Zweimal hatten Neonazis in der tschechischen Hauptstadt einen Marsch am Jahrestag der "Reichskristallnacht" durch das alte Jüdische Viertel angemeldet, zweimal hatte der Magistrat der Stadt den Marsch verboten - doch auch das zweite Verbot ist durch ein Gericht aufgehoben worden. Jüdische Gruppen und politische Organisationen kündigen Proteste an...
redok, 29.10.2007
Ende August wurde wurde die Demonstration angeblich als Protest gegen den Einsatz tschechischer Truppen im Irak angemeldet. Hinter der anmeldenden Gruppe "Junge Nationaldemokraten" steckt aber nach Ansicht vieler Beobachter die Neonazi-Organisation "Narodni Odpor" (NO, deutsch: Nationaler Widerstand). Tatsächlich gehe es weniger um den Irak-Einsatz, sondern mit dem Marsch durch das alte Jüdische Viertel am 10. November, dem Jahrestag der "Reichskristallnacht", um eine gezielte Provokation, so die einhellige Meinung. Tatsächlich hätten die "Jungen Nationaldemokraten" sich selbst auf ihrer Webseite "offen auf die Pogromnacht zum 10. November 1938" bezogen, meldete das Internetportal Tschechien Online.
Nachdem der Prager Magistrat sich zunächst zurückhaltend verhalten hatte, verbot er Anfang Oktober die Demonstration. Doch das Prager Stadtgericht hob das Verbot auf Antrag des Neonazi-Organisators Erik Sedlacek wegen "Verfahrensfehlern" auf. Der Magistrat legte ein zweites Verbot nach, das ebenfalls vom Stadtgericht kassiert wurde. Die Stadt will nach eigenen Angaben alles daransetzen, dass der Neonazi-Marsch jedenfalls nicht im Jüdischen Viertel stattfinden kann. "Wir haben immer noch Mittel, den Marsch zu stoppen", sagte ein Sprecher der Stadt.
Jüdische Gruppen wie auch politische Organisationen und Funktionsträger wollen Protestaktionen gegen den Aufmarsch durchführen. Die Jüdische Gemeinde will zum Zeitpunkt der angekündigten Neonazi-Demo einen öffentlichen Gottesdienst als Versammlung zum Gedenken an die Pogromnacht in der Altneusynagoge abhalten, der etwa 1270 errichteten und damit ältesten erhalten gebliebenen Synagoge in Europa. Dem Aufruf schloss sich mittlerweile die Jüdische Gemeinde von Teplice (Nordböhmen) an. Die Sicherheit der Versammlungsteilnehmer soll auf jeden Fall gewährleistet werden, möglicherweise wird die Jüdische Gemeinde dazu nicht nur unter dem Dach der Synagoge bleiben: "Normalerweise würden wir wahrscheinlich nur in den Synagogen beten. Nun ist es aber nötig zu zeigen, dass wir mit dem Aufmarsch absolut nicht einverstanden sind", sagte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Prag, Frantisek Banyai.
Eine öffentliche Gedenkversammlung soll in der Maiselstraße (Maiselova) stattfinden. Die Jüdische Liberale Union hatte bereits eigene Versammlungen auf der geplanten Neonazi-Demo-Route bis zum Jahresende angemeldet und zum aktiven Widerstand gegen dem Marsch aufgerufen, falls er tatsächlich an Synagogen und dem alten Jüdischen Friedhof vorbeiführen sollte. In einem Aufruf zur Beteiligung am Protest wandte sie sich besonders an "junge Leute, Sportler und Soldaten", berichtete Radio Prag.
Auch tschechische Politiker kündigten Unterstützung und Teilnahme an. Präsident Vaclav Klaus appellierte an die Bürger, nicht gleichgültig zu bleiben und zu sagen, man könne nichts tun: "Das haben wir in unserer Geschichte schon mehrfach erlebt und ich wünsche nicht, dass sich das wiederholt", sagte Klaus. Ex-Präsident Vaclav Havel forderte, den Marsch abzublasen: "Solch eine Provokation kann nicht durchgehen". Premierminister Mirek Topolanek sagte: "Ich reihe mich ein in die Front derer, die diesen Aufmarsch verurteilen". An der Gedenkveranstaltung in der Maiselova wollen auch Politiker teilnehmen; der sozialdemokratische stellvertretende Fraktionschef David Rath sagte: "Als Abgeordnete des Parlaments wollen wir in friedlicher Absicht die Maiselstraße aufsuchen und uns den Rechtsextremisten entgegenstellen, um sie daran zu hindern, diesen Aufmarsch vorzunehmen". Damit verband er die Hoffnung, die Polizei werde dann den Neonazi-Marsch umleiten. Ebenfalls teilnehmen an der Gedenkveranstaltung wollen Abgeordnete der regierenden Demokratischen Bürgerpartei (ODS).
Neben diesen bürgerlichen Protesten werden auch antifaschistische Aktionen unabhängiger Gruppen erwartet. Zum Gedenken an Opfer von Nazi-Verbrechen wollen Anarchisten eine eigene Demonstration in der Nähe des Jüdischen Viertels abhalten.
Gegen die Gerichtsentscheidung hat der Magistrat Beschwerde beim Obersten Verwaltungsgericht erhoben. Er setzt derzeit darauf, dass die Neonazi-Demo nicht im Jüdischen Viertel stattfinden kann, weil die "Jungen Nationaldemokraten" zum Zeitpunkt der Demo-Anmeldung noch gar nicht als politische Gruppe registriert war, sondern erst Mitte September. Die Gruppe müsse daher eine Demo-Anmeldung wiederholen, nun wäre jedoch die Anmeldung der Jüdischen Liberalen Union die frühere - die Neonazis müssten in ein anderes Viertel ausweichen.
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