Jom haSchoah
Ein Tag als Mahnmal

 

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Stillstand während der zweiminütigen Sirene zu Jom haShoah
Foto: Frederic Brenner

Der Holocaust hat keine Werte:
Die Politik der Erinnerung
In Israel herrschte nach dem Zweiten Weltkrieg angesichts der Enthüllungen über den Holocaust zunächst betroffenes Schweigen - eine Mischung aus Scheu und Scham...

Das Gedenken am Jom haShoah wird von der Institution Yad Vashem gestaltet.

Der Ablauf von Jom haShoah beinhaltet eine Eröffnungszeremonie mit anschließender Podiumsdiskussion am Vorabend, ein zentraler Teil ist eine 2-Minuten Sirene um 10:00 Uhr, dann folgt eine Kranzniederlegung am Gelände von Yad Vashem in Anwesenheit der Regierungs- und Staatsspitzen. Um die Mittagszeit wird eine Namensliste von Schoa-Opfern verlesen, am Nachmittag gibt es eine Zeremonie für jüdische Jugendorganisationen. Die meisten dieser Programmpunkte werden live im israelischen Fernsehen übertragen und so dem israelischen Bürger nahegebracht. Der eindrucksvollste Abschnitt ist die 2 Minuten Sirene und der Stillstand und das Schweigen von einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung. Das ist im Durchschnitt mehr als jedes physische Mahnmal an Aufmerksamkeit bekommt.

Das Anknüpfen von Erinnerung an einen Tag, das heißt an eine zeitliche Dimension und nicht, wie in der westlichen Kultur üblich, an eine räumliche Dimension, wie es etwa im klassischen Fall eines Denkmales oder Mahnmales geschieht, ist etwas inhärent Jüdisches. Der amerikanische Professor James E. Young nennt diese Dimension "memorial space". Als solches ist es eine passende Form des Gedenkens für einen jüdischen Staat. Es vereint die in der jüdischen Religion verankerte Form des Gedenkens eines Ereignisses an einem Jahrestag der Wiederkehr mit der traditionellen, biblisch begründeten Ablehnung von dreidimensionalen Objekten mit Menschengestalt.

Die jüdische Religion hat allerdings (noch) nicht einheitlich auf die Katastrophe der Schoa mit einem einheitlichen Ritus reagiert. Von orthodoxer Seite wurde versucht, das Gedenken teils auf den 10. Tewet, teils auf den 9. Aw zu verlegen. Am 10. Tewet, einem der sogenannten kleinen Fasttage wird traditionellerweise des Beginns der Belagerung Jerusalems vor der Zerstörung des Tempels gedacht. Dieser Tag sollte eine Dimension des Schoa-Gedenkens bekommen, indem an ihm das allgemeine Kaddisch, das Totengebet, für all jene Opfer der Schoa gesagt werden sollte, deren Sterbedatum, die sogenannte "Jahrzeit", an dem üblicherweise das Kaddisch gesagt wird, unbekannt geblieben ist.

Am 9.Aw, dem Trauertag für die Zerstörung der beiden Tempel in Jerusalem, wurde durch Hinzufügen von Trauerelegien, die in den letzten Jahrzehnten von großen Rabbinern oder chassidischen Rebben verfaßt wurden, die Shoa als eine in einer Kette von Katastrophen dargestellt, die mit der Zerstörung des Tempels ihren Ausgang nahm. Sowohl der 10. Tewet als auch der 9. Aw als Anker für ein Gedenken der Schoa nehmen ihr die Einmaligkeit, da sie "nur" als (vorläufiger) Schlußpunkt einer Folge sind, deren Ursprung und Wurzel der Churban, die Zerstörung des Jerusalemer Tempels ist. Dieser Sichtweise folgend, ist es verständlich, daß das Wort "Schoa" (wörtlich: Wirbelwind) nicht der Ausdruck ist, den die Orthodoxie verwendet, sondern "Churban Europa", die Zerstörung Europas. Das Konzept des Gedenkens beruht auf einer Kontinuität der Tragödien. Diese Sichtweise wird z.B. in einem Aufsatz von Rabbi Yehudah Prero dargestellt, wo er sich dafür ausspricht der Schoa am 9.Aw zu gedenken.

Jom haShoah ist kein religiöser Gedenktag. Die Genese des Jom haShoah in den frühen Jahren des Staates Israel spiegelt aber gut die Spannungen zwischen dem Bedürfnis nach religiösem und dem nach säkularem Gedenken wieder.

Die wenigsten wissen warum der 27. Nisan als Jom haShoah bestimmt wurde, die wenigen, die es zu wissen vermeinen, glauben es sei der Jahrestag der Aufstandes im Warschauer Ghetto.

Das Zustandekommen des Jom haShoah
am27. Nissan

Das Zustandekommen des 27. Nissan als Jom haShoah läßt uns einen Einblick in die Art und Weise bekommen, in der die Wirkungsgeschichte des Gedenken ein Gedenken für sich selbst darstellt.

Im Jahr 1948 erklärte das Oberrabbinat von Israel den 10. Tewet zum Tag des allgemeinen Kaddisch. Als im Dezember 1949 die Asche von Juden, die im KZ Flossenbürg ermordet worden waren, nach Israel überführt wurde, entschied Rabbi S.Z. Kahana, ein Ressortleiter im Ministerium für religiöse Angelegenheiten, deren Asche am 10.Tewet begraben zu lassen. Rabbi Kahanas weiterreichender Vorschlag, diesen Tag als den Tag des Gedenkens an die Schoah festzusetzen, wurde vom Oberrabbinat akzeptiert.

Im Jahre 1951 schlug der Knesset-Abgeordnete Rabbi Mordechai Nurock vor einen eigenen Tag für das Gedenken des Holocaust zu schaffen. Die Argumentation Nurocks ist genau die entgegengesetzte Meinung, die heute die Orthodoxie einnimmt. Er erklärte die Notwendigkeit eines eigenen Gedenktages mit der Einmaligkeit der Schoa. Der Tag sollte zuerst “Jom haShoah Umered Hagetaot", Holocaust- und Ghettoaufstandstag heißen, schließlich einigte man sich auf "Jom haShoah Wehagwurah", Holocaust- und Heldentumstag. "Das Finden eines Datums gestaltete sich schwierig. Die Ghettokämpfer wollten den 19. April, das war der Tag, an dem der Aufstand begonnen hatte. Nur fiel dieses Datum im jüdischen Kalender auf unmögliche Tage, etwa Pessach. Also versuchte man dem Tag einen Platz im jüdischen Kalender zu finden und fand einige wenige Tage zwischen dem Ende von Pessach und den erst 1949 eingeführten Jom Haatzmaut am 5. Ijar mit dem davor liegenden Jom Hasikaron, dem Gedenktag für die gefallenen israelischen Soldaten.

Im Jahr 1959 wurde der Jom haShoah, weil er zuwenig Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf sich zog, zum Gesetz erhoben dessen wichtigste Passage lautet:
"Am Jom haShoah soll im ganzen Staat Israel eine zweiminütiges Schweigen eingehalten werden, währenddessen jeder Straßenverkehr ruhen soll. (...) Das Radioprogramm soll dem Charakter des Anlasses entsprechen. (...)" Große Teile der Ultra-Orthodoxie und Teile der Orthodoxie haben diesen Tag aber nie akzeptiert und gedenken der Opfer des Holocaust am 10. Tewet durch das Kaddisch-Sagen und / oder durch das Rezitieren von Trauerelegien am 9. Aw.

So bleibt das Volk Israel im Lande Israel uneinig in seinem Gedenken an die größte Katastrophe im 20. Jahrhundert, so wie es in vielen anderen Punkten seit der Staatsgründung ist, im jüdischen Staat oder im Staat der Juden.

Roni Grosz
Bibliothekar in der Bibliothek des Jüdisches Museums der Stadt Wien
1010 Wien, Seitenstettengasse 4

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