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Avi Primor
»...mit Ausnahme Deutschlands«
Als Botschafter Israels in Bonn

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IVc.Teil

Steine und Rosen

Auf welchem Gebiet man auch heute Bilanz ziehen will – sie sieht fast überall erfreulich aus. Willy Brandt war der erste deutsche Bundeskanzler, der zu einem Staatsbesuch nach Israel kam, läßt man Adenauers Privatreise außer Betracht, die er 1966, nach seinem Rücktritt, unternahm. Als erster Bundespräsident wurde Richard von Weizsäcker in Jerusalem empfangen, gefolgt von Roman Herzog, der bereits im ersten Amtsjahr Israel als erstem nichteuropäischen Land einen Besuch abstattete, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen, ihn nicht mit einer allgemeinen Nahost-Reise zu verbinden. Staatsgast in Jerusalem, bisher sogar zweimal, war auch Bundeskanzler Helmut Kohl. Die Liste der Gegenbesucher in Bonn umfaßt Namen gleich ranghoher israelischer Politiker wie Chaim Herzog und Ezer Weizman als Staatspräsidenten und die Ministerpräsidenten Rabin, Peres und Netanjahu.

Was die wirtschaftlichen Beziehungen angeht, so ist Deutschland für Israel zwar der wichtigste europäische Handelspartner, Israel importiert jedoch mehr als zweimal soviel Waren aus Deutschland, als es dorthin ausführt: Einem Volumen im Wert von vier Milliarden stehen an deutschen Einfuhren nur 1,8 Milliarden Mark gegenüber. Die Gründe für die mangelnde Investitionsbereitschaft auf deutscher Seite sind überwiegend politischer Art. Sie haben etwa mit der Furcht vor arabischem Boykott zu tun oder mit der allgemeinen, überregionalen politischen Instabilität im Nahen Osten. Hinzu kommt das jahrelang betont zurückhaltende, fast eingeschüchterte Verhältnis vieler deutscher Unternehmer gegenüber Israel. Glücklicherweise ist diese Tendenz in den letzten Jahren rückläufig. Konzerne wie Volkswagen, Siemens oder Daimler Benz haben bereits mit Investitionen begonnen oder bereiten solche vor. Noch nie zuvor sind so viele deutsche Geschäftsleute als potentielle Investoren nach Israel gereist wie in jüngster Zeit.

Anlaß zu besonders großen Hoffnungen gibt die Zusammenarbeit auf kulturellem Gebiet. In den letzten Jahren haben zwei Niederlassungen des Goethe-Instituts ihre Tätigkeit in Israel aufgenommen. Der Austausch von Theatergruppen und Orchestern, die Veranstaltung von Gastausstellungen mit Werken der bildenden Kunst, die Durchführung von Lesungen deutscher Schriftsteller in Israel und israelischer Autoren in Deutschland – alles dies ist mittlerweile fast ebenso zur Routine geworden wie die Organisation deutscher »Israel-Wochen« oder die Zusammenarbeit von Buchverlagen in beiden Ländern. Selbst der Presseball in Berlin war 1995 Israel gewidmet. Israelische und deutsche Schriftsteller kommen regelmäßig zusammen, um sich über ihre neuesten Arbeiten auszutauschen.

Die Gremien, die sich mit dem sogenannten Jugendaustausch befassen, sind inzwischen so zahlreich, daß nicht einmal die israelische Botschaft in Bonn sie alle kennt. In den letzten Jahren waren es jeweils etwa 5500 junge Deutsche, Mitglieder von rund zweihundert Jugendorganisationen, die nach Israel fuhren, und mehr als zweitausend Jugendliche aus Israel kamen jährlich nach Deutschland. Die Zahl derer, die sich seit der Wende aus den neuen Bundesländern auf den Weg nach Israel machen, um das Land kennenzulernen und dort möglichst Kontakte zu Gleichaltrigen zu finden, wächst von Jahr zu Jahr.

Und die Städtepartnerschaften? Hier macht sich schon des längeren das räumliche Größenverhältnis zwischen dem kleinen Israel und dem um die neuen Länder gewachsenen Deutschland bemerkbar. Das heißt, die Partnerschaft, die israelische Städte mit deutschen Kommunen eingingen, ist in vielen Fällen eine mehrfache – mit zwangsläufig steigender Tendenz. Neben der ideellen Verbundenheit der einen Partnerstadt mit der anderen entwickelten sich häufig direkte menschliche Kontakte, nicht selten auch bleibende Freundschaften, durch Besuchsreisen gefördert und vertieft. Die erste Partnerschaft entstand übrigens zwischen Andernach und der von den Abkommen marokkanischer Juden bewohnten israelischen Wüstenstadt Dimona. Ihre Vorväter, von den Spaniern vertrieben, hatten jahrhundertelang an dem Bann gegen Spanien festgehalten, das neue Dimona aber richtete den Blick in die Zukunft.

Unter Beteiligung von etwa zweitausend deutschen und fast ebenso vielen israelischen Wissenschaftlern werden gegenwärtig Hunderte von Forschungsprojekten durchgeführt, mit einem alljährlichen Kostenaufwand von rund fünfzig Millionen Mark. Sie befassen sich in der Hauptsache mit Medizin, Biotechnik, Umwelttechnologie, Physik und Chemie, mit der Entwicklung neuer Techniken zur Wasserversorgung, mit Ozeanographie, Solarenergie und Lasertechnik, aber auch mit Geschichte, Literatur, Wirtschaft und Politikwissenschaft. Seit dem Sommer 1995 gibt es, von Shimon Peres und Außenminister Klaus Kinkel konstitutioniert, den »Deutsch-Israelischen Kooperationsrat für Hoch- und Umwelttechnologie«. Auf vielen Forschungsgebieten, erklärte Kinkel damals, sei Israel heute führend in der Welt. »Von der israelischen Tradition, daß Universitäten ihre Forschungsergebnisse in eigenen Firmen umsetzen, können wir uns manches abschauen ... Das gegenseitige Interesse und die noch ungenutzten Möglichkeiten in eine Vielzahl von konkreten Projekten umzusetzen, ist die größte Herausforderung für den Deutsch-Israelischen Kooperationsrat.«

An die Gründung solcher Gremien war, auch bei allergrößtem Optimismus, vor dreißig Jahren nicht zu denken. Das damalige Klima in Israel ließ nicht einmal deutsche Kulturveranstaltungen zu, ohne daß es zu Demonstrationen und Protesten, mitunter auch zu Gewalttätigkeiten kam. Massive Störungen begleiteten die erste »Woche der deutschen Kultur«, eine von der deutschen Botschaft in Israel initiierte Veranstaltungsreihe. Deutsche Künstler wurden bei den Auftritten beschimpft. Günter Grass, damals der einzige jüngere deutsche Schriftsteller, dessen Bücher ich teilweise kannte und bewunderte, mußte seine Lesung aus dem »Tagebuch einer Schnecke« in der Hebräischen Universität in Jerusalem abbrechen, weil es im Publikum zu lautstarken Ausschreitungen kam. Voller Zorn verließ er den Saal. Seine spätere Weigerung, an der Jerusalemer Uraufführung des »Blechtrommel«-Films teilzunehmen, ging auf diese Vorfälle zurück.

Es kam vor, daß nicht nur der eine oder andere deutsche Künstler, sondern auch der Botschafter der Bundesrepublik zum Gegenstand kollektiver Mißfallenskundgebungen oder, schlimmer, das Ziel mehr oder minder heftiger Aggressionen wurde. Yohanan Meroz schildert in seinem erwähnten Erinnerungsbuch »In schwieriger Mission«, wie Schauspieler des Berliner Schiller-Theaters während einer Aufführung in Jerusalem auf offener Bühne mit Tomaten beworfen wurden. In dem dabei ausbrechenden Tumult hatte er, damals Leiter der Europa-Abteilung im Auswärtigen Amt, alle Mühe, den Botschafter mit Hilfe der Polizei unbeschadet zu seinem Auto zu bringen.

Viele Israelis hatten keine grundsätzlichen Einwände gegen politische Beziehungen zur Bundesrepublik, da sie ihrem Staat nutzten. Sie akzeptierten auch die wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit, reagierten aber um so empfindlicher, wenn sie aus den Gastauftritten deutscher Künstler den Eindruck gewannen, nunmehr solle auch deutsche Kultur »importiert« werden. Deutsche Musik? Selbst sie war verdächtig, beladen mit Erinnerungen an die KZ-Orchester, deren Spiel ihre Mithäftlinge auf dem Weg in die Gaskammern begleitete, auf Befehl und zum Ergötzen ihrer Peiniger.

Einladungen aus Deutschland, die an israelische Künstler oder Künstlergruppen ergingen, wurden oft nur widerwillig angenommen, zumindest aber mit einem Gefühl, in dem sich Neugier, Skepsis und Ablehnung zu etwa gleichen Teilen mischten. Nicht selten passierte es, daß aus Gruppen im letzten Moment jemand ausfiel, weil – wieder einmal – die Schatten der Vergangenheit Oberhand gewannen.

Dennoch sind es gerade die direkten, die persönlichen Begegnungen zwischen Deutschen und Israelis gewesen, die jene Schatten zwar nicht gänzlich verbannen, ihnen aber die blickversperrende Übermacht nehmen konnten. Als Beispiel dafür könnte ich die Veränderungen anführen, die ich nach 1980 in der Einstellung meiner Mutter wahrnahm. Sie, die nach dem bitteren Schicksal ihrer Familie nie mehr etwas von Deutschland wissen wollte, erhielt vom damaligen Oberbürgermeister eine Einladung zum Besuch von Frankfurt am Main. Es handelte sich, in Fortsetzung einer 1969 von Klaus Schütz in Berlin begründeten Tradition, um eine jener Gesten, mit denen man Emigranten und Holocaust-Überlebende zum Wiedersehen mit ihrer Heimat animieren wollte. Die Art, in der meine Mutter auf die Einladung reagierte, war nicht untypisch für ihre Generation: Zunächst lehnte sie empört, fast mit Entsetzen ab, um dann am Ende, auf Zureden meines Vaters und mit ihm gemeinsam, doch zu reisen. Mein Vater hat allerdings versprechen müssen, den Aufenthalt in Deutschland, wenn sie darauf bestand, sofort abzubrechen und Europa zu verlassen. Es war eine Fahrt mit allen Risiken, problematisch schon durch die Länge des Zeitraums, der meine Mutter von ihrer Kindheit und Jugend in Frankfurt trennte.

Sie schrieb uns weder von dort, noch telefonierte sie mit mir oder meinen Geschwistern. Wie wir später erfuhren, hat sie am Anfang entsetzlich gelitten, so daß sie im Zweifel war, ob sie vorzeitig abreisen sollte oder nicht. Was sie letztlich zum Bleiben bewog, waren die Menschen, die sich anboten, Kontakte mit ihr zu knüpfen. Von da an, seit dieser ersten Reise, fuhr sie, solange es ihre Gesundheit erlaubte, alljährlich nach Deutschland. Mit Heimat oder deren Wiederentdeckung hatte das alles nur am Rande zu tun. Frankfurt, das sie 1980 erstmals wiedersah, hatte so gut wie nichts gemein mit der Stadt, die sie vor vielen Jahrzehnten verlassen hatte. Aber sie hatte Menschen getroffen, leibhaftige Deutsche, die, ohne daß sie es bemerkte, dazu beitrugen, daß sich das Bild auflöste, das Schreckensbild, das sie von ihren ehemaligen Landsleuten so lange in sich bewahrt hatte. Lachen mußten wir, als sie sich in ihren Reiseberichten über das nach ihrer Meinung vernachlässigte Deutsch beklagt, das ihr überall aufgefallen war, über die vielen Fremdwörter und Amerikanismen der Deutschen, ganz zu schweigen von den Frankfurter Hochhäusern, die sie mehr an Amerika erinnerten als an Deutschland – fast hätte sie gesagt: an »mein« Deutschland.

Später, als ich Botschafter in Brüssel war, wo man über Kabel deutsche Fernsehprogramme empfangen konnte, schickte ich Aufzeichnungen daraus meiner Mutter nach Israel, auf deren ausdrückliche Bitten. Die Nachricht von meiner Berufung zum israelischen Botschafter in Deutschland nahm sie mit Freude und Stolz auf – vor 1980 hätte sie ihr einen Schock versetzt –, aber auch mit Reue wegen der von ihr, wie sie meinte, verabsäumten Einführung ihres Sohnes in ihre Muttersprache. Daß ihr Enkelsohn Daniel das erste israelische Diplomatenkind ist, das eine deutsche Schule besucht, hat sie leider nicht mehr erlebt.


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Erschienen 1997 beim Ullstein-Verlag, Berlin


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