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Koscher leben...
Jüdische Weisheit
 
 

Avi Primor
»...mit Ausnahme Deutschlands«
Als Botschafter Israels in Bonn

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IIc.Teil

Annäherungen

Es gab, während ich in Afrika meinen Dienst tat, noch manche Anlässe und Gelegenheiten, sich mit Deutschland und den Deutschen, ihrer aktuellen Rolle in der Weltpolitik und den dunkelsten Kapiteln ihrer Geschichte zu befassen. Manchmal waren es schlichte menschliche Begegnungen, die zum Nachdenken aufforderten, mitunter erwiesen sich Mißverständnisse und Vorurteile, sobald man sie nur als solche begriffen hatte, als Schlüssel zu einem besseren, objektiveren Verständnis. Gelegentlich auch konfrontierten die Afrikaner mich mit Fragen, die Israelis und Deutsche gleichermaßen betrafen, einfach weil sie Weiße sind.

Die Beförderung, die mich in Abidjan erreichte, bedeutete den Wechsel in ein anderes westafrikanisches Land: Ich wurde, damals siebenundzwanzig Jahre alt, nach Dahomey versetzt, dem heutigen Benin, als jüngster jemals entsandter Botschafter Israels. Sitz der Regierung ist Cotonou, die eigentliche Hauptstadt aber ist Porto Novo, wo sich auch die größte und traditionsreichste Hochschule des 1960 unabhängig gewordenen Staates befindet. Sie lud mich bald nach meinem Amtsantritt zu einem Vortrag über mein Land ein, über unser Volk und dessen Geschichte, die ich in Anbetracht der knappen Redezeit allerdings nur oberflächlich streifen konnte. Eventuelle Fragen wollte ich anschließend beantworten. Dazu kam es dann auch.

So sprach mich einer der Studenten auf die deutschen Judenverfolgungen an, die ich erwähnt hatte. Er verstehe das alles nicht: Der deutsche Botschafter, Karl August von Kameke, habe vor einem Monat hier, in derselben Aula, ebenfalls über sein Land berichtet, beide seien wir doch durch unsere Hautfarbe verbunden. »Wir konnte es da möglich sein, daß die Deutschen Ihrem Volk etwas antaten?«

Es fiel nicht schwer, über die Naivität der Frage hinwegzusehen und dem jungen Mann zu erklären, daß die menschliche Hautfarbe weder ein Hindernis noch ein hinreichender Schutz sei vor Verfolgungen und Grausamkeiten, wie die Juden sie gerade unter den Deutschen erdulden mußten; auch unter den afrikanischen Stämmen gebe es ja immer wieder kriegerische Konflikte. Ich ergänzte dann meine vorangegangene Rede noch um einige Anmerkungen zum Holocaust, nicht ahnend, daß gerade sie die Aufmerksamkeit meines deutschen Botschafterkollegen finden würden. Denn etliche Tage später, auf einem Empfang, kam von Kameke auf mich zu und fragte mit einem Unterton, der schwer zu deuten war: »Was haben Sie denn Schlimmes über Deutschland der Crème de la crème der Jugend von Dahomey erzählt?«

Das Nachspiel zu dieser Geschichte leitete ein Brief ein, den ich mehr als dreißig Jahre später von einem Historiker erhielt. Beigelegt war dem Schreiben die Fotokopie eines Berichts, auf den der Absender in den Archiven des Auswärtigen Amtes in Bonn gestoßen war. 1963 geschrieben, war er jetzt der zeitgeschichtlichen Forschung zugänglich. Das Papier befaßte sich mit der damals erfolgten Neueinrichtung einer israelischen Botschaft in Dahomey, ging auf meine Akkreditierung als Botschafter ein und enthielt eine äußerst schmeichelhafte Einschätzung meiner Person. Diese überschwenglich positive Beurteilung war es, die mich am meisten überraschte, denn der Verfasser war kein anderer als Herr von Kameke, mein ehemaliger deutscher Kollege, dessen Reaktion auf meine Rede in Porto Novo mir sofort wieder vor Augen stand. Bedauerlich nur, daß er seinerzeit nicht auch das Auswärtige Amt in Jerusalem mit einem solchen Bericht bedacht hat, der Förderung meiner Karriere wegen ...

Karl August von Kameke, mit dem ich in Dahomey sonst wenig zu tun hatte, lebt schon des längeren im Ruhestand in Bonn. Ich bin ihm dort 1993, nach der Überreichung meines Beglaubigungsschreibens, zu einem ausführlichen und vergnüglichen Gespräch wiederbegegnet. »Meinen« ersten Deutschen aber, den nach meiner Versetzung nach Dahomey an der Elfenbeinküste verbliebenen Kollegen, sah ich in all den Jahren regelmäßig entweder in Cotonou oder in Abidjan. Als wir uns am Ende unserer Aufenthalte in Afrika verabschiedeten, wußten wir, daß wir uns weiterhin treffen würden, allerdings nie in Deutschland. Wollten wir uns sehen, mußte er reisen, meist nach Paris.

Als Deutschland und Israel 1965 diplomatische Beziehungen aufnahmen, bot ihm sein Freund Rolf Pauls, der erste von Bonn nach Israel entsandte Botschafter, den Posten des Botschaftsrats an. Wir erhielten einen begeistert klingenden Brief, der Freude auf das neue Amt verriet. Daß er es dann doch nicht übernahm, hing mit besonderen Ereignissen zusammen: Er hatte geheiratet, hatte Deutschland verlassen und war kein deutscher Staatsbürger mehr. An unserem privaten Verhältnis änderte dies nichts. Heute lebt er in Holland, und wir sind nach wie vor befreundet, ich auch mit seiner Gattin. Mittlerweile lebe ich in seinem Land, wohingegen er in seltsamer Umkehrung der Rollen in ein anderes wechselte. Das hindert uns nicht, neuerdings Deutsch miteinander zu sprechen, früher für mich gänzlich unmöglich. »Mein« erster Deutscher ist Claus von Amsberg, Gemahl der Königin Beatrix, also – mit offiziellem Titel – Seine Königliche Hoheit Prinz Claus der Niederlande.

Die enge Freundschaft, die sich im Laufe der Jahre zwischen uns entwickelte, ließ sich natürlich, losgelöst von aller offiziellen Politik, nicht aus dem deutsch-jüdischen Spannungsfeld heraushalten, das sich aufgrund der Geschehnisse im NaziReich, besonders auch im Zusammenhang mit der Verfolgung und Ermordung nichtdeutscher Juden in Europa, aufgebaut hatte. Claus von Amsberg verzichtete, als er sich in die holländische Kronprinzessin verliebte, nicht nur auf den Posten an der neuen deutschen Botschaft in Israel, sondern auch auf jede weitere diplomatische Karriere.

Dabei war höchst ungewiß, ob die Verbindung der beiden einen glücklichen Ausgang nehmen werde – Claus’ deutsche Abstammung weckte bei einem Großteil der Niederländer böse Erinnerungen. Als der Hochzeitstermin näherrückte, erklärte die jüdische Gemeinde, sie werde die Feierlichkeiten des Königshauses offiziell boykottieren – für meine Frau und mich, die wir eingeladen waren, ein deutliches Signal, der Hochzeit fernzubleiben. Peinlich war nicht nur der Brief, in dem ich unsere Absage begründete – ich griff zu wenig ehrlichen Ausreden –, peinlich war auch, daß es überhaupt dazu kommen mußte. Statt einer schriftlichen Antwort kam ein Anruf von Claus. Es sei selbstverständlich für ihn, erklärte er, daß wir – ungeachtet unserer Ausreden – nicht zur Hochzeit erscheinen würden. Der Widerstand der Juden und auch Nichtjuden schmerze ihn sehr, doch gerade angesichts der Proteste hätte er es nicht verstanden, wenn wir unsere Teilnahme nicht abgesagt hätten. Wir waren beschämt und gerührt zugleich.

Als sich Ende Mai 1967 die Lage im Nahen Osten zuspitzte und wenige Tage später, am 6. Juni, der Sechstagekrieg ausbrach, machte man sich in aller Welt Sorgen um Israels Überleben. Die Stimmung war bedrückend. Da erreichte uns das Angebot von Claus und Beatrix, unsere damals zweijährigen Zwillinge Adar und Guy zu sich zu nehmen, bis die Krise vorüber sei. Die hilfsbereite, um unsere Sicherheit bemühte Geste, auf die wir, zuversichtlich, wie wir waren, nicht einzugehen brauchten, wiederholte sich ähnlich 1973 im Yom-Kippur-Krieg. Meine Familie und ich befanden uns damals in Paris, wo ich an unserer Botschaft Dienst tat. Die Situation im Nahen Osten war bedrohlich. Claus, auch diesmal besorgt, rief an. Er bat dringend um ein Treffen, mir war es jedoch in jenen Tagen ganz und gar unmöglich, Paris zu verlassen. Da kam er selbst, ließ sich umfassend informieren und schließlich auch, was das weitere Schicksal Israels betraf, beruhigen.

Als das Kronprinzenpaar im April 1976 Vorbereitungen zu einem offiziellen Besuch Israels traf, bestand es darauf, meine Frau und mich von Paris mit auf die Reise zu nehmen. Mein Posten in der französischen Hauptstadt stand mit den Beziehungen meines Staats zu den Niederlanden in keinem Zusammenhang, gleichwohl fühlten wir uns geehrt, als wir, der in Paris zwischengelandeten Sondermaschine entstiegen, eine Woche gemeinsam mit den Staatsgästen verbringen und Zeugen sein durften, als die Thronfolgerin und mein Freund, der ehemalige Deutsche, der erste Deutsche, den ich kennenlernte, meine Eltern empfingen. Die Begegnung hatte in der Tat etwas Anrührendes, nicht zuletzt auch für meinen Vater. Seine Eltern waren, wie erwähnt, aus Holland ins damalige Palästina ausgewandert, und ich mußte unwillkürlich schmunzeln, als ich ihm seine Freude anmerkte, vor Ihrer Königlichen Hoheit mit holländischen Sprachkenntnissen glänzen zu können.


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Erschienen 1997 beim Ullstein-Verlag, Berlin


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