Aus dem
Nahostlexikon
von Gernot Rotter und Schirin Fathi, erschienen im Herbst 2001 beim Palmyra
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Palästina
(Griech./Lat. »Philisterland«, arab. Filastin, hebr. Erez Israel).
Territorium, das als geographisch-politische
Einheit erst durch die Grenzziehung Großbritanniens und das britische Mandat
(»» Mandatszeit) definiert wurde. Zur Zeit des Osmanischen Reiches war es Teil
der Provinz (Velayat) »» Syrien, die das heutige »» Israel mit den besetzten
bzw. selbstverwalteten Gebieten, »» Jordanien, Syrien und den »» Libanon
umfaßte.
Das Gebiet zwischen der Ostküste des
Mittelmeers und dem Jordan war aufgrund seiner strategischen Lage als
Landbrücke zwischen Asien und Afrika schon immer als Durchgangsland umkämpft
und daher auch den Einflüssen der verschiedenen Kulturen ausgesetzt. Als
Heimat dreier Weltreligionen wurde es zusätzlich zum Zentrum vielfältiger
Auseinandersetzungen.
Die politische Dimension der Palästinafrage
geht zurück auf die Entstehung des »» Zionismus und die vermehrte jüdische
Einwanderung (»» Aliya) in das britisch verwaltete Mandatsgebiet (»»
Mandatszeit). Der zionistische Slogan »Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne
Land« negierte jedoch die Existenz der dort ansässigen Bevölkerung und
verursachte eine starke Gegenbewegung: den palästinensischen Nationalismus.
Obwohl die zwei konkurrierenden Nationalismen sich oft auf biblische und
vorbiblische Zeiten beziehen, um ihre Legitimation zu stärken, ist das
gegenwärtige Palästinaproblem in den rivalisierenden Machtansprüchen und
realpolitischen Umständen des 19. und 20. Jahrhunderts zu suchen.
Die arabischen Palästinenser vertreten die Auffassung, daß ihnen als
alteingesessener Bevölkerung schon seit Ende des Ersten Weltkriegs staatliche
Unabhängigkeit gebührt, gemäß dem Grundsatz der nationalen Selbstbestimmung,
der 1919 von Woodrow Wilson und dem Völkerbund aufgestellt wurde. Israels
Staatsgründung und die darauffolgenden Kriege (»» Nahostkriege), verbunden mit
Vertreibung und Flucht (»» Flüchtlinge), stellen daher ein Unrecht dar, das es
wiedergutzumachen gilt.
Die Versuche, diese historische Ungerechtigkeit zu überwinden, entwickelten
sich nicht immer linear. Dabei durchlief die Konzeption für Palästina und
seine territoriale Einheit sowohl im palästinensischen Selbstverständnis als
auch in der Weltöffentlichkeit Metamorphosen, die nicht nur die Ideologien der
Zeit widerspiegeln, sondern auch von einem wachsenden Pragmatismus im Umgang
mit diesem Problem zeugen.
Nach der Gründung Israels, die im britisch-jordanisch-israelischen
Einvernehmen die Errichtung eines palästinensischen Staates verhinderte, wurde
die Palästinafrage zur Zeit »» Nassers und des arabischen Nationalismus
vorerst dem Ziel eines panarabischen Einheitsstaates untergeordnet. Erst nach
dem »» Junikrieg 1967 besannen sich die Palästinenser auf sich selbst. Mit der
Gründung der »» PLO organisierte sich ein
palästinensischer Widerstand, der ein deutlich abgegrenztes nationales
Bewußtsein demonstrierte. Das Schlagwort »die arabische Einheit ist der Weg
zur Befreiung Palästinas« wurde umgewandelt in »die Befreiung Palästinas ist
der Weg zur arabischen Einheit«. Damit trat auch der Anspruch, einen eigenen
Staat aufzubauen, in den Vordergrund.
Die Strategie zur Befreiung Palästinas durchlief verschiedene Etappen:
vom Guerilla-Kampf als Militärstrategie und von aufsehenerregenden Gewalt-
bzw. Terroraktionen über die Unterwanderung arabischer Nachbarstaaten bis hin
zum passiven und aktiven Widerstand in den besetzten Gebieten (»» Intifada).
Der bewaffnete Kampf als einziger Weg zur Befreiung Palästinas wurde dann
vollends aufgegeben und mit Beginn der »»
Friedensverhandlungen der letzte pragmatische Schritt vollzogen.
Parallel dazu änderte sich die Auffassung von der Art und Größe des zu
etablierenden Staates. Zu Beginn des organisierten Widerstands 1964
propagierten die Al-Fatah (»» PLO, »» Arafat) und andere Gruppierungen der PLO
die Errichtung eines demokratischen Staates im gesamten ehemaligen
Mandatsgebiet Palästina, in dem Muslime, Juden und Christen gleichberechtigt
zusammenleben sollten. Diese Idee bestand kontinuierlich in marginalisierten
linken israelischen und palästinensischen Kreisen fort und hat in letzter Zeit
angesichts der schwierigen Durchführbarkeit der Zweistaatenlösung wieder eine
gewisse Bedeutung gewonnen.
Der »» Oktoberkrieg 1973 zwang die Palästinenser jedoch dazu, einen
territorial kleineren Staat in den 1967 von Israel besetzten Gebieten zu
akzeptieren; dieser Staat sollte zunächst allerdings nur ein erster Schritt in
Richtung Befreiung ganz Palästinas sein. Unter dem Eindruck realpolitischer
Entwicklungen gewann dieses Teilstaatkonzept allmählich aber an breiter
Akzeptanz.
Auf der Tagung des Palästinensischen Nationalrats 1988 in Algier beschloß die
PLO schließlich die Errichtung eines palästinensischen Staates im »»
Westjordanland und im »» Gazastreifen mit Ostjerusalem als Hauptstadt, der an
der Seite Israels existieren sollte. Es ist allerdings fraglich, ob in der
gegenwärtigen Situation (2001) selbst dieses eingeschränkte politische
Selbstbestimmungsrecht verwirklicht werden kann.
Siehe auch: Palästinensische Minderheit in
Israel »» Israel
Palästinensische Nationalbehörde
(Arab. As-Sulta al-Wataniya al-Filastiniya; Palestinian National
Authority, PNA)
Palästinensische Regierung, die von
»» Yassir Arafat nach Unterzeichnung des »»
Oslo-I-Abkommens in den selbstverwalteten, ehemals besetzten Gebieten des »»
Gazastreifens und in Jericho gebildet wurde. Ihre Regierungszeit war auf fünf
Jahre konzipiert, um während der Interimsperiode, die zur Umsetzung der Osloer
Abkommen benötigt werden sollte, die Belange der Palästinenser zu regeln.
Durch die Verzögerung der Endstatusverhandlungen wurde jedoch auch der
Handlungszeitraum der Palästinensischen Nationalbehörde bis auf weiteres
verlängert.
Zum Zeitpunkt ihrer Entstehung hatte die Nationalbehörde kein gewähltes Forum
und setzte sich ausschließlich aus »» PLO-Mitgliedern zusammen. Im Januar 1996
fanden gemäß dem »» Oslo-II-Abkommen die Wahlen zum ersten Palästinensischen
Legislativrat in den selbstverwalteten Gebieten des »» Westjordanlands und des
Gazastreifens statt. Die Bewohner des Ostteils von »» Jerusalem durften zwar
wählen, mussten aber im Falle einer Kandidatur ihren Wohnsitz in die
Palästinensischen Gebiete verlegen. Der Legislativrat setzt sich aus 88 Sitzen
zusammen, von denen nach der Wahl 49 auf die Al-Fatah entfielen, 15 auf
unabhängige Kandidaten, die der Al-Fatah nahestehen, 4 auf Unabhängige, die
mit den Islamisten (»» Hamas) sympathisieren,
und 20 auf Unabhängige, die keiner Gruppierung zuzuordnen sind.
... pp257
Nahostlexikon...
s.
auch: [abu mazen] [arafat] [hamas]
[plo]
Stand 30-06-2001
»» verweist auf Einträge im
Nahostlexikon...
Gernot Rotter / Schirin Fathi:
Nahostlexikon
Der israelisch-palästinensische
Konflikt von A-Z
Seit über einhundert Jahren ist der Nahe Osten die
brisanteste Krisenregion der Erde. Der Nahostkonflikt – in seinem Kern die
israelisch-palästinensische Auseinandersetzung um das Land Israel/Palästina –
ist somit im wahrsten Sinne ein »Jahrhundertkonflikt«...
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