BERLIN/HOLOCAUSTDENKMAL - Im zweiten Anlauf wird der
ermordeten Juden Europas gedacht
Wie verewigt man die Vergangenheit?
Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas
in Berlin ist seiner Realisierung ein Stück nähergekommen. Am letzten
Wochenende wurden vier Entwürfe der Öffentlichkeit vorgestellt, welche die
eingesetzte Findungskommission, der Kultursenat mit Bund sowie der Förderkreis
zur Errichtung des Denkmals mit Lea Rosh unterschiedlich stark favorisieren.
«Ich stelle mir das geradezu alptraumartig vor, wieder einen Entwurf
auszuloben, der dann von Herrn Kohl oder Herrn Diepgen abgelehnt wird»,
äusserte Lea Rosh während der Pressekonferenz. Grund zu dieser Sorge muss die
Initiatorin zur Errichtung dieses Denkmals gewiss haben, denn der letzte
Wettbewerbsentwurf wurde vor zwei Jahren vom Kanzler vom Tisch gefegt. Deshalb
hatte man bei diesem zweiten Wettbewerb einerseits nur etwa 20 Künstler und
Architekten eingeladen und eine Findungskommission mit renommierten
Persönlichkeiten berufen.
VON SABINE PEFENNIG-ENGEL
Die fünfköpfige Findungskommission u. a. mit dem
Historiker James E. Young, USA, dem Direktor des Deutschen Historischen
Museums, Christoph Stölzl, und dem Architekten Josef Kleihues entschied sich
für zwei Entwürfe: für den der beiden US-Amerikaner Peter Elsenmann und
Richard Serra und den der Berliner Architektin Gesine Weinmiller. Vom Konzept
her kamen acht Entwürfe in die engere Auswahl, erläuterte James Young, die er
als «kraftvoll, intelligent und von den Künstlern gut dargelegt» befand. In
Ausgewogenheit, hervorragendem Konzept und formaler Ausführung seien die
beiden Entwürfe von Eisenmann/Serra und Weinmiller jedoch den anderen
überlegen. Und da die Findungskommission nicht einen, sondern zwei Entwürfe
benannte, war es für die beiden Auslober ein leichtes, ihre eigenen
favorisierten Entwürfe einzubringen. Von seiten des Förderkreises wurde der
Entwurf von Jochen Gerz, Paris, aufgrund seiner Didaktik und immerwährenden
Einbeziehung des Besuchers genannt. Senat und Bund mit Senator Radunski
sprachen sich für den Vorschlag von Daniel Libeskind, Berlin, aus, dessen Bau
des Jüdischen Museums gerade im Entstehen ist. James E. Young betonte jedoch,
dass alle vier Entwürfe gleichberechtigte denkbare Realisierungsentwürfe
seien. Alle 19 eingereichten Entwürfe werden ab 10. Dezember öffentlich
ausgestellt.
Ende Januar 1988 werden sich die Auftraggeber
endgültig für einen der vier benannten Entwürfe entscheiden müssen. Der
Grundstein soll sodann spätestens am 20. Januar 1999 auf dem 20 000 qm grossen
Gelände neben dem Brandenburger Tor gelegt werden. Gesine Weinmiller schreibt
als ihre Leitidee: «Die Schrecken des Holocaust sind unmöglich in einem
Denkmal darzustellen. Es geht vielmehr darum, einen Raum der Stille zu
schaffen, in dem jeder Besucher, (…) zu seiner Trauer Assoziationen und Bilder
erzeugen kann und somit zu seinem eigenen Gedanken findet.» Auf einer schiefen
Ebene, die um 5 Meter abfällt, werden 18 als «Steinblöcke» bezeichnete
Wandscheiben aufgestellt, die in der Aufsicht einen auseinandergebrochenen
Davidsstern darstellen.
Bei dem Entwurf der Architekten Elsenmann und
Serra, New York, werden auf dem gesamten Grundstück 4000 grosse,
unterschiedlich hohe Betonpfeiler, in Form eines strengen Rasters,
aufgestellt, deren Zugang von allen Seiten möglich ist. Es entsteht ein
individuell durchschreitbarer Raum als eine zeitgemässe Form des Erinnerns.
Jochen Gerz, Paris, geht davon aus, dass «das
Denk- und Mahnmal der Diskussion dienen und sich deshalb als ein Teil davon
verstehen» muss. Das Denkmal besteht aus zwei Teilen: auf 15 000 m2 werden 39
hohe Lichtmasten aufgestellt mit der Frage «warum» in den Sprachen der
verfolgten und ermordeten Juden. Das Gebäude «das Ohr» betreut den Besucher
bei der Beantwortung der Fragen und mit weiteren multimedialen Informationen
zur Geschichte der Ermordung der Juden Europas.
Daniel Libeskind, Berlin, stellt seinen Entwurf
unter das Motto «Steinatem» und beschreibt u.a. seine Leitidee: «Das Denkmal
für die ermordeten Juden Europas ist ein geweihter Ort in den Leerräumen
dieses ebenso gegenwärtigen und unfassbaren Berlin.» Das Denkmal steht in
Beziehung sowohl des städtebaulichen Umfelds als auch zum Jüdischen Museum.
Die Unterbrechungen in den Wandsegmenten entsprechen den dortigen Leerräumen.