Es liegt einige Jahre zurück, als ich in den umfangreichen Akten zum Reichstagsbrandprozess auf eine Solidaritätspostkarte stieß. In Prag aufgegeben, forderten die Absender vom Leipziger Reichsgericht die Freilassung der Angeklagten Torgler, Dimitroff und Genossen. Zwar gab es in den Akten viele Protestbriefe und Telegramme, aber die eindrucksvolle Collage des Kartenmotivs stammte, wie sich herausstellte, von der Prager Künstlerin Hella Guth. Erst vor kurzem wurden im Depot des jüdischen Museums in Prag Graphiken von der Hand dieser Malerin wiederentdeckt...
Von René Senenko
Wer war Hella Guth? Die am 16. Februar vor 100 Jahren in Westböhmen geborene Jüdin zog es nach ihrem Wiener Kunstgewerbestudium nach Prag. Die moderne Metropole übte eine große Anziehungskraft auf junge Künstler aus. Dort fand sie als Grafikerin Arbeit. Doch nach einem selbstbestimmten Leben stand ihr der Sinn. Sie schloss sich gleichgesinnten jungen Künstlern an. Später sagte sie über diese Zeit:
"Wir haben viel Quatsch gemacht, uns viel herumgetrieben. Damals bin ich in Hosen herumgegangen. Zu der Zeit war das eine Sensation. Ein Mann aus dem 4. Stock hat mich mal in Hosen zum Telefon gehen sehen und war so ergriffen davon, dass er sich ein Zimmer hat geben lassen auf dem 5. Stock, um mit mir Bekanntschaft zu machen."
Hella Guth hat sich frühzeitig politisch engagiert. Bereits 1930 wurde sie beim Verteilen von – damals illegalen – Flugblättern der KPÈ gestellt, wie Polizeiunterlagen belegen. Eine erste Hausdurchsuchung folgte. Als sie 1932 Kurierdienste zwischen den KP-Kreisleitungen Liberec und Ústí n.L. übernahm, begann die politische Polizei der Tschechoslowakei sie zu überwachen.
Als 1933 viele von Hitler Verfolgte nach Prag flüchteten, kümmerte sich Hella Guth um zahlreiche Belange der Emigranten. Sie sammelte Unterschriften gegen die Ausweisung politischer Flüchtlinge, regelte behördliche Angelegenheiten für das von von Hedda Zinner und Fritz Erpenbeck gegründete Stimmorchester "Studio 34", gewährte dem Hamburger Redakteur Willi Bredel Obdach in ihrem Atelier und arbeitete mit John Heartfield zusammen, der für die nach Prag übersiedelte Arbeiter-Illustrierten-Zeitung seine besten Fotomontagen schuf. Seiner Kunst fühlte sie sich verbunden, und für dessen Montage "Der Henker und die Gerechtigkeit" saß sie Modell als Justitia-Figur (Abb.). Einmal tingelte sie mit dem jungen, damals noch völlig unbekannten Stefan Heym durch mehrere Lokale, um seiner Reportage über die Prager Szene Zeichnungen beizusteuern. Auch in der Kunstwelt war sie keineswegs unbekannt. Ihre Holzschnittmappe zu Brechts "Dreigroschenoper", die damals in aller Welt Uraufführungen erlebte, fand eine gute Resonanz. 1937 beteiligte sich Hella Guth an einer Ausstellung tschechischer und deutscher Kunst im Emigrantenheim in Prag-Strašnice, ein Jahr später waren ihre Arbeiten in der Schau zur "Prager Sezession" zu sehen. Im Jahr 1939, nach Hitlers Einmarsch in Prag, musste die Künstlerin, die immer Flüchtlingen geholfen hat, selber aus ihrer Heimat fliehen und die meisten ihrer Arbeiten zurücklassen.
England gewährte ihr Asyl. 1951 ließ sie sich in Paris nieder und machte sich bis in die 60er Jahre hinein mit abstrakter Malerei einen Namen. In der deutschsprachigen Welt war diese Künstlerin fast vergessen, - bis im Jahre 1986 Bielefelder Forscherinnen die fast Achtzigjährige in Paris aufspürten. Noch vor ihrem Tod erlebte Hella Guth dank der Initiative der Kunsthistorikerin Dr. Irene Below mit Ausstellungen in Kiel, Soest und Aachen eine späte Anerkennung in Deutschland. 1992 verstarb sie.
Vor dem 100. Geburtstag Hella Guths hat nun die Tschechische Republik sie neu entdeckt. Ab dem 6. Februar 2008 wird in der Robert-Guttmann-Galerie des Jüdischen Museums in Prag ein erster Überblick über ihr Schaffen zu sehen sein (bis Ende April 2008).
Textbeitrag: © René Senenko, Hamburg, März 2008
Hella Guth in ihrer Prager Zeit
Foto: © Tibor Honty