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Koscher leben...
Jüdische Weisheit
 
 

Avi Primor
»...mit Ausnahme Deutschlands«
Als Botschafter Israels in Bonn

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IIb.Teil

Annäherungen

Entwicklungen, die man fest in der Hand glaubt, nehmen manchmal wundersame Wege. Ein Anruf, der mich eines Morgens im Büro erreichte, änderte schlagartig meine vertrackte Lage, entzog ihr gewissermaßen den Boden. Es war ausgerechnet der Zweite Sekretär der deutschen Botschaft, der sich meldete – er habe von meiner Ankunft gehört, sei zufällig gerade in der Nähe, und wenn es mir nichts ausmache, käme er gerne auf einen Sprung vorbei. Der Situation und ihrer Peinlichkeit bewußt, in die ich mich durch mein buchstäblich undiplomatisches Verhalten gebracht hatte, versuchte ich den Mann abzuwehren. Doch es half alles nichts, auch nicht der Hinweis auf die Regeln des Protokolls. »Unsinn«, sagte der Kollege in fließendem Französisch, »über das Protokoll können wir immer noch reden. Ich wollte Sie nur, wenn Sie gestatten, kurz begrüßen.«

Ich hatte kaum Zeit, mich von der Überraschung zu erholen, als der Besucher vor mir stand. Er wirkte, wie schon am Telefon, freundlich und unbefangen, sah ungewöhnlich gut
aus und war, wie ich später erfuhr, neun Jahre älter als ich.
Wir führten ein angenehmes, aber kurzes und belangloses Gespräch, redeten über Klima- und Wohnungsfragen, und am Ende fühlte ich mich irgendwie erleichtert, froh jedenfalls, auf so unerwartete Weise der Unannehmlichkeit eines Pflichtbesuchs in der deutschen Botschaft entkommen zu sein, dieses Problem zumindest weiter vor mich herschieben zu können.

Es verging geraume Zeit, ohne daß ich von dem Kollegen sah oder hörte. Inzwischen hatten meine Frau und ich ein entzückendes Haus gefunden. Es lag am Ufer der Hauptlagune von Abidjan, nicht weit entfernt von der Straße, die von der Stadt zum Flughafen führt. Es berührte mich einigermaßen seltsam, als hier eines Abends das Telefon klingelte und ich, total überrascht, am anderen Leitungsende die Stimme des deutschen Botschaftssekretärs vernahm. Auch diesmal war er angeblich ganz in der Nähe, auch diesmal kam seine Frage, ob er bei uns vorbeischauen dürfe, einer Selbsteinladung gleich, und wiederum sah ich keine Alternative. Auch nicht meine inzwischen verstorbene erste Frau Miki, die zunächst an einen Scherz glaubte.

Der Gast, der uns um die wohlverdiente Feierabendruhe brachte, kam am frühen Abend – und fuhr nach Mitternacht. Danach war an Schlaf kaum zu denken, so erregt, so aufgewühlt waren wir. Völlig unverhofft und mit eindringlicher Deutlichkeit hatte sich vor uns ein Stück deutscher Zeitgeschichte und Gegenwart aufgetan, eine Realität, die in entscheidenden Punkten von unserem damaligen Deutschlandbild abwich, und zwar so, daß wir uns in mehr als einer Hinsicht zu Korrekturen genötigt sahen. Anders als bei unserem ersten Zusammentreffen nahm das Gespräch einen ernsten und ohne Umschweife direkten Verlauf. Das Thema war, was sonst, die Nazis und ihre Verbrechen. Der Deutsche beschönigte nichts, auch nicht die eigene Vergangenheit und die seiner Familie, die von 1928 bis 1939 im damaligen britischen Mandatsgebiet Tanganyika gelebt hatte. Er selbst, seit 1938 Schüler einer Internatsschule im pommerschen Misdroy und eines Gymnasiums in Bad Doberan, war mit seiner Klasse im Sommer 1943 als »Marinehelfer« nach Kiel eingezogen worden, war dann im Arbeitsdienst, schließlich Soldat in einer Panzerabteilung bis zum Kriegsende, das er in der Nähe von Meran erlebte. Ob und wie stark sein Vater mit den Nazis sympathisiert hatte, wußte er nicht genau, nur, daß er Mitglied einer von den Nazis ins Leben gerufenen Organisation für Auslandsdeutsche gewesen war.

Mit absoluter Gewißheit jedoch äußerte er sich zur Frage, ob die Deutschen tatsächlich nicht, wie sie immer wieder beteuerten, rechtzeitig Kenntnis von den Nazi-Verbrechen hatten. Für ihn gab es da nicht den geringsten Zweifel, ja er sah es geradezu als selbstverständlich an, daß seine Landsleute um das Ungeheuerliche dieser Diskriminierungen, Verfolgungen und Morde wußten, mochten sie später auch das Gegenteil behaupten. Die Offenheit des Gesprächs, vor allem aber die rückhaltlos wahrhaftige, die Dinge beim Namen nennende Art unseres Besuchers beeindruckten uns tief. Mir fiel die amerikanische Wochenschau ein, der Report aus Buchenwald mit den nach eigenem Bekunden Ahnungslosen und Unwissenden aus Weimar, Leuten, die »von allem nichts gewußt«, obwohl sie jahrelang in der Nachbarschaft des Lagers gelebt hatten. Hier war endlich jemand, der die Wahrheit nicht nur kannte, sondern sie auch aussprach.

War er eine Ausnahme, ein Sonderfall? Die Freundschaft, die an jenem Abend begann, besteht bis heute. War es Freundschaft mit einem Deutschen, oder galt sie mehr einem außergewöhnlichen, herausragenden Menschen, einer Persönlichkeit von überdurchschnittlichem Format? Die Afrikaner, die ein untrügliches Gespür für die Aufrichtigkeit der Absichten und Gefühle besitzen, mit denen Fremde ihnen gegenübertreten, akzeptierten meinen deutschen Kollegen ohne jeden Vorbehalt. Obwohl als Zweiter Sekretär eher in untergeordneter Position, war er damals fraglos der beliebteste ausländische Diplomat in der Republik Elfenbeinküste.


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Erschienen 1997 beim Ullstein-Verlag, Berlin


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