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19/02: Von Bauern zu Händlern und Ärzten

Jüdische Bildung und demographische Entwicklung in Eretz Israel und in der Diaspora...

Von Miriam Magall

Schon vor der Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahr 70 d.Z. durch die Römer nimmt das Thora-Studium innerhalb der jüdischen Bevölkerung von Judäa an Bedeutung zu. Seit dem Beginn des 2. Jhs. d.Z. fordert die jüdische Norm von Vätern, ihren Söhnen eine Bildung zu geben. Bildung geht nicht ohne Kosten für die Gemeinschaft und die Väter. Es muss sich also lohnen, in Bildung zu investieren. Das ist bei einfachen Bauern, wie sie zu diesem Zeitpunkt Eretz Israel bevölkern, nicht unbedingt der Fall.

Die Folge ist eine zerrissene Gesellschaft im Land. Einerseits bewirkt der neue Nachdruck auf einem Thora-Studium in der Zeit vom 2. bis zu Beginn des 8. Jhs. eine gewaltige Zunahme des Synagogenbaus in zumeist ländlichen Gegenden in Judäa, Galiläa und auf dem Golan. Denn die Synagogen werden, nachdem der Tempel in Jerusalem zerstört und damit kein Opferdienst mehr möglich ist, durch das Thora-Studium ersetzt. Pharisäer gründen Schulen und bemühen sich, die Eltern zu bewegen, ihre Kinder im Alter von 6 oder 7 Jahren auf diese Schulden zu schicken. Damit steigen die Pharisäer zu den neuen religiösen Vorbildern auf; Lehrer und Gelehrte sind hoch angesehen. Bald entstehen auch die ersten Akademien, in Babylon, aber auch in Eretz Israel. Seit dem 3. Jh. d.Z. besuchen praktisch alle Juden überdies zweimal im Jahr im März und August, in den Monaten also, in denen die landwirtschaftliche Arbeit nicht so intensiv ist, diese Akademien. Es gibt also eine Bildungsoffensive noch in einer Agrargesellschaft, bevor später ihre Urbanisierung, dann unter muslimischer Herrschaft, einsetzt. Wer nicht in die Bildung seiner Söhne investiert, gilt am Am ha-Aretz, als Unwissender.

Um die gleiche Zeit, noch vor 325 d.Z., also vor Konstantin dem Großen, breitet sich das Christentum innerhalb der jüdischen Bevölkerung aus und finden zwei jüdische Aufstände statt, der erste wird 70 d.Z., der zweite 135 d.Z. blutig niedergeschlagen. Dabei kommen rund 600.000 Menschen im ersten und rund 500.000 im zweiten Krieg um. Das bedeutet, dass sich die Bevölkerungszahl von ca. 2,5 Millionen vor dem ersten Jüdischen Krieg kräftig verringert -- allerdings nicht nur um die Zahlen dieser Kriegstoten, sondern um zusätzlich zwischen 30 und 40%. Eine mögliche Erklärung für diesen Rückgang der jüdischen Bevölkerung sehen Wissenschaftler heute in der freiwilligen Konversion, an diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich zum Christentum. Denn wenn Juden nicht in Bildung investieren, weil sie ihnen als Bauern auf dem Land keine greifbaren Vorteile einbringt, konvertieren sie. Sie wollen nicht als Außenstehende gelten, und das Christentum nimmt diese armen, ungebildeten jüdischen Bauern mit offenen Armen auf. Nachweislich breitet sich das Christentum vor 325 d.Z. vor allem dort aus, wo Juden, und zwar, wie o.a., arme Juden ohne höhere Bildung leben. Dagegen gibt es praktisch keine Christen in Ost-Persien, Gallien, Belgien, Großbritannien, Deutschland und Osteuropa, wo z.T. zwar römische Besatzer, aber keine Juden anzutreffen sind.

Eine ähnliche Tendenz ist in Ägypten und Nordafrika zu beobachten. Vom 1. Jh. an geht die jüdische Bevölkerung dort von ca. 1 Million auf beinahe 4000 am Ende des 7. Jhs. zurück. Zwar hat es den Aufstand in der Cyrenaica von 115--117 d.Z. gegeben, der von Trajan niedergeschlagen wurde. Dabei dürften Schätzungen zufolge rund 150.000 bis 200.000 Juden ihr Leben verloren haben, aber es stellt sich die Frage: Was geschah mit den restlichen 60 bis 70 %? Ein kleiner Teil der Juden aus Eretz Israel und Ägypten dürfte Zuflucht in Babylon und Persien gesucht haben, denn dort ist um diese Zeit, d.h. bis zum Ende des 7. Jhs. eine Zunahme der jüdischen Bevölkerung zu verzeichnen. Ansonsten dürfte dieser Rückgang der jüdischen Bevölkerung auf Konversionen zum Christentum zurückzuführen sein. Denn es sind hauptsächlich die hellenistischen Juden in Syrien, Griechenland, Ägypten und Nordafrika, die am ehesten konvertieren. Es sollte darauf hingewiesen werden, dass es weder in Ägypter noch in Kleinasien jüdische Akademien gibt, obwohl die jüdische Bevölkerung dort nicht gerade als gering bezeichnet werden kann. Insgesamt ist während der Zeit vom 2. bis zum 8. Jh. ein Rückgang der allgemeinen jüdischen Bevölkerung von 4,5 auf 1,2 Millionen zu verzeichnen.

Bis zum 8. Jh. leben Juden vor allem in Eretz Israel, Babylon, wozu Irak, Persien und die Arabische Halbinsel gerechnet werden, weiter in Ägypten, was ganz Nordafrika bedeutet, Syrien einschließlich dem heutigen Libanon, und Kleinasien, wozu Anatolien, die Türkei und der Balkan gerechnet werden.

Zurück zu den jüdischen Vätern, die ihren Söhnen eine höhere Bildung ermöglichen. Mit dem Wandel der religiösen Norm im 1. Jh. d.Z. ist ein Wandel bei der Berufswahl einhergegangen. Aus Bauern, die die Bildung ihrer Söhne fördern, werden Händler, und diese jüdischen Händler investieren wiederum mehr in die Bildung ihrer Söhne als die Bauern und die nichtjüdischen Händler. Dank hebräischer Bildung wird schließlich auch die Bildung im Allgemeinen gefördert. Das hat zur Folge, dass sich die Produktivität dieser Menschen steigert und sie zu ausgesprochenen Fachleuten werden. So kommt es, dass, wo immer Juden keine Sondersteuern zahlen müssen oder ihnen keine Berufsbeschränkungen auferlegt werden, sie auch nicht konvertieren, sondern statt dessen neue Berufe ergreifen. Deshalb gibt es spätestens seit dem 8. Jh. im Nahen Osten und in Ägypten mit Nordafrika sowie in Kleinasien, im Machtbereich des muslimischen Reiches also, schon bald jüdische Handwerker, Händler, Steuereintreiber, Geldleiher und auch jüdische Ärzte. Und diese Juden investieren weiter in die Bildung ihrer Söhne, d.h. es wird in Bildung investiert, wann immer man sich einen Gewinn davon verspricht. Es werden Schulen für jüdische Kinder eingerichtet, an denen sie Hebräisch und Arabisch lesen und schreiben lernen, ebenso wie Arithmetik. Jeder Haushalt zahlt nicht nur Schulgeld für die eigenen Söhne, sondern noch zusätzliche Gebühren, damit auch arme Kinder und Waisen die Schulen besuchen können. Der Beweis dafür findet sich in den rund 200.000 Dokumenten aus dem 9. bis 13. Jh., die in der Genisa von Kairo gefunden und erst im 19. Jh. wieder entdeckt wurden. Unter muslimischer Herrschaft finden zwischen dem 8. und dem 12. Jh. keine Massenkonversionen zum Islam statt.

Die Juden sind dank ihrer besseren Bildung nicht mehr an einen bestimmten Ort gebunden. Vielmehr wandern sie freiwillig im muslimischen Reich vor allem wegen besserer Berufsmöglichkeiten von den Osten in den Westen. Dank ihrer Sprache, dem Hebräischen, ihrer hohen Fähigkeit zum Lesen und Schreiben und ihrer Erfahrung im Umgang mit dem Gesetz, das sie ihrem Talmud-Studium verdanken, finden sie Unterschlupf im Abbasiden-Kalifat in Ägypten und in Spanien. Im Kalifat Córdoba bildet sich eine kleine, aber reiche jüdische Gemeinde. Auf Einladung von Monarchen und Bischöfen werden Juden wegen ihrer gerade erwähnten Fähigkeiten nach Deutschland, Frankreich und Großbritannien gerufen -- die Juden ragen hier mit ihrer Bildung, insbesondere mit ihrer Fähigkeit zu lesen und zu schreiben, heraus zu einer Zeit, als noch um 1500 in Westeuropa gerade einmal knapp 10 % der christlichen Bevölkerung, vor allem Mönche und Kleriker, lesen und schreiben konnten.

Die große Zäsur für die Juden im muslimischen Reich tritt mit der Invasion der Mongolen ein. Im Jahr 1258 zerstören sie Bagdad und nehmen Irak, Persien, Syrien und Eretz Israel ein. Nur die Mamelucken in Ägypten schlagen sie zurück. Die Mongolen zerschlagen die blühenden Stadtgesellschaften und werfen die Bevölkerungen in den von ihnen eingenommenen Gebieten wieder in eine primitive Agrargesellschaft zurück. Darunter natürlich auch die dort lebenden Juden. Jetzt wiederholt sich ein schon bekanntes Phänomen: In der Zeit von ungefähr 1180 bis ca. 1380 geht die Zahl der Juden in Irak, Persien und auf der Arabischen Halbinsel von 770.000 auf nur noch 200.000 bis 300.000 zurück. Ein Großteil dieser Juden konvertiert, falls nicht ausgewandert, zum ersten Mal in Massen zum Islam. Denn in einer Agrargesellschaft lohnt es sich nicht, aus eigener Tasche viel in die Bildung der Söhne zu investieren. Und man will dem Mainstream angehören. Damit erspart man sich Sondersteuern und Diskriminierungen als Bürger zweiter Klasse.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Juden zwischen 200 v. und 200 d.Z. damit beginnen, mehr in die Bildung ihrer Söhne zu investieren und dass dieser Trend schließlich zur zwingenden Norm erhoben wird. Wer nicht mitmacht, gilt als unwissend und als Außenstehender; deshalb konvertieren arme, unwissende jüdische Bauern zum Christentum. Was die anderen Juden betrifft, die in die Bildung ihrer Söhne investieren, so ist dank ihrer höheren Bildung auch ihre Allgemeinbildung besser, sie verfügen über die Fähigkeit zum Handeln und Verhandeln, und da sie lesen und schreiben können, sind sie auch in der Lage, Verträge aufzusetzen. Im Laufe der Zeit ziehen die Juden freiwillig an andere Orte, um ihre Fähigkeiten besser nutzen zu können. Sie bilden stets eine Minderheit. Denn wo es zu viele Juden gibt, wird die Konkurrenz zu groß.

Höhere Bildung ist also auch dafür verantwortlich, dass die religiöse und die Gruppenidentität von Juden bewahrt wird.

Kommentare

Bildung:
Frage: Wie sehen Juden vom äußerem Erscheinungsbild aus.
Abraham kam aus der Stadt Ur(liegt im heutigen Irak) wanderte über Harran(heutige Türkei) nach dem gelobten Land.
Auf den ältesten keltischen Münzen(nicht jüdische) wurden die Menschen mit gebogener Nasenform sowie lockigen Haaren abgebildet. Abraham war Aramäer. Es gibt auch das Land Armenien.
Was bedeutet der Ausdruck Ar. Im deutschen wird der Adler auch als Aar bezeichnet oder geschrieben.
Welche Volksstämme hatten den Adler als Machtsymbol ?
Hast du dich schon einmal gedanklich über die Herkunft von Städtenamen oder Hausnamen beschäftigt?
Warum tragen die orthodoxen Juden links und rechts eine Locke.
Gibt es Menschen, die am Hinterkopf kreisrunden Haarausfall haben.
Warum rasieren sich Juden den Schädel an dieser Stelle kahl?
Was bedeutet das Wort Kippa?
War Ki vielleicht ein Ausdruck für Rohfleisch und drehen oder Kreis.
Man bezeichnet Juden auch als Semiten. Semit heißt halb und halb oder Se gleich Eminenz und mit gleich Mitte.

Ich habe mich mit vielen Fragen beschäftigt.

Gruß R. Pietz
10/03 16:23:17

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