EDITORIAL

"Altneue" Gefahren

Es geht drunter und drüber. Die Börse kracht, Asien siecht dahin, Russland steht vor dem Abgrund. Die letzten Wochen warfen über eine sich sicher denkende Welt die Schatten überwunden geglaubter Gefahren. Wir brauchen aber nicht diese Entwicklungen zu betrachten, um zu wissen, dass Zeiten politischer und ökonomischer Unsicherheiten gefährlich sind.

So scheinen in Russland dank der Krise ultranationalistische und kommunistische Gruppierungen mit ihren antisemitischen und paranoiden Welterklärungsmodellen und Programmen der Macht heute näher zu sein. Aber auch im Westen erheben sich allenthalben den Köpfen einer Hydra gleich Rechtspopulismus, Revisionismus, Rassismus und Antisemitismus. Für dessen erneutes Aufflammen werden allzu oft die Juden selbst verantwortlich gemacht, so auch in der Schweiz.

Dies ist ein aus der Geschichte bekannter Mechanismus, genau wie derjenige, für das verfehlte Verhalten einzelner Juden das gesamte Kollektiv haftbar zu machen. Machen wir uns aber nichts vor: Antisemiten unterscheiden bloss aus taktischen Gründen zwischen «guten» und «schlechten» Juden. In Wahrheit geht es gegen uns alle, egal wo wir weltanschaulich, religiös und politisch stehen, ob wir integriert und assimiliert sind oder nicht. Verfehlt wäre es, einfach den Kopf in den Sand zu stecken.

Vollends unbegreiflich ist aber auf jüdischer Seite das Pflegen von demonstrativer Uneinigkeit, Polarisierung, Verteilungskämpfen und Profilneurosen. Dabei gälte es zu handeln und endlich den rechtspopulistischen Scharfmachern, vor denen sich die redlichen Politiker dieses Landes so zu fürchten scheinen, klar entgegenzutreten. Jene Politiker, wie die, welche mit Blick auf die «Lufthoheit über den Stammtischen» von der Erpressung der Schweiz faseln und dabei implizit Vorurteile aus der Mottenkiste antisemitischer Stereotypen bemühten, müssten in die Pflicht genommen werden. Denn Toleranz gegenüber der Intoleranz darf es nicht geben.

SE