BERN/VERMÖGEN - Ernüchterung nach dem New Yorker
treffen
Wie global ist die «Globallösung»?
Eine «Globallösung» mit der Bezahlung
einer pauschalen Summe in angeblicher Milliardenhöhe durch die Schweizer
Grossbanken soll in den USA den drohenden Boykott ihrer Filialen abwenden. Der
Jüdische Weltkongress (WJC) geht allerdings weiter. Er will sich gemeinsam mit
den Sammelkläger-Anwälten zwar zuerst mit den Banken an einen Tisch setzen.
Aber er kündigte bereits an, dass jetzt auch alle anderen Forderungen an die
Schweiz einkassiert werden sollen. Die Rede ist von einem Opfer- und
Gerechtigkeitsfonds. In der Schweiz wird damit das Aus für die schweizerische
Stiftung für Solidarität befürchtet.
VON GISELA BLAU
Was Unterstaatssekretär Stuart Eizenstat
vergangene Woche in New York als «Durchbruch» bezeichnete, macht in der
Schweiz niemanden glücklich. Bei den Grossbanken ist allgemein zu hören, dass
sie nur bereit sind, über einen «ehrenhaften und moralischen Abschluss ihrer
eigenen Angelegenheiten aus der Holocaust-Zeit» zu verhandeln, und dass sie
die Arbeit der Volcker-Kommission als «Eckpfeiler einer sauberen Lösung»
betrachten. So steht es auch im Brief, den CS-Chef Lukas Mühlemann im Namen
aller drei Grossbankenchefs in aller Eile an Israel Singer vom Jüdischen
Weltkongress (WJC) senden musste, nachdem das gleichlautende, vom designierten
UBS-Konzernchef Marcel Ospel unterzeichnete Schreiben irgendwo verschwunden
war. Doch diese anderthalb Sätze des sechszeiligen Briefes wurden in den USA
nicht zitiert. Der Druck wegen der Sammelklagen und der Wunsch nach Ruhe und
ungefährdeter Geschäftstätigkeit veranlasste die Banken zum Alleingang, ohne
die Resultate der Volcker-Revisoren abzuwarten, die eine saubere Grundlage für
Zahlungen bieten würden. Über nachrichtenlose Policen, Raubkunst,
Sklavenarbeit oder Flüchtlingspolitik sollten Versicherungen,
Industriebetriebe, die Nationalbank, die Kunsthändler und -sammler getrennt
von den Banken und voneinander verhandeln können, heisst es. Skepsis äussern
Persönlichkeiten der jüdischen Gemeinschaft: Thomas Lyssy, letzte Woche mit
guten Argumenten zum Thema «Die Schweiz im Würgegriff» zu Gast in der «Arena»,
fürchtet, das historische Interesse würde nach einer Globallösung
verschwinden. Er wünscht sich, dass dereinst nicht nur in den
Geschichtsbüchern steht, die Schweiz habe während der Nazizeit Fehler gemacht
und diese hätten so und so viele Milliarden gekostet. «Mit einer Globallösung
hält sich der WJC nicht an die von ihm mit den Schweizer Banken eingegangenen
Verpflichtungen, nämlich Hilfe für bedürftige Holocaustopfer zu schaffen»,
sagt Jacques Picard, Historiker und Forschungsleiter der Bergier-Kommission.
«Bevor weitere globale Abmachungen getroffen werden, muss erst die
Volcker-Kommission ihre Arbeit abgeschlossen haben. Es ist jetzt Zeit sowohl
für die schweizerischen Behörden wie für den SIG, klar Stellung zu beziehen,
nicht zuletzt wegen der eigenen Glaubwürdigkeit, die sie bisher zu vermitteln
versuchten. Im weiteren geht es auch darum, die Solidaritätsstiftung, die
gegen innen und gegen aussen ein überzeugendes Konzept vertreten kann, auf
keinen Fall lautlos in einem Ablasshandel zu begraben. So, wie der Prozess
jetzt läuft, werden Präjudizien geschaffen, die nicht abschätzen lassen, was
uns in Zukunft erwarten könnte. Ganz zuletzt geht es nicht mehr um die Opfer,
die es nötig haben.» Doch Rolf Bloch, Präsident des SIG, will erst Stellung
beziehen, wenn klar ist, was abläuft. Er war letzte Woche in New York am
Boykott-Hearing dabei. Alle seien nervös gewesen, berichtet Bloch, sie wussten
nicht, wo sie stehen. Zudem sei der erste Brief der Banken an den WJC
verschwunden gewesen. Eizenstat sei dann weit über den Inhalt des Briefes
hinausgegangen. «Ich bin verwirrter als vorher», gesteht Bloch, «ich weiss
noch nicht, was zutrifft, wie es sich entwickeln wird. Es ist sehr schwierig,
eine Erklärung abzugeben, bevor ich die Lage kenne und analysieren kann. Es
ist noch nicht gelungen, die Interpretation der Fakten zu bekommen.» Die
offiziellen Gremien des SIG befassen sich intensiv mit der Lagebeurteilung.
Eine Lagebeurteilung wollen dem Vernehmen nach
auch Sigi Feigel, Michael Kohn und der Basler Anwalt Peter Eulau kurzfristig
am kommenden Sonntag in einer kleinen Männerrunde vornehmen. Angefragt wurden
Alfred Donath, Mitglied der SIG-Geschäftsleitung aus Genf, und der Basler
Regierungsrat Ralph Lewin, deren Teilnahme vor Redaktionsschluss nicht
auszumachen war. Rolf Bloch als eingeladener SIG-Präsident wird nicht
teilnehmen, auch nicht die aufgebotenen Gemeindepräsidenten Werner Rom aus
Zürich und Felix Liatowitsch aus Basel. Der SIG, sagt Bloch, sei mit Ausnahme
der Flüchtlingspolitik nicht direkt betroffen und habe deshalb keine
Lieblingsvarianten. Bei der «Globallösung» gehe es jedoch eher um materielle
Werte. An den Verhandlungstisch könnte sich der SIG nur dann setzen, wenn auch
die Schweizer Regierung dran sitze, dann würde er es sogar verlangen, aber das
sei wenig wahrscheinlich. «Bevor etwas spruchreif ist, mache ich keine
Sprüche.» Auch Rolf Bloch weiss nicht, wie «global» die «Globallösung» sein
kann, ob der WJC jetzt für alle jüdischen Organisationen spricht, ob eine
globale Abmachung ausser für die Sammelkläger-Anwälte auch für alle Advokaten
Amerikas, geschweige denn des Globus gelte. Am Mittwoch wurde bekannt, dass
der Washingtoner Sammelklagen-Anwalt Michael Hausfeld in Kalifornien trotz des
Abkommens nächste Woche eine neue Sammelklage einreichen will, diesmal gegen
die Nationalbank. «Der WJC sieht die Banken als Kern einer umfassenden
Regelung an», vermutet Bloch. «Sie fangen mit ihnen an und werden sich sagen,
wenn dieser Weg gangbar ist, werden andere dazustossen.»