antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

hagalil.com
Search haGalil


Newsletter abonnieren
Bücher / Morascha
Koscher leben...
Jüdische Weisheit
 
 

Avi Primor
»...mit Ausnahme Deutschlands«
Als Botschafter Israels in Bonn

IVe.Teil

Steine und Rosen

Im November 1989 war ich zu einer Konferenz der »Freunde der Hebräischen Universität in Europa« eingeladen. Die Treffen fanden mit wechselndem Veranstaltungsort alle zwei Jahre statt, diesmal war die Wahl auf Antwerpen gefallen. Und da die Veranstalter traditionsgemäß vom Botschafter Israels im jeweiligen Land eine Ansprache erwarteten, zumindest aber ein Grußwort, bereitete ich – als Botschafter in Belgien auch zuständig für die Europäische Union – eine Rede zu einem rein europäischen, dazu höchst aktuellen Thema vor. Zwei Tage vorher nämlich war die Berliner Mauer gefallen. So war es eigentlich selbstverständlich, über die Zustandsbeschreibung Europas hinaus Betrachtungen über die künftige Rolle Deutschlands anzustellen. Als ich über die nach meiner Einschätzung bevorstehende Vereinigung der beiden deutschen Staaten sprach und die voraussichtlichen Auswirkungen auf die EU, entstand im Auditorium deutliche Unruhe. Ich wurde unterbrochen, ziemlich unhöflich sogar, so, als hätte ich schreckliche Dummheiten von mir gegeben. Nach einigen Sekunden mußte ich mir eingestehen, daß das Publikum, wenigstens zu diesem Zeitpunkt, mit der Voraussage einer Wiedervereinigung Deutschlands offensichtlich überfordert war.

Die Weitsicht der meisten Prognosen mißt sich an ihrem Gegenstand. Aber wer hätte schon 1990, noch vor Jelzins Machtantritt, die Auflösung des Sowjetimperiums und den Zerfall seiner einst so festgefügten Machtstrukturen zu prophezeien gewagt? Es kam schon einem Wunder gleich, als damals in Israel eine Tagung mit dem Thema »Diplomatische Beziehungen zwischen Israel und der Sowjetunion« veranstaltet wurde, noch dazu mit einer Gruppe von Gästen aus ebendiesem Land. Sie erschien nicht als offizielle Delegation, aber es war klar, daß die Zusammensetzung nach den üblichen Kriterien erfolgt und die Reise selbst von staatlicher Seite abgesegnet, womöglich sogar lanciert worden war. Seit 1967 endlich wieder – wie der erste Vogel im Frühling – ein positives Zeichen aus dem Riesenreich, dessen feindselige Politik gegenüber Israel nur die DDR noch um einiges überboten hatte.

Die Gäste verfolgten die Tagung mit Aufmerksamkeit, blieben selbst aber auffallend stumm. Das Programm umfaßte Vorträge verschiedener israelischer Hochschullehrer und Politiker, von denen jeder auf seine Art die sowjetische Politik analysierte. Als letzter trat Shlomo Avineri auf, früher Staatssekretär im Auswärtigen Amt, jetzt Politik-Professor an der Hebräischen Universität. Zum Tagungsthema, der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und der Sowjetunion, erklärte Avineri den erstaunten Zuhörern, wolle er sich erst gar nicht äußern, das Thema sei unwichtig. Warum? »Weil nicht sicher ist, was die Zukunft bringen wird«, sagte er. »Ich gehe davon aus, daß der Staat Israel auch in zwei Jahren existiert – aber wird es dann auch noch die Sowjetunion geben?« Die Reaktion des Publikums im Saal erinnerte an jene, die ich ein Jahr vorher in Antwerpen registriert hatte. Avineri, als Wissenschaftler berühmt, wurde milde belächelt.

Das »andere«, das »neue« Deutschland – um sich dessen Existenz von Israel aus Mitte der sechziger Jahre vorstellen zu können, bedurfte es einiger Phantasie, es sei denn, man verfügte über positive Belege aus eigener Erfahrung. Realitätsfern, geradezu illusorisch aber schien die Idee vom vereinten Europa, das, so Ben Gurion 1963 in einem Artikel, ein friedliches und demokratisches Deutschland gewährleisten sollte. Mich jedenfalls hat damals der eine Begriff so skeptisch gestimmt wie der andere, auch später. Nachrichten der internationalen Presse und Korrespondentenberichte israelischer Zeitungen in den achtziger Jahren handelten mit fast erschreckender Regelmäßigkeit von antisemitischen Tendenzen, von Fremdenfeindlichkeit und neonazistischen Ausschreitungen in der Bundesrepublik. Es waren Meldungen, von denen man nicht recht wußte, wie man sie einschätzen sollte. Kam den Tatsachen, die sie beschrieben, mehr Bedeutung zu als dem Verhalten öffentlicher Institutionen und deren Verlautbarungen?

Vorübergehend lenkte mich die Beschäftigung mit der Dritten Welt von solchen Fragen ab. 1980 wurde ich zum Leiter der Afrika-Abteilung im Auswärtigen Amt in Jerusalem berufen, mit dem Sonderauftrag, mich für die Wiederbelebung der Kontakte mit den afrikanischen Ländern einzusetzen, von denen die meisten 1973 ihre diplomatischen Beziehungen zu uns abgebrochen hatten. Seit dem Friedensschluß mit Ägypten war ein Jahr vergangen, jetzt galt es, diese Wende im Nahen Osten in der Dritten Welt für einen Durchbruch Israels zu nutzen. Später, nach meiner Ernennung zum Stellvertretenden Staatssekretär, erweiterte sich das Ressort; außer Afrika gehörten nun auch Ozeanien und Asien dazu.

Gleichwohl rückte Europa immer stärker in mein Blickfeld. Ich verwandte zunehmend Zeit darauf, mich mit europäischen Fragen auseinanderzusetzen, las viel darüber und wurde nicht den Eindruck los, daß ich, ein Israeli, der an der Schwelle zu Europa lebte, mich allein schon deshalb mit dem Halbnachbarn befassen müsse, weil seine Länder aufgrund der Fortschritte auf dem Weg zu ihrer Einigung für den Wirtschaftsriesen Japan und die südwestasiatischen Staaten, die ich beruflich beobachtete, mehr und mehr interessant wurden. Für die Dritte Welt war Europa dies ohnehin.

Damals war Europa für mich in etwa gleichbedeutend mit Brüssel. Die Institutionen der Europäischen Gemeinschaft begannen mich vor allem seit dem Antritt von Jacques Delors als Präsident der Kommission zu faszinieren: Der Schwung, der frische Wind, den er in die EG brachte, wirkten befreiend. Danach kam, wenn ich Schwerpunkte hätte benennen sollen, Frankreich, das ich allerdings schon recht gut kannte, und dann Deutschland, das ewige Rätsel. Dessen Rolle in der EG war mir als aufmerksamem Zeitungsleser in Zahlen und Fakten bekannt, ich war, wie die meisten Israelis, informiert über das Gewicht Deutschlands in der europäischen Wirtschaft. Doch über welchen Einfluß und welche Macht würde dieses Land in Zukunft verfügen, auch in bezug auf Israel? War diese Stärke überhaupt wünschenswert? Würde sich die Bundesrepublik voll und ganz in ein System wie die Europäische Gemeinschaft integrieren lassen, vorausgesetzt, sie wäre dazu bereit?

Zu allem kam es in den achtziger Jahren, wieder einmal, zu Verstimmungen zwischen Israel und Deutschland, die gelegentlich den Charakter einer ernsthaften Krise annahmen. Angekündigt hatten sie sich schon 1977 mit einer Wende in der israelischen Innenpolitik: Erstmals nach 1948, dem Gründungsjahr unseres Staats, verlor die Arbeiterpartei die Wahlen zur Knesset; Menachem Begin, der Anführer des nationalistischen Likud-Blocks, kam an die Macht. In der Bundesrepublik aber regierten die Sozialdemokraten – eine nicht eben günstige Konstellation für unmittelbare persönliche Beziehungen zwischen führenden Politikern beider Länder.

Erschwerend auf die Chance einer direkten Verständigung wirkte sich die Tatsache aus, daß die Spannungen zwischen Deutschland und Israel, wie überhaupt das Verhältnis des Westens zu unserem Land, mehr in die Probleme der allgemeinen Nahost-Krise einbezogen und weniger isoliert behandelt wurden. Jahrzehntelang waren Deutsche und Israelis auf den Abgrund fixiert, der sie infolge der Vergangenheit trennte. Allmählich aber trat nun, ausgelöst durch den sogenannten Sechstagekrieg, die Nahost-Krise in den Vordergrund. Dabei stellte sich auf seiten Deutschlands die Frage nach dem Verhältnis zu den arabischen Staaten, den Kriegsverlierern. Im Hintergrund des Verhältnisses beider Länder hatte diese Frage natürlich immer eine Rolle gespielt. Die Bundesrepublik nahm stets Rücksicht auf arabische Empfindlichkeiten und auf deutsche Interessen in der arabischen Welt. Hat sie es, ohne die Rücksichtnahme zu übertreiben, immer im richtigen Maß getan? Die Ansichten darüber gehen auseinander.

Die deutsche Studentenrevolte von 1968 brachte einen Radikalisierungsprozeß in Gang, der sich in zwei gegensätzliche Richtungen bewegte. Beide betrafen – unter anderem – auch Israel und lösten hier entsprechend widersprüchliche Reaktionen aus, die wiederum auf Deutschland zurückwirkten. Jenseits des sich seit jeher wiederholenden Generationenkonflikts verlangte eine durch den Vietnamkrieg sensibilisierte Jugend Auskunft von den Vätern und Müttern zur Frage ihrer Täter- und Mitwisserschaft im Terrorsystem des Dritten Reiches. Wieder ging es um Verantwortung, um Schuld und die Mechanismen ihrer Verdrängung. Wie kam es, daß viele Verbrechen der NS-Zeit noch immer unaufgeklärt, die Täter auf freiem Fuß oder, wenn es tatsächlich zur Anklage kam, von einer allzu nachsichtigen Justiz mit Freisprüchen beziehungsweise lächerlich geringen Strafen bedacht worden waren? Welche Gründe gab es, daß man in den Schulen Themen zur Nazi-Vergangenheit nur ungern behandelte, sie sogar weitgehend ignorierte?

Daß es die Jugend war, die solche und ähnliche Fragen mit Nachdruck an die ältere Generation stellte, registrierte man in Israel mit Überraschung und einer gewissen Genugtuung. Wenn auch die Wirkung des Eichmann-Prozesses wie auch der Auschwitz-Verfahren auf die deutsche Öffentlichkeit nicht zu unterschätzen war, auch nicht von seiten Israels, so verstärkte sich hier doch der Eindruck von einer allmählichen Rückkehr zur alten Gleichgültigkeit. Jetzt sah es so aus, als könne die Studentenbewegung mit ihren Demonstrationen die Deutschen endgültig wachrütteln.

Die Revolte aber, gerade weil sie ein Aufstand der Jugend war, barg auch die Gefahr rigoroser Gleichmacherei. Die Neigung, die Welt nur in gut und schlecht, in gerecht und ungerecht einzuteilen und auf Nuancierungen zu verzichten, ließ die Suche nach einer humanitären Gesellschaft in Oberflächlichkeit und Übertreibungen münden, die auch vor Israel nicht halt machten. Im schlichten Schwarz-Weiß-Schema, das dem Weltbild der Jugendlichen zugrunde lag, sahen sich die Sieger des Sechstagekriegs unversehens als »Böse« abgestempelt – wie vorher die Amerikaner –, während die Araber und Palästinenser, ja sogar die Sowjetunion auf der Seite der Guten und Gerechten erschienen. Es war nicht nur bloßes Mitleid mit den Unterlegenen, das zu dieser merkwürdigen Sichtverschiebung führte.

Ben Natan, erster Botschafter Israels in Bonn, bekam den Stimmungswandel rasch zu spüren. Als wichtigster Repräsentant seines Landes erhielt er häufig Einladungen zu Vorträgen über Israel mit anschließenden Diskussionen, auch und besonders von Universitäten. Ab 1968 verliefen solche Veranstaltungen auffallend lebhaft, ja mitunter so stürmisch und turbulent, daß die Organisatoren sie abbrechen und Ben Natans Leibwächter sich ernstlich um dessen Sicherheit sorgen mußten. Wenn es um die Interessen Israels ging, ließ der Botschafter, dem Schauspieler Curd Jürgens zum Verwechseln ähnlich, sich weder von Auseinandersetzungen mit linksorientierten Studenten noch von anderen Kritikern der israelischen Politik beirren. Er scheute nicht die Öffentlichkeit, im Gegenteil. Furchtlos und geduldig im Zuhören setzte er seine Besuche von Universitäten fort, immer wieder bemüht, das tendenziöse Denken der jungen Leute bei der Wurzel zu packen und die nach dem Sechstagekrieg im Nahen Osten entstandenen Lage zu erklären.

Am Anfang, an der Schwelle des Kriegs, war in Deutschland die Besorgnis um Israel allgemein groß. Aufmerksam wurde jede unserer militärischen Aktionen verfolgt, und am Ende bejubelte man unseren Sieg, wenn auch aus unterschiedlichen, zum Teil widersprüchlichen Motiven. Da gab es Menschen, die uns ganz einfach deshalb ideell unterstützten, weil sie Sympathie und Freundschaft für Israel empfanden. Andere verurteilten die arabische Aggression, weil sie sich überfallartig gegen ein kleines Land richtete. Wieder andere ergriffen als überzeugte Pazifisten, also aus grundsätzlichen Erwägungen, gegen diejenigen Partei, die den Krieg angezettelt hatten. Bei noch wieder anderen rief die damalige palästinensische Terminologie mit der Drohung, man werde die Juden »ins Meer treiben«, Erinnerungen an eine fürchterliche Vergangenheit wach. Und natürlich gab es auch solche, deren Bewunderung allein auf militärischen Interessen beruhte und denen es aus irgendwelchen unersichtlich dunklen Gründen Genugtuung bereitete, den Kampfgeist der Juden mit dem der deutschen Wehrmacht zu vergleichen.

Eine Geschichte, die damals bei uns kursierte, beleuchtet ironisch den psychologischen und zeithistorischen Hintergrund dieses unpassenden Vergleichs. Nicht zufällig spielt sie in Wien, denn Österreich galt in bezug auf die Judenverfolgungen als der schlimmere Teil des Dritten Reiches: Am 6. Juni 1967 stürzt aufgeregt ein Beamter mitten in eine Sitzung der österreichischen Regierung mit der Nachricht, im Nahen Osten sei Krieg ausgebrochen. Schrecken und Entsetzen malen sich auf den Gesichtern, der Beamte erhält den Auftrag, täglich über den Fortgang der Ereignisse zu berichten. »Die Israelis sind erfolgreich«, verkündet er am nächsten Tag, »sie haben schon die gesamte Luftwaffe ihrer Nachbarstaaten lahmgelegt.« Jubel bricht aus, der sich von Tag zu Tag, von Nachricht zu Nachricht steigert. Zunächst: »Die Israelis stoßen vor in Richtung Suezkanal!« Dann: »Die ägyptische Armee ist geschlagen, die Israelis stehen am Kanal!« Am nächsten Tag: »Der Ostteil Jerusalems ist erobert!« Wieder einen Tag später: »Der westliche Teil Jordaniens ist in israelischer Hand!« Schließlich, bei der Nachricht, die Israelis hätten die syrische Armee zurückgeschlagen und die Golan-Höhen genommen, kennt die Begeisterung der Minister keine Grenzen mehr, man läßt Champagner kommen, um die Siege zu feiern. Da erscheint der Bote abermals, mit düster verhangenem Blick und kummervoller Miene. Was denn um Himmels willen los sei, wird er gefragt: »Haben die Israelis doch noch verloren?« »Nein, nein«, beruhigt er die Frager, »sie stürmen weiter vor. Aber haben Sie eigentlich gewußt, daß das alles Juden sind?«

Die Vorbehalte gegen Israel blieben auf studentische Kreise nicht beschränkt. Auch politische Parteien, besonders die linken, wurden vom Umschwung der Stimmung beeinflußt. Die Grünen waren am Anfang ihrer Entstehungsgeschichte Israel gegenüber alles andere als freundlich gesonnen. Der Druck auf Israel, eine, wie die Kritiker verlangten, gemäßigte Politik zu führen, wuchs mehr und mehr, er verstärkte sich noch, als 1977 die Konservativen an die Macht gelangt waren. Mit der SPD-Regierung war es schon zur Zeit der Kanzlerschaft von Willy Brandt zu Differenzen gekommen. Sie entwickelten sich zu einer echten Krise, nachdem Helmut Schmidt die Nachfolge Brandts angetreten hatte. Das Mißtrauen zwischen ihm und Premierminister Begin gipfelte in gegenseitigen Anwürfen und Beleidigungen.

Nun waren Schwierigkeiten auf internationaler Ebene für uns keine Seltenheit, man konnte sie als fast alltäglich bezeichnen. Eine besonders heikle Qualität – anders als 1956 die Krise mit den USA oder jene mit Frankreich elf Jahre später – gewannen nur immer wieder Meinungsverschiedenheiten mit Deutschland. Sie rührten an alte Wunden.

Nächster Teil

Inhaltsverzeichnis

Erschienen 1997 beim Ullstein-Verlag, Berlin

info.order@hagalil.com

'Warum sollte ich meine Bücher über 'haGalil onLine' bestellen?'


Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!
 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2014 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved