Fax Di. 21-12-2004 / 16:00 / von Eva Ehrlich an Dr. Sven-Olaf Obst

Sehr geehrter Herr Dr. Obst,

wir möchten nochmals zu Ihrem Fax vom Vormittag des 21.12.2004 Stellung nehmen.
Wie bereits erwähnt sind wir darüber erstaunt, dass Tachles reden! e.V. nun behauptet eine Fortführung des Projektes "OR" zu planen, auch wenn Tacheles selbst einräumt, dass dies nur unter Ausklammerung des unter der Bezeichnung haGalil bekannten Onlinebildungsangebots möglich sei.

Wir möchten nochmals darauf hinweisen, dass das gesamte Projekt "OR" mit haGalil verknüpft ist, in verschiedenen Gesprächen haben auch Sie, dieses Verständnis deutlich signalisiert und betont.

Hier nochmals zum Projekt:
"Projektziel von OR ist es das in haGalil onLine entstandene breitenwirksame*) Bildungsangebot, insbesondere in den Bereichen jüdische Geschichte, Kultur und Religion sowie Schoah, Antisemitismus und Rechtsextremismus für MultiplikatorInnen und Jugendliche sicher zu stellen.
Die interaktiven Bereiche (Forum/Chat) sind weiter auszubauen. Nazistische und antisemitische Propaganda soll inhaltlich aber auch juristisch (über das Meldeformular) behindert werden." [PUNKT, d.h. die Beschreibung endet hier!]

Es geht also keineswegs darum, irgendein Bildungsangebot zu erstellen oder zu sichern, es geht per Definition um das "
in haGalil onLine entstandene breitenwirksame*) Bildungsangebot", das gesichert werden soll. Auch die beiden anderen Bereiche, die Interaktivität als Plattform der Begegnung für Juden und Nicht-Juden, sowie das juristische Mittel des Meldeformulars können ausschließlich gesichert und erweitert werden, wenn haGalil onLine in diese Arbeit mit einbezogen ist.

Die Bedeutung dieses öffentlich zugänglichen Online-Bildungsangebots, das außerhalb von Israel und den USA das größte seiner Art weltweit ist, sollte hier nicht heruntergespielt werden, indem man so tut als sei die "Erstellung von Beiträgen für haGalil onLine" eine vernachlässigbarer Teil und nicht zentraler Bestandteil von "OR". Wenn der bisherige Träger dies derart vernachlässigbar darstellt, dass er sogar vorgibt über einen "aktualisierten Antrag" ohne diese Bereiche nachzudenken, dann offenbart er damit mehr, als ihm lieb sein kann. Es geht hier nicht um ein paar Artikel für eine Online-Zeitung, es geht um die Erweiterung der Bildungsmaterialien in den Bereichen Rechtsextremismus und Antisemitismus, um die Aufrechterhaltung der Diskussionsgruppen und die Recherche und Weiterbearbeitung im Rahmen des Meldeformulars um nur noch einmal die Kernbereiche zu benennen.

In Ihrem Fax zählen Sie selbst noch einmal alle Gründe auf, die einen Trägerwechsel ermöglichen. Alle diese Punkte sind erfüllt:

1) Der bisherige Träger Tacheles ist nicht in der Lage das Projekt fortzuführen
2) Der neue Träger garantiert nicht nur eine vergleichbare Umsetzungsqualität, sondern würde das Projekt in der Abschlussphase wesentlich besser unterstützen und die Aufrechterhaltung über den voraussichtlichen Förderungszeitraum hinaus gewährleisten und somit die nachhaltige Wirkung garantieren
3) Der Übergang wurde einvernehmlich von beiden Parteien angeregt, ein Brief von tachles reden! e.V. zum Trägerwechsel lag Ihnen vor
4) Es entstehen keine Mehrkosten
5) Die Zielerreichung ist auch nur mit dem neuen Träger (und bisherigem Partner) möglich, eine zeitliche Verzögerung gibt es dadurch nicht

Einziges Gegenargument scheint momentan die Behauptung des Vereins tacheles reden! e.V. er wolle eventuell einen "aktualisierten Antrag" stellen.

Dass die Basis einer Zusammenarbeit mit Tachles reden! e.V. sehr problematisch ist, zeigt schon die Tatsache, dass sich Tachles reden! e.V. von sich aus nicht zur Ablehnung des Trägerwechsels geäußert hat. Erst ein Gespräch zwischen Ihnen und Herrn Gall zeigte den hier gegebenen Handlungsbedarf auf. Die Tatsache, dass Herr Gall das Ende des laufenden Projektjahres zum Anlass nahm, einmal bei zuständiger Stelle anzufragen, in wiefern denn nun der Fortgang der Arbeit gesichert sei, ist unter diesen Umständen mehr als verständlich.

Sie sagten damals (Anfang der dritten Dezemberwoche), ein Trägerwechsel werfe unter Umständen die unangenehme Frage auf, inwiefern der bisherige Träger denn bisher geeignet war. Herr Gall sagte daraufhin, diese Frage sei seiner Meinung nach nicht unbedingt zwingend, er selbst könne dazu aber nichts sagen, da ihm nicht bekannt sei, "welche Leistungen der Verein Tacheles Reden e.V. als die seinen im Tätigkeitsbericht aufgeführt" habe.

Dieses Gespräch hat Tachles Reden! e.V. in der Zwischenzeit so ausgelegt, Herr Gall habe behauptet nicht zu wissen was Tacheles Reden! e.V. "eigentlich in diesem Jahr geleistet" habe. Herr Gall habe sich "wiederholt über die Zusammenarbeit mit dem Verein Tacheles Reden! e.V. beschwert". Dem war zwar nicht so, aber selbst wenn dem so gewesen wäre, wäre die Reaktion des Vorstand von Tacheles Reden! e.V. nur schwer nachvollziehbar, regte er doch selbst im Oktober einen Trägerwechsel an.
Die Anfrage Ihrer Mitarbeiterin Frau Keppke (gsub) nahm man beim Verein Tacheles Reden! e.V. jedenfalls zum Anlass in einem Einschreiben "mit sofortiger Wirkung jede weitere Zusammenarbeit" zu kündigen. Dies wurde uns per Einschreiben am 16-12-2004 mitgeteilt.

Wir möchten nochmal darauf hinweisen, dass die Ablehnung des Trägerwechsels dazu führen wird, dass haGalil onLine seine Internetpräsenz stark einschränken und vermutlich sogar abschalten muss, d.h. dass die begonnene Arbeit, das vorhandene Bildungsangebot, die interaktive Plattform und das Meldeformular nicht weiter zur Verfügung gestellt werden können. Eine während der letzten zehn Jahren erfolgreiche und international immer wieder als modellhaft wahrgenommene Arbeit würde ausgelöscht. Wir wissen zwar, dass dies weder national noch international ein wünschenswertes Signal wäre, sehen uns aber nicht mehr in der Lage diese wichtige und effektive aber leider extrem aufreibende Arbeit ohne Unterstützung zu bewältigen.

Es ist für uns absolut unverständlich, wie das bisher förderwürdige Projekt "OR" einfach zur Seite gelegt werden kann und von Tachles reden! e.V. ein "aktualisierter Antrags" erwartet wird. Dieser Antrag, sollte er überhaupt je erfolgen, kann niemals die Projektziele von "OR" umfassen, da hierfür die Kooperation mit haGalil onLine nötig wäre. Das Projekt "OR" wird dadurch als nicht mehr förderungswürdig eingestuft, obwohl es immer noch genau dasselbe ist und seine Notwendigkeit eher zu- als abgenommen hat. Wie kann das sein?

Mit freundlichen Grüßen,

Eva Ehrlich

* breitenwirksam, d.h. laut einsehbarer Statistik Dezember 2004 täglich ca. 40.000 Besucher. Täglich ca. 100.000 aufgerufene Seiten mit sachkundiger Information zu Judentum in Geschichte und Gegenwart, in Europa und Israel, gegen Antisemitismus, Antizionismus, Nazismus, Fundamentalismus.

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