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Jüdische Weisheit
 
 

Avi Primor
»...mit Ausnahme Deutschlands«
Als Botschafter Israels in Bonn

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IIe.Teil

Annäherungen

Seit der Staatsgründung und Unabhängigkeit Israels galt Deutschland offiziell als »Feindesland«. In den neuen Pässen, auf die jeder Bürger des jungen Staates stolz war, stand der Vermerk: »Gilt für alle Länder der Welt mit Ausnahme Deutschlands«. In jener Zeit herrschte zwischen Israel und mehreren Ländern Kriegszustand, wie er heute noch teilweise fortdauert, doch er bezog sich nicht auf Deutschland. Nicht die Nachbarländer, die uns 1948 überfallen hatten und mit denen wir jahrzehntelang in jenem besagten Zustand lebten, wurden offiziell als Feinde bezeichnet, nicht für diese Länder waren unser Pässe ungültig. Zum Feind – und zwar sehr nachdrücklich – war allein Deutschland erklärt worden. Doch so wollten wir es haben, wir waren zufrieden damit, gingen davon aus, daß es so bleiben würde.

Von sehr langer Dauer freilich war diese Haltung nicht, jedenfalls nicht auf politischer Ebene. Am 6. Mai 1951 traf erstmals eine israelische Delegation mit einem deutschen Bundeskanzler zusammen. Der Staatssekretär im Finanzministerium und spätere Präsident der israelischen Notenbank, David Horowitz, und der damalige Botschafter Israels in Paris, Maurice Fischer, wurden im Pariser Hotel Crillon von Konrad Adenauer empfangen, den sein enger Berater Herbert Blankenhorn begleitete. Dieses erste Treffen wurde von den Israelis wie auch von den Deutschen ebenso geheimgehalten wie die Gespräche, die ihm voraufgegangen waren. Gegenstand der Verhandlungen war ein »Wiedergutmachungsabkommen« zwischen Deutschland und Israel. Als es im darauffolgenden Jahr unter Dach und Fach war und Einzelheiten der Vereinbarungen in Israel bekannt wurden, kam es zu einem Sturm der Entrüstung, der mir unvergeßlich bleibt.

Ich war damals siebzehn und hatte schon manchen erregenden historischen Augenblick erlebt. Ich erinnere mich an die Feierlichkeiten am 8. Mai 1945, ebenso an Hiroshima und Nagasaki, an die langen Diskussionen in den Vereinten Nationen, welche die Beendigung des britischen Mandats in Palästina zum Ziel hatten, an den Beschluß der UN-Vollversammlung, das Land zu teilen und uns den einen Teil unserer biblischen Heimat als Boden für einen unabhängigen Staat anzubieten – sämtlich Ereignisse, über die man uns mit aller Ausführlichkeit täglich in der Schule informierte und die zu Hause diskutiert wurden. Deutlich in Erinnerung auch habe ich den ersten Angriff der Araber Palästinas, wie sie sich damals nannten, stärker noch Ben Gurions Erklärung der Unabhängigkeit des Staates Israel am 15. Mai 1948, jenem Tag, an dem wir den Abschied des letzten britischen Gouverneurs mit großer Emotion, doch ohne jegliches Bedauern verfolgten und an dem der Überfall all unserer Nachbarstaaten auf unser Land begann. Es war der Tag, an dem ich zum ersten, aber nicht zum letzten Mal in einem Keller saß, während in der Nachbarschaft die Bomben der ägyptischen Luftwaffe niedergingen. Ob Begeisterung, Zorn oder Trauer – jedes große Gefühl, mit dem uns die Geschichte zu ihren Zeugen macht, bleibt im Gedächtnis. Der Tag, an dem der Beschluß bekannt wurde, ein Abkommen mit Deutschland zu unterzeichnen, hat sich mir als derjenige eingeprägt, der die stärksten Emotionen auslöste, die ich je erlebte.

Die Lehrer an meinem Gymnasium konnten oder wollten sich nicht über die deutsch-israelischen Vereinbarungen äußern, zumindest nicht offen vor der Klasse – auf dem Schulhof und anderswo ließen sie ihrer Wut und Empörung um so freieren Lauf. Meine Eltern, die ich nach der Schule zu Hause fand, was mich überraschte, da mein Vater sonst viel später von der Arbeit kam, waren so erregt, daß sie kaum ein Wort hervorbrachten. In der Knesset, dem israelischen Parlament, kam es während der Debatte über den Vorschlag von Premierminister Ben Gurion, das Wiedergutmachungsabkommen mit Deutschland zu billigen, zu heftigen Krawallen, den schlimmsten in der Geschichte der Knesset bis heute. Vor dem Parlament hatte sich eine unübersehbar große Menge von Demonstranten eingefunden. Sie bewarf das Gebäude mit Steinen – auch dies einmalig in unserer Geschichte.

Merkwürdig, daß ich mich zwar an die Intensität der Gefühle, aber nicht mehr an meine Gedanken zur Frage erinnern kann, ob man das Abkommen akzeptieren solle oder nicht. Ich gestehe auch, daß ich in dieser Hinsicht unsicher bin über die Einstellung der Menschen in meiner damaligen Umgebung. Was dachten die nach außen hin empörten Lehrer wirklich, zu welcher Meinung hatten sich meine Eltern durchgerungen?

Natürlich gab es neben jenen, die Steine gegen das Parlament schleuderten, auch Menschen, die ihren Widerstand gegen das Abkommen auf andere Art zum Ausdruck brachten. Viele Juden in Israel und anderswo halten sogar bis heute an dessen Ablehnung fest, indem sie sich dem persönlichen Entschädigungsangebot Deutschlands konsequent verweigern. Zu ihnen gehörte meine Mutter. Ich kann aber nicht sagen, daß diese Haltung durchweg die dominierende gewesen ist, in den ersten Tagen zumindest eskalierten die Gefühle derart, daß kaum jemand imstande war, sich eine eigene Meinung zu bilden. Hinter aller Empörung stand nur das Gefühl der Erniedrigung mit der Frage: Wie konnte es dazu kommen, daß wir mit den Deutschen sprechen? Und: Was hat dazu geführt, daß man uns Geld in Aussicht stellt, und in welcher Form würden wir dieses unreine Geld der Deutschen erhalten?

Der Begriff »Wiedergutmachung« war uns fremd. Im Hebräischen entsprach ihm ein eher mit »Entschädigung« gleichzusetzendes Wort. Bei voller Kenntnis dessen, was der deutsche Begriff besagt und bedeutet, hätte er in Israel womöglich wie Sprengstoff gewirkt. Wiedergutmachung – ließ sich der Holocaust denn wieder gutmachen, dazu noch mit Geld? Auch das Ersatzwort »Entschädigung« hätte sich als unpassend erwiesen, weil es an Wunden rührte und Erinnerungen an Dinge beschwor, die man besser ruhen ließ.

Viele Jahre später, nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel, kam es zu einem Gespräch zwischen dem damaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke und dem Botschafter Israels in Bonn, Asher Ben Natan. Lübke beklagte sich über Angriffe gegen Deutschland in israelischen Zeitungen und fügte hinzu: »... nach allem, was wir an Israel zahlen.« Ben Natan antwortete, die Wiedergutmachungszahlungen seien längst beendet, im übrigen nichts anderes gewesen als die Rückgabe eines kleinen Teils der von den Deutschen geraubten Vermögen, die sich vordem in jüdischer Hand befanden. Lübke entgegnete, er meine die vielen Gelder, die alljährlich nach Israel flössen. Dabei handele es sich, sagte Ben Natan, um Zahlungen an Überlebende des Holocaust, geregelt nach dem Bundesentschädigungsgesetz. Und nur an dem Tag, an dem er, der Bundespräsident, diese Angelegenheit mit den Botschaftern der USA, Frankreichs oder anderer Länder bespreche, könne er es auch mit uns, den Israelis, tun.


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Erschienen 1997 beim Ullstein-Verlag, Berlin


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