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"Transsilvanien ist unser"

Über die ungarische Minderheitenpolitik und mögliche Auswirkungen einer Abspaltung des Kosovo auf die Stabilität der Grenznachbarn Ungarns sprach german-foreign-policy.com mit Magdalena Marsovszky. Sie ist freie Kulturwissenschaftlerin und Publizistin und hat mehrere Publikationen über die völkische Bewegung in Ungarn verfasst...

german-foreign-policy.com: In Rumänien, der Slowakei, der Ukraine und Serbien leben ungarisch sprechende Minderheiten; man hört von Autonomieforderungen. Wie ist die aktuelle Situation?

Magdalena Marsovszky: Ich muss meiner Antwort etwas vorausschicken. Die Lage der ungarischen Minderheiten in den an Ungarn grenzenden Ländern ist recht dramatisch. Sie müssen erhebliche Nachteile hinnehmen. Vor allem aus der Slowakei und aus der Vojvodina hört man, dass Leute zusammengeschlagen werden, weil sie ungarisch sprechen oder weil man von ihnen weiß, dass sie sich zur ungarischen Minderheit zählen. Ihre Situation ist alles andere als rosig.

Aber man muss feststellen, dass die Spannungen zu einem erheblichen Teil von Ungarn geschürt werden. Im gesamten vergangenen Jahrzehnt gab es konstante Autonomieforderungen. Sie sind in letzter Zeit lauter geworden, gerade auch im Zusammenhang mit der Kosovo-Frage. Dabei zeichnen sich vor allem die nationalkonservativen Parteien und Organisationen in Ungarn aus. Bei den Parteien sind es Fidesz/Bürgerliche Union - das ist die größte Partei Ungarns, die zur Zeit in der Opposition ist - und die KDNP, die Christlich-Demokratische Volkspartei. Viktor Orban, der Fidesz-Vorsitzende, hat einmal gesagt: "Die Europäische Union wird auf der Autonomie aufgebaut. Man nennt das nur in der Organisation selbst Regionalismus." Zu diesem Spektrum gehört auch Ungarns gegenwärtiger Staatspräsident Laszlo Solyom. Er hat auf einer Konferenz mit dem Titel "Das ausländische Magyarentum im 21. Jahrhundert" bedauert, dass es in der Ukraine auf absehbare Zeit keine Aussicht auf eine Autonomie für die ungarische Minderheit gibt. Unzählige kirchliche und andere nichtstaatliche Organisationen stehen hinter diesen Forderungen.

Sie sagen, es gibt einen Bezug zum Streit um die Abspaltung des Kosovo?

Ja. Die österreichische Juristin Eva Maria Barki etwa - sie ist auf Internationales Recht spezialisiert - hat sich erst kürzlich auf HirTV dazu geäußert. HirTV ist der Sender der nationalkonservativen Opposition, steht Fidesz nahe und ist eindeutig völkisch geprägt. Barki sagte, das Magyarentum dürfe den Sog der zweiten Welle der Selbstbestimmung der Völker nicht verpassen, in der Montenegro, Kosovo und Nordirland ihre Eigenständigkeit durchsetzen wollen. Denn heute sei klar, dass das Magyarentum die erste Welle Anfang der 1990er Jahre verpasst hat, als die Slowaken, die Esten, die Letten, die Litauer, die Slowenen, die Kroaten usw. einen eigenen Staat erlangen konnten. Barki drückte damit aus, was die Mehrheit in Ungarn denkt.

Wie verhält sich denn der ungarische Staat zu den sogenannten Auslandsungarn?

Alle Regierungen seit der Wende wollten und wollen das Gefühl stärken, dass das in- und das ausländische Magyarentum ethnisch und kulturell zusammengehört. Dazu werden unzählige Kulturprojekte staatlich gefördert, zum Beispiel Projekte in Transsilvanien, in Rumänien. Im Mediengesetz ist ausdrücklich festgelegt, dass für das im Ausland lebende Magyarentum ein öffentlich-rechtlicher Sender unterhalten wird - Duna TV, "Donau Fernsehen" - um das Gefühl der ethnischen Zusammengehörigkeit zu stärken und das ausländische Magyarentum an das Mutterland anzubinden. In dieser Hinsicht würde ich von einer deutlichen kulturellen Hegemonisierung sprechen: Staatlich geförderte Kulturveranstaltungen bringen das Gefühl ethnischer Zusammengehörigkeit sozusagen "unter die Haut". Dann erscheint es nach einer Weile ganz natürlich. Eigentlich schien es das schon zu Zeiten des sogenannten Realsozialismus zu sein, aber die Wende hat dieses Gefühl nochmal richtig zementiert.

Diese ethnisch-kulturellen Kategorien sind inzwischen in der Verwaltung institutionalisiert worden. Zum ersten Mal geschah das mit dem sogenannten Statusgesetz der nationalkonservativen Orban-Regierung aus dem Jahr 2001. Dieses Gesetz hat einen Nationalbürgerausweis, den sogenannten Magyarenpass, eingeführt. Dann verabschiedete die sozialliberale Koalition 2005 das Gesetz zum sogenannten Nationalvisum. Beide Gesetze sind dazu da, für die "Auslandsungarn" Privilegien zu sichern, das heißt, ihnen den Aufenthalt in Ungarn und die Einbürgerung zu erleichtern. Die Pässe und Visa sind strikt an die Zugehörigkeit zum Magyarentum gebunden: Zuerst muss man selbst bestätigen, dass man sich zum Magyarentum zugehörig fühlt, dann bestätigen Konsulate oder auch bestimmte Organisationen, dass man tatsächlich zum Magyarentum gehört.

Gibt es unter den politischen Kräften in Budapest eine Opposition gegen die aggressive völkische Politik, die Sie beschrieben haben?

Im Grunde nicht. Das Gesetz zum Nationalvisum beispielsweise wurde im Sommer 2005 fast einstimmig vom ungarischen Parlament verabschiedet. Selbst Ministerpräsident Gyurcsany, ein Sozialist, unterstreicht immer wieder die Notwendigkeit, den "Auslandsungarn" im Karpatenbecken besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Es ist eine etwas zwiespältige Situation, weil die Minderheiten das trotz aller völkischer Komponenten der ungarischen Politik tatsächlich nötig haben. Eine Opposition dazu gibt es allenfalls bei der kleinen liberalen Partei SZDSZ, die meint, dass die Autonomiebestrebungen überholt sind, weil die meisten Länder, in denen ungarische Minderheiten leben, inzwischen zur EU gehören. Aber solche Positionen sind in Ungarn überhaupt nicht mehrheitsfähig. Die SZDSZ liegt tatsächlich immer wieder unter der Fünf-Prozent-Hürde oder nur knapp darüber. Wenn wir über völkische Politik in Ungarn reden, dann muss ich feststellen: Diese völkische Politik ist nicht nur im rechten Spektrum hegemonial, sondern auch bei den Sozialisten verbreitet. Zudem stehen der Großteil der christlichen Kirchen und unzählige NGOs dahinter. Ich spreche deswegen von einer völkischen Bewegung.

Spielt in diesem Zusammenhang Kritik am Friedensvertrag von Trianon eine Rolle?

Trianon wird tagtäglich thematisiert, auch von der Linken. Ich möchte auch hier etwas vorausschicken. Die Aufteilung Ungarns im Friedensvertrag von Trianon hat zwei Drittel der ungarischen Bevölkerung plötzlich zu Staatsbürgern einer anderen Nation gemacht. Das hat vielen weh getan. Der historische Schmerz aber wird heute aktiv am Leben erhalten. Besonders stark natürlich von den Nationalkonservativen, aber auch von den Sozialisten und den Liberalen. Man spricht auf der völkischen Seite vielfach nicht vom Friedensvertrag von Trianon, sondern vom Friedensdiktat. Fidesz und KDNP haben vor wenigen Wochen vorgeschlagen, den 4. Juni, den Jahrestag der Unterschrift unter den Friedensvertrag, zum "Tag des nationalen Zusammenhalts" zu erklären. Sie wollen einen Gesetzentwurf dazu einreichen. Aber auch in den öffentlich-rechtlichen Medien und natürlich auf rechtsradikalen Internetportalen ist Trianon täglich ein Thema. Im vergangenen Jahr wurde zum 86. Jahrestag des Trianon-Vertrages ein Film gedreht, dessen Vervielfältigung die staatliche Medienbehörde mit einer Million Forint unterstützt hat. Der Film heißt "Gerechtigkeit für Ungarn". In ihm werden Arpadenfahnen gezeigt, das ist die neue Version der ungarisch-nationalsozialistischen Fahne. Man sieht ein Konzert mit der Skinheadgruppe Karpatia. Eine Fidesz-Abgeordnete übrigens, sie heißt Maria Wittner, ist gemeinsam mit dieser Skinheadgruppe aufgetreten.

Können Sie eine deutsche Einflussnahme zugunsten der völkischen Politik Ungarns feststellen?

Durchaus. Georg Brunner, ein inzwischen verstorbener deutscher Völkerrechtler, der ungarischer Abstammung war, hat um die Wende herum Ungarn, aber auch andere postkommunistische Länder beraten und eine Grenzrevision nach ethnischen Gesichtspunkten vorgeschlagen. Brunner war viele Jahre lang Leiter des Instituts für Ostrecht an der Kölner Universität und hat dort eng mit dem jetzigen ungarischen Staatspräsidenten Laszlo Solyom zusammengearbeitet, der zeitweise auch dort tätig war. Beide haben mehrere Schriften gemeinsam verfasst. Solyom ist heute ein Vertreter der völkischen Politik. Fidesz und KDNP werden von ihren westlichen Schwesterparteien - deutschen und anderen - immer wieder unterstützt, obwohl aus ihrer Führung radikale Töne zu hören sind. Wilfried Martens, der Präsident der Europäischen Volkspartei, war zum Beispiel Gast beim Fidesz-Kongress im Mai 2007. Er muss es gehört haben, dass Orban die "Auslandsungarn" gesondert gegrüßt hat. Orban hat vor zwei Jahren auf einem Forum in Transsilvanien gesagt, die ungarische Linke müsse eine "nationale Wende" vollziehen, "aber sie hat dazu genetisch gar keine Chance". Das ist nicht die einzige Aussage von Orban mit einer deutlich antisemitischen Konnotation. Aber die westeuropäischen Konservativen stören sich nicht daran.

Die Lage ist also brisant...

Allerdings, und das nicht nur in Ungarn, sondern auch in anderen postkommunistischen Ländern, in denen man ebenfalls eine Ethnisierung der Politik und der Kultur im umfassenden Sinne beobachten kann. Die Nationalismusforschung hat klar nachgewiesen, dass Ethnisierung, das völkische Denken also, stets in Gewalt umschlagen kann. Dass das auch für die "Auslandsungarn" nicht auszuschließen ist, darauf deuten Sätze auf ungarischen Internetportalen hin, die etwa lauten: "Transsilvanien ist unser, notfalls müssen wir es mit Waffengewalt verteidigen." Begriffe wie "Pulverfass", "Waffengewalt" oder "Kampf" sind durchaus verbreitet.

www.german-foreign-policy.com, 06.07.2007

Viel Zeit ist bereits vertan:
Endlich Europa wagen!
Kulturkämpfe in den Transformationsländern dürfen sich nicht zum flächendeckenden Brand ausweiten...

Magdalena Marsovszky:
Neue völkische Bewegung und Antisemitismus im heutigen Ungarn
Die Untersuchung dürfte bewiesen haben, dass wir heute in Ungarn wieder von einer völkischen Bewegung sprechen können. Tatsache ist auch, dass der gegenwärtige nationalkonservative Oppositionsführer, Viktor Orbán vor Kurzem im Zusammenhang mit dem Treffen des so genannten Dorfparlaments von "der größten bürgerlich-dörflichen Bewegung seit der völkischen Bewegung in den 30er Jahren" sprach...

Category: Ungarn
Posted 07/20/07 by: admin

Comments

wrote:
Eine ausgezeichnete Analyse.
Franz Grillparzer erklärte: "Der Weg der neueren Menschheit geht von der Humanität durch die Nationalität zur Bestialität."
Heue könnte man dies ergänzen und sagen, der Weg nach der Wende bedeutet, vom Kommunismus durch den Nationalismus zur Bestialität.
Jahrzehnte postulierten die in Osteuropa herrschenden Kommunisten den "Internationalismus". Das Resultat sehen wir, vielen Kommunisten gelang es sich nahtlos die abgestandene Ideologie der ethnischen Ausgrenzung zu internalisieren.
07/23/07 08:54:20

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