung auf die Bemerkung Davids als Justizministerin während der Orbán-Regierung im Jahre 2001. Als nämlich bei einem Fußballspiel der verheerende Ruf "Der Zug startet nach Auschwitz" von den Tribünen skandiert wurde, war sie in einem Interview lediglich dazu fähig, mitzuteilen, sie verstehe nichts vom Fußball. Dass damals mit ihrer Zustimmung als Justizministerin auch einige belastete Personen der ungarischen Geschichte rehabilitiert wurden, um die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen als glaubwürdige parlamentarische Demokratie darzustellen und die Geschichte somit zu schönen, ist leider nicht mehr rückgängig zu machen. Doch jetzt bat sie stellvertretend für Zsolt Bayer nach Erscheinen seiner antisemitischen Schrift in Magyar Hírlap in einem offenen Brief als Christin und konservative Politikerin ihre jüdischen und nichtjüdischen Freunde um Verzeihung.
So beruhigend es ist, solche Worte im konservativen Lager zu lesen, so deprimierend ist es zu wissen, dass die kleine Partei Davids bei den nächsten Parlamentswahlen nicht einmal die fünf Prozent Hürde schaffen dürfte. Nicht völkisches Denken ist in Ungarn nicht mehrheitsfähig. In den unzähligen Foren, in denen der Vorfall am 11. April diskutiert wurde, formulierte ein junger Teilnehmer treffend: "Man muss sehen, dass diese Gruppierungen, die die rot-weiß gestreiften Arpadfahnen vor sich tragen, keine Randerscheinungen mehr sind, ja nicht einmal nur eine Subkultur bedeuten. Wir haben es hier inzwischen mit einer massiven Gegenkultur zu tun."
Was können wir in so einer Situation tun? – fragte der Reporter des Klubradios am Abend nach der Demonstration einen Teilnehmer der Antifaschisten ratlos. "Wir müssen uns zwingen, jeden Tag die rechtsradikalen Internetportale zu lesen" – war dessen Antwort. "Damit wir nicht überrascht sind, was uns erwartet." Dort war am übernächsten Tag ein Aufsatz des Parteivice der Jobbik-Partei für ein Rechteres/ Richtigeres Ungarn, József Tibor Bíber mit dem Titel erschienen: "Die Zigeunerkriminalität ist die biologische Waffe der Zionisten".
Für den 29. April ist die nächste Nazi-Demonstration in Budapest angekündigt. Diesmal vor dem Gebäude der Redaktion der Tageszeitung Népszava, einem Organ der Sozialisten. Jetzt bringt sich eine Gruppe in Stellung, die sich "Goj Motorradfahrer" nennt. Friedlich wird dieser Aufmarsch wohl auch nicht enden.
"Ungarische Garde":
Die neue Gefahr in Osteuropa
Ungarns militante "Garde" steht für eine völkische Bewegung, die breite gesellschaftliche Unterstützung erfährt...
Minderheitenkonflikte in Europa:
Neue völkische Bewegung und Antisemitismus im heutigen Ungarn
Typisch für die gegenwärtige Vergangenheitsverdrängung in Ungarn ist die Wortwahl, mit der bis zum heutigen Tag die völkischen Intellektuellen der Zeit zwischen dem I. und dem II. Weltkrieg bezeichnet werden. Schon die meistbenutzten ungarischen Ausdrücke 'népi' oder 'populista' sind irreführend und bagatellisieren die Gefährlichkeit der Bewegung...
Ungarn:
Nationalkultur und Ausgrenzung
Einigen wenigen aufmerksamen Beobachtern, wie z.B. Hans Magnus Enzensberger ist bereits in der ersten Hälfte der 80er Jahre der Kulturnationalismus aufgefallen, der eine Art Widerstand gegen die alles okkupierende und Unterschiede nivellierende realsozialistische Doktrin bedeutete. Doch, wie er bereits damals bemerkte, ging er mit Antisemitismus einher...