Gebirgsjägertreffen in Mittenwald - mörderische Tradition:
Wo der alte Ungeist fortlebt

Dieses Jahr gab es zum dritten Mal Proteste gegen das Pfingsttreffen der Gebirgsjäger in Mittenwald - inzwischen wächst der Druck auf das Traditionstreffen. Seit 1952 kommen die alten „Kameraden“ der Wehrmachtseinheiten mit aktiven Bundeswehrsoldaten zusammen, um am Hohen Brendten der gefallenen Soldaten und ihrer „anständigen“ Pflichterfüllung zu gedenken. Was es angesichts der Massaker der Gebirgsjägertruppen in Griechenland, Italien und Frankreich zu feiern gibt, interessiert nun allerdings eine beständig wachsende kritische Öffentlichkeit… ...

Tanja Kinzel, Eric Esser - tacheles reden

Malerisch liegt Mittenwald am Fuße des Karwendelgebirges – Postkartenbilder, die das Panorama für das größte deutsche Veteranentreffen abgeben. Veranstaltet wird es vom Kameradenkreis e.V., in dem die ehemaligen Gebirgsjäger der deutschen Wehrmacht mit aktiven Gebirgsjägern aus der Bundeswehr zusammengeschlossen sind, die heute als Elitetruppe gelten. Die Gebirgsjäger waren im Zweiten Weltkrieg an zahlreichen Kriegsverbrechen in Jugoslawien, Polen, Italien, Frankreich, dem Kaukasus, Albanien, der Sowjetunion und Griechenland beteiligt. Vor einem deutschen Gericht wurde aber bisher noch kein einziger Gebirgsjäger verurteilt. Der Verband der ehemaligen Gebirgsjäger zählt heute etwa 6.400 Mitglieder, etwa die Hälfte davon war bei der Wehrmacht – der Rest sind aktive und ehemalige Soldaten der Bundeswehr. An den Pfingsttreffen nehmen alljährlich Repräsentanten aus Politik und Bundeswehr teil, zu den prominentesten gehörte Edmund Stoiber, der auch dem Kameradenkreis der Gebirgsjäger angehört. In der Region regte sich gegen die alljährlichen Pfingsttreffen bisher kaum Widerstand, die meisten Familien sind mit der Gebirgstruppe als Arbeitgeber und Wirtschaftsfaktor verknüpft.

Erst nachdem Pfingsten 2002 der Kameradschaftsabend der Gebirgsjäger - eine bis dahin öffentliche Veranstaltung - am Vorabend des Pfingstgottesdienstes von 60 AntifaschistInnen besucht wurde, die eine Schweigeminute zum Gedenken an die von den Gebirgsjägern im zweiten Weltkrieg Ermordeten abhalten wollten, bekamen die Treffen der Gebirgstruppe eine kritische Öffentlichkeit. Seit zwei Jahren organisiert der Arbeitskreis „Angreifbare Traditionspflege“ zusammen mit der VVN/BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten) Gegenveranstaltungen. Auch in diesem Jahr mobilisierten die VeranstalterInnen unter dem Motto „Die Mörder sind unter uns! - Schluss mit dem Pfingsttreffen der Gebirgsjäger!“ nach Mittenwald.

Die Protestveranstaltungen wurden am Samstagvormittag mit einer entschlossenen und lautstarken Demonstration durch Mittenwald mit rund 400 TeilnehmerInnen eröffnet. Dieser folgte ein Symposium in der Gaststätte der Eissporthalle Mittenwald mit Beiträgen von Überlebenden des Massakers der Gebirgstruppen in Lyngiades/Griechenland, eines jüdischen Partisanen aus Frankreich und eines deutschen Wehrmachtsdeserteurs, sowie rechtliche Informationen zu dem Stand der Entschädigungsforderungen der Überlebenden. Parallel dazu fand in der Mittenwalder Innenstadt eine Dauerkundgebung mit Beiträgen von einem Hearing des letzten Jahres statt. Am Sonntag endeten die Veranstaltungen mit Protesten gegen den Pfingstgottesdienst der Edelweiß-Gebirgsjäger am Hohen Brendten.

Geschichte ist Vergangenheit

Mittenwald sei beispielhaft für den deutschen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und das Verhalten gegenüber den Tätern und den Überlebenden, betonte Ernst Grube in seiner Eröffnungsrede auf dem Symposium „Die Mörder sind unter uns“. Nicht die demokratischen Versuche gegen die Kriegsverbrechen vorzugehen, sondern die Täter würden geschützt. Im Verlaufe der vormittäglichen Demonstration durch Mittenwald wurde dem KZ-Überlebenden Ernst Grube nach einer Diskussion mit Mittenwalder BürgerInnen am Rande der Demonstration von einem Mann hinterher gerufen: „Euch haben sie vergessen zu vergasen.“ Seine Versuche, die zahlreich anwesenden Polizisten zur Aufnahme der Personalien dieses Mannes zu bewegen, scheiterten, da diese sich für derartige Aufgaben nicht zuständig fühlten – sie seien für die Demonstration zuständig. Nach mehrmaliger Intervention konnte einer der anwesenden Polizisten doch noch zur Personalienaufnahme gedrängt werden. Ernst Grube wird nun Strafanzeige stellen.

Dieses Verhalten der Polizei ist Sinnbild für die Stimmung in Mittenwald. Kontrolliert und schikaniert wurden nicht die Mitglieder der Gebirgsjäger, die für Massaker und Morde verantwortlich sind, sondern die TeilnehmerInnen der Gegendemonstration. Während die Gebirgsjäger mit Unterstützung der Polizei und der Parteien ihre Veranstaltung durchführen konnten, wurde der Protest dagegen kriminalisiert, wie sich bereits im Verlaufe der Demonstration zeigte. Sechs Personen wurden festgenommen, die meisten wegen des Vorwurfes der „Verunglimpfung des Staates“. Einen Münchner nahmen die Polizeikräfte mit dem Vorwurf der „Verunglimpfung Verstorbener“ in Gewahrsam. Der Grund: Er hatte ein Plakat dabei, das den Spruch „Mörder unterm Edelweiß“ trug - mit dem Bild des Gebirgsjägergenerals Josef Salminger, dem Verantwortlichen für das Massaker im nordgriechischen Dorf Kommeno, bei dem 317 ZivilistInnen ermordet wurden. Bei der nachmittags stattfindenden Dauerkundgebung nahm die Polizei nach einer Straßentheateraktion einen 42jähriger Berliner fest, den sie „aufgrund seiner lauten Stimme“ als deren Leiter ausmachte. Unter dem Vorwurf des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz unterzogen ihn die BeamtInnen einer erkennungsdienstlichen Behandlung, bei der er sich nackt ausziehen musste. Er kam erst am nächsten Tag wieder frei.

Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger in Griechenland

Bei der Veranstaltung in der Gaststätte der Eissporthalle lag währenddessen der Fokus auf den Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger in Griechenland und Frankreich. Eingeladen waren Panagiotis Babouskas, Überlebender des Massakers in Lyngiades, Ewritides Cholewas, Gemeinderat einer Nachbargemeinde von Lyngiades und Jakob Baruch Szmulewicz, der als jüdischer Partisan in Frankreich kämpfte, außerdem Ludwig Baumann, der als Wehrmachts-Deserteur in Frankreich zu den Partisanen stieß und der Rechtsanwalt Martin Klinger, der sich mit Entschädigungsforderungen von Überlebenden der Massaker beschäftigt.  

Das Massaker in Lyngiades wurde verübt, nachdem Josef Salminger am 1. Oktober 1943 mit dem Auto in einen von Partisanen umgesägten Telegrafenmast gefahren und dabei umgekommen war. Daraufhin erging von dem Befehlshaber des Gebirgsarmeekorps Hubert Lanz der Befehl an die 1. Gebirgsdivision, Salmingers Tod in einem Umkreis von 20 km zu rächen, wie der Historiker Stephan Stracke berichtete. Bei dem darauf folgenden Massaker der Gebirgsjäger des Feldersatzbatallions 79 in der Ortschaft Lyngiades wurden 87 Zivilisten von Säuglingen bis hin zu Greisen ermordet. Ewritides Cholewas, Gemeinderat einer Nachbargemeinde von Lyngiades, ist überzeugt, dass die Ortschaft Lyngiades deshalb ausgewählt wurde, weil sie an einem Berghang gegenüber von Jannina liegt und vom ganzen Tal aus gut sichtbar ist: Die brennenden Häuser sollten zugleich eine Warnung an alle anderen sein. Am 3. Oktober 1943 wurden Maschinengewehre in der Nähe des Dorfes aufgestellt und das Dorf wurde beschossen, damit niemand fliehen konnte, erzählt er. Alle Menschen, die gerade im Dorf waren, mussten sich auf dem Dorfplatz versammeln. Während die Menschen auf dem Platz festgehalten wurden, wurden die Häuser geplündert. Als alles verteilt war, wurden die Bewohner in kleineren Gruppen von 10 Personen in die Kellerräume verschiedener Häuser gebracht und dort erschossen, die Häuser wurden anschließend in Brand gesteckt. Nur sechs Menschen haben den Brand und die Schüsse überlebt, betont Cholewas - unter ihnen Panagiotis Babouskas, der 14 Monate alt war, als er anderthalb Tage nach dem Massaker auf dem Schoß seiner ermordeten Mutter gefunden wurde.

„Viele wurden von dem Massaker verschont“, erzählt Panagiotis Babouskas, „weil sie in einem Nachbarort beim Nüsse sammeln waren. Als sie zurückkamen, haben sie die Toten gefunden und begraben und versucht, das Dorf wiederaufzubauen.“ Es sei ein schönes Dorf sagt er, „sie haben es geschafft.“  Seit 1953 versammeln sich die Überlebenden des Massakers, die die Nüsse im Nachbarort geschlagen hatten und das brennende Dorf von weitem sahen, jährlich zu einer Gedenkfeier auf dem Dorfplatz. Die Morde wurden nicht gesühnt, die deutsche Justiz hat nicht einmal ein Ermittlungsverfahren eröffnet. Die Veteranen des Feldersatz Bataillion 79 sind im Kameradenkreis der Gebirgsjäger organisiert. Der griechische Staat, so berichtet Panagiotis Babouskas weiter, habe nichts unternommen, um die Entschädigungsforderungen der Kommunen zu unterstützen. Im Moment seien viele Anklagen zurückgestellt worden, weil die einzelnen Kommunen abwarten wollten wie der Distomo-Prozess weitergehe. Er betonte, dass die Frage der Entschädigung eine politische Entscheidung sei, in der Deutschland und Griechenland aktiv werden müssten. Das einzige Geld, was sie jemals bekommen hätten, seien 1962 11.000 Drachmen pro totes Familienmitglied gewesen - davon habe man sich damals gerade mal einen Kühlschrank kaufen können. Eine zweite „Entschädigung“ sei die Öffnung der Grenzen gewesen, mit der griechische „Gastarbeiter“ nach Deutschland geholt wurden. Babouskas führt diese Regelung auf ein Abkommen zwischen den beiden Staaten zurück.

In den ersten Jahren nach dem Krieg, habe er Hass und Angst in Bezug auf Deutsche empfunden, aber mit der Zeit, der Öffnung der Grenzen und dem Tourismus habe sich das verändert. Im letzten Jahr habe auch der stellvertretende deutsche Botschafter an den Gedenkfeiern für die Opfer von Lyngiades teilgenommen. „Das Volk ist nicht verantwortlich“, findet Babouskas, „aber andere waren verantwortlich“. Die offizielle Begründung für das Massaker sei gewesen, dass deutsche Soldaten beschossen wurden, dass es Hinweise auf Partisanen gegeben habe. „Aber das ist nicht wahr, in Lyngiades gab es überhaupt keine Partisanen“, betont er. Dass die Täter zwar namentlich bekannt sind, aber noch kein einziger in Deutschland verurteilt wurde, nennt Babouskas einen Netativ-Punkt für das Verhalten der deutschen Regierung, „weil es kein Krieg, sondern Kriegsverbrechen waren, es waren Zivilisten, die nichts gemacht hatten.“

…und in Frankreich

Die Gebirgsjägereinheiten der deutschen Wehrmacht waren jedoch nicht nur in Griechenland und Italien, sondern auch in Frankreich im Antipartisaneneinsatz aktiv, wie Stephan Stracke weiter berichtete. In Südfrankreich wurden vor allem österreichische und deutsche Einheiten eingesetzt, die die Aufgabe hatten, die Alpenfestung Vercors und die Verbindung nach Süden freizuhalten. Hinweise auf Verbrechen der deutschen Wehrmacht seien auch dort zahlreich vorhanden. Stracke recherchiert gerade die Umstände der Ermordung von Marianne Cohn, einer deutschen Jüdin, die in einer zionistischen Jugendgruppe organisiert war und die Aufgabe hatte, jüdische Kinder aus deutschen Heimen über die Grenze zu transportieren, um sie zu retten. Am 9. Mai 1944 wurde sie in Frankreich mit einer Gruppe von Kindern von der Gestapo festgenommen. Die Kinder wurden nach diplomatischen Verhandlungen am 6. Juni freigelassen, Marianne Cohn kam ins Gestapogefängnis. Dort wurde sie von SS Soldaten aus Lyon abgeholt. Nach der Befreiung wurde ihre Leiche in einem Massengrab aufgefunden. Im Privatbesitz eines Wehrmachtssoldaten wurde ein Foto gefunden, auf dem Soldaten lachend und grinsend um die Leiche der Frau sitzen, die sie erst vergewaltigt und dann erstochen haben. „Marianne Cohn wurde zwar von der SS abgeholt, ihre Mörder scheinen jedoch in der Wehrmacht gewesen zu sein“, betonte Stracke. Zahlreiche Verbrechen der Wehrmacht verwiesen auf eine enge Zusammenarbeit mit der SS unter dem Gestapo-Chef Klaus Barbie. Im Raum Grenoble seien die Gebirgsjäger in die Städte gefahren und hätten in Zusammenarbeit mit der SS Jagd auf junge Leute gemacht, die dann zur Zwangsarbeit nach Deutschland, insbesondere nach Buchenwald, geschickt worden seien. Bei diesen Aktionen hätten sie auch viele versteckte Juden gefunden, so Stracke. Den Verweis auf diese Einsätze hält er deshalb für so wichtig, weil die alte Division der Gebirgstruppen behauptet, nur im Berg gesessen zu haben.

Gegenwehr 

Gerade die Einführung der Zwangsarbeit unter dem südfranzösischen Vichy-Regime und deren Kollaboration mit den Deutschen bei der Verfolgung der Juden hat jedoch dazu beigetragen, dass sich massenhaft junge Leute in den südfranzösischen Wäldern, den Maquis, versteckten und sich den Partisanen anschlossen. 1944 waren es 40 000 Maquisades, die einen erbitterten Kampf gegen die SS und die Milice von Vichy führten – unter ihnen viele, „die nicht nach Deutschland bzw. Buchenwald zur Zwangsarbeit verschleppt werden wollten“, so Stefan Stracke. Zu den schlagkräftigsten französischen Widerstandsgruppen zählte die F.T.P.-M.O.I. (Francs Tireurs et Partisans Main d'Oeuvre Immigrée), die Kampftruppe der M.O.I. (Main d'Oeuvre Immigrée), einer kommunistischen Gewerkschaft europäischer Gastarbeiter, die unter dem Dach der kommunistischen Partei organisiert war und durch den Beitritt jüdischer ImmigrantInnen und SpanienkämpferInnen ein ungeheueres Potential entfaltete. „Die M.O.I. setzte sich aus Kämpfern aus dem spanischen Bürgerkrieg und jüdischen jungen Leuten zusammen, die bei den Razzien in den großen Städten ihre Eltern und Familien verloren hatten“, so Stracke. Daneben gab es parteilich organisierte Résistance-Gruppen und im Raum um Grenoble starke sozialistische Gruppen. Die verschiedenen Widerstandsgruppen waren untereinander vernetzt und arbeiteten eng mit den Alliierten, insbesondere den us-amerikanischen und den britischen Geheimdiensten zusammen. „Insbesondere in den Maquis Zonen kam es immer wieder zum Abwurf von Essen, logistischer und militärischer Unterstützung“, berichtet Stracke. Bei der Bekämpfung der Partisanen in den Wäldern des Maquis liquidierte die Gebirgsjägerdivision ein Paritsanenlazarett, in dem auch verwundete deutsche Gefangene versorgt wurden, fährt er fort. Die französischen Krankenschwestern wurden nach Ravensbrück deportiert, Kranke, die nicht mehr laufen konnten, wurden direkt erschossen, die anderen wurden auf einem Lastwagen zu einer Grotte gefahren und dort umgebracht. „Obwohl die Gebirgsjägereinheit, die dafür verantwortlich war, bekannt ist, wurde auch dieses Verbrechen nie geahndet“, sagt Stracke: „Die Gebirgsjäger beschimpfen auch heute noch die Partisanen als Terroristen. Der Widerstand gegen die deutsche Besatzung wird als nicht legitim angesehen.“ 

Der in Polen geborene Jude Jacob Baruch „Jacquot“ Szmulewicz war 16 und arbeitete in einem Hotel in Paris, als die Deutschen 1940 Nordfrankreich besetzten. „Ich wusste schon, was in Deutschland vor sich geht“, sagt er heute, “wir hatten schon etwas gehört“. Seine Reaktion darauf war, die Arbeit im Hotel zu beenden, er wollte nicht für die Deutschen arbeiten. Stattdessen schloss er sich der Jugendorganisation der jüdischen Sektion in der kommunistischen Partei an. Als 1941 die ersten Verhaftungen von Juden begannen, verließ Jakob Szmulewicz Paris und ging in die damals noch nicht besetzte Südzone nach Lyon – „ich wollte frei bleiben“, betont er. Erst 1941 - nach dem Bruch des Hitler-Stalin-Paktes - gab die kommunistische Partei die Order, Widerstand gegen die Deutschen zu leisten. Die erste Aktion kam von Pierre Georges, der bereits im spanischen Bürgerkrieg gekämpft hatte und heute unter dem Namen Colonel Fabien bekannt ist: am  21. August 1941 erschoss er einen deutschen Offizier in der Pariser Metro. „Diese Aktion wurde zum Vorbild für die französische Jugend“, berichtet Szmulewicz. Im Juli 1942 ordnete auch das französische Vichy Regime in Südfrankreich die ersten Razzien gegen Juden an, sie mussten ein „J“ im Pass tragen. „Da besuchte mich ein Freund, ein junger Kommunist und meinte wir müssen etwas unternehmen“, erinnert er sich. Sie entschlossen sich, illegal Flugblätter zu verteilen, um eine Öffentlichkeit herzustellen. Damals besaßen sie noch keine Waffen.
 
Nach dem Einmarsch der Deutschen in die so genannte „freie Zone“ begann Jakob Szmulewicz als „Illegaler“ in Lyon für die Jugendorganisation der M.O.I. zu arbeiten. 1943 organisierten sie sich die ersten Waffen: Revolver und Pistolen. „Später“, so berichtet er, „haben wir noch viel mehr gemacht“. Sie beteiligten sich an Zugentgleisungen von deutschen Truppen, Sprengstoffanschlägen auf kriegswichtige Fabriken und Angriffe auf Fuhrparks der deutschen Armee. Von den ersten 100 Leuten, die mitgemacht haben, seien am Ende des Krieges nur noch 18 am Leben gewesen. Auch seinen besten Freund hat er bei einer Aktion verloren, als dieser sich aus Angst vor der Gefangennahme und Folter durch die Deutschen eine Granate auf die Brust legte. „Ich war jung“, sagt er heute, „das war mein Leben – auch wenn es sehr gefährlich war. Im Grunde waren wir Soldaten ohne Uniform, die in der Stadt aktiv waren.“

Als eines Tages die Gestapo vor seiner Tür stand, konnte Szmulewicz nach Grenoble fliehen, wo er in die bewaffnete Einheit der M.O.I. Liberté aufgenommen wurde. Nach seiner Rückkehr nach Lyon 1944, kämpfte er bis zur Befreiung im Détachment Carmagnole. Sie beteiligten sich am Aufstand in Villeurbanne, einer proletarischen Vorstadt von Lyon. Zur Unterstützung des Aufstandes eroberten sie Waffen von der Spezialbrigade, die zur Bekämpfung der Partisaneneinheiten eingesetzt wurde. Er war für die Führung von 100 Leuten zuständig. „Es war Krieg“, sagt er, „da macht man Sachen, die man sonst nicht macht.“. In seiner Gruppe seien Leute aus allen möglichen Ländern gewesen, die meisten waren Juden – „wir waren am meisten bedroht, wir haben das am deutlichsten gespürt“. Auch Frauen waren von Anfang an aktive Mitglieder der M.O.I.. Anfangs hätten sie spezielle Aufgaben als Verbindungspersonen für die Gruppen untereinander und das Verteilen von Flugblättern übernommen, erzählt Szmulewicz, später seien sie auch in den bewaffneten Einheiten gewesen. Simone Motta aus seiner Gruppe stand bei der Befreiung Lyons an der Spitze eines eigenen Bataillons.

Nach der Befreiung sei er viel herumgekommen - es sei notwendig gewesen einen Beruf, ein bürgerliches Auskommen zu finden. Und er habe versucht zu vergessen. Viele seiner größtenteils jüdischen Mitkämpfenden seien zurückgegangen in die Länder aus denen sie kamen und wollten dort den Sozialismus aufbauen. Diejenigen, die nach Polen gegangen waren, seien jedoch häufig einige Jahre später wegen des Antisemitismus dort nach Frankreich zurückgekommen. „Obwohl ich in Polen geboren bin, war es für mich keine Option dorthin zugehen“ erzählt er, dafür sei er zu stark mit der französischen Kultur verbunden gewesen.

In Deutschland war er seitdem erst zweimal, einmal 1979 in Köln zum Prozess gegen Kurt Lischka, den ehemaligen Gestapo Chef von Paris und Hauptverantwortlichen für die Deportationen aus Frankreich, und heute, weil es ihm der Kampf gegen die alten Nazis leichter mache herzukommen. Seine Geschwister seien damals nach Deutschland deportiert worden. Wütend, sagt er, sei er auf die Leute, die sich bis heute noch positiv auf die Taten der Deutschen beziehen.

Mörderische Tradition

Beim „Kameradschaftsabend“ in der polizeilich gegen die GegendemonstrantInnen abgesicherten Gaststätte „Postkeller“ war die blutige Vergangenheit wohl eher kein Thema. Spärliche 40 Leute hatten sich dort zum Abendessen eingefunden - hauptsächlich ältere Männer, aber auch einige jüngere Burschen. Ein Musik-Trio spielte auf einer Bühne, die Gäste aßen und tranken Bier. Am nächsten Morgen sah es dann schon anders aus: Die Aufrufe des Kameradenkreises, den Protesten zum Trotz zahlreich zu erscheinen, schienen erfolgreich gewesen zu sein - rund 800 Teilnehmer zählte die Polizei. Das waren mehr als erwartet, den Gottesdienern gingen beim alljährlich stattfindenden Traditionsgottesdienst schließlich die Hostien aus. Zu schlucken hatten einige Anwesende dafür während der Rede des Präsidenten des Kameradenkreises, Ernst Coqui - zum ersten Mal wurde während des Traditionsgottesdienstes öffentlich von Kriegsverbrechen gesprochen, jedoch nicht ohne anschließende Relativierung und Historisierung der Taten. Und auch das Eingeständnis ist wohl eher den Gegenveranstaltungen geschuldet, die allseits Thema waren: Beinahe jedes Privatgespräch auf dem Hohen Brendten an diesem Tag schien sich um die etwa 300 GegendemonstrantInnen zu drehen, die sich weiter unten am Berg vor einer Polizeiabsperrung versammelt hatten. Am Morgen hatten sie versucht, die Anfahrtswege zur Gedenkfeier zu blockieren und den Anfahrenden entgegen gerufen: “Gottesdienst – welch ein Hohn, denn die Hölle wartet schon!“ 

Als Erfolg ist zu bewerten, dass aufgrund der Liste mit 150 Namen mutmaßlicher Kriegsverbrecher, die der Arbeitskreis „Angreifbare Traditionspflege“ und der VVN/BdA der Polizei nach den letztjährigen Protestveranstaltungen übergeben hatte, Ermittlungen aufgenommen wurden. Es handelt sich um die noch lebenden Angehörigen der 12. Kompanie des Gebirgsjäger-Regiments 98, die u.a. unter dem Kommando des späteren Bundeswehrgeneraloberst Reinhold Klebe am 16. August 1943 das nordgriechische Dorf Kommeno überfallen und dem Erdboden gleich gemacht hatten. Bei dem von Oberleutnant Josef Salminger als Vergeltungsaktion für den angeblichen Mord an deutschen Soldaten ausgegebenen Blutbad ermordeten die Gebirgsjäger 317 Menschen unterschiedlichsten Alters. Nachdem das bereits angestrengte Verfahren gegen die Täter 1969 nach Ermittlungsfehlern eingestellt wurde, besteht nun Hoffnung, dass die noch lebenden Angehörigen der Kompanie, die ohne Ausnahme an dem Massaker beteiligt waren, zu einer späten Strafe kommen. Die Liste des Arbeitskreises und der VVN/BdA umfasst auch die Namen derjenigen noch lebenden Täter, die für die Erschießung von über 5.000 italienischen Kriegsgefangenen im September 1943 auf der griechischen Insel Kephallonia verantwortlich waren. Auch in diesem Fall kam es in der Bundesrepublik nie zu einer Strafverfolgung, die Ermittlungen wurden eingestellt. Die Bemühungen des VVN/BdA in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis „Angreifbare Traditionspflege“, NS Verbrechen in Griechenland zu recherchieren, wurden allerdings im Verlaufe des letzten Jahres kriminalisiert. Wie der Landessprecher der VVN/BdA Ulrich Sanders auf der Eröffnungskundgebung zur diesjährigen Demonstration berichtete, wurde im Dezember letzten Jahres seine Privatwohnung  und das Landesbüro der VVN/BdA Nordrhein-Westfalen in Wuppertal von zehn Vertretern des Staatsschutzes mit fadenscheinigen Begründungen durchsucht, persönliches Material und die PCs wurden beschlagnahmt, wurden aber inzwischen - nachdem sie kopiert wurden - wieder ausgehändigt.

Randnotiz

Am Rande der Demonstration wurden auch die Personalien eines 59-jährigen Anwohners festgestellt, der ein Hakenkreuz an seinem Hut trug. Gegen ihn wurde Anzeige erstattet. Auch 13 rechtradikale Skinheads nahmen die Ordnungskräfte bis Mitternacht in Gewahrsam. Die 16- bis 23-jährigen hatten versucht, die linken DemonstrantInnen zu provozieren.

  

 

gs / tacheles-reden.de / 2004-06-10