iw 2000 / TSh''S
In Camp David ist das Tabu des
«unteilbaren Jerusalem»
gebrochen worden, doch seither wird erfolglos nach Formeln
für die Neuverteilung der Souveränität und der
Verwaltungsbefugnisse gesucht.
Jerusalem:
Die Teilung
des Unteilbaren
iw Nr. 36 vom 8. September 2000
Von Ben Segenreich
Erst einige Tage, nachdem im Juli
die Gipfelklausur in Camp David begonnen hatte, ließ Ehud Barak eilig
einen Fachmann für die Jerusalem-Frage samt detaillierten Unterlagen
nachkommen. Hatte der israelische Premier seine Hausaufgaben nicht
gemacht? Oder hatte er sich vielleicht erst unter dem strengen Blick von
US-Präsident Bill Clinton spontan zu der historischen Entscheidung
durchgerungen, das Tabu der «vereinigten ewigen Hauptstadt Israels» zu
brechen und Jassir Arafat Teile von Jerusalem anzubieten?
Auch Professor Menachem Klein
bekam den Eindruck einer gewissen Planlosigkeit, glaubt aber, dass Barak
keine Wahl hatte. Hätte er schon zuhause Beratungen über eine Teilung
Jerusalems aufgenommen, dann wäre das gewiss durchgesickert, und die
Empörung wäre so groß gewesen, dass Barak erst gar nicht hätte
wegfliegen können.
Der Politologe forscht im
«Jerusalem-Institut für israelische Studien». Seit Jahren wird in dem
«Think Tank» an politischen Jerusalem-Modellen gebastelt, die bisher
akademische Luftschlösser waren. Doch nun, da das Thema plötzlich hoch
aktuell geworden ist, steht die geleistete Vordenk-Arbeit hoch im Kurs
und fließt konkret in die Verhandlungen ein. Die Politiker hungern nach
kreativen Lösungen, Klein wird immer wieder von Barak und Schlomo
Ben-Ami, Israels Chefunterhändler und neuem Aussenminister, zu Rate
gezogen, manche seiner Ideen und Begriffe findet er auch schon auf der
arabischen Seite wieder.
Erweiterung
der Stadtgrenzen von Jerusalem?
In Camp David sind laut Klein
«gewisse Einverständnisse, wenn auch nicht schriftlich», erreicht
worden. Die Grundlage dafür sei die Erweiterung der Stadtgrenzen von
Jerusalem «in beide Richtungen, die palästinensische und die jüdische.»
Das künftige «Al-Kuds» - so der arabische Name für Jerusalem - soll als
Hauptstadt Palästinas auch Gebiete umfassen, die gegenwärtig nicht zu
Jerusalem gehören, etwa die Vorstädte Abu Dis, Asarie und A-Ram, während
ins jüdische Jerusalem einige West-Bank-Siedlungen eingegliedert werden
sollen, wie Maale Adumim und Givat Seev. Die neuen jüdischen
Wohnbezirke, die innerhalb der gegenwärtigen Grenze Jerusalems, aber
jenseits der Linie von 1967 liegen - und daher von den Palästinensern
als «Siedlungen» definiert werden - , sollen legitimiert und offizieller
Teil des israelischen «West-Jerusalem» werden. Im Tausch dafür würde
Israel palästinensische Dörfer und Bezirke hergeben, die nach 1967
annektiert wurden und von Israel jetzt als eigenes Hoheitsgebiet
angesehen werden.
«Die beiden Parteien waren zwar
nicht bereit, zu sagen, dass sie das akzeptieren, aber das stand alles
im Raum», erläutert Klein. Doch so viel versprechend der Einklang über
die Peripherie war, so fruchtlos blieb die Debatte über das Herzstück:
den Tempelberg samt Klagemauer, die Altstadt und den «inneren Bogen»
palästinensischer Bezirke wie Silwan oder Ras-al-Amud, die sich an die
Altstadt anschmiegen. «Alle Überbrückungsvorschläge der Amerikaner
wurden abgelehnt, und die Delegationen reisten ab». Der amerikanische
Zugang ist dabei laut Klein nach wie vor, «das Gebiet in kleine Stücke
klassischer Souveränität zu zerschneiden». In der Altstadt - «der
umstrittenste Quadratkilometer der Welt», schrieb ein israelisches
Magazin - könnten demnach das moslemische und das christliche Viertel zu
Palästina, das jüdische und das armenische Viertel zu Israel gehören.
Auch für den Tempelberg sind vier Zonen vorgeschlagen worden: die
Moscheen, die Esplanade dazwischen, die Klagemauer darunter und die
unterirdischen Gänge und Kammern.
Doch als Alternative «hat die
israelische Regierung seit Camp David einige sehr schöpferische Ideen
ausgearbeitet, wobei die Hegemonie-Debatte aufgegeben wird - die
Strategie ist, dass es nicht jeweils einen Souverän in einem bestimmten
Bereich der Altstadt oder des Tempelbergs gäbe, das gesamte Gebiet wäre
vielmehr eine Einheit unter einem speziellen Regime, und beide Seiten
hätten überall gleichen Status.» Das Konzept einer «gemeinsamen
Souveränität» oder eines Kondominiums hätten Arafat und die Ägypter
bereits zurückgewiesen, noch keine Anwort gäbe es aber auf den neuesten
und originellsten Vorschlag, den lieben Gott einvernehmlich zum obersten
politischen Herrn über den Tempelberg zu ernennen. Dies sei keineswegs
ein Gag, sondern tatsächlich ein möglicher formaler Ausweg aus der
Sackgasse, erklärt Klein: «‘G‘‘ttliche Souveränität’ bedeutet, dass jede
Seite Konzessionen an G‘‘tt macht und nicht an die andere Seite - das
ist vermutlich besser für jeden der beiden Führer, sie können dann vor
ihre Öffentlichkeit treten und sagen, dass der Rivale nichts von ihnen
bekommen hat.»
Arafat
will volle Souveränität
Doch Arafat besteht nach wie vor
auf voller palästinensischer Souveränität über alle Bezirke mit
arabischem Charakter, einschließlich der Altstadt und des Tempelbergs.
«Das Problem ist, dass die Juden laut Arafat überhaupt keine historische
Beziehung zum Tempelberg haben. Die Israelis haben viele Stunden
gebraucht, um den Palästinensern und den Ägyptern zu erklären, wieso der
Platz für orthodoxe Juden so heilig ist, wenn sie dort nicht einmal
hingehen. Es war schwierig, die einfache Antwort plausibel zu machen,
dass sie gerade deswegen nicht hingehen, weil der Platz so heilig ist.»
Die verschiedenen Modelle lägen nun auf Arafats Tisch, und er könne
eines wählen. Unabhängig davon, ob eine Formel für die Souveränität
gefunden wird oder ob man vereinbart, diese Frage für einige Jahre
beiseite zu legen, müssen jedenfalls «die beiden Seiten sich hinsetzen
und die Autorität für die Regelung des Alltagslebens neu verteilen - für
die Wirtschaft, den Tourismus, die Infrastruktur, die Kanalisation, die
Luftverschmutzung und so weiter.»
Eine physische Teilung
Jerusalems, das sei in Camp David klar herausgekommen, wolle dabei
niemand: «Es besteht ein Einverständnis darüber, dass es in der Stadt
keine Kontrollpunkte geben wird, wo Touristen oder Einheimische Pässe
oder Visa vorweisen müssen - die internationalen Grenzen sollen außen
herum verlaufen.» Man müsse nur durch Ost-Jerusalem gehen, «nicht zu den
Heiligen Stätten, sondern in die lebendige Stadt, wo Palästinenser
leben, und sich die Linien anschauen, die palästinensische von jüdischen
Bezirken trennen», um zu erkennen, dass «der Bau einer Mauer
unrealistisch und nicht im Interesse der Bewohner» ist.
«Sicherheit
ist nicht das Hauptproblem»
Bedeutet das aber nicht, dass
dann jeder Hamas-Terrorist unbehindert an die 450.000 jüdischen
Einwohner des israelischen Jerusalem herankönnte? Die Sicherheit, lautet
Kleins Antwort, sei nicht das Hauptproblem, die Hamas sei in Jerusalem
nicht so stark wie etwa in Ramallah oder Bethlehem, und
Selbstmordanschläge auf Autobusse habe es auch gegeben, als die Stadt
von der israelischen Armee abgeriegelt war. Viel wichtiger sei der
wirtschaftliche Aspekt - «Ost-Jerusalem ist eine Stadt der
Dienstleistungen mit Restaurants, Basars, Fremdenführern. Es wird auch
sicher einen Bau-Boom geben, der zuerst Arbeiter und dann Zuwanderer
anziehen wird. Meine große Sorge ist, ob der Ostteil für diese Chance
bereit ist. Aber es wird das wirtschaftliche Interesse aller Bewohner
sein, Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten.» Wäre eine physisch
ungeteilte Stadt, die politisch als Hauptstadt zu zwei verschiedenen
Staaten gehört, nicht ein beispielloses Kuriosum? «Es wäre eine
Kombination von verschiedenen Lösungen für andere geteilte Städte:
schwieriger als Brüssel oder Montreal, weniger problematisch als Belfast
oder Nicosia.»
iw Nr. 36 vom 8. September 2000
Weitere Themen in der aktuellen Ausgabe:
- Schweiz: Interview mit Ernst
Iten,
dem neuen Schweizer Botschafter in Israel
- Basel: Rabbiner Avigdor Bokov
- wird er neuer IGB-Rabbiner in Basel?
- Impulse: ARIsierung
– zu einer Ausstellung in Wien
- ... ... ...
Im Archiv:
[Weitere Artikel aus dem Israelitischen
Wochenblatt]
|