Ellen Presser im Gespräch
Posted on 09/07/07 22:47
Azad Abramov sprach anlässlich der Eröffnung des neuen jüdischen Kulturzentrums am St.-Jakobs-Platz in München mit Ellen Presser, der Leiterin des Zentrums. Ellen Presser wurde 1954 in München als Kind polnisch-jüdischer "Displaced Persons" geboren. Im Elternhaus wurde sie traditionell- jüdisch erzogen. Sie studierte Biologie und Psychologie und war im Staatsinstituts für Frühpädagogik tätig. Seit 1983 ist sie bei der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern angestellt, leitet seit vielen Jahren das Jüdische Kulturzentrum. Sie arbeitet zudem als freie Journalistin, u.a. für die "Jüdische Allgemeine" und gab 2002, gemeinsam mit Olga Mannheimer die Anthologie "Nur wenn ich lache. Neue jüdische Prosa" heraus. Viel Engagement investiert sie in die Qualität ihrer Synagogenführungen und organisiert immer wieder Kulturprojekte wie Ausstellungen und Tagungen in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen...
Sehr geehrte Frau Presser, seit 1983 sind Sie Leiterin des Kulturzentrums der Israelitischen Kultusgemeinde München. Das ist wirklich ein langer Zeitraum. Welche Ereignisse im Kulturzentrum haben Ihr Leben in dieser Zeit am stärksten beeinflusst?
Im Jahr 1983 kam ich in einer Umbruchsituation zu dieser Aufgabe. Ein Jahr zuvor hatte die Israelitische Kultusgemeinde beschlossen, mit Hilfe der öffentlichen Hand eine komplette Renovierung des jüdischen Jugendzentrums vorzunehmen. Damit verbunden war die Neuorientierung, dieses Haus als eine ganz offene Einrichtung zu btreiben. Zuvor – seit 1957 – war es ausschließlich als „Maon Hanoar“, als Heim der jüdischen Jugend geführt worden.
In den 50er und 60er Jahren war es tatsächlich üblich, dass viele Kinder nur aus dem Haus durften, wenn sie in eine jüdische Einrichtung gingen und unter Freunden und Gleichgesinnten waren. Mit der Eröffnung der neuen Einrichtung war nun Anfang der 80er Jahre auch ein neues Konzept verbunden. Es gab damals schon ein großes Interesse auf nichtjüdischer Seite jüdische Kultur kennen zu lernen. Aus alledem ergab sich eine ganz neue Aufgabenstellung, für die ich geholt wurde. Das war das erste einschneidende Moment.
Am Anfang musste ich noch sondieren, wie dies zu gestalten sei. Denn diese Öffnung nach außen war für die jüdischen Menschen nicht so selbstverständlich. Es war von der jüdischen Gemeinde so geplant und so wurde es unterstützt. Aber für die Gemeindemitglieder bedeutete diese Öffnung etwas ganz neues. Damals beschloss man die Einrichtungen eines offenen Programms – informativ, unterhaltsam und manchmal durchaus kritisch.
Schon in der ersten Saison 1983 gab es ein Podiumsgespräch zur Situation Israels nach dem Einmarsch in den Libanon. Es gab eine Diskussion über den Umgang mit der Schoah, dem Holocaust – und wie die zweite Generation – also die Kinder Überlebender – das verarbeiteten. Es gab und gibt Sternstunden für mich, Begegnungen mit Persönlichkeiten des jüdischen und nichtjüdischen Lebens, die bereit waren und sind in einem jüdischen Kontext offen über sensible Themen zu sprechen. Es war zum Beispiel der Liedermacher und Dichter Wolf Biermann bei uns zu Gast. Die erste Einladung in eine jüdische Gemeinde kam von uns Sein Vater wurde als Kommunist und Jude in Auschwitz ermordet. Die Art, wie er bei uns über seine Kindheit, sein Familienleben, seine politischen Erweckungen, seinen Umzug nach Ostberlin und seine Ernüchterung sprach – das zählt zu den großen Erfahrungen, die ich persönlich machen durfte.
Wir haben erfahren, dass Sie seit Anfang der jüdischen Immigration aus den GUS-Staaten in München einen wichtigen Beitrag bei Kulturveranstaltungen zur Integration geleistet haben. Was denken Sie, hat Ihr Beitrag für die Integration jüdischer Immigranten in die deutsche Gesellschaft einerseits und in die Gemeinde andererseits bewirkt?
Das könnten Sie die Zuwanderer fragen. Man muss eines einräumen: Anfang der 90er Jahre war man in Deutschland überhaupt nicht vorbereitet war auf diese Zuwanderung. Das ist ein ganz neues Phänomen gewesen, dessen Dimensionen zunächst nicht überblickbar waren. Wir leisteten erst mal Nothilfe. Wir improvisierten von A bis Z: Deutschkurse, jeden Sonntag einen Jour fixe, bei dem Zuwanderer und Einheimische zusammentrafen. Wir haben verschiedene Sachen für die Wohnungseinrichtung organisiert. Mein größtes Objekt war ein Klavier, das ich dem Schriftsteller Joseph von Westphalen für eine Pianistin aus Moskau abschwatzte. Damit konnte sie üben und Unterricht geben. Später nahm die Zuwanderung solche Ausmaße an, dass wir dies mit unserer improvisierten Form im Jugend- und Kulturzentrum nicht mehr bewerkstelligen konnten. Es kam zu einer Institutionalisierung innerhalb der jüdischen Gemeinde, indem eine ganz neue Abteilung geschaffen wurde, die Integrationsabteilung. Wenn Sie allein die nüchternen Zahlen betrachten: Ende der 80er Jahre hatten wir 4.000 Mitglieder, heute, im Frühjahr 2007, sind wir bei rund 9.500 Mitgliedern. Damit wird deutlich, dass die Betreuung inzwischen auf eine professionalisierte Basis gestellt werden musste. Und die Integrationsabteilung hat viele Mitarbeiter und einen vollen Arbeitsplan.
1982 hat Rachel Salamander ihre berühmte "Literaturhandlung" gegründet, das heißt im Jahr vor dem Beginn Ihrer Tätigkeit im Kulturzentrum. Sie beide sind Kinder jüdischer "Displaced Persons"…
Rachel Salamander eröffnete ihre Literaturhandlung im Herbst 1982. In dieser Zeit war in der Prinzregentenstraße die Umbaumaßnahme bereits in vollem Gange, die im Februar 1983 zur Eröffnung des Jugend- und Kulturzentrums der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern führte. Das sind zwei Institutionen, die sehr zeitnah entstanden. Wenn man sich klar macht, dass in dieser Zeit auch die Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition gegründet wurde, dann haben Sie einen ganz klaren Hinweis darauf, dass Anfang der 80er Jahre offensichtlich zwei Dinge zusammen kamen, nämlich einerseits die Bereitschaft zur Öffnung auf jüdischer Seite, andererseits ein sehr großes Interesse von nichtjüdischer Seite an jüdischen Themen.
Im Laufe der letzten zweieinhalb Jahrzehnte entwickelte sich das Kulturzentrum zu einer Stätte der Begegnung, die der Integration der jüdischen Gemeinschaft in München Rechnung trägt. Viele Projekte entstanden im Zusammenwirken mit anderen Institutionen wie dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München, der Münchner Volkshochschule, der Monacensia, der Münchner Stadtbibliothek und der Initiative "Gegen Vergessen – Für Demokratie". In welcher Richtung kann sich das Kulturzentrum nach dem Umzug am Jakobsplatz entwickeln? Mit welchen Institutionen möchten Sie in Zukunft zusammen arbeiten?
Mit denen, die Sie genannt haben, bestehen Kontinuitäten, da sind aus der Arbeit zum Teil sogar Freundschaften erwachsen. Im April / Mai 2007 unterstützten wir in Kooperation mit dem Kulturreferat der Stadt München, der Münchner Volkshochschule und dem Tschechischen Zentrum die Ausstellung "Petr Ginz: Prager Tagebuch 1941 – 1942" im Gasteig. Es folgte eine Ausstellung über den "Auschwitzprozess 4 Ks2/63 Frankfurt am Main", die von Mai bis Juli im Münchner Justizpalast zu sehen war. Bei diesem Projekt unterstützte das Kulturzentrum die Initiative "Gegen Vergessen – Für Demokratie" e. V. bei der Durchführung des Begleitprogramms. Mitglieder dieses Vereins engagieren sich seit Jahren im Rahmen einer Arbeitsgruppe, die an die weit reichenden historischen Konsequenzen der so genannten Reichskristallnacht vom 9. November 1938 erinnern. Ich denke da konkret an die arbeitsintensive Vorbereitung der Lesung der Namen aus München deportierter Juden während der NS-Zeit. Das heißt, es gibt vielfältig bewährte Kooperationen, die wir gerne fortführen und ausbauen.
Gibt es häufiger in Ihrem Kulturprogramm zweisprachige Veranstaltungen auf Russisch und Deutsch, wie zum Beispiel die Gedenkstunde am 26.09.2006 zu Babij Jar?
Das war eine wichtige Gedenkveranstaltung zum 65. Jahrestag eines Massakers, das in der Erinnerung von jüdischen Zuwanderern aus den GUS-Staaten einen besonderen Platz einnimmt. Im vergangenen Jahr gab es mehrere Veranstaltungen in engster Kooperation mit der Integrationsabteilung, z. B. im Februar 2006 ein Konzert des Männerchors "Druschba – Freundschaft" im Künstlerhaus und im Oktober ein Gastspiel des Zuwanderer-Theaters "Mechaje" aus Rostock, das wir wegen des großen erfolgs für Oktober 2007 wieder eingeladen haben. Seit Beginn der Zuwanderung lud das Kulturzentrum der IKG immer wieder Autoren aus diesem Umfeld ein wie zum Beispiel Friedrich Gorenstein, Benjamin Smechov und Wladimir Woinowitsch. Am Anfang gab es sogar rein russischsprachige Veranstaltungen, da den Zuwanderer für Zweisprachiges noch die Sprachkompetenz in Deutsch fehlte. Inzwischen kommen Zugewanderte immer mehr zu deutschsprachigen Veranstaltungen, weil immer mehr in der mittleren und jüngeren Generation Deutsch inzwischen gut beherrschen oder sogar schon mit Deutsch als gleichwertiger Muttersprache aufwachsen. Aber bestimmte Ereignisse wie zum Beispiel das Gedenken an Babij Jar werden wir weiter zweisprachig konzipieren. Denn das geschieht weniger wegen Leuten, die immer noch nicht genug Deutsch können, sondern aus atmosphärischen, dramaturgischen Gründen: Auszüge aus bestimmten Dokumente, die wir authentisch in Ukrainisch oder Russisch bringen und dann die deutsche Übersetzung dazu.
Was wird sich nach dem Umzug des Kulturzentrums an den Jakobsplatz ändern? Gibt es andere Schwerpunkte in der Jüdischen Volkshochschule?
Früher mussten wir für große Veranstaltungen auf andere Orte in der Stadt ausweichen, etwa den Gasteig oder das Literaturhaus. Jetzt hat die Münchner Jüdische Gemeinde eigene, großzügige, repräsentative Räumen im Jüdischen Zentrum Das ist schon eine große Änderung. Das Jugend- und Kulturzentrum ist aus seiner randständigen Lage im Stadtteil Bogenhausen in die Stadtmitte umgezogen. Damit sind wir für alle Interessierten sehr zentral erreichbar. Und was die Schwerpunkte im Programm der Jüdischen Volkshochschule betrifft, so denke ich, dass diese zentrale Lage auch noch sehr viel mehr Anfragen und damit die Entwicklung neuer Angebote bedeuten wird. Ich möchte einen kreativen Workshop anbieten. Es gibt eine wunderbare Schachgruppe, die für ein sprachlich gemischtes Publikum ausbaufähig ist. Wir können und wollen neue Akzente setzen und werden das in diesen schönen neuen Rahmen auch tun.
Wie sieht die Zukunft unserer Gemeinde in München und der jüdischen Gemeinden in Deutschland überhaupt aus? Sollten sie die kulturelle Verbindungen mit Israel vertiefen oder eigenständiger werden?
Das sind zwei völlig unabhängig voneinander zu verstehende Fragen. Erstens würde ich sagen, die jüdische Gemeinschaft ist dabei sich auf einem hohen Niveau zu konsolidieren. Sie muß dabei verkraften, sich deutschlandweit innerhalb der letzten 16 bis 17 Jahre mehr als verdreifacht zu haben. Es sind sogar neue Gemeinden entstanden. Inzwischen bedeutet dies, dass die Leute angekommen sind, ihren Platz in der deutschen Gesellschaft finden und – wenn sie sich dafür engagieren – auch ein Teil der jüdischen Gemeinschaft werden. Das nenne ich die Konsolidierung auf einem hohen Niveau, weil die jüdische Gemeinschaft sich nun wirklich auch quantitativ sehr verstärkt hat.
Die zweite Frage, ob Verbindungen zu Israel ausgebaut werden oder der Eigenständigkeit Vorrang gegeben werden soll, sehe ich ganz eigenständig. Ich glaube, dass gerade für jüdische Menschen in Deutschland aus der Kenntnis der Geschichte immer eine besondere Beziehung zu Israel bestehen wird. Jom Haatzmaut und Jom Jeruschalaiim – israelischer Unabhängigkeitstag und Jerusalemtag – haben im Festkalender auch bei uns ihren sicheren Platz. Man nutzt jede Gelegenheit, um die israelische Staatsgründung oder das, was in Israel an Entwicklung geschieht, zu theamtisieren – etwa mit dem Israel-Tag, der 2006 am Marienplatz und dieses Jahr am Odeonsplatz stattfand. Dazu kam vor ein paar Monaten eine Israel-Messe. Israel hat – auch wenn man in München zuhause ist und sich hier wohl fühlt – einen festen Platz im Herzen der Menschen.
Sie haben eine Reihe von Publikationen veröffentlicht. Eine von diesen trägt den Titel "Jüdische Jugend heute in Deutschland". Wie sehen Sie die jüngere jüdische Generation heute und welchen Einfluss hat dies auf Ihr Angebot und Ihr Programm bei den Kulturveranstaltungen?
Mein Eindruck ist, dass seit Beginn der 90er Jahre viele Jugendliche nach ihrem Schulabschluss zum Studium ins Ausland gehen und nur zum Teil wieder zurückkehren. Die jüdische Jugend, die wir heute haben, kommt zu einem großen Prozentsatz aus den Zuwandererfamilien. Sie haben sich entschieden hier zu leben, ihre Ausbildung zu machen und Jüdischkeit kennen zu lernen.
Welchen Einfluss hat das auf meine Kulturarbeit? Das ist schwer zu sagen. Ich versuche eine Vielfalt des Judentums zu präsentieren, wo alles zum Tragen kommen kann. Das ist mein persönlicher Standpunkt.
Viele Facetten versuche ich abzudecken: das israelische Motiv ebenso wie das russische Motiv, oder auch die Situation jüdischen Lebens in München vor und nach der Nazizeit. Ich versuche bei der Wahl der Themen, Referenten und Präsentationsformen – Vorträge, Ausstellungen, Filme – eine ganze Palette zu bieten. Ich muss auch beachten, dass interessierte nichtjüdische Besucher kommen. Ich versuche ein Programm aus einer jüdischen Perspektive zu machen und jüdische Vielfalt deutlich zu machen: authentisch, informativ, mit allen Widersprüchen. Jeder der daran Interesse hat, kann teilnehmen. Das sind meine Kriterien und das hat maßgeblichen Einfluss auf mein Programmangebot.
Was wünschen Sie der jüdischen Jugend in Deutschland in der Gegenwart und in der Zukunft?
Meine Wünsche beziehen sich nicht nur auf die jüdische Jugend. Im engeren Sinn beziehen sie sich auf jeden jüdischen Menschen, egal, ob er klein, jugendlich, erwachsen oder älter ist, der sich für ein Leben in Deutschland entschieden hat oder hier hängen geblieben ist. Dass er sich wohl fühlt, dass wir in unserer Zeit in einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung leben. Wo es möglich ist, beides zu sein: ein Bürger dieses Landes und ein Jude. Und das man es nicht verheimlichen muss, sondern es ausleben kann. Wenn das gelingt, dann kann man nicht nur die Juden, sondern auch unsere Mehrheitskultur, die ja nichtjüdisch ist, beglückwünschen. Dann trifft es wirklich zu: Wir leben in einem freien, demokratischen Land.
Frau Presser, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Weitere Informationen zum Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde und die Jüdische Volkshochschule
Sehr geehrte Frau Presser, seit 1983 sind Sie Leiterin des Kulturzentrums der Israelitischen Kultusgemeinde München. Das ist wirklich ein langer Zeitraum. Welche Ereignisse im Kulturzentrum haben Ihr Leben in dieser Zeit am stärksten beeinflusst?
Im Jahr 1983 kam ich in einer Umbruchsituation zu dieser Aufgabe. Ein Jahr zuvor hatte die Israelitische Kultusgemeinde beschlossen, mit Hilfe der öffentlichen Hand eine komplette Renovierung des jüdischen Jugendzentrums vorzunehmen. Damit verbunden war die Neuorientierung, dieses Haus als eine ganz offene Einrichtung zu btreiben. Zuvor – seit 1957 – war es ausschließlich als „Maon Hanoar“, als Heim der jüdischen Jugend geführt worden.
In den 50er und 60er Jahren war es tatsächlich üblich, dass viele Kinder nur aus dem Haus durften, wenn sie in eine jüdische Einrichtung gingen und unter Freunden und Gleichgesinnten waren. Mit der Eröffnung der neuen Einrichtung war nun Anfang der 80er Jahre auch ein neues Konzept verbunden. Es gab damals schon ein großes Interesse auf nichtjüdischer Seite jüdische Kultur kennen zu lernen. Aus alledem ergab sich eine ganz neue Aufgabenstellung, für die ich geholt wurde. Das war das erste einschneidende Moment.
Am Anfang musste ich noch sondieren, wie dies zu gestalten sei. Denn diese Öffnung nach außen war für die jüdischen Menschen nicht so selbstverständlich. Es war von der jüdischen Gemeinde so geplant und so wurde es unterstützt. Aber für die Gemeindemitglieder bedeutete diese Öffnung etwas ganz neues. Damals beschloss man die Einrichtungen eines offenen Programms – informativ, unterhaltsam und manchmal durchaus kritisch.
Schon in der ersten Saison 1983 gab es ein Podiumsgespräch zur Situation Israels nach dem Einmarsch in den Libanon. Es gab eine Diskussion über den Umgang mit der Schoah, dem Holocaust – und wie die zweite Generation – also die Kinder Überlebender – das verarbeiteten. Es gab und gibt Sternstunden für mich, Begegnungen mit Persönlichkeiten des jüdischen und nichtjüdischen Lebens, die bereit waren und sind in einem jüdischen Kontext offen über sensible Themen zu sprechen. Es war zum Beispiel der Liedermacher und Dichter Wolf Biermann bei uns zu Gast. Die erste Einladung in eine jüdische Gemeinde kam von uns Sein Vater wurde als Kommunist und Jude in Auschwitz ermordet. Die Art, wie er bei uns über seine Kindheit, sein Familienleben, seine politischen Erweckungen, seinen Umzug nach Ostberlin und seine Ernüchterung sprach – das zählt zu den großen Erfahrungen, die ich persönlich machen durfte.
Wir haben erfahren, dass Sie seit Anfang der jüdischen Immigration aus den GUS-Staaten in München einen wichtigen Beitrag bei Kulturveranstaltungen zur Integration geleistet haben. Was denken Sie, hat Ihr Beitrag für die Integration jüdischer Immigranten in die deutsche Gesellschaft einerseits und in die Gemeinde andererseits bewirkt?
Das könnten Sie die Zuwanderer fragen. Man muss eines einräumen: Anfang der 90er Jahre war man in Deutschland überhaupt nicht vorbereitet war auf diese Zuwanderung. Das ist ein ganz neues Phänomen gewesen, dessen Dimensionen zunächst nicht überblickbar waren. Wir leisteten erst mal Nothilfe. Wir improvisierten von A bis Z: Deutschkurse, jeden Sonntag einen Jour fixe, bei dem Zuwanderer und Einheimische zusammentrafen. Wir haben verschiedene Sachen für die Wohnungseinrichtung organisiert. Mein größtes Objekt war ein Klavier, das ich dem Schriftsteller Joseph von Westphalen für eine Pianistin aus Moskau abschwatzte. Damit konnte sie üben und Unterricht geben. Später nahm die Zuwanderung solche Ausmaße an, dass wir dies mit unserer improvisierten Form im Jugend- und Kulturzentrum nicht mehr bewerkstelligen konnten. Es kam zu einer Institutionalisierung innerhalb der jüdischen Gemeinde, indem eine ganz neue Abteilung geschaffen wurde, die Integrationsabteilung. Wenn Sie allein die nüchternen Zahlen betrachten: Ende der 80er Jahre hatten wir 4.000 Mitglieder, heute, im Frühjahr 2007, sind wir bei rund 9.500 Mitgliedern. Damit wird deutlich, dass die Betreuung inzwischen auf eine professionalisierte Basis gestellt werden musste. Und die Integrationsabteilung hat viele Mitarbeiter und einen vollen Arbeitsplan.
1982 hat Rachel Salamander ihre berühmte "Literaturhandlung" gegründet, das heißt im Jahr vor dem Beginn Ihrer Tätigkeit im Kulturzentrum. Sie beide sind Kinder jüdischer "Displaced Persons"…
Rachel Salamander eröffnete ihre Literaturhandlung im Herbst 1982. In dieser Zeit war in der Prinzregentenstraße die Umbaumaßnahme bereits in vollem Gange, die im Februar 1983 zur Eröffnung des Jugend- und Kulturzentrums der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern führte. Das sind zwei Institutionen, die sehr zeitnah entstanden. Wenn man sich klar macht, dass in dieser Zeit auch die Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition gegründet wurde, dann haben Sie einen ganz klaren Hinweis darauf, dass Anfang der 80er Jahre offensichtlich zwei Dinge zusammen kamen, nämlich einerseits die Bereitschaft zur Öffnung auf jüdischer Seite, andererseits ein sehr großes Interesse von nichtjüdischer Seite an jüdischen Themen.
Im Laufe der letzten zweieinhalb Jahrzehnte entwickelte sich das Kulturzentrum zu einer Stätte der Begegnung, die der Integration der jüdischen Gemeinschaft in München Rechnung trägt. Viele Projekte entstanden im Zusammenwirken mit anderen Institutionen wie dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München, der Münchner Volkshochschule, der Monacensia, der Münchner Stadtbibliothek und der Initiative "Gegen Vergessen – Für Demokratie". In welcher Richtung kann sich das Kulturzentrum nach dem Umzug am Jakobsplatz entwickeln? Mit welchen Institutionen möchten Sie in Zukunft zusammen arbeiten?
Mit denen, die Sie genannt haben, bestehen Kontinuitäten, da sind aus der Arbeit zum Teil sogar Freundschaften erwachsen. Im April / Mai 2007 unterstützten wir in Kooperation mit dem Kulturreferat der Stadt München, der Münchner Volkshochschule und dem Tschechischen Zentrum die Ausstellung "Petr Ginz: Prager Tagebuch 1941 – 1942" im Gasteig. Es folgte eine Ausstellung über den "Auschwitzprozess 4 Ks2/63 Frankfurt am Main", die von Mai bis Juli im Münchner Justizpalast zu sehen war. Bei diesem Projekt unterstützte das Kulturzentrum die Initiative "Gegen Vergessen – Für Demokratie" e. V. bei der Durchführung des Begleitprogramms. Mitglieder dieses Vereins engagieren sich seit Jahren im Rahmen einer Arbeitsgruppe, die an die weit reichenden historischen Konsequenzen der so genannten Reichskristallnacht vom 9. November 1938 erinnern. Ich denke da konkret an die arbeitsintensive Vorbereitung der Lesung der Namen aus München deportierter Juden während der NS-Zeit. Das heißt, es gibt vielfältig bewährte Kooperationen, die wir gerne fortführen und ausbauen.
Gibt es häufiger in Ihrem Kulturprogramm zweisprachige Veranstaltungen auf Russisch und Deutsch, wie zum Beispiel die Gedenkstunde am 26.09.2006 zu Babij Jar?
Das war eine wichtige Gedenkveranstaltung zum 65. Jahrestag eines Massakers, das in der Erinnerung von jüdischen Zuwanderern aus den GUS-Staaten einen besonderen Platz einnimmt. Im vergangenen Jahr gab es mehrere Veranstaltungen in engster Kooperation mit der Integrationsabteilung, z. B. im Februar 2006 ein Konzert des Männerchors "Druschba – Freundschaft" im Künstlerhaus und im Oktober ein Gastspiel des Zuwanderer-Theaters "Mechaje" aus Rostock, das wir wegen des großen erfolgs für Oktober 2007 wieder eingeladen haben. Seit Beginn der Zuwanderung lud das Kulturzentrum der IKG immer wieder Autoren aus diesem Umfeld ein wie zum Beispiel Friedrich Gorenstein, Benjamin Smechov und Wladimir Woinowitsch. Am Anfang gab es sogar rein russischsprachige Veranstaltungen, da den Zuwanderer für Zweisprachiges noch die Sprachkompetenz in Deutsch fehlte. Inzwischen kommen Zugewanderte immer mehr zu deutschsprachigen Veranstaltungen, weil immer mehr in der mittleren und jüngeren Generation Deutsch inzwischen gut beherrschen oder sogar schon mit Deutsch als gleichwertiger Muttersprache aufwachsen. Aber bestimmte Ereignisse wie zum Beispiel das Gedenken an Babij Jar werden wir weiter zweisprachig konzipieren. Denn das geschieht weniger wegen Leuten, die immer noch nicht genug Deutsch können, sondern aus atmosphärischen, dramaturgischen Gründen: Auszüge aus bestimmten Dokumente, die wir authentisch in Ukrainisch oder Russisch bringen und dann die deutsche Übersetzung dazu.
Was wird sich nach dem Umzug des Kulturzentrums an den Jakobsplatz ändern? Gibt es andere Schwerpunkte in der Jüdischen Volkshochschule?
Früher mussten wir für große Veranstaltungen auf andere Orte in der Stadt ausweichen, etwa den Gasteig oder das Literaturhaus. Jetzt hat die Münchner Jüdische Gemeinde eigene, großzügige, repräsentative Räumen im Jüdischen Zentrum Das ist schon eine große Änderung. Das Jugend- und Kulturzentrum ist aus seiner randständigen Lage im Stadtteil Bogenhausen in die Stadtmitte umgezogen. Damit sind wir für alle Interessierten sehr zentral erreichbar. Und was die Schwerpunkte im Programm der Jüdischen Volkshochschule betrifft, so denke ich, dass diese zentrale Lage auch noch sehr viel mehr Anfragen und damit die Entwicklung neuer Angebote bedeuten wird. Ich möchte einen kreativen Workshop anbieten. Es gibt eine wunderbare Schachgruppe, die für ein sprachlich gemischtes Publikum ausbaufähig ist. Wir können und wollen neue Akzente setzen und werden das in diesen schönen neuen Rahmen auch tun.
Wie sieht die Zukunft unserer Gemeinde in München und der jüdischen Gemeinden in Deutschland überhaupt aus? Sollten sie die kulturelle Verbindungen mit Israel vertiefen oder eigenständiger werden?
Das sind zwei völlig unabhängig voneinander zu verstehende Fragen. Erstens würde ich sagen, die jüdische Gemeinschaft ist dabei sich auf einem hohen Niveau zu konsolidieren. Sie muß dabei verkraften, sich deutschlandweit innerhalb der letzten 16 bis 17 Jahre mehr als verdreifacht zu haben. Es sind sogar neue Gemeinden entstanden. Inzwischen bedeutet dies, dass die Leute angekommen sind, ihren Platz in der deutschen Gesellschaft finden und – wenn sie sich dafür engagieren – auch ein Teil der jüdischen Gemeinschaft werden. Das nenne ich die Konsolidierung auf einem hohen Niveau, weil die jüdische Gemeinschaft sich nun wirklich auch quantitativ sehr verstärkt hat.
Die zweite Frage, ob Verbindungen zu Israel ausgebaut werden oder der Eigenständigkeit Vorrang gegeben werden soll, sehe ich ganz eigenständig. Ich glaube, dass gerade für jüdische Menschen in Deutschland aus der Kenntnis der Geschichte immer eine besondere Beziehung zu Israel bestehen wird. Jom Haatzmaut und Jom Jeruschalaiim – israelischer Unabhängigkeitstag und Jerusalemtag – haben im Festkalender auch bei uns ihren sicheren Platz. Man nutzt jede Gelegenheit, um die israelische Staatsgründung oder das, was in Israel an Entwicklung geschieht, zu theamtisieren – etwa mit dem Israel-Tag, der 2006 am Marienplatz und dieses Jahr am Odeonsplatz stattfand. Dazu kam vor ein paar Monaten eine Israel-Messe. Israel hat – auch wenn man in München zuhause ist und sich hier wohl fühlt – einen festen Platz im Herzen der Menschen.
Sie haben eine Reihe von Publikationen veröffentlicht. Eine von diesen trägt den Titel "Jüdische Jugend heute in Deutschland". Wie sehen Sie die jüngere jüdische Generation heute und welchen Einfluss hat dies auf Ihr Angebot und Ihr Programm bei den Kulturveranstaltungen?
Mein Eindruck ist, dass seit Beginn der 90er Jahre viele Jugendliche nach ihrem Schulabschluss zum Studium ins Ausland gehen und nur zum Teil wieder zurückkehren. Die jüdische Jugend, die wir heute haben, kommt zu einem großen Prozentsatz aus den Zuwandererfamilien. Sie haben sich entschieden hier zu leben, ihre Ausbildung zu machen und Jüdischkeit kennen zu lernen.
Welchen Einfluss hat das auf meine Kulturarbeit? Das ist schwer zu sagen. Ich versuche eine Vielfalt des Judentums zu präsentieren, wo alles zum Tragen kommen kann. Das ist mein persönlicher Standpunkt.
Viele Facetten versuche ich abzudecken: das israelische Motiv ebenso wie das russische Motiv, oder auch die Situation jüdischen Lebens in München vor und nach der Nazizeit. Ich versuche bei der Wahl der Themen, Referenten und Präsentationsformen – Vorträge, Ausstellungen, Filme – eine ganze Palette zu bieten. Ich muss auch beachten, dass interessierte nichtjüdische Besucher kommen. Ich versuche ein Programm aus einer jüdischen Perspektive zu machen und jüdische Vielfalt deutlich zu machen: authentisch, informativ, mit allen Widersprüchen. Jeder der daran Interesse hat, kann teilnehmen. Das sind meine Kriterien und das hat maßgeblichen Einfluss auf mein Programmangebot.
Was wünschen Sie der jüdischen Jugend in Deutschland in der Gegenwart und in der Zukunft?
Meine Wünsche beziehen sich nicht nur auf die jüdische Jugend. Im engeren Sinn beziehen sie sich auf jeden jüdischen Menschen, egal, ob er klein, jugendlich, erwachsen oder älter ist, der sich für ein Leben in Deutschland entschieden hat oder hier hängen geblieben ist. Dass er sich wohl fühlt, dass wir in unserer Zeit in einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung leben. Wo es möglich ist, beides zu sein: ein Bürger dieses Landes und ein Jude. Und das man es nicht verheimlichen muss, sondern es ausleben kann. Wenn das gelingt, dann kann man nicht nur die Juden, sondern auch unsere Mehrheitskultur, die ja nichtjüdisch ist, beglückwünschen. Dann trifft es wirklich zu: Wir leben in einem freien, demokratischen Land.
Frau Presser, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Weitere Informationen zum Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde und die Jüdische Volkshochschule